Patriarchen und Propheten
Kapitel 4: Der Erlösungsplan
Der ganze Himmel trauerte über den Fall des Menschen. Die von Gott geschaffene Welt war vom Fluch der Sünde getroffen und ihre Bewohner zu Schmerz und Tod verurteilt. Es schien kein Entrinnen für die Gesetzesübertreter zu geben. Die Engel hielten inne bei ihren Lobgesängen. In den himmlischen Höfen wurde beklagt, welches Verderben durch die Sünde bewirkt worden war. PP 40.1
Gottes Sohn, der erhabene Himmelsfürst, war von Mitleid für das gefallene Geschlecht erfüllt. Sein Herz wurde von unendlichem Erbarmen bewegt, wenn er an die Leiden der verlorenen Welt dachte. Aber Gottes Liebe hatte schon einen Plan für die Erlösung der Menschen ersonnen. Die Übertretung des göttlichen Gesetzes forderte das Leben des Sünders. Im gesamten Weltall aber gab es nur einen, der diesen Forderungen zugunsten des Menschen genügen konnte. Da Gottes Gesetz so heilig ist wie er selbst, konnte nur ein Wesen, das Gott gleich war, für die Übertretung sühnen. Niemand außer Christus war imstande, den gefallenen Menschen vom Fluch des Gesetzes loszukaufen und ihn wieder mit dem Himmel in Einklang zu bringen. Christus wollte Schuld und Schande der Sünde auf sich nehmen, die für einen heiligen Gott so beleidigend war, daß sie Vater und Sohn eine Zeitlang trennen mußte. Christus war bereit, bis in die Tiefen des Elends hinabzusteigen, um die Verlorenen zu erretten. PP 40.2
Er setzte sich vor dem Vater für die Sünder ein. Das Heer des Himmels erwartete das Ergebnis mit so lebhafter Anteilnahme, daß Worte sie nicht auszudrücken vermögen. Lange verweilten beide in geheimnisvoller Unterredung und hielten den “Rat des Friedens” (Sacharja 6,13, EB) für die gefallenen Menschenkinder. Der Erlösungsplan war zwar schon vor der Erschaffung der Erde gelegt worden, denn Christus ist “das Lamm, das erwürgt ist von Anfang der Welt”. Offenbarung 13,8. Doch bedeutete es selbst für den König des Weltalls einen Kampf, seinen Sohn für das schuldig gewordene Geschlecht in den Tod zu geben. Aber “also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.” Johannes 3,16. Welch ein Geheimnis ist die Erlösung! Gott liebt eine Welt, die ihn nicht liebte! Wer kann die Tiefen dieser Liebe ermessen, die “alle Erkenntnis übertrifft”? Epheser 3,19. Immer werden unsterbliche Wesen das Geheimnis jener unfaßbaren Liebe staunend und anbetend zu begreifen suchen. PP 40.3
Gott offenbarte sich in Christus und “versöhnte in Christus die Welt mit ihm selber”. 2.Korinther 5,19. Der Mensch war durch die Sünde so entartet, daß er aus eigener Kraft nicht wieder mit dem in Übereinstimmung kommen konnte, dessen ganzes Wesen Reinheit und Güte ist. Aber nachdem Christus den Menschen von der Verdammnis des Gesetzes erlöst hatte, konnte er göttliche Kraft schenken, um das menschliche Bemühen zu unterstützen. So wurde es für Adams gefallene Kinder durch Reue und Glauben an Christus wieder möglich, “Gottes Kinder” (1.Johannes 3,2) zu werden. PP 41.1
Der Plan, durch den die Errettung des Menschen einzig möglich war, schloß mit seinem unendlichen Opfer den ganzen Himmel ein. Die Engel empfanden keine Freude, als Christus ihnen den Erlösungsplan darlegte, denn sie sahen, daß er ihrem geliebten Gebieter unaussprechliches Leid bringen mußte. Erstaunt und bekümmert lauschten sie, als er ihnen sagte, daß er aus des Himmels Reinheit und Frieden, seiner Freude und Herrlichkeit und seinem unsterblichen Leben hinabsteigen und in Berührung kommen müsse mit der Erniedrigung der Erde, um Schmerz, Schande und Tod zu erleiden. Er sollte zwischen den Sünder und dessen Strafe treten, doch würden nur wenige ihn als den Sohn Gottes aufnehmen. Dazu müsse er seine hohe Stellung als Herr des Himmels aufgeben, auf Erden erscheinen, sich als Mensch demütigen, damit er durch eigene Erfahrungen die Sorgen und Versuchungen der Menschenkinder kennenlernte. Dies alles sei notwendig, damit er denen helfen könne, die versucht werden. Wenn seine Sendung als Lehrer beendet sein würde, müsse er den Händen gottloser Menschen ausgeliefert und jeder Beschimpfung und Quälerei ausgesetzt werden, zu denen Satan sie anstiften könnte. Er müsse als schuldiger Sünder zwischen Himmel und Erde hängen und den grausamsten Tod sterben. Die Stunden seines Todeskampfes würden so schrecklich sein, daß die Engel ihr Antlitz verhüllen müßten, weil sie den Anblick nicht ertragen könnten. Er habe Seelenangst zu erdulden, ja, der Vater würde sein Angesicht verbergen, während die Strafe der Übertretung, die Sündenlast der ganzen Welt, auf ihm läge. PP 41.2
Die Engel fielen vor ihrem Herrn nieder und boten sich als Opfer für die Menschen an. Aber ihr Leben genügte nicht, die Schuld zu bezahlen. Nur er, der die Menschen schuf, hatte auch die Macht, sie zu erlösen. Doch sollten die Engel am Erlösungsplan tätigen Anteil haben. Christus sollte “eine kleine Zeit niedriger ... als die Engel” sein, ... “auf daß er aus Gottes Gnade für alle den Tod schmeckte”. Hebräer 2,9. Er sollte Mensch werden, darum würde seine Kraft jener der Engel nicht gleichen. Dann sollten sie ihm dienen, ihn stärken und ihm in seinen Leiden Linderung schaffen. Sie sollten “dienstbare Geister” sein, “ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen”. Hebräer 1,14. Ihre Aufgabe sollte sein, die Frommen vor dem Einfluß böser Engel zu schützen und vor der Finsternis zu bewahren, die Satan ständig um sie her verbreitet. PP 42.1
Wenn die Engel Erniedrigung und Todeskampf ihres Herrn beobachten müßten, würden sie, bekümmert und unwillig, wünschen, ihn aus den Händen seiner Mörder zu befreien. Aber sie dürften nicht dazwischentreten, um zu verhindern, was sie sähen. Es gehörte zum Erlösungsplan, daß Christus Hohn und Schmähungen böser Menschen erdulden müsse. Er erklärte sich bereit dazu, wenn er dadurch zum Erlöser der Menschen werde. PP 42.2
Christus versicherte den Engeln, daß er durch seinen Tod viele loskaufen und den, der die Macht des Todes hatte, vernichten würde. Das dem Menschen durch seine Übertretung verlorengegangene Reich werde er zurückgewinnen, und die Erretteten sollten es mit ihm erben und für immer darin wohnen. Sünde und Sünder sollten vertilgt werden, damit der Friede des Himmels und der Erde niemals wieder gestört würde. Er gebot den Engelscharen, dem Plan seines Vaters zuzustimmen und sich darüber zu freuen, daß durch seinen Tod gefallene Menschen wieder mit Gott versöhnt werden könnten. PP 42.3
Darauf erfüllte unaussprechliche Freude den Himmel. Die Herrlichkeit und Glückseligkeit einer erlösten Welt überstiegen selbst die Pein und das Opfer des Lebensfürsten. Durch die Himmelshöfe hallten die ersten Klänge jenes Liedes, das über den Hügeln von Bethlehem erschallen sollte: “Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.” Lukas 2,14. Inbrünstiger als bei der Freude über die neue Schöpfung lobten “die Morgensterne miteinander ... und jauchzten alle Gottessöhne”. Hiob 38,7. PP 43.1
Die erste Ankündigung seiner Erlösung erhielt der Mensch im Garten Eden, als Gott das Urteil über Satan sprach: “Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.” 1.Mose 3,15. Dieser Richterspruch vor den Ohren unserer ersten Eltern war für sie eine Verheißung. Er sagte Kampf zwischen dem Menschen und Satan voraus, wodurch die Macht des großen Widersachers schließlich gebrochen würde. Adam und Eva standen als Schuldige vor dem gerechten Richter und erwarteten das Urteil, das ihre Übertretung verlangte. Aber ehe sie etwas hörten von einem künftigen Leben in Mühsal und Sorge oder davon, daß sie wieder zu Staub werden sollten, vernahmen sie Worte, die Hoffnung in ihnen aufkommen lassen mußten. Wenn sie auch unter der Macht ihres gewaltigen Feindes zu leiden hatten, konnten sie sich dennoch auf den endgültigen Sieg freuen. PP 43.2
Als Satan hörte, daß zwischen ihm und dem Weibe, zwischen seinem und ihrem Nachkommen Feindschaft bestehen sollte, erkannte er, daß sein Plan, die menschliche Natur zugrunde zu richten, gestört werden würde. Der Mensch sollte irgendwie Kraft zum Widerstand gegen ihn bekommen. Doch nach der Eröffnung des Erlösungsplanes in seinem ganzen Umfang frohlockte Satan mit seinen Engeln, denn nun glaubte er, daß er nach dem erfolgten Fall des Menschen auch den Sohn Gottes von seiner erhabenen Stellung herabstoßen könne. Er behauptete, seine Pläne seien bislang auf Erden erfolgreich gewesen, und wenn Christus menschliche Natur annähme, könne er auch ihn überwinden und so die Erlösung des gefallenen Geschlechtes verhindern. PP 43.3
Himmlische Engel vermittelten unsern ersten Eltern größeres Verständnis für den Plan, der zu ihrer Erlösung gelegt worden war, und sie sicherten ihnen zu, daß sie trotz ihrer großen Sünde nicht der Herrschaft Satans preisgegeben sein sollten. Der Sohn Gottes habe sich erboten, ihre Schuld mit seinem eigenen Leben zu sühnen. Der Herr räume ihnen eine Bewährungszeit ein, und durch Reue und Glauben an Christus könnten sie wieder Gottes Kinder werden. PP 43.4
Das für ihre Übertretung geforderte Opfer enthüllte Adam und Eva die Heiligkeit des göttlichen Gesetzes, und sie begriffen wie nie zuvor die Sündenschuld mit ihren schrecklichen Folgen. In ihrer Gewissensangst und Seelennot baten sie, die Strafe möge nicht ihn treffen, dessen Liebe der Quell all ihrer Freude gewesen war; eher möge sie auf sie selbst und ihre Nachkommen fallen. PP 44.1
Aber sie wurden belehrt, daß das Gesetz Gottes die Grundlage seiner Herrschaft im Himmel wie auf Erden sei und nicht einmal das Leben eines Engels als Sühnopfer genüge. Nichts könne daran geändert oder aufgehoben werden, um dem Menschen in seinem gefallenen Zustand entgegenzukommen. Nur der Sohn Gottes, der die Menschen schuf, sei imstande, die Versöhnung für sie zu leisten. Wie Adams Übertretung Elend und Tod brachte, so werde Christi Opfer Leben und Unsterblichkeit wiederherstellen. PP 44.2
Durch die Sünde war nicht nur der Mensch, sondern die ganze Erde zum Einflußbereich des Bösen geworden. Aber durch den Erlösungsplan sollte alles neu werden. Bei seiner Erschaffung wurde Adam zum Herrn über die ganze Erde gesetzt. Als er aber der Versuchung erlag, geriet er unter die Macht des Widersachers. “Von wem jemand überwunden ist, dessen Knecht ist er geworden.” 2.Petrus 2,19. Als der Mensch Satans Knecht wurde, ging die Herrschaft an seinen Überwinder verloren. So wurde Satan “der Gott dieser Welt” (2.Korinther 4,4), der die Gewalt über die Erde, die ursprünglich Adam übertragen war, an sich riß. Christus aber würde durch sein Opfer die Strafe auf sich nehmen und dadurch nicht nur die Menschen erlösen, sondern auch die von ihnen verspielte Herrschaft zurückgewinnen. So sagt der Prophet: “Und du, Turm der Herde, du Feste der Tochter Zion, zu dir wird kommen und wiederkehren die frühere Herrschaft.” Micha 4,8. Und der Apostel Paulus weist voraus auf “das Unterpfand unsres Erbes zu unsrer Erlösung”. Epheser 1,14. PP 44.3
Gott schuf die Erde zum Aufenthalt heiliger, glücklicher Wesen. Es war der Herr, “der die Erde bereitet und gemacht hat — er hat sie gegründet; er hat sie nicht geschaffen, daß sie leer sein soll, sondern sie bereitet, daß man auf ihr wohnen solle”. Jesaja 45,18. Das wird in Erfüllung gehen, wenn die von der Kraft Gottes erneuerte und von Sünde und Leid befreite Erde der Wohnsitz der Erlösten in Ewigkeit sein wird. “Die Gerechten werden das Land ererben und darin wohnen allezeit.” Psalm 37,29. “Und es wird nichts mehr unter dem Bann sein. Und der Thron Gottes und des Lammes wird darinnen sein, und seine Knechte werden ihm dienen.” Offenbarung 22,3. PP 44.4
Solange Adam schuldlos war, erfreute er sich des unmittelbaren Umgangs mit seinem Schöpfer. Aber die Sünde trennte Gott und Mensch voneinander. Allein die Versöhnung durch Christus konnte den Abgrund überbrücken und Segen und Heil vom Himmel herab vermitteln. Dabei blieb dem Menschen zwar der direkte Zugang zu seinem Schöpfer noch versagt, aber durch Christus und die Engel wollte Gott mit ihm in Verbindung treten. PP 45.1
So wurden Adam wichtige Ereignisse der Menschheitsgeschichte offenbart, die sich vom Urteilsspruch in Eden bis zur Sintflut und darüber hinaus bis zur ersten Ankunft des Sohnes Gottes zutragen sollten. Ihm wurde gezeigt, daß Christi Opfer zur Errettung der ganzen Welt zwar genügen würde, aber trotzdem viele lieber ein Leben in Sünde führen würden statt zu bereuen und gehorsam zu sein. Frevelhaftes Vergehen sollte im Laufe der Zeit zunehmen und der Fluch der Sünde auf dem Menschengeschlecht, der Tierwelt und der ganzen Erde immer schwerer lasten. Die Lebenszeit des Menschen würde infolge seines Sündenlebens verkürzt, seine Körpergröße und Ausdauer, seine sittliche und geistige Stärke würden abnehmen, bis die Welt voller Elend aller Art wäre. Zügellosigkeit und Leidenschaften machten die Menschen schließlich unempfänglich für die großen Wahrheiten des Erlösungsplans. Doch nähme Christus, seinem Vorsatz getreu, weswegen er den Himmel verließ, weiterhin am Geschick der Menschen Anteil und ermutige sie, mit ihren Schwächen und Mängeln gläubig bei ihm Zuflucht zu suchen. Er würde allen Menschen, die im Glauben zu ihm kämen, in ihren Schwierigkeiten beistehen. Somit werde es immer einige geben, die die Erkenntnis Gottes bewahren und sich inmitten der herrschenden Schlechtigkeit ihre Reinheit erhalten würden. PP 45.2
Gott setzte den Opferdienst ein, damit der Mensch sich immer an seine Sünde erinnere und sie im Glauben an den verheißenen Erlöser reuig bekenne. Durch die Opfer sollte es sich dem gefallenen Menschengeschlecht tief einprägen, daß die Sünde Ursache des Todes war. Für Adam war die Darbringung des ersten Opfers überaus schmerzlich. Er mußte seine Hand erheben und Leben vernichten, das nur Gott geben konnte. Zum ersten Mal wurde er Zeuge des Todes. Und er wußte, wäre er Gott treu geblieben, brauchten weder Mensch noch Tier zu sterben. Während er das schuldlose Opfertier schlachtete, erbebte er bei dem Gedanken, daß seinetwegen das unschuldige Lamm Gottes sein Blut vergießen müsse. Dieses Erleben vermittelte ihm ein tieferes Verständnis für die Größe seiner Schuld, die nur der Tod des Sohnes Gottes sühnen konnte. Zugleich aber staunte er über die grenzenlose Güte, die ein solches Lösegeld zur Rettung der Schuldigen darbot. Zuversicht erhellte nun die dunkle, schreckliche Zukunft und nahm ihr dadurch die Trostlosigkeit. PP 46.1
Aber der Erlösungsplan hatte noch einen umfassenderen, tieferen Sinn als den, die Menschen zu retten. Nicht deshalb allein kam Christus auf die Erde. Er kam nicht nur, damit die Bewohner unserer kleinen Welt sein Gesetz so beobachteten, wie es sich gehört, sondern um Gott vor dem Weltall zu rechtfertigen. Diese Folge seines großmütigen Opfers — dessen Wirkung auf die vernunftbegabten Wesen anderer Welten ebenso wie auf den Menschen — sah der Heiland voraus, als er kurz vor seiner Kreuzigung sagte: “Jetzt geht das Gericht über die Welt; nun wird der Fürst dieser Welt ausgestoßen werden. Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.” Johannes 12,31.32. Das Opfer Christi zur Errettung der Menschen würde nicht nur ihnen den Himmel wieder erschließen, sondern Gott und seinen Sohn in ihrer Handlungsweise bei der Empörung Satans vor dem ganzen Weltall rechtfertigen. Es würde ferner die ewige Gültigkeit des göttlichen Gesetzes begründen und Wesen und Folgen der Sünde offenbaren. PP 46.2
Von Anfang an ging es in dem großen Kampf um das Gesetz Gottes. Satan hatte zu beweisen versucht, daß Gott ungerecht und sein Gesetz mangelhaft sei und das Wohl des Weltalls eine Verbesserung verlange. Mit diesem Angriff zielte er darauf ab, das Ansehen seines Urhebers zu erschüttern. In dem Kampf sollte sich zeigen, ob die göttlichen Gesetze fehlerhaft und der Veränderung unterworfen oder vollkommen und unveränderlich seien. PP 46.3
Als Satan aus dem Himmel ausgestoßen wurde, wählte er die Erde zu seinem Machtbereich. Nachdem er Adam und Eva versucht und überwunden hatte, meinte er, diese Welt zu besitzen, weil sie ihn zu ihrem Herrscher erwählt hätten. Er behauptete, es sei unmöglich, dem Sünder Vergebung zu gewähren; deshalb sei ihm das gefallene Geschlecht mit Fug und Recht untertan und die Welt sein Eigentum. Aber Gott ließ seinen eigenen, ihm treuen Sohn — also einen ihm völlig Ebenbürtigen — die Strafe der Übertretung tragen. Auf diese Weise schuf er für die Verlorenen die Möglichkeit, seine Gnade wiederzuerlangen und in den Garten Eden als ihre Heimat zurückzukehren. Christus erlöste und befreite sie also aus der Gewalt Satans. Der große Kampf, der im Himmel begonnen hatte, sollte in eben der Welt und auf dem Schlachtfeld entschieden werden, das Satan als Eigentum beanspruchte. PP 47.1
Das ganze Weltall war erstaunt, daß Christus sich demütigen sollte, um den gefallenen Menschen zu retten. Er, der von Stern zu Stern, von Welt zu Welt gegangen war und sie alle beherrschte, der in seiner unermeßlichen Schöpfung für die Bedürfnisse aller Arten von Lebewesen gesorgt hatte, wollte seine Herrlichkeit verlassen und die menschliche Natur annehmen? Das war ein Geheimnis, das die sündlosen Bewohner anderer Welten zu verstehen begehrten. Als Christus in menschlicher Gestalt auf unsere Erde kam, verfolgten sie aufmerksam seine Pfade von der Krippe bis zum Kreuz. Sie merkten auf die schmähliche Behandlung und den Spott, denen er ausgesetzt war, und wußten, daß es auf Satans Anstiften hin geschah. Sie nahmen wahr, wie die gegnerischen Kräfte einflußreicher wurden und Satan unablässig Finsternis, Sorge und Leid über die Menschen brachte, wie andererseits aber Christus dagegen ankämpfte. So verfolgten sie den heftiger werdenden Kampf zwischen Licht und Finsternis. Und als Christus, mit dem Tode ringend, am Kreuz ausrief: “Es ist vollbracht!” (Johannes 19,30), hallte Triumphgeschrei durch alle Welten und selbst durch den Himmel. Der große Streit, der so lange in dieser Welt getobt hatte, war nun entschieden, Christus blieb Sieger. Sein Tod beantwortete die Frage, ob Vater und Sohn den Menschen so sehr liebten, um Selbstverleugnung und Opfergeist zu üben. Satan war als Lügner und Mörder entlarvt. Nun war erwiesen, daß er dieselbe Gesinnung, in der er die seiner Macht unterworfenen Menschenkinder beherrschte, auch im Himmel offenbart hätte, sofern ihm auch Macht über die himmlischen Wesen erteilt worden wäre. Wie mit einer Stimme pries das Weltall Gottes Herrschaft. PP 47.2
Wenn Gottes Gesetz geändert werden könnte, wäre die Errettung des Menschen ohne das Opfer Christi möglich gewesen. Aber die bloße Tatsache, daß er sein Leben für die gefallene Menschheit geben mußte, beweist, daß das Gesetz Gottes den Sünder nicht aus seinen Forderungen entläßt und daß der Sünde Sold der Tod ist. Als Christus starb, war Satans Vernichtung besiegelt. Aber wäre das Gesetz am Kreuz aufgehoben worden, wie viele behaupten, dann hätte Gottes Sohn Schmerzen und Tod nur erduldet, um Satans Forderungen zu erfüllen. Wie hätte der Fürst des Bösen triumphiert, denn seine Beschuldigungen gegen Gottes Regierung wären damit bestätigt worden! Aber gerade daß Christus die Strafe für die Übertretung des Menschen auf sich nahm, ist allen geschaffenen denkenden Wesen der großartige Beweis für die Unveränderlichkeit des Gesetzes sowie für die Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Selbstlosigkeit Gottes. Gottes unendliche Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gehören in seiner Herrschaft zusammen. PP 48.1