Patriarchen und Propheten
Kapitel 71: Davids Schuld und Reue
Die Bibel hat nur wenig zum Lobe des Menschen zu sagen. Sie widmet auch den Vorzügen der Besten, die je lebten, nicht viel Raum. Dieses Stillschweigen hat seinen Grund. Alle guten Eigenschaften, die der Mensch besitzt, sind Gaben Gottes. Gutes geschieht durch Gottes Gnade in Christus. Als Dank gebührt ihm allein die Ehre für alles, was Menschen sind oder tun; sie sind nur Werkzeuge in seiner Hand. Außerdem ist es — wie die gesamte biblische Geschichte lehrt — ein gefährlich Ding, Menschen zu rühmen oder zu verherrlichen. Denn wer seine Abhängigkeit von Gott aus den Augen verliert und auf die eigene Kraft vertraut, kommt sicherlich zu Fall. Der Mensch hat mit Feinden zu kämpfen, die stärker sind als er. “Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.” Epheser 6,12. Solchen Auseinandersetzungen sind wir von uns aus nicht gewachsen. Darum will uns die Bibel zum Vertrauen auf Gottes Kraft ermutigen und Zweifel an der eigenen Stärke wecken. PP 692.1
Selbstvertrauen und Selbstüberschätzung schufen die Voraussetzung für Davids Fall. Auch er war nicht gefeit gegen Schmeicheleien; und der kaum vernehmbare Anreiz von Macht und Wohlleben verfehlte seine Wirkung nicht — genauso wie der schlechte Einfluß durch den Umgang mit den benachbarten Völkern. Es war Gewohnheitsrecht östlicher Herrscher, für Unrecht straffrei zu bleiben, das bei ihren Untertanen nicht geduldet wurde. Sie brauchten sich keine Schranken aufzuerlegen wie diese. Das alles trug dazu bei, Davids Bewußtsein für das Wesen der Sünde zu trüben. Und anstatt sich jederzeit in Demut auf die Kraft Jahwes zu verlassen, begann er, auf eigene Klugheit und Größe zu bauen. Sobald es aber Satan gelingt, den Menschen von Gott, der einzigen Kraftquelle, zu trennen, wird er versuchen, unheilige Wünsche zu wecken. Das gelingt ihm nicht von heute auf morgen, wohl aber durch heimliches Untergraben fester Grundsätze. Mit scheinbar unwichtigen Dingen fängt er an: Nachlässigkeit in der Treue und im Vertrauen zu Gott sowie Verlangen, am Treiben und an den Gewohnheiten der Welt teilzuhaben. PP 692.2
Noch vor der Beendigung des Krieges gegen die Ammoniter überließ David die Führung des Heeres Joab und kehrte nach Jerusalem zurück. Die Syrer hatten sich den Israeliten bereits unterworfen, die vollständige Niederlage der Ammoniter stand bevor. David konnte die Früchte seiner Siege und Ehrungen für seine kluge, vortreffliche Regierung einheimsen. Nun endlich konnte er behaglich und sorgenfrei leben. Doch da kam für den Versucher die Gelegenheit, sich seiner Gedankenwelt zu bemächtigen. Davids enge Verbindung zu Gott und die vielen Gnadenerweise hätten allein die Triebfeder zu makellosem Verhalten sein müssen. Aber er war selbstsicher geworden und verlor dadurch seinen Halt an Gott. Er gab Satan nach und wurde schuldig. Als der von Gott bestimmte Führer des Volkes war er dazu erwählt, Jahwes Gesetz zu handhaben; stattdessen trat er es nun selbst mit Füßen. Anstatt Übeltätern mit Härte entgegenzutreten, bestärkte er sie jetzt noch durch sein eigenes Verhalten. PP 693.1
In den Gefahren der Jugendzeit konnte David im Bewußtsein seiner Unschuld alles Gott überlassen. Die Hand des Herrn hatte ihn vor zahllosen Fallstricken bewahrt, die man ihm legte. Aber jetzt, schuldbeladen und doch unbußfertig, erbat er keine Hilfe und Weisung von oben. Er versuchte vielmehr, sich selbst aus der Gefahr herauszuwinden, in die ihn die Sünde verstrickt hatte. Bathseba, deren Schönheit dem König zum Fallstrick wurde, war die Frau des Hethiters Uria, eines der tapfersten und treuesten Offiziere Davids. Falls der Frevel bekannt würde, wären die Folgen nicht abzusehen. Gottes Gesetz sprach über den Ehebrecher das Todesurteil. Und der so schmählich beleidigte, selbstbewußte Krieger könnte sich dadurch rächen, daß er den König umbrachte oder einen Aufstand anzettelte. PP 693.2
Alle Mühe Davids, seine Schuld zu verheimlichen, war vergeblich. Er selbst hatte sich dem Bösen ausgeliefert. Gefahr umlauerte ihn, und Schande, bitterer als der Tod, stand ihm bevor. David sah nur eine Möglichkeit, dem zu entgehen; und in seiner Verzweiflung fügte er überstürzt dem Ehebruch noch einen Mord hinzu. Der Böse hatte Saul vernichtet, nun wollte er David ins Verderben stürzen. Wohl waren ihre Anfechtungen unterschiedlicher Art, aber sie führten in gleicher Weise zur Übertretung des göttlichen Gesetzes. David meinte, daß man ihm in der Heimat keine Schuld anlasten konnte, wenn Uria in der Schlacht durch Feindeshand fiel. Dann war Bathseba frei und konnte Davids Frau werden. Damit war jedem Verdacht vorgebeugt, und die Ehre des Königs war gerettet. PP 693.3
Uria wurde zum Überbringer seines eigenen Todesurteils. Er händigte Joab einen Brief des Königs aus, der den Befehl enthielt: “Stellt Uria vornehin, wo der Kampf am härtesten ist, und zieht euch hinter ihm zurück, daß er erschlagen werde und sterbe.” 2.Samuel 11,15. Joab, der schon mit der Schuld eines mutwilligen Mordes beladen war, zögerte nicht, dieser Anweisung zu gehorchen, und Uria fiel durch das Schwert eines Ammoniters. PP 694.1
Bis dahin war Davids Leumund als Herrscher so gut wie nur bei wenigen Monarchen. Die Schrift sagt über ihn: “Er schaffte Recht und Gerechtigkeit seinem ganzen Volk.” 2.Samuel 8,15. Seine Lauterkeit hatte ihm das Vertrauen und die Treue des Volkes gewonnen. Aber als er von Gott wich und dem Bösen nachgab, wurde er eine Zeitlang dessen Werkzeug. Trotzdem behielt er die Stellung und Autorität, die Gott ihm verliehen hatte. Deshalb konnte er solch gefährlichen Gehorsam verlangen. Joab aber war dem König mehr ergeben als Gott. Er übertrat Gottes Gebot, weil der König es befahl. PP 694.2
David hatte seine Macht von Gott empfangen und sollte sie nur in Übereinstimmung mit dem göttlichen Gesetz gebrauchen. Als er etwas befahl, das diesem Gesetz widersprach, wurde Gehorsam zur Sünde. Wohl sagte die Schrift: “Es ist keine Obrigkeit ohne von Gott” (Römer 13,1), aber in solchem Fall dürfen wir ihr nicht gehorchen. In seinem Brief an die Korinther stellt Paulus den Grundsatz auf, von dem wir uns leiten lassen sollen: “Seid meine Nachfolger, gleichwie ich Christi!” 1.Korinther 11,1. PP 694.3
Joab schickte David eine Meldung über die Ausführung des Befehls, die so sorgfältig abgefaßt war, daß weder der König noch er selbst hineingezogen werden konnte. Er befahl dem Boten: “Wenn du dem König alles bis zu Ende gesagt hast, was sich bei dem Kampf begeben hat, und siehst, daß der König zornig wird ... so sollst du sagen: Auch dein Knecht Uria, der Hethiter, ist tot. Der Bote ging hin und kam und sagte David alles, weswegen Joab ihn gesandt hatte.” 2.Samuel 11,19-22. PP 694.4
Der König antwortete: “So sollst du zu Joab sagen: ‘Laß dir das nicht leid sein, denn das Schwert frißt bald diesen, bald jenen. Fahre fort mit dem Kampf gegen die Stadt und zerstöre sie.’ So sollst du ihm Mut zusprechen.” 2.Samuel 11,25. PP 695.1
Bathseba hielt die übliche Trauerzeit für ihren Mann ein. Nach deren Ablauf “sandte David hin und ließ sie in sein Haus holen, und sie wurde seine Frau”. 2.Samuel 11,27. Er, dessen feines Gewissen und hohes Ehrgefühl ihm nicht einmal in Lebensgefahr erlaubte, die Hand gegen den Gesalbten des Herrn zu erheben, war so tief gefallen, daß er einen seiner tapfersten und treuesten Krieger töten lassen konnte. Und das nur, weil er sich seines Sündenlohnes ungestört zu erfreuen hoffte. Wie trübe war doch das feine Gold geworden, wie hatte es sich verändert! PP 695.2
Von Anfang an hat Satan den Menschen die Vorteile der Übertretung ausgemalt. Damit verführte er sogar Engel. Auf diese Weise verleitete er Adam und Eva zur Sünde. Und so bringt er immer noch unendlich viele vom Gehorsam gegen Gott ab. Der Pfad der Gesetzesübertretung sieht zunächst sehr anziehend aus, “aber zuletzt bringt er ihn zum Tode”. Sprüche 14,12. Glücklich ist, wer sich beizeiten abwendet, nachdem er sich auf diesen Weg wagte und die bitteren Früchte der Sünden kennenlernte! Gottes Barmherzigkeit ließ es auch im Falle Davids nicht zu, daß dieser durch den trügerischen Lohn der Sünde völlig ins Verderben gezogen wurde. PP 695.3
Um Israels willen war das Eingreifen Gottes notwendig. Im Laufe der Zeit wurde Davids Sünde mit Bathseba bekannt, und es mehrte sich der Verdacht, daß er Urias Tod auf dem Gewissen habe. Der Name des Herrn war entehrt. Wie war David begünstigt und erhoben worden, und nun entstellte seine Sünde das Wesen Gottes und machte ihm Schande. Sie führte dazu, daß Israels Frömmigkeit sank und bei vielen die Abwehr gegen die Sünde nachließ. Die aber Gott nicht liebten und fürchteten, wurden zur Übertretung geradezu ermutigt. PP 695.4
Nun erhielt der Prophet Nathan den Auftrag, David Gottes Mißbilligung deutlich zu machen. Das war eine harte, schreckliche Botschaft. Wenige Herrscher hätten solchen Vorwurf hingenommen, ohne den Überbringer töten zu lassen. Nathan schreckte nicht davor zurück. Aber er tat es mit solcher Weisheit, daß er des Königs Mitgefühl wachrief, sein Gewissen aufrüttelte und ihm schließlich das eigene Todesurteil abnötigte. Er wandte sich an David als den von Gott gesandten Rechtswahrer seines Volkes und trug ihm die Geschichte einer ungerechten Bedrückung vor, die Wiedergutmachung verlangte. PP 695.5
“Es waren zwei Männer in einer Stadt”, sagte er, “der eine reich, der andere arm. Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, daß es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt’s wie eine Tochter. Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er’s nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war.” 2.Samuel 12,1-4. PP 696.1
Der König geriet in Zorn und rief aus: “So wahr der Herr lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat.” 2.Samuel 12,5.6. PP 696.2
Nathan sah den König an; dann erhob er die rechte Hand zum Himmel und erklärte ernst: “Du bist der Mann!” Und er fuhr fort: “Warum hast du denn das Wort des Herrn verachtet, daß du getan hast, was ihm mißfiel?” 2.Samuel 12,7.9. Wie David mögen andere Schuldiggewordene versuchen, ihr Unrecht vor Menschen zu verheimlichen, aber “es ist alles bloß und aufgedeckt vor Gottes Augen, dem wir Rechenschaft geben müssen”. Hebräer 4,13. “Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werde, und nichts ist heimlich, was man nicht wissen werde.” Matthäus 10,26. PP 696.3
Nathan erklärte: “So spricht der Herr, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls ... Warum hast du denn das Wort des Herrn verachtet, daß du getan hast, was ihm mißfiel? Uria, den Hethiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen ... Siehe, ich will Unheil über dich kommen lassen aus deinem eigenen Hause und will deine Frauen nehmen vor deinen Augen und will sie deinem Nächsten geben ... Denn du hast’s heimlich getan, ich aber will dies tun vor ganz Israel und im Licht der Sonne.” 2.Samuel 12,7.9-12. PP 696.4
Die Vorwürfe des Propheten trafen David im Innersten, und seine Schuld stand in ihrer ganzen Größe vor ihm. In tiefer Reue beugte er sich vor Gott. Mit bebenden Lippen bekannte er: “Ich habe gesündigt gegen den Herrn.” 2.Samuel 12,13. Alles Unrecht, daß man andern zufügt, reicht bis hinauf vor Gott. David hatte an Uria und Bathseba schwer gesündigt, das empfand er jetzt in seiner ganzen Schärfe. Aber unendlich größer war seine Schuld gegenüber Gott. PP 697.1
Obwohl sich niemand in Israel gefunden hätte, das Todesurteil am Gesalbten des Herrn zu vollstrecken, fürchtete sich David vor einem plötzlichen Strafgericht Gottes, das ihn — schuldig und ohne Vergebung — hinwegraffen könnte. Aber der Prophet durfte ihm versichern: “So hat auch der Herr deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben.” 2.Samuel 12,13. Doch Recht muß Recht bleiben. Das Todesurteil wurde von David auf das Kind seiner Sünde übertragen, und dem König wurde Gelegenheit zur Buße gegeben. Für ihn war das Leiden und Sterben des Kindes als Teil seiner Strafe viel härter, als es der eigene Tod gewesen wäre. Der Prophet sagte: “Weil du die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben.” 2.Samuel 12,14. PP 697.2
Als das Kind erkrankte, bat David mit Fasten und in tiefer Demut um sein Leben. Er legte Stirnreif und Königsgewänder ab und bat, Nacht für Nacht am Boden liegend, in herzzerreißendem Schmerz für das unschuldige Wesen, das um seiner Schuld willen litt. “Da traten herzu die Ältesten seines Hauses und wollten ihn aufrichten von der Erde; er aber wollte nicht.” 2.Samuel 12,17. Oft wendeten Demütigung und Reue schon ausgesprochene Urteile über Menschen und Städte ab, und der Allbarmherzige, schnell zur Vergebung bereit, sandte ihnen Friedensboten. Durch diesen Gedanken ermutigt, hielt David an zu flehen, solange das Kind noch am Leben war. Als er erfuhr, es sei tot, unterwarf er sich still der Fügung Gottes. Der erste Vergeltungsschlag, den er selbst als gerecht erklärt hatte, war gefallen. Aber David blieb nicht ohne Trost, denn er vertraute auf Gottes Erbarmen. PP 697.3
Viele, die diese Geschichte von Davids Fall lesen, mögen fragen: “Warum wurde das veröffentlicht? Weshalb legte Gott diese dunkle Seite eines von ihm in so hohem Maße gewürdigten Menschen vor aller Welt offen dar?” Als der Prophet David zurechtwies, sagte er über dessen Sünde: “Du hast die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern gebracht.” Durch Generationen haben Ungläubige auf diesen Makel in Davids Charakter hingewiesen und triumphierend gespottet: “Dies ist der Mann nach Gottes Herzen!” Das ist ein Angriff auf den Glauben; damit werden Gott und sein Wort geschmäht. Die Menschen verhärten sich im Unglauben, und viele wagen es, unter dem Deckmantel der Frömmigkeit noch verwegener zu sündigen. PP 697.4
Aber in Davids Lebensbeschreibung wird Sünde nicht gutgeheißen. Solange er nach Gottes Rat lebte, wurde er ein Mann nach dem Herzen Gottes genannt. Als er sündigte, traf das nicht mehr zu, bis er reuevoll zum Herrn zurückkehrte. Gottes Wort sagt unmißverständlich: “Aber dem Herrn mißfiel die Tat, die David getan hatte.” 2.Samuel 11,27. Und durch den Propheten fragte der Herr den David: “Warum hast du denn das Wort des Herrn verachtet, daß du getan hast, was ihm mißfiel? ... Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet hast.” 2.Samuel 12,7.9-12. Obwohl David tief bereute, Vergebung erhielt und vom Herrn wieder angenommen wurde, erntete er doch die unheilvollen Früchte selbstgestreuter Saat. Die Strafgerichte, die über ihn und sein Haus kamen, bezeugen Gottes Abscheu vor der Sünde. PP 698.1
Bis dahin hatte göttliche Vorsehung David vor allen Ränkespielen seiner Feinde beschirmt und auch Saul Einhalt geboten. Aber Davids Übertretung änderte sein Verhältnis zu Gott. Der Herr durfte Ungerechtigkeit unter keinen Umständen billigen. Er konnte David nicht vor den Folgen seiner Sünde schützen, wie er ihn vor Sauls Feindschaft bewahrt hatte. PP 698.2
In David selbst ging eine große Veränderung vor sich. Im Bewußtsein seiner Schuld mit ihren weitreichenden Folgen war er zerbrochen. Er fühlte sich in den Augen seiner Untertanen gedemütigt; er verlor an Einfluß. Bis dahin war sein gewissenhafter Gehorsam gegen Gottes Gebote von Wohlergehen begleitet gewesen. Aber nachdem das Volk von seinem Vergehen erfuhr, würden auch sie unbekümmerter sündigen. Ja, sogar im Familienkreis war zu spüren, daß seine Autorität und sein Anspruch auf Gehorsam nachließen. Das Schuldbewußtsein ließ ihn schweigen, wo er Unrecht hätte verurteilen müssen; er war diesbezüglich im eigenen Hause gehemmt. Sein böses Beispiel blieb nicht ohne Einfluß auf seine Söhne, und Gott griff nicht ein, um die Folgen abzuwenden. Er ließ den Dingen ihren natürlichen Lauf, und das bedeutete für David harte Bestrafung. PP 698.3
Ein ganzes Jahr lebte David nach seinem Fall scheinbar in Sicherheit. Er verspürte kein äußeres Zeichen göttlichen Mißfallens. Aber Gottes Urteilsspruch bedrohte ihn ständig. Schnell und gewiß würde der Gerichtstag kommen und mit ihm die Vergeltung. Weder Reue noch Seelenangst und Scham, die sein ganzes irdisches Leben verdüsterten, konnten ihn aufhalten. Wer mit dem Hinweis auf David seine Sünde zu verharmlosen sucht, sollte aus der Schrift lernen, daß der Weg der Übertretung beschwerlich ist. Selbst wenn er sich wie David von seinem bösen Lebenswandel abwendet, wird er die Folgen der Sünde schon in diesem Leben bitter empfinden. PP 699.1
Gott wollte, daß Davids Fall zur Warnung diente, damit auch reich Gesegnete und Begnadete sich nicht sicher fühlen und Gebet und Wachsamkeit nicht vernachlässigen. Das hat sich bei allen bewährt, die in Demut zu beherzigen suchten, was Gott sie lehren wollte. So wurde vielen die Gefahr satanischer Macht bewußt. Davids Niederlage weckte bei ihnen das Mißtrauen gegen sich selbst. Sie erkannten, daß Gott allein sie durch Glauben bewahren konnte und daß nur in ihm Stärke und Sicherheit war. Darum fürchteten sie sich auch vor dem ersten bösen Schritt. PP 699.2
Schon ehe das göttliche Urteil über David ausgesprochen war, machten sich die Folgen seiner Tat bemerkbar. Sein Gewissen fand keine Ruhe. Die Seelenangst, die er damals erduldete, brachte er im zweiunddreißigsten Psalm zum Ausdruck: PP 699.3
“Wohl dem, dem die Übertretungen vergeben sind, dem die Sünde bedeckt ist! Wohl dem Menschen, dem der Herr die Schuld nicht zurechnet, in dessen Geist kein Trug ist! Denn als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Klagen. Denn deine Hand lag Tag und Nacht schwer auf mir, daß mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird.” Psalm 32,1-4. PP 699.4
Und der einundfünfzigste Psalm spiegelt die Reue Davids wider, nachdem Gott ihn gerügt hatte: “Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. Wasche mich rein von meiner Missetat, und reinige mich von meiner Sünde; denn ich erkenne meine Missetat, und meine Sünde ist immer vor mir ... Entsündige mich mit Ysop, daß ich rein werde; wasche mich, daß ich schneeweiß werde. Laß mich hören Freude und Wonne, daß die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast. Verbirg dein Antlitz vor meinen Sünden, und tilge alle meine Missetat. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe, und mit einem willigen Geist rüste mich aus. Ich will die Übertreter deine Wege lehren, daß sich die Sünder zu dir bekehren. Errette mich von Blutschuld, Gott, der du mein Gott und Heiland bist, daß meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme. Herr, tu meine Lippen auf, daß mein Mund deinen Ruhm verkündige.” Psalm 51,3-5.9-17. PP 699.5
In dieser Weise erzählte Israels König von seiner Sünde, Reue und Hoffnung auf Vergebung durch Gottes Gnade. Als geistliches Lied wurde es in aller Öffentlichkeit gesungen, und noch die spätesten Geschlechter sollten von dieser Schuld wissen, die er nicht verhehlte, damit andere durch den traurigen Bericht abgeschreckt würden. PP 700.1
Davids Reue war aufrichtig und tief. Er beschönigte nichts. Sein Gebet entsprang auch nicht dem Wunsch, den angedrohten Strafgerichten zu entgehen. Er sah vielmehr die Ungeheuerlichkeit seiner Übertretung Gott gegenüber. Er betete nicht nur um Vergebung, sondern auch um Herzensreinheit. David gab in der Verzweiflung nicht auf, denn er sah in Gottes Verheißungen für reuige Sünder den Beweis seiner Vergebung und Annahme. PP 700.2
“Denn Schlachtopfer willst du nicht, ich wollte sie dir sonst geben, und Brandopfer gefallen dir nicht. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist, ein geängstetes, zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.” Psalm 51,18.19. PP 700.3
Der Herr hob David trotz des Falles wieder auf. Nun befand sich David in größerer Übereinstimmung mit Gott und hatte mehr Verständnis für seine Mitmenschen als je zuvor. In der Freude über seine Erlösung sang er: PP 700.4
“Darum bekannte ich dir meine Sünde, und meine Schuld verhehlte ich nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen. Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünde ... Du bist mein Schirm, du wirst mich vor Angst behüten, daß ich errettet gar fröhlich rühmen kann.” Psalm 32,5.7. PP 700.5
Vielen erschien es unverständlich und ungerecht, daß David, dessen Schuld so groß war, von Gott verschont, Saul dagegen wegen einer geringfügigeren verworfen wurde. Aber David bekannte sich in Demut zu seiner schlimmen Tat, während Saul sich ungeachtet der Zurechtweisung innerlich verhärtete. PP 701.1
Dieses Vorkommnis aus Davids Leben ist für jeden, der seine Sünde bereut, bedeutsam. Es gehört mit zu den eindrucksvollsten Schilderungen von Kampf und Versuchung und andererseits von echter Buße und rechten Glaubens Gott und unserem Herrn Jesus Christus gegenüber. Davids Erfahrung war zu allen Zeiten für Gestrauchelte, die sich unter der Last ihrer Schuld quälten, eine Quelle der Ermutigung. In ihrer Verzweiflung erinnerten sie sich daran, wie Gott Davids aufrichtiges Reuebekenntnis annahm, obwohl dieser für seine Übertretung leiden mußte. Das ermutigte auch sie, sich zu besinnen und erneut in Gottes Wegen zu wandeln. PP 701.2
Wer wie David bekennt und bereut, kann gewiß sein, daß es für ihn Hoffnung gibt. Wer Gottes Verheißungen im Glauben annimmt, wird Vergebung finden. Der Herr hat ja zugesagt: “Sie suchen Zuflucht bei mir und machen Frieden mit mir, ja, Frieden mit mir.” “Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung.” Jesaja 27,5; 55,7. PP 701.3