Patriarchen und Propheten

54/74

Die Zeit der Richter

Kapitel 53: Die älteren Richter

Nach der Ansiedlung in Kanaan unternahm kein Stamm mehr wirkliche Anstrengungen, auch den Rest des Landes noch zu erobern. Sie waren mit dem gewonnenen Gebiet zufrieden. Ihr Eifer ließ bald nach. Der Krieg hörte auf. “Als aber Israel mächtig wurde, machte es die Kanaaniter fronpflichtig, vertrieb sie jedoch nicht.” Richter 1,28. PP 527.1

Der Herr hatte die Israel gegebenen Verheißungen treulich erfüllt. Josua hatte die Macht der Kanaaniter gebrochen und das Land unter die Stämme verteilt. Ihnen blieb nur noch übrig, im Vertrauen auf Gottes Hilfe die Enteignung der Landesbewohner zu vollenden. Und gerade das taten sie nicht. Sie gingen vielmehr Bündnisse mit ihnen ein. Sie übertraten damit ein ausdrückliches Gebot und unterließen es, die Bedingung zu erfüllen, unter der ihnen der Besitz Kanaans verheißen war. PP 527.2

Dabei wurden sie schon am Sinai vor der Abgötterei gewarnt. Unmittelbar nach der Gesetzesverkündung ließ Gott ihnen durch Mose über die Kanaaniter sagen: “Du sollst ihre Götter nicht anbeten noch ihnen dienen noch tun, wie sie tun, sondern du sollst ihre Steinmale umreißen und zerbrechen. Aber dem Herrn, eurem Gott, sollt ihr dienen, so wird er dein Brot und dein Wasser segnen, und ich will alle Krankheit von dir wenden.” 2.Mose 23,24.25. Er sicherte ihnen zu, ihre Feinde vor ihnen zu unterwerfen, solange sie ihm gehorsam blieben: “Ich will meinen Schrecken vor dir her senden und alle Völker verzagt machen, wohin du kommst, und will geben, daß alle deine Feinde vor dir fliehen. Ich will Angst und Schrecken vor dir her senden, die vor dir her vertreiben die Hewiter, Kanaaniter und Hethiter. Aber ich will sie nicht in einem Jahr ausstoßen vor dir, auf daß nicht das Land wüst werde und sich die wilden Tiere wider dich mehren. Einzeln nacheinander will ich sie vor dir her ausstoßen, bis du zahlreich bist und das Land besitzt ... PP 527.3

Denn ich will dir in deine Hand geben die Bewohner des Landes, daß du sie ausstoßen sollst vor dir her. Du sollst mit ihnen und mit ihren Göttern keinen Bund schließen. Laß sie nicht wohnen in deinem Lande, daß sie dich nicht verführen zur Sünde wider mich; denn wenn du ihren Göttern dienst, wird dir das zum Fallstrick werden.” 2.Mose 23,27-33. Mose wiederholte diese Anweisungen vor seinem Tode in sehr ernster Weise, und Josua tat es noch einmal. PP 528.1

Gott hatte sein Volk als ein starkes Bollwerk gegen die sittliche Verdorbenheit nach Kanaan gesetzt, damit sie nicht die Welt überflutete. Blieben die Kinder Israel Gott treu, so würden sie von Sieg zu Sieg eilen. Er wollte ihnen größere und stärkere Völker in die Hand geben, als es die Kanaaniter waren. Seine Verheißung lautete: “Wenn ihr diese Gebote alle halten werdet ... und danach tut ... so wird der Herr alle diese Völker vor euch her vertreiben, daß ihr größere und stärkere Völker beerbt, als ihr es seid. Alles Land, darauf eure Fußsohle tritt, soll euer sein: von der Wüste bis an den Berg Libanon und von dem Strom Euphrat bis ans Meer im Westen soll euer Gebiet sein. Niemand wird euch widerstehen können. Furcht und Schrecken vor euch wird der Herr über alles Land kommen lassen, das ihr betretet, wie er euch zugesagt hat.” 5.Mose 11,22-25. PP 528.2

Aber ohne Rücksicht auf ihre hohe Bestimmung wählten sie den bequemen Weg und schonten sich; darüber entglitten ihnen die Gelegenheiten zur vollständigen Eroberung des Landes. Viele Generationen hindurch haben die Reste dieser abgöttischen Völker Israel beunruhigt; sie wurden ihnen, wie der Prophet vorausgesagt hatte, zu “Dornen” in ihren Augen und zu “Stacheln” (4.Mose 33,55) in ihrer Seite. PP 528.3

Die Israeliten “ließen sich ein mit den Heiden und lernten ihre Werke”. Sie heirateten Kanaaniter, und der Götzendienst breitete sich wie eine Pest im Lande aus. Sie “dienten ihren Götzen; die wurden ihnen zum Fallstrick. Und sie opferten ihre Söhne und ihre Töchter den bösen Geistern ..., so daß das Land mit Blutschande befleckt war ... Da entbrannte der Zorn des Herrn über sein Volk, und sein Erbe wurde ihm zum Abscheu.” Psalm 106,35-38.40. PP 528.4

Solange die Generation noch lebte, die Josua unterwiesen hatte, gewann der Götzendienst nur wenig an Boden; aber schon die Eltern bereiteten den Abfall ihrer Kinder vor. Die Mißachtung der vom Herrn verordneten Einschränkungen durch Kanaans Eroberer war eine böse Saat, die für viele Generationen bittere Früchte trug. Einfache Lebensweise hatte den Hebräern körperliche Gesundheit gegeben. Aber die Verbindung mit den Heiden verführte sie zur Befriedigung der Eßlust und der Triebe, wodurch sowohl die körperlichen als auch die geistigen und sittlichen Kräfte allmählich geschwächt wurden. Ihre Sünden trennten die Israeliten von Gott; darum entzog er ihnen seinen Beistand; sie konnten sich nicht länger gegen ihre Feinde durchsetzen. So wurden sie Völkern untertan, die sie sich mit Gottes Hilfe hätten unterwerfen können. PP 528.5

Sie “verließen den Herrn, den Gott ihrer Väter, der sie aus Ägyptenland geführt hatte”. Er “führte sie wie eine Herde in der Wüste ... Sie erzürnten ihn mit ihren Höhen und reizten ihn zum Zorn mit ihren Götzen ... Er verwarf Israel so sehr, daß er seine Wohnung in Silo dahingab, das Zelt, in dem er unter Menschen wohnte; er gab seine Macht in Gefangenschaft und seine Herrlichkeit in die Hand des Feindes.” Richter 2,12; Psalm 78,52.58-61. Doch verließ Gott sein Volk nicht ganz. Es gab immer einige, die Jahwe treu blieben; und von Zeit zu Zeit erweckte der Herr glaubensmutige Männer, die den Götzendienst abschafften und die Israeliten von ihren Feinden befreiten. War aber der Retter tot, und das Volk unterstand nicht mehr seiner Gewalt, kehrte es allmählich wieder zu seinen Götzen zurück. Und so wiederholten sich Abfall und Bestrafung, Schuldbekenntnis und Befreiung immer aufs neue. PP 529.1

Erst waren die Könige von Mesopotamien und Moab, nach ihnen die Philister und die Kanaaniter von Hazor unter Siseras Führung Israels Bedrücker. Othniel, Schamgar und Ehud, Debora und Barak wurden dagegen zu Befreiern ihres Volkes berufen. Als aber die “Kinder Israel wiederum taten, was dem Herrn mißfiel, gab sie der Herr in die Hand der Midianiter”. Richter 6,1. Bis dahin hatten die östlich des Jordan wohnenden Stämme nur wenig von den Bedrückern gespürt, aber bei dem derzeitigen Unglück waren sie die ersten, die zu leiden hatten. PP 529.2

Nach wie vor waren die Amalekiter im Süden Kanaans sowie die Midianiter an der Ostgrenze und in der Wüste jenseits des Jordan Israels unerbittliche Feinde. Wohl hatten die Israeliten sie zur Zeit Moses fast vernichtet, aber inzwischen waren sie sehr gewachsen und wieder ein zahlreiches, mächtiges Volk geworden. Sie lechzten nach Rache. Als nun Gott seine schützende Hand von Israel zurückzog, war die Gelegenheit dafür gekommen. Nicht nur die Stämme östlich des Jordans, sondern das ganze Land litt unter ihren Plünderungszügen. Die wilden, grausamen Wüstenbewohner schwärmten “wie eine große Menge Heuschrecken” (Richter 6,5) mit ihren Herden über das Land. Wie eine verzehrende Plage breiteten sie sich vom Jordan bis zur Philisterebene aus. Sie kamen, sobald die Ernte zu reifen begann, und blieben, bis die letzten Früchte eingesammelt waren. Sie plünderten die Felder, beraubten und mißhandelten die Bewohner und verschwanden dann wieder in der Wüste. So waren die Israeliten, die im offenen Lande wohnten, schließlich gezwungen, ihre Heime aufzugeben und in den durch Mauern geschützten Städten, in Festungen, sogar in Höhlen und Felslöchern Zuflucht zu suchen. Sieben Jahre dauerte diese schreckliche Bedrängnis. Doch als das Volk Israel in seinem Elend wieder auf Gottes Ermahnungen achtete und seine Sünden bekannte, erweckte der Herr ihm abermals einen Retter. PP 529.3

Gideon war der Sohn Joas aus dem Stamm Manasse. Das Geschlecht, zu dem diese Familie gehörte, hatte keine führende Stellung, aber es zeichnete sich durch Mut und Redlichkeit aus. Von Joas tapferen Söhnen sagt die Schrift: “Sie waren ... jeder anzusehen wie ein Königssohn.” Richter 8,18. Bis auf einen waren alle in den Kämpfen gegen die Midianiter gefallen, und diesen fürchteten die Eindringlinge. An Gideon erging nun Gottes Ruf, sein Volk zu befreien. Er war gerade beim Weizendreschen. Er hatte eine kleine Menge Korn versteckt, und weil er es nicht auf der gewöhnlichen Tenne zu dreschen wagte, tat er’s heimlich bei der Kelter. Die Zeit der Weinlese war ja noch lange nicht da, und so wurden die Weingärten von den Feinden kaum beachtet. Während Gideon still und verborgen arbeitete, sann er bekümmert über Israels Lage nach und wie das Joch der Unterdrücker abzuschütteln sei. PP 530.1

Plötzlich erschien “der Engel des Herrn” und sprach ihn an mit den Worten: “Der Herr mit dir, du streitbarer Held!” PP 530.2

“Ach, mein Herr!” antwortete er. “Ist der Herr mit uns, warum ist uns denn das alles widerfahren? Und wo sind alle seine Wunder, die uns unsere Väter erzählten und sprachen: Der Herr hat uns aus Ägypten geführt? Nun aber hat uns der Herr verstoßen und in die Hände der Midianiter gegeben.” PP 530.3

Der Bote des Himmels erwiderte: “Geh hin in dieser deiner Kraft; du sollst Israel erretten aus den Händen der Midianiter. Siehe, ich habe dich gesandt!” Richter 6,12-14. PP 531.1

Gideon erbat sich ein Zeichen, daß der, welcher mit ihm sprach, der Engel des Bundes sei, der in der Vergangenheit für Israel stritt. Engel Gottes, die einst zu Abraham gekommen waren, hatten gezögert, dessen Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, und nun bat Gideon den Himmelsboten darum. Er lief in sein Zelt, bereitete aus seinen bescheidenen Vorräten einen jungen Ziegenbock und ungesäuerte Brote und legte sie dem Gast vor. Aber der Engel gebot ihm: “Nimm das Fleisch und die Brote und lege es hin auf den Fels hier und gieß die Brühe darüber.” Richter 6,20. Gideon tat es und erhielt das gewünschte Zeichen: Der Engel berührte mit seinem Stabe das Fleisch und die ungesäuerten Brote. Da loderte Feuer aus dem Fels und verzehrte das Opfer. Dann entschwand der Engel seinen Augen. PP 531.2

Auch Gideons Vater Joas gehörte zu den Abtrünnigen unter seinen Landsleuten. Er hatte in der Nähe seines Wohnortes Ophra einen großen Altar für Baal errichtet, bei dem die Einheimischen anbeteten. Diesen sollte Gideon zerstören und über dem Felsen, auf dem sein Opfer verzehrt worden war, Jahwe einen Altar errichten und dem Herrn opfern. Gott Opfer darzubringen, war den Priestern vorbehalten und auf den Altar zu Silo beschränkt. Aber er, der diesen zeremoniellen Dienst einsetzte und auf den alle Opfer hinwiesen, hatte die Macht, dessen Vorschriften zu ändern. Israels Befreiung mußte ein ernster Protest gegen die Baalsverehrung vorausgehen und Gideon zunächst dem Götzendienst den Kampf ansagen, ehe er auszog, um die Feinde seines Volkes zu schlagen. PP 531.3

Gewissenhaft führte er Gottes Auftrag aus. Er wußte, daß er auf Widerstand stoßen würde, wenn er es öffentlich versuchte; also tat er es heimlich. Mit Hilfe seiner Knechte vollbrachte er das Ganze in einer Nacht. Natürlich war der Zorn der Leute zu Ophra groß, als sie am nächsten Morgen kamen, um Baal anzubeten. Und sie hätten Gideon wohl umgebracht, wenn nicht Joas seinen Sohn verteidigt hätte, weil er vom Besuch des Engels wußte. “Wollt ihr für Baal streiten?” fragte Joas. “Wollt ihr ihm helfen? Wer für ihn streitet, der soll noch diesen Morgen sterben. Ist er Gott, so streite er für sich selbst, weil sein Altar niedergerissen ist.” Richter 6,31. Konnte Baal nicht einmal den eigenen Altar bewahren, wie sollte man ihm zutrauen, daß er seine Anbeter schützte? PP 531.4

Damit war jeder Gedanke von Gewaltanwendung gegen Gideon verschwunden; und als er die Kriegsposaune erschallen ließ, gehörten die Männer von Ophra zu den ersten, die sich um sein Banner scharten. Schnell sandte er Herolde zu seinem eigenen Stamm Manasse, ebenso zu Asser, Sebulon und Naphthali, und alle folgten dem Ruf. PP 532.1

Doch Gideon wagte sich nicht ohne erneuten Beweis der göttlichen Hilfe und Berufung zu dieser Aufgabe an die Spitze des Heeres zu stellen. Darum betete er: “Willst du Israel durch meine Hand erretten, wie du zugesagt hast, so will ich abgeschorene Wolle auf die Tenne legen: Wird der Tau allein auf der Wolle sein und der ganze Boden umher trocken, so will ich daran erkennen, daß du Israel erretten wirst durch meine Hand, wie du zugesagt hast.” Richter 6,36.37. Am Morgen war die Wolle naß und der Boden trocken. Aber nun kamen ihm Zweifel: Wolle zieht naturgemäß Feuchtigkeit aus der Luft an, also konnte die Probe nicht entscheidend sein. Deshalb erbat er das umgekehrte Zeichen und flehte zugleich, daß seine übergroße Vorsicht dem Herrn nicht mißfallen möge. Und Gott gewährte ihm auch diese Bitte. PP 532.2

Dadurch ermutigt führte Gideon seine Streitkräfte in den Kampf gegen die Eindringlinge. “Als nun alle Midianiter und Amalekiter und die aus dem Osten sich versammelt hatten, zogen sie herüber und lagerten sich in der Ebene Jesreel.” Richter 6,33. Die gesamte Streitmacht unter Gideons Befehl betrug nur zweiunddreißigtausend Mann. Dennoch kam angesichts der riesigen Menge von Feinden das Wort des Herrn zu ihm: “Zu zahlreich ist das Volk, das bei dir ist, als daß ich Midian in seine Hände geben sollte; Israel könnte sich rühmen wider mich und sagen: Meine Hand hat mich errettet. So laß nun ausrufen vor den Ohren des Volks: Wer ängstlich und verzagt ist, der kehre um.” Richter 7,2.3. Wer keine Gefahren und Mühsale auf sich nehmen mochte oder wen persönliche Interessen vom Werke Gottes hätten ablenken können, der bedeutete für Israels Heer keine Hilfe. Seine Anwesenheit konnte nur entmutigen. PP 532.3

Es war in Israel zum Gesetz erhoben worden, dem Heer vor dem Auszug in den Kampf folgendes öffentlich bekanntzugeben: “Wer ein neues Haus gebaut hat und hat’s noch nicht eingeweiht, der mache sich auf und kehre heim, auf daß er nicht sterbe im Krieg und ein anderer es einweihe. Wer einen Weinberg gepflanzt hat und seine Früchte noch nicht genossen, der mache sich auf und kehre heim, daß er nicht im Krieg sterbe und ein anderer seine Früchte genieße. Wer mit einem Mädchen verlobt ist und hat es noch nicht heimgeholt, der mache sich auf und kehre heim, daß er nicht im Kriege sterbe und ein anderer hole es heim. Und die Amtleute sollen weiter mit dem Volk reden und sprechen: Wer sich fürchtet und ein verzagtes Herz hat, der mache sich auf und kehre heim, auf daß er nicht auch das Herz seiner Brüder feige mache, wie sein Herz ist.” 5.Mose 20,5-8. PP 532.4

Gideon unterließ diese übliche Verkündigung, weil sein Heer im Vergleich zu dem des Feindes so klein war. Als Gott ihm nun eröffnete, es sei noch zu groß, war er sehr bestürzt. Aber der Herr sah den Stolz und den Unglauben seines Volkes. Angefeuert durch Gideons begeisternden Aufruf, hatte es sich schnell gewinnen lassen. Aber beim Anblick der ungeheuren Zahl von Midianitern fürchteten sich viele. Doch gerade sie hätten nach Israels Sieg den Ruhm für sich in Anspruch genommen, statt ihn Gott zuzuschreiben. PP 533.1

Gideon gehorchte der Weisung des Herrn und sah schweren Herzens zweiundzwanzigtausend Mann, also mehr als zwei Drittel seiner gesamten Streitmacht, nach Hause ziehen. Und wieder kam das Wort des Herrn zu ihm: “Das Volk ist noch zu zahlreich. Führe sie hinab ans Wasser; dort will ich sie dir sichten. Und von wem ich dir sagen werde, daß er nicht mit dir ziehen soll, der soll nicht mitziehen.” Richter 7,4. Gideon führte seine Leute hinab ans Flußufer, und sie erwarteten, nun sofort gegen den Feind vorzurücken. Einige wenige nahmen noch schnell etwas Wasser mit der Hand auf und schlürften es im Weitergehen; aber die weitaus meisten knieten nieder und tranken in aller Ruhe das Wasser direkt aus dem Fluß. Von zehntausend Mann schöpften nur dreihundert Wasser mit ihren Händen; und gerade diese erwählte der Herr; alle anderen durften ebenfalls nach Hause gehen. PP 533.2

Oft läßt sich der Charakter eines Menschen auf die einfachste Weise prüfen. Die in Zeiten der Gefahr nur auf ihre eigenen Bedürfnisse bedacht waren, sind nicht die Männer, auf die man sich im Notfall verlassen kann. Für Träge und Bequeme ist im Werk des Herrn kein Platz. Die Männer, die Gott erwählte, waren die wenigen, die sich bei der Pflichterfüllung nicht durch persönliche Dinge aufhalten ließen. Diese dreihundert besaßen nicht nur Mut und Selbstbeherrschung, sie waren auch Glaubensmänner. Sie hatten sich nicht durch Götzendienst verunreinigt. Gerade durch sie konnte Gott Israel befreien. Erfolg ist nicht von Zahlen abhängig. Gott kann ebensogut durch viele wie durch wenige erretten. Er wird nicht so sehr durch die große Anzahl geehrt als durch den Charakter seiner Helfer. PP 533.3

Die Israeliten stellten sich auf dem Gipfel eines Hügels auf, von dem sie das Tal und die Menge der Feinde überschauen konnten. “Die Midianiter und Amalekiter und alle aus dem Osten hatten sich niedergelassen in der Ebene wie eine Menge Heuschrecken, und ihre Kamele waren nicht zu zählen wegen ihrer großen Menge wie der Sand am Ufer des Meeres.” Gideon fürchtete sich, wenn er an den Kampf des kommenden Tages dachte. Aber in der Nacht sprach der Herr zu ihm. Er gebot ihm, zusammen mit seinem Diener Pura ins Lager der Midianiter hinabzugehen, und kündigte ihm an, er werde dort etwas Ermutigendes hören. Er ging, und als er schweigend im Dunkel wartete, hörte er, wie ein Soldat einem andern seinen Traum erzählte: “Siehe, ich habe geträumt: ein Laib Gerstenbrot rollte zum Lager der Midianiter. Und er kam an das Zelt, stieß es um, daß es einfiel, und kehrte es um, das Oberste zu unterst, so daß das Zelt am Boden lag.” Die Entgegnung des anderen versetzte den unbemerkten Lauscher in Erregung: “Das ist nichts anderes als das Schwert Gideons, des Sohnes des Joas, des Israeliten. Gott hat die Midianiter in seine Hände gegeben mit dem ganzen Heerlager.” PP 534.1

Gideon erkannte die Stimme Gottes, die durch jene fremden Midianiter zu ihm sprach. Er kehrte zu den wenigen Männern, die unter seinem Befehl standen, zurück und rief ihnen zu: “Macht euch auf, denn der Herr hat das Lager der Midianiter in eure Hände gegeben!” Richter 7,12-15. PP 534.2

Durch göttliche Anleitung wurde ihm ein Angriffsplan eingegeben, den er sofort ausführte. Die dreihundert Mann wurden in drei Haufen geteilt. Jeder erhielt eine Posaune und eine Fackel, die er in einem Tonkrug verbarg. Die Männer waren so aufgestellt, daß sie von verschiedenen Seiten auf das midianitische Lager zukamen. Auf ein Signal aus Gideons Kriegstrompete ließen die drei Gruppen in der stockfinsteren Nacht ihre Posaunen erschallen; dann zerschlugen sie ihre Krüge und hielten die brennenden Fackeln hoch; zugleich stürmten sie mit dem furchterregendem Kriegsgeschrei: “Hier Schwert des Herrn und Gideons!” (Richter 7,20) auf die Feinde los. PP 534.3

Im Nu war das schlafende Heer wach. Auf allen Seiten sah es sich von brennenden Fackeln umgeben. Aus jeder Richtung hörte es Posaunenschall und das Geschrei der Angreifer. Da die Midianiter glaubten, der Gnade einer überwältigenden Macht ausgeliefert zu sein, wurden sie von panischem Schrecken ergriffen. Mit wilden Angstrufen flohen sie um ihr Leben, und da sie die eigenen Kameraden für Feinde hielten, erschlugen sie sich gegenseitig. Als sich die Nachricht von dem Siege verbreitete, kamen Tausende von den nach Hause entlassenen Männern Israels zurück und beteiligten sich an der Verfolgung der Fliehenden. In der Hoffnung, jenseits des Flusses ihr eigenes Gebiet zu erreichen, schlugen die Midianiter den Weg zum Jordan ein. Aber Gideon ließ dem Stamm Ephraim durch Boten sagen: Fangt sie an den südlichen Furten ab. Inzwischen ging er selbst mit den dreihundert Männern — “die waren müde und jagten den Feinden nach” (Richter 8,4) — dicht hinter denen, die schon auf die andere Seite gelangt waren, über den Fluß. Er holte die Oberbefehlshaber des gesamten feindlichen Heeres ein — die beiden Fürsten Sebach und Zalmunna —, welche mit fünfzehntausend Mann entkommen waren, zerstreute ihre Streitmacht vollständig, nahm die Anführer gefangen und erschlug sie. PP 535.1

Bei dieser außergewöhnlichen Niederlage kamen nicht weniger als 120000 Feinde ums Leben. Die Macht der Midianiter war gebrochen, so daß sie nie wieder Krieg gegen Israel führten. Weit und breit wurde bekannt, daß der Gott Israels wieder für sein Volk gestritten hatte. Worte können das Entsetzen der umwohnenden Völker nicht beschreiben, als sie erfuhren, mit welch einfachen Mitteln die Macht eines kühnen, kriegerischen Volkes überwunden wurde. PP 535.2

Gideon, den Gott erwählte, um die Midianiter zu vertreiben, hatte keine besondere Stellung in Israel. Er war weder Fürst noch Priester noch Levit. Er hielt sich selbst für den Geringsten in seines Vaters Hause. Aber Gott sah in ihm den mutigen, lauteren Mann, der sich selbst nicht viel zutraute, aber willig war, der Führung des Herrn zu folgen. Gott erwählt für sein Werk nicht immer hochbegabte Männer, sondern solche, die er am besten gebrauchen kann. “Ehe man zu Ehren kommt, muß man Demut lernen.” Sprüche 15,33. Am erfolgreichsten kann der Herr durch jene wirken, die sich ihrer Unzulänglichkeit am stärksten bewußt sind und sich auf ihn als Führer und Quelle ihrer Kraft verlassen. Er wird sie stark machen, indem er ihre Schwachheit mit seiner Kraft vereint, und klug, indem er ihre Unwissenheit mit seiner Weisheit verbindet. PP 535.3

Der Herr könnte weit mehr für sein Volk tun, wenn es echte Demut übte. Aber es gibt nicht viele, die mit großer Verantwortung betraut oder durch Erfolg ausgezeichnet werden können, ohne daß sie selbstsicher werden und ihre Abhängigkeit von Gott vergessen. Das ist der Grund, weshalb der Herr bei der Auswahl seiner Werkzeuge diejenigen übergeht, die in den Augen der Welt als groß und glänzend begabt gelten. Sie sind nur zu oft stolz und selbstzufrieden und meinen, ohne Gottes Rat auszukommen. PP 536.1

Mit einfachen Posaunenstößen konnten Josuas Heer bei Jericho und Gideons kleine Schar durch Gottes Kraft ihre Feinde niederwerfen. Der vollendetste Plan, ohne Gottes Rat und Weisheit ersonnen, wird sich als Fehlschlag erweisen. Aber der am wenigsten versprechende hat Erfolg, wenn er gottgewollt ist und in Glauben und Demut begonnen wird. Vertrauen zu Gott und Gehorsam gegen seinen Willen sind für den Christen im geistlichen Kampf ebenso wichtig, wie sie es für Gideon und Josua in ihren Kriegen mit den Kanaanitern waren. Gott wollte Israels Glauben durch wiederholte Offenbarungen seiner Macht festigen, damit es in jeder Not vertrauensvoll seine Hilfe suchte. Er ist heute ebenso bereit, die Bemühungen seines Volkes zu unterstützen und große Dinge durch schwache Werkzeuge zu vollbringen. Der ganze Himmel wartet auf unsre Bitte um Weisheit und Stärke. Gott kann “überschwenglich tun ... über alles, was wir bitten oder verstehen”. Epheser 3,20. PP 536.2

Gideon kehrte von der Verfolgung der Feinde zurück und erlebte von seinen eigenen Landsleuten nichts als Tadel und Anklage. Als er die Männer Israels zum Kampf gegen die Midianiter aufgerufen hatte, war der Stamm Ephraim zurückgeblieben. In seinen Augen war das ein zu gefährliches Unternehmen. Und da Gideon ihm keine besondere Aufforderung schickte, benutzte der Stamm diese Ausrede, um sich seinen Brüdern nicht anschließen zu müssen. Als aber die Siegesnachrichten kamen, waren die Ephraimiten neidisch, weil sie nicht beteiligt waren. Nach der Niederlage der Midianiter hatten sie allerdings auf Gideons Befehl die Jordanfurten besetzt und damit ein Entkommen der Flüchtlinge verhindert. Auf diese Weise waren viele Feinde erschlagen worden, unter ihnen die beiden Fürsten Oreb und Seeb. So setzten die Ephraimiten den Kampf fort und halfen mit, den Sieg zu vollenden. Trotzdem waren sie eifersüchtig und zornig, als ob Gideon seinem eigenen Willen und Urteil gefolgt wäre. Sie sahen in Israels Sieg nicht Gottes Hand. Ihnen wurde seine Macht und Gnade bei ihrer Befreiung gar nicht bewußt. Und allein diese Tatsache bewies, daß sie unwürdig waren, seine besonderen Werkzeuge zu sein. PP 536.3

Als Gideon mit den Siegeszeichen heimkehrte, machten sie ihm ärgerlich Vorwürfe: PP 537.1

“Warum hast du uns das angetan, daß du uns nicht riefst, als du in den Kampf zogst gegen die Midianiter?” PP 537.2

“Was hab ich jetzt getan, das eurer Tat gleich sei?” fragte Gideon. “Ist nicht die Nachlese Ephraims besser als die ganze Weinernte Abiesers? Gott hat die Fürsten der Midianiter, Oreb und Seeb, in eure Hände gegeben. Was hab ich zu tun vermocht gegen das, was ihr getan habt?” Richter 8,1-3. PP 537.3

Wie leicht hätte ihre Eifersucht zu einem Wortwechsel ausarten können, der zu Streit und Blutvergießen führte. Aber Gideons bescheidene Antwort besänftigte den Zorn der Männer Ephraims, und sie kehrten friedlich in ihre Heime zurück. So fest und unnachgiebig Gideon in grundsätzlichen Dingen war, im Kriege ein “streitbarer Held”, bewies er hier einen Geist der Höflichkeit, wie man ihn selten findet. PP 537.4

In ihrer Dankbarkeit über die Befreiung von den Midianitern wollten die Israeliten Gideon zum König machen und den Thron auch seinen Nachkommen zusichern. Aber dieser Vorschlag war eine offene Verletzung des Grundsatzes der Gottesherrschaft. Gott war der König Israels. Hätten sie einen Menschen auf den Thron gehoben, so wäre das einer Ablehnung des göttlichen Oberherrn gleichgekommen. Das erkannte Gideon; und seine Antwort zeigt, wie edel und aufrichtig seine Beweggründe waren. “Ich will nicht Herrscher über euch sein”, erklärte er, “und mein Sohn soll auch nicht Herrscher über euch sein, sondern der Herr soll Herrscher über euch sein.” Richter 8,23. PP 537.5

Aber Gideon ließ sich zu einem anderen Irrtum verleiten, der über seine Familie und ganz Israel Unheil brachte. Untätigkeit, die auf schwere Kampfzeiten folgt, ist oft gefährlicher als der Krieg selbst. PP 537.6

Dieser Gefahr war Gideon jetzt ausgesetzt. Ihn packte die Unruhe. Bisher war er damit zufrieden, Gottes Befehle auszuführen. Aber nun fing er an, selbst Pläne zu legen, statt auf die göttlichen Weisungen zu warten. Haben die Heere des Herrn einen besonderen Sieg errungen, verdoppelt auch Satan seine Anstrengungen, Gottes Werk zugrunde zu richten. So flüsterte er Gideon Gedanken und Pläne ein, die Israel irreführten. PP 538.1

Weil ihm befohlen worden war, auf dem Felsen, wo ihm der Engel erschien, zu opfern, schlußfolgerte er, daß er zum Priesteramt berufen sei. Ohne auf die göttliche Bestätigung zu warten, ließ er einen geeigneten Platz vorbereiten, um ein gottesdienstliches System einzurichten, das dem der Stiftshütte glich. Getragen von der Gunst des Volkes, sah er keine Schwierigkeit für diesen Plan. Auf seine Bitte händigte man ihm alle goldenen Ohrringe der Midianiter als seinen Beuteanteil aus. Das Volk sammelte ferner viele andere wertvolle Dinge, darunter auch die reich verzierten Gewänder der Midianiterfürsten. Von dem angelieferten Material machte Gideon ein Ephod und ein Brustschild, also eine Nachbildung dessen, was der Hohepriester trug. All das wurde ihm selbst, seiner Familie und dem Volk Israel zum Fallstrick. Dieser unberechtigte Gottesdienst verführte viele dazu, den Herrn gänzlich zu verlassen und Götzen zu dienen. Nach Gideons Tod schloß sich eine große Anzahl, darunter auch seine eigene Familie, diesem Abfall an. Derselbe Mann, der einst die Abgötterei besiegte, brachte das Volk wieder von Gott ab. PP 538.2

Nur wenige machen sich den weitreichenden Einfluß ihrer Worte und Taten klar. Wie oft haben Irrtümer der Eltern bei Kindern und Enkeln noch die traurigsten Folgen, wenn sie selbst längst im Grabe ruhen. Jeder übt irgendwie einen Einfluß auf andere aus und ist für die Folgen verantwortlich. Worte und Taten sind von durchdringender Macht, und ihre nachhaltige Wirkung zeigt sich noch lange im Leben. Der Eindruck, den wir gemacht haben, fällt auf uns als Segen oder Fluch zurück. Dieser Gedanke verleiht dem Leben großen Ernst und sollte uns zu demütigem Gebet veranlassen, daß Gott uns mit seiner Weisheit lenken möge. PP 538.3

Auch Menschen in höchsten Stellungen können vom rechten Wege ablenken. Die Erfahrensten irren sich; die Stärksten können straucheln und fallen. Unser Lebensweg muß ständig von oben erleuchtet sein. Unsere einzige Sicherheit liegt im bedingungslosen Vertrauen zu dem, der gesagt hat: “Folge mir nach!” PP 538.4

Nach Gideons Tod “dachten sie nicht an den Herrn, ihren Gott, der sie errettet hatte aus der Hand aller ihrer Feinde ringsumher, und erzeigten sich nicht dankbar dem Hause des Jerubbaal — das ist Gideon — für alles Gute, das er an Israel getan hatte”. Richter 8,34.35. Ungeachtet all dessen, was das Volk Israel ihm als Richter und Befreier verdankte, machten sie seinen unehelichen Sohn Abimelech zu ihrem König, der mit einer Ausnahme alle rechtmäßigen Kinder Gideons umbrachte, um seine Macht zu sichern. Wenn Menschen keine Gottesfurcht mehr kennen, dauert es meist nicht lange, bis ihnen auch Rechtschaffenheit und Lauterkeit verlorengehen. Wissen wir aber Gottes Gnade recht zu würdigen, werden wir auch diejenigen schätzen, die wie Gideon zum Segen seines Volkes Werkzeuge in Gottes Hand sind. Das grausame Verhalten Israels gegen das Haus Gideon war nur von einem Volk zu erwarten, das Gott gegenüber so undankbar war. PP 539.1

Nach Abimelechs Tod geboten gottesfürchtige Richter der Abgötterei eine Zeitlang Einhalt. Aber es dauerte nicht lange, und Israel kehrte zu den Gewohnheiten der heidnischen Völker seiner Umgebung zurück. In den nördlichen Stämmen fanden Syriens und Sidons Götter viele Anhänger. Im Südwesten machte der Götzendienst der Philister und im Osten der Moabs und Ammons die Israeliten vom Gott ihrer Väter abwendig. PP 539.2

Aber dem Abfall folgte stets die Strafe auf dem Fuße. Die Ammoniter unterwarfen die östlichen Stämme, überschritten den Jordan und drangen in das Gebiet von Juda und Ephraim ein. Im Westen zogen die Philister aus ihrer Ebene am Meer herauf und brandschatzten und plünderten weit und breit. Wieder einmal schien Israel seinen unbarmherzigen Feinden preisgegeben zu sein. PP 539.3

Und wie immer suchten sie dann Hilfe bei dem, den sie verlassen und beleidigt hatten. “Da schrien die Kinder Israel zu dem Herrn und sprachen: Wir haben an dir gesündigt, denn wir haben unsern Gott verlassen und den Baalen gedient.” Richter 10,10. Aber auch diese Not bewirkte keine echte Reue. Das Volk klagte nur, weil seine Sünden Leid mit sich brachten, aber nicht, weil es Gott durch Übertretung seines heiligen Gesetzes Schande gemacht hatte. Wahre Reue ist mehr als Leid über Sünde. Sie ist entschiedenes Abwenden vom Bösen. PP 539.4

Der Herr antwortete ihnen durch einen seiner Propheten: “Haben euch nicht auch unterdrückt die Ägypter, die Amoriter, die Ammoniter, die Philister, die Sidonier, die Amalekiter und Maoniter? Aber ich half euch aus ihren Händen, als ihr zu mir schriet. Dennoch habt ihr mich verlassen und andern Göttern gedient. Darum will ich euch nicht mehr erretten. Geht hin und schreit zu den Göttern die ihr erwählt habt; laßt diese euch helfen zur Zeit eurer Bedrängnis!” Richter 10,11-14. PP 540.1

Diese ernsten, furchtbaren Worte lenken die Gedanken auf ein anderes, zukünftiges Geschehen — den großen Tag des Jüngsten Gerichts — an dem alle, die Gottes Barmherzigkeit verwarfen und seine Gnade verachteten, sich seiner Gerechtigkeit gegenübersehen. Vor jenem Gerichtshof müssen Rechenschaft ablegen, die ihre von Gott verliehenen Gaben an Zeit, Mitteln oder Bildung ausschließlich zum Dienst für die Abgötter dieser Welt verwendeten. Sie verließen ihren wahrhaften, liebreichen Wohltäter und gingen den bequemen Weg der irdischen Vergnügen. Sie hatten wohl manchmal die Absicht, sich Gott wieder zuzuwenden; aber die Welt mit ihren Torheiten und Täuschungen nahm sie voll und ganz in Anspruch. Oberflächlicher Zeitvertreib, Kleiderstolz und übermäßige Eßlust verhärteten ihr Herz und stumpften ihr Gewissen ab, so daß sie die Stimme der Wahrheit nicht mehr hörten. Ohne schuldigen Gehorsam schätzte man Ewigkeitswerte so gering, bis man jedes Bedürfnis verlor, auch Gott einmal Opfer zu bringen, der doch so viel für die Menschen tat. Aber wenn die Zeit heranreift, werden sie ernten, was sie gesät haben. PP 540.2

Der Herr sagt: “Wenn ich aber rufe und ihr euch weigert, wenn ich meine Hand ausstrecke und niemand darauf achtet, wenn ihr fahren laßt all meinen Rat und meine Zurechtweisung nicht wollt: dann will ich auch lachen bei eurem Unglück und euer spotten ..., wenn über euch kommt wie ein Sturm, was ihr fürchtet, und euer Unglück wie ein Wetter; wenn über euch Angst und Not kommt. Dann werden sie nach mir rufen, aber ich werde nicht antworten; sie werden mich suchen und nicht finden. Weil sie die Erkenntnis haßten und die Furcht des Herrn nicht erwählten, meinen Rat nicht wollten und all meine Zurechtweisung verschmähten, darum sollen sie essen von den Früchten ihres Wandels und satt werden an ihren Ratschlägen ... Wer aber mir gehorcht, wird sicher wohnen und ohne Sorge sein und kein Unglück fürchten.” Sprüche 1,24.25.27-31.33. PP 540.3

Nun demütigte sich Israel vor dem Herrn. “Und sie taten von sich die fremden Götter und dienten dem Herrn. Da jammerte es ihn, daß Israel so geplagt wurde.” Richter 10,16. Gottes Herz war bekümmert aus Liebe. O die langmütige Barmherzigkeit unseres Gottes! Als sein Volk die Sünden ablegte, die es aus seiner Gegenwart verbannten, erhörte er seine Gebete und half ihm gleich. PP 541.1

Nun erweckte der Herr einen Befreier in der Gestalt des Gileaditers Jephthah, der mit den Ammonitern Krieg führte und deren Macht endgültig brach. Achtzehn Jahre lang hatte Israel diesmal unter der Bedrückung seiner Feinde gelitten und lernte doch nicht daraus. PP 541.2

Als Gottes Volk wieder auf üble Wege geriet, ließ es der Herr erneut durch mächtige Feinde bedrücken, nämlich die Philister. Viele Jahre lang wurde es fortwährend von diesem grausamen, kriegerischen Volk beunruhigt und zeitweise vollständig unterworfen. Israel hatte sich mit diesen Götzendienern vermischt und so lange an deren Vergnügungen und auch an ihrer Anbetung teilgenommen, bis es in Wesensart und Neigungen eins mit ihnen zu sein schien. Doch dann wurden diese vorgeblichen Freunde Israels bitterste Feinde, die mit allen Mitteln versuchten, sie gänzlich zugrunde zu richten. PP 541.3

Wie Israel damals, so geben die heutigen Christen nur zu oft den Einflüssen der Welt nach. Sie passen sich deren Grundsätzen und Gewohnheiten an, um die Freundschaft der Gottlosen zu gewinnen. Aber zuletzt wird sich herausstellen, daß diese angeblichen Freunde die gefährlichsten Feinde sind. Die Bibel lehrt klar, daß es keine Übereinstimmung zwischen dem Volk Gottes und der Welt geben kann. “Verwundert euch nicht, meine Brüder, wenn euch die Welt hasset.” Unser Heiland sagt: “Wenn euch die Welt hasset, so wisset, daß sie mich vor euch gehaßt hat.” 1.Johannes 3,13; Johannes 15,18. Unter dem Deckmantel vorgeblicher Freundschaft verleitet Satan Gottes Kinder durch die Gottlosen zur Sünde, um sie von Gott zu trennen. Hat er ihnen diese Schutzwehr erst einmal genommen, kehren sich seine Helfershelfer gegen sie und versuchen, sie völlig zu verderben. PP 541.4