Patriarchen und Propheten
Kapitel 70: Davids Regierung
Kaum hatte David den Thron Israels bestiegen, da hielt er Ausschau nach einer geeigneteren Hauptstadt. Er entschied sich für einen Platz etwa zweiunddreißig Kilometer von Hebron entfernt. Ehe Josua das israelitische Heer über den Jordan geführt hatte, hieß der Ort Salem. In seiner Nähe hatte Abraham Gott seine Treue bewiesen. Achthundert Jahre vor Davids Krönung lebte hier Melchisedek, der Priester des Allerhöchsten. Die Stadt war auf einer Anhöhe in der Mitte des Landes errichtet und von schützenden Bergen umgeben. An der Grenze zwischen Juda und Benjamin gelegen, konnten das nahe Ephraim und auch die anderen Stämme leicht erreicht werden. PP 680.1
Um sich diesen Platz zu sichern, mußten die Hebräer einen Rest von Kanaanitern vertreiben, die auf den Bergen Zion und Morija eine befestigte Stellung innehatten. Diese Festung hieß Jebus, ihre Einwohner waren als Jebusiter bekannt. Jahrhundertelang hatte Jebus für uneinnehmbar gegolten. Aber unter Joabs Befehl wurde es belagert und erobert. Zur Belohnung für seine Tapferkeit stieg er zum Oberbefehlshaber der israelitischen Heere auf. Jebus wurde Landeshauptstadt und der heidnische Name in Jerusalem umgeändert. PP 680.2
Hiram, dem König der reichen Stadt Tyrus am Mittelländischen Meer, lag an einem Bündnis mit dem Könige Israels; deshalb half er ihm bei der Errichtung eines Palastes in Jerusalem. Aus Tyrus kamen Gesandte, begleitet von Baumeistern und Arbeitern, ferner lange Karawanen mit kostbaren Hölzern, Zedern und anderen wertvollen Baustoffen. PP 680.3
Israels wachsende Stärke durch die Vereinigung der Stämme unter David, die Einnahme der Festung Jebus und das Bündnis mit dem Tyrerkönig Hiram erregte erneut die Feindseligkeit der Philister. Wieder fielen sie in das Land ein und bezogen mit einer starken Streitmacht Stellung im Tale Rephaim, nicht weit von Jerusalem. Aber David hielt sich vorerst zurück und blieb mit seinen Leuten in der Feste Zion, um auf göttliche Weisung zu warten. Er “befragte den Herrn und sprach: Soll ich hinaufziehen gegen die Philister? Wirst du sie in meine Hand geben? Der Herr sprach zu David: Zieh hinauf, ich werde die Philister in deine Hand geben.” 2.Samuel 5,19. PP 680.4
Sofort rückte David gegen die Feinde aus, schlug und vernichtete sie und nahm ihnen die Götzen weg, die sie als Sicherung für den Sieg bei sich hatten. Erbittert über ihre demütigende Niederlage, sammelten die Philister eine weit größere Streitmacht, kehrten zu erneutem Kampf zurück und “breiteten sich aus in der Ebene Rephaim”. 2.Samuel 5,22. Wiederum suchte David den Herrn, und der große ICH BIN übernahm die Führung des israelitischen Heeres. PP 681.1
Gott unterwies David mit den Worten: “Du sollst nicht hinaufziehen ihnen entgegen, sondern komm von hinten über sie, daß du sie angreifst vom Bakawalde her. Und wenn du hörst, wie das Rauschen in den Wipfeln der Bakabäume einhergeht, so eile; denn dann ist der Herr ausgezogen vor dir her, zu schlagen das Heer der Philister.” 2.Samuel 5,23.24. Wäre David wie einst Saul eigene Wege gegangen, mußte ihm der Erfolg versagt bleiben. Aber er handelte, wie der Herr ihm befohlen hatte, “und sie schlugen das Heer der Philister von Gibeon an bis Geser. Und Davids Name ging aus in alle Lande, und der Herr ließ Furcht vor ihm über alle Völker kommen”. 1.Chronik 14,16.17. PP 681.2
Nun Davids Thron gefestigt war und er auch von äußeren Feinden unbehelligt blieb, wandte er sich der Ausführung eines lange gehegten Planes zu, nämlich, die Lade Gottes nach Jerusalem zu bringen. Seit vielen Jahren stand sie im etwa fünfzehn Kilometer entfernten Kirjath-Jearim. Aber es schien angemessen, dem Zeichen der göttlichen Gegenwart einen Ehrenplatz in der Hauptstadt des Landes zu geben. PP 681.3
David bot dazu dreißigtausend führende Männer Israels auf, denn dieses Ereignis war Anlaß zu großer Freude und sollte recht eindrucksvoll gestaltet werden. Frohgemut folgte das Volk seinem Ruf. Der Hohepriester und seine Amtsbrüder, dazu die Fürsten und Stammeshäuptlinge versammelten sich in Kirjath-Jearim. David glühte vor heiligem Eifer. Die Lade wurde aus Abinadabs Haus herausgetragen und auf einen neuen, von Ochsen gezogenen Wagen gesetzt, den zwei Söhne Abinadabs begleiteten. PP 681.4
Israels Männer folgten mit Jubelrufen und Freudengesängen, in die eine große Menge zum Klang der Musikinstrumente einstimmte. Da “tanzten David und ganz Israel vor dem Herrn her mit aller Macht im Reigen, mit Liedern, mit Harfen und Psaltern und Pauken und Schellen und Zimbeln”. 2.Samuel 6,5. Lange nicht hatte Israel solchen Anblick erlebt. Würdevoll und fröhlich zog die lange Prozession über Berge und Täler der heiligen Stadt entgegen. PP 682.1
Aber “als sie zur Tenne Nachons kamen, griff Usa zu und hielt die Lade Gottes fest, denn die Rinder glitten aus. Da entbrannte des Herrn Zorn über Usa, und Gott schlug ihn dort, weil er seine Hand nach der Lade ausgestreckt hatte, so daß er dort starb bei der Lade Gottes.” 2.Samuel 6,6.7. Lähmendes Entsetzen überfiel die frohe Menge. David war bestürzt und sehr beunruhigt. Innerlich stellte er sogar Gottes Gerechtigkeit in Frage. Er hatte doch die Lade als das Sinnbild göttlicher Gegenwart ehren wollen. Warum hatte dieses furchtbare Strafgericht die Freude in Trauer und Klage verwandelt? David hatte das Empfinden, es sei gefährlich, die Lade in seiner Nähe zu haben. So ließ er sie, wo sie gerade war. Im Hause des Gathiters Obed-Edom fand man zunächst einen Platz für sie. PP 682.2
Usas Schicksal war göttliches Gericht für die Verletzung eines ausdrücklichen Gebotes. Nicht umsonst hatte der Herr durch Mose genaue Anweisungen über die Beförderung der Lade gegeben. Nur die Priester, Aarons Nachkommen, durften sie berühren oder anschauen, wenn sie unbedeckt war. Gott hatte gesagt: “Dann sollen die Söhne Kehath kommen, um es zu tragen. Sie sollen aber das Heilige selbst nicht anrühren, daß sie nicht sterben.” 4.Mose 4,15. Erst wenn die Priester die Lade bedeckt hatten, sollten die Kehathiter sie an den Stäben aufnehmen, die an jeder Seite angebracht waren und niemals entfernt wurden. Den Gersonitern und Meraritern, die für die Vorhänge, Bretter und Pfeiler der Stifshütte zu sorgen hatten, gab Mose Wagen und Rinder zur Beförderung. “Den Söhnen Kehaths aber gab er nichts, weil sie den Dienst am Heiligtum hatten und es auf ihren Schultern tragen mußten.” 4.Mose 7,9. In der Art, wie man die Bundeslade von Kirjath-Jearim abholte, lag eine offenkundige, unentschuldbare Mißachtung der Anweisung des Herrn. PP 682.3
David hatte sich mit dem Volk zu frommem Tun versammelt. Alle waren mit frohen, willigen Herzen dabei gewesen. Und doch konnte der Herr ihren Dienst nicht annehmen, weil dieser nicht seinen Forderungen entsprechend vollzogen wurde. Die Philister hatten in Unkenntnis des göttlichen Gesetzes die Lade auf einen Wagen gesetzt, als sie sie nach Israel zurücksandten, und der Herr ließ ihr Bemühen gelten. Aber die Israeliten besaßen über alle diese Dinge klare Willensäußerungen Gottes. Ihre Nachlässigkeit war Gottesentehrung, Usas Schuld Vermessenheit. Durch Verletzung des Gesetzes Gottes war sein Verständnis für dessen Heiligkeit beeinträchtigt. In unreiner Verfassung wagte er es trotz des göttlichen Verbotes, das Sinnbild der Gegenwart Gottes zu berühren. Gott kann keinen teilweisen Gehorsam und keine oberflächliche Befolgung seiner Gebote hinnehmen. Durch das Strafgericht an Usa sollte sich dies dem ganzen Volke einprägen. So konnte der Tod dieses einen Menschen letztlich Tausende vor Strafgerichten bewahren, wenn sie zur Einsicht kamen. PP 683.1
Als David Usa so plötzlich sterben sah, fürchtete er sich vor der Bundeslade. Könnte sie auch für ihn zum Gericht werden, wenn zwischen Gott und ihm nicht alles in Ordnung wäre? Obed-Edom dagegen begrüßte das heilige Sinnbild — wenn auch zaghaft — als Unterpfand der Gnade Gottes für die Gehorsamen. Ganz Israel richtete nun seine Aufmerksamkeit darauf, wie es ihm und seiner Familie ergehen würde. “Und der Herr segnete ihn und sein ganzes Haus.” 2.Samuel 6,11. PP 683.2
Die göttliche Zurechtweisung blieb nicht ohne Wirkung auf David. Mehr als zuvor erkannte er die Heiligkeit des Gesetzes und die Notwendigkeit unbedingten Gehorsams. Die Gnade, die dem Hause Obed-Edoms widerfuhr, ließ David wieder hoffen, daß die Bundeslade auch ihm und seinem Volk Segen bringen werde. PP 683.3
Nach drei Monaten unternahm er einen erneuten Versuch, sie heraufzubringen. Diesmal beachtete er Gottes Anweisungen sorgfältig bis ins einzelne. Wieder bot er die führenden Männer des Volkes auf, und eine unübersehbare Menge versammelte sich am Wohnort des Gathiters. Behutsam und ehrfurchtsvoll hoben die von Gott dafür bestimmten Männer die Lade auf ihre Schultern. Die Volksmenge ordnete sich ein, und furchtsam setzte sich der riesige Zug in Bewegung. Nach sechs Schritten gebot ein Trompetensignal Halt. David befahl, “einen Stier und ein fettes Kalb” (2.Samuel 6,13) zu opfern. Und nun kam nach Bangigkeit und Zagen Freude auf. David hatte die königlichen Gewänder abgelegt und statt dessen einen einfachen leinenen Priesterschurz umgetan. Dies sollte nicht heißen, daß er ein Recht auf priesterliche Aufgaben beanspruchte; den Ephod (Schurz) trugen zuweilen auch andere. Bei diesem Gottesdienst wollte er mit seinen Untertanen vor dem Höchsten völlig gleich erscheinen, und dieser Tag war ausschließlich der Anbetung Gottes geweiht. PP 683.4
Wiederum setzte sich der lange Zug in Bewegung, und der Klang der Harfen, Hörner, Trompeten und Zimbeln stieg zum Himmel auf, harmonisch verschmolzen mit dem Gesang zahlreicher Stimmen. “Und David tanzte mit aller Macht vor dem Herrn” (2.Samuel 6,14), so erfreute und ergriff ihn der Takt der Musik. PP 684.1
Vergnügungssüchtige haben auf David hingewiesen, der in andächtiger Freude tanzte, und daraus eine Rechtfertigung des heutigen modischen Tanzes abgeleitet. Aber solche Schlußfolgerung ist völlig abwegig. Heutzutage werden Tanzvergnügen meist mit törichter Lustbarkeit bis in die Nacht hinein verbunden. Dabei gehen Wohlbefinden und Anstand oft verloren. Die Besucher eines Ballsaales denken nicht an Gott. Gebet und geistliche Lieder sind bei diesen Zusammenkünften fehl am Platze. Das sollte für Christen ausschlaggebend sein: keine Vergnügungen, die ihre Neigung zu geistlichen Dingen und die Freude am Gottesdienst schmälern. Musik und Tanz zu fröhlichem Gotteslob bei der Überführung der Lade hatten nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit den heutigen Tänzen. Das eine diente dem Gedenken Gottes und war Lobpreis seines heiligen Namens, das andere ist eine Erfindung des Bösen, um die Menschen Gott vergessen zu lassen und ihn zu entehren. PP 684.2
Der frohe Zug folgte dem geweihten Sinnbild der Gegenwart seines unsichtbaren Königs und näherte sich jetzt der Hauptstadt. Ein gewaltiger Gesang forderte die Wächter auf der Mauer auf, die Tore der heiligen Stadt zu öffnen: “Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, daß der König der Ehre einziehe!” PP 684.3
Eine Gruppe von Sängern und Spielern fragte zurück: “Wer ist der König der Ehre?” PP 684.4
Eine andere gab die Antwort: “Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit.” PP 684.5
Darauf fielen Hunderte in den Siegeschor ein: “Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, daß der König der Ehre einziehe!” PP 685.1
Wiederum ertönte die freudige Frage: “Wer ist der König der Ehre?” PP 685.2
Und die Menge erwiderte wie “eine Stimme großer Wasser” (Offenbarung 19,6) mit hinreißender Kraft: “Es ist der Herr Zebaoth; er ist der König der Ehre.” Psalm 24,7-10. PP 685.3
Dann wurden die Tore weit geöffnet, die Prozession zog ein, und in ehrfurchtsvoller Scheu setzte man die Bundeslade in dem Zelt nieder, das zu ihrer Aufnahme vorbereitet war. Vor der geweihten Einfriedung waren Opferaltäre errichtet worden. Der Rauch von Dank- und Brandopfern und Weihrauchwolken stiegen mit Israels Lob- und Bittgesängen gen Himmel. Der Gottesdienst endete mit dem Segen, den der Herrscher selbst über sein Volk sprach. Dann ließ David mit königlicher Freigebigkeit Speisen und Getränke zur Erfrischung der Teilnehmer austeilen. PP 685.4
An diesem Gottesdienst, dem feierlichsten Ereignis in der bisherigen Regierungszeit Davids, nahmen Vertreter aller Stämme teil. Gottes Geist hatte auf David geruht. Als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne das heilige Zelt mit schimmerndem Glanze vergoldeten, richteten sich des Königs Gefühle dankbar zu Gott empor, dessen gesegnetes Zeichen seiner Gegenwart dem Throne Israels nun nahe war. PP 685.5
Sinnend kehrte David in seinen Palast zurück, “seinem Haus den Segensgruß zu bringen”. Aber dort war jemand, der das freudige Geschehen, das David bewegte, mit ganz anderen Gefühlen betrachtete. “Als die Lade des Herrn in die Stadt Davids kam, guckte Michal, die Tochter Sauls, durchs Fenster und sah den König David springen und tanzen vor dem Herrn und verachtete ihn in ihrem Herzen.” In der Bitterkeit ihres Zornes konnte sie es nicht erwarten, bis David den Palast betrat, sondern ging ihm entgegen und überschüttete ihn auf seinen freundlichen Gruß mit einer Flut kränkender Worte. Scharf und schneidend war die Ironie ihrer Rede: “Wie herrlich ist heute der König von Israel gewesen, als er sich vor den Mägden seiner Männer entblößt hat, wie sich die losen Leute entblößen!” 2.Samuel 6,16.20. PP 685.6
David spürte sofort, Michal verachtete und entehrte damit den Gottesdienst; deshalb antwortete er streng: “Ich will vor dem Herrn tanzen, der mich erwählt hat vor deinem Vater und vor seinem ganzen Hause, um mich zum Fürsten zu bestellen über das Volk des Herrn, über Israel, und ich will noch geringer werden als jetzt und will niedrig sein in meinen Augen; aber bei den Mägden, von denen du geredet hast, will ich zu Ehren kommen.” 2.Samuel 6,21.22. Dem Verweis Davids fügte der Herr den seinigen hinzu: Wegen ihres Stolzes und ihrer Anmaßung hatte Michal “kein Kind bis an den Tag ihres Todes”. 2.Samuel 6,23. PP 685.7
Die Feierlichkeiten bei der Heimholung der Bundeslade machten auf die Israeliten bleibenden Eindruck. Sie weckten wieder stärkere Anteilnahme am Heiligtumsdienst und belebten ihren Eifer für Jahwe aufs neue. Und David versuchte mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln, die Erinnerung daran noch zu vertiefen. Der Gesang wurde zum regelmäßigen Bestandteil des Gottesdienstes. David verfaßte Psalmen nicht nur zum Gebrauch der Priester beim Dienst am Heiligtum, sondern auch für das Volk auf seinen Reisen nach Jerusalem zu den jährlichen Festen. Der nachhaltige Einfluß dieser Musik trug dazu bei, das Volk vom Götzendienst zu befreien. Viele benachbarte Völker beobachteten Israels Wohlergehen und wurden veranlaßt, achtungsvoll über Israels Gott nachzudenken, der so große Dinge für sein Volk getan hatte. PP 686.1
Das von Mose errichtete Zelt mit allem, was zum Heiligtumsdienst gehörte, stand noch immer — mit Ausnahme der Bundeslade — in Gibea. David beabsichtigte, Jerusalem zum religiösen Mittelpunkt der Nation zu machen. Da er für sich inzwischen einen Palast gebaut hatte, empfand er es als unangemessen, daß die Lade Gottes in einem Zelt bleiben sollte. Deshalb beschloß er, einen prachtvollen Tempel zu errichten, der davon Zeugnis ablegte, daß Israel die ständige Gegenwart seines Königs Jahwe zu würdigen wußte. Als er mit dem Propheten Nathan über seine Absicht sprach, erhielt er die ermutigende Antwort: “Alles, was in deinem Herzen ist, das tu, denn der Herr ist mit dir.” 2.Samuel 7,3. PP 686.2
Aber noch in derselben Nacht kam das Wort des Herrn zu Nathan mit einer Botschaft an den König. David durfte dem Herrn kein Haus bauen, aber ihm wurde die Gnade Gottes für sich, seine Nachkommen und das Reich Israel zugesichert: “So spricht der Herr Zebaoth: Ich habe dich genommen von den Schafhürden, damit du Fürst über mein Volk Israel sein sollst, und bin mit dir gewesen, wo du hingegangen bist, und habe alle deine Feinde vor dir ausgerottet; und ich will dir einen großen Namen machen gleich dem Namen der Großen auf Erden. Und ich will meinem Volk Israel eine Stätte geben und will es pflanzen, daß es dort wohne und sich nicht mehr ängstigen müsse und die Kinder der Bosheit es nicht mehr bedrängen.” 2.Samuel 7,8-10. PP 686.3
David hatte gewünscht, Gott ein Haus zu bauen, und erhielt nun seinerseits die Verheißung: “Der Herr verkündigt dir, daß der Herr dir ein Haus bauen will ... Ich will dir einen Nachkommen erwecken, der von deinem Leibe kommen wird ... Der soll meinem Namen ein Haus bauen, und ich will seinen Königsthron bestätigen ewiglich.” 2.Samuel 7,11-13. PP 687.1
Als Grund, warum David den Tempel nicht bauen durfte, wurde ihm gesagt: “Du hast viel Blut vergossen und große Kriege geführt; darum sollst du meinem Namen nicht ein Haus bauen ... Siehe, der Sohn, der dir geboren werden soll, der wird ein Mann der Ruhe sein; denn ich will ihm Ruhe schaffen vor allen seinen Feinden ringsumher. Er soll Salomo heißen; denn ich will Israel Frieden und Ruhe geben, solange er lebt. Der soll meinem Namen ein Haus bauen.” 1.Chronik 22,8-10. PP 687.2
Obwohl ihm sein Herzenswunsch versagt blieb, nahm David die Nachricht dankbar auf. “Wer bin ich, Herr Herr,” rief er aus, “und was ist mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast? Aber nun hast du das noch für zu wenig gehalten, Herr Herr, und hast dem Hause deines Knechtes sogar für die ferne Zukunft Zusagen gegeben.” 2.Samuel 7,18.19. Und er erneuerte seinen Bund mit Gott. PP 687.3
David wußte, daß es für ihn und seine Regierung Ehre und Ruhm bedeutet hätte, wenn er sein Vorhaben ausführen könnte; aber er war bereit, sich dem Willen Gottes zu fügen. Solch dankbarer Verzicht ist sogar unter Christen eine Seltenheit. Wie oft halten sich Menschen, die das beste Mannesalter bereits überschritten haben, an dem Gedanken fest, irgend etwas Besonderes schaffen zu müssen. Sie nehmen sich etwas vor und sind doch ungeeignet dafür. Gottes Geist mag ihnen klar machen, daß ihre Aufgabe nicht unbedingt darin besteht, ihre Pläne zu verwirklichen, sondern oft darin, anderen den Weg vorzubereiten. Aber statt sich willig von Gott führen zu lassen, kommen sie sich falsch beurteilt vor und tun dann lieber gar nichts. Andere klammern sich an eine Verantwortung, die sie nicht mehr zu tragen vermögen und für die ihre Kräfte nicht ausreichen. Darüber vernachlässigen sie dann das, was sie wirklich leisten könnten. Wegen dieser fehlenden Mitarbeit scheitern größere Leistungen. PP 687.4
In seinem Freundschaftsbund mit Jonathan hatte David versprochen, er werde dem Hause Sauls Wohlwollen erweisen, sobald er Ruhe vor seinen Feinden habe. Nun es ihm gut ging, erinnerte er sich dieser Zusage und ließ nachforschen: “Ist noch jemand übriggeblieben von dem Hause Sauls, damit ich Barmherzigkeit an ihm tue um Jonathans willen?” 2.Samuel 9,1. Man berichtete ihm von Mephiboscheth, einem Sohn Jonathans, der von Kind auf gelähmt war. Nach Sauls Niederlage durch die Philister bei Jesreel hatte die Amme das Kind auf der Flucht fallen lassen, wodurch es zum lebenslänglichen Krüppel wurde. David bat den jungen Mann an seinen Hof und empfing ihn sehr freundlich. Er überließ ihm sofort den persönlichen Besitz seines Großvaters zum Unterhalt seiner Familie, ihn selbst aber lud er als ständigen Gast an die königliche Tafel. Durch das Gerede von Davids Gegnern war Mephiboscheth ziemlich voreingenommen gegen ihn. In seinen Augen war David ein Thronräuber. Als aber der Monarch ihn jetzt so gütig aufnahm und ihn jederzeit freundlich behandelte, gewann er das Herz des jungen Mannes. Mephiboscheth schloß sich David ganz an und empfand — wie sein Vater Jonathan —, daß sein Wohlergehen eng mit dem des von Gott erwählten Königs verknüpft war. PP 688.1
Nach Davids Thronbesteigung erfreute sich Israel einer langen Friedenszeit. Die Nachbarvölker nahmen die Einheit und Stärke des Königsreiches wahr und hielten es für geraten, von offenen Feindseligkeiten abzustehen. Und David, der mit der Ordnung und dem Aufbau des Reiches beschäftigt war, verzichtete seinerseits auf Angriffskriege. Zuletzt überzog er Israels Erbfeind, die Philister, und auch die Moabiter mit Krieg, besiegte beide und machte sie sich zinspflichtig. PP 688.2
Daraufhin schlossen die benachbarten Völker ein mächtiges Bündnis gegen David, was die größten Kriege seiner Regierungszeit sowie seinen umfangreichen Machtzuwachs zur Folge hatte. Der eigentliche Grund für diesen feindlichen Zusammenschluß war Eifersucht auf Davids zunehmende Stärke, hatte er diese Völker doch in keiner Weise herausgefordert. Der Sachverhalt war folgendermaßen: PP 688.3
Nach Jerusalem kam die Nachricht vom Tode des Ammoniterkönigs Nahasch, der David Gutes erwiesen hatte, als er vor Saul fliehen mußte. Um seine Dankbarkeit für die ihm in der Not erwiesene Hilfe auszudrücken, schickte David Gesandte mit einem Beileidsschreiben zu Hanun, dem Sohn und Nachfolger des Ammoniterkönigs, und ließ ihm sagen: “Ich will Hanun, dem Sohn des Nahasch, Freundschaft erweisen, wie sein Vater mir Freundschaft erwiesen hat.” 2.Samuel 10,2. PP 688.4
Aber seine höfliche Geste wurde völlig mißverstanden. Die Ammoniter haßten den lebendigen Gott und waren Israels erbitterte Feinde. Nahaschs scheinbare Freundlichkeit gegenüber David entsprang nur der Feindseligkeit gegen Saul als dem König Israels. Nun legten Hanuns Ratgeber Davids Botschaft ganz falsch aus. Es “sprachen die Obersten der Ammoniter zu ihrem Herrn Hanun: Meinst du, daß David deinen Vater vor deinen Augen ehren wolle, wenn er Tröster zu dir gesandt hat? Meinst du nicht, daß er dazu seine Boten zu dir gesandt hat, damit er die Stadt erforsche und erkunde und zerstöre?” 2.Samuel 10,3. Nahaschs Räte waren es gewesen, die ihm vor einem halben Jahrhundert jene grausame Bedingung gegenüber den Einwohnern von Jabesch in Gilead nahelegten, als sie, von den Ammonitern belagert, um Frieden baten. Nahasch hatte das Recht gefordert, allen das rechte Auge auszustechen. Die Ammoniter erinnerten sich noch gut, wie der König von Israel ihren grausamen Plan zunichte gemacht und die Stadt befreit hatte, deren Einwohner sie demütigen und verstümmeln wollten. Dieser Haß auf Israel bestand noch immer. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, daß Davids vornehme Gesinnung ihn zu seiner Botschaft veranlaßt hatte. Wenn Satan die Sinne der Menschen beherrscht, entstehen Neid und Argwohn, womit die besten Absichten mißdeutet werden. Hanun hörte auf seine Räte; er sah in Davids Gesandten Kundschafter und überhäufte sie mit Spott und Hohn. PP 689.1
Die Ammoniter durften ihren bösen Entschluß uneingeschränkt zur Ausführung bringen, damit David ihr wahres Wesen erkennen konnte. Es war nicht Gottes Wille, daß Israel ein Bündnis mit diesem hinterlistigen Heidenvolk einging. PP 689.2
Wie heute war auch im Altertum ein Gesandter unantastbar. Nach allgemein gültigem Völkerrecht sollte er gegen persönliche Verletzung oder Kränkung geschützt sein. Er galt als der Vertreter seines Herrschers, bei dem jede ihm zugefügte Beleidigung sofortige Vergeltung erheischte. Die Ammoniter wußten also, diese Beleidigung Israels blieb nicht ungerächt, und so rüsteten sie zum Kriege. “Als aber die Ammoniter sahen, daß sie bei David in Verruf gekommen waren, sandten Hanun und die Ammoniter tausend Zentner Silber, um Männer mit Streitwagen und Reiter anzuwerben in Mesopotamien, im Aramäerland von Maacha und in Zoba. Und sie warben zweiunddreißigtausend Männer mit Streitwagen an ... Und die Ammoniter sammelten sich auch aus ihren Städten und kamen zum Kampf.” 1.Chronik 19,6.7. PP 689.3
Es war in der Tat ein furchterregendes Bündnis. Die Länder zwischen Euphrat und Mittelmeer hatten sich mit den Ammonitern zusammengetan. Nord- und Ostkanaan war von den bewaffneten Feinden eingekreist, die gemeinsam das Königreich Israel vernichten wollten. PP 690.1
Die Hebräer warteten den Angriff auf ihr Land nicht ab. Ihre Streitkräfte überquerten unter Joabs Führung den Jordan und rückten gegen die Hauptstadt der Ammoniter vor. Ehe aber der hebräische Heerführer seine Leute ins Gefecht führte, ermutigte er sie zum Kampf. Er sagte zu seinem Bruder Abisai: “Sei getrost und laß uns getrost handeln für unser Volk und für die Städte unseres Gottes. Der Herr tue, was ihm gefällt!” 1.Chronik 19,13. Schon beim ersten Treffen besiegten sie die feindlichen Verbündeten. Trotzdem sahen diese den Streit nicht als beendet an und setzten ihn im folgenden Jahr fort. Diesmal bedrohte der König von Syrien Israel mit einem riesigen Heer. David erkannte, wieviel vom Ausgang dieses Kampfes abhing, und übernahm selbst den Oberbefehl. Durch Gottes Hilfe fügte er dem Gegner eine solch vernichtende Niederlage zu, daß die Syrer vom Libanon bis zum Euphrat fortan nicht nur auf Krieg verzichteten, sondern Israel zinspflichtig waren. Gegen die Ammoniter kämpfte David mit aller Kraft weiter, bis auch ihre Festungen fielen und das ganze Land unter Israels Herrschaft kam. PP 690.2
Die Gefahren, durch die dem Volk völlige Vernichtung gedroht hatte, erwiesen sich nach Gottes Vorsehung als Mittel zum Aufstieg zu beispielloser Größe. In Erinnerung an diese außergewöhnliche Befreiung sang David: PP 690.3
“Der Herr lebt! Gelobt sei mein Fels! Der Gott meines Heils sei hoch erhoben, der Gott, der mir Vergeltung schafft und zwingt die Völker unter mich, der mich errettet von meinen Feinden. Du erhöhst mich über die, die sich gegen mich erheben; du hilfst mir von den Frevlern. Darum will ich dir danken, Herr, unter den Heiden und deinem Namen lobsingen, der seinem Könige großes Heil gibt und Gnade erweist seinem Gesalbten, David, und seinem Hause ewiglich.” Psalm 18,47-51. PP 690.4
In allen seinen Gesängen prägte David dem Volke ein, daß Jahwe Israels Stärke und Retter war: PP 691.1
“Einem König hilft nicht seine große Macht; ein Held kann sich nicht retten durch seine große Kraft. Rosse helfen auch nicht; da wäre man betrogen; und ihre große Stärke errettet nicht.” Psalm 33,16.17. PP 691.2
“Du bist es, mein König und mein Gott, der du Jakob Hilfe verheißest. Durch dich wollen wir unsre Feinde zu Boden stoßen, in deinem Namen niedertreten, die sich gegen uns erheben. Denn ich verlasse mich nicht auf meinen Bogen, und mein Schwert kann mir nicht helfen; sondern du hilfst uns von unsern Feinden und machst zuschanden, die uns hassen.” Psalm 44,5-8. “Jene verlassen sich auf Wagen und Rosse; wir aber denken an den Namen des Herrn, unsres Gottes.” Psalm 20,8. PP 691.3
Nun hatte Israel in vollem Umfang die Erfüllung der Verheißung empfangen, die Gott Abraham gegeben und später Mose wiederholt hatte: “Deinen Nachkommen will ich dies Land geben, von dem Strom Ägyptens an bis an den großen Strom Euphrat.” 1.Mose 15,18. Israel war eine mächtige Nation geworden, von den umwohnenden Völkern geachtet und gefürchtet. Ebenso war Davids Macht im eigenen Reich sehr groß. Wie nur wenige Herrscher nach ihm besaß er die Zuneigung und Ergebenheit seines Volkes. Er hatte Gott die Ehre gegeben, darum gab ihm nun Gott eine solche Ehrenstellung. PP 691.4
Aber auch im Glück lauerte Gefahr. Zur Zeit seines größten Triumphes geriet David in das schlimmste Unheil und erlebte seine demütigendste Niederlage. PP 691.5