Patriarchen und Propheten

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Kapitel 26: Vom Roten Meer zum Sinai

Vom Roten Meer setzte die ganze Gemeinde Israel ihre Wanderung unter der Leitung der Wolkensäule fort. Die Landschaft ringsum war trostlos — kahle Berge, unfruchtbare Ebenen und das weite Meer, dessen Küste übersät war mit den Leichen ihrer Feinde. Doch im Bewußtsein ihrer Freiheit waren die Israeliten voll Freude, und alle unzufriedenen Überlegungen waren verstummt. PP 265.1

Aber ganze drei Tage konnten sie auf ihrer Wanderung kein Wasser finden. Der mitgenommene Vorrat war erschöpft. Sie hatten nichts, was ihren brennenden Durst hätte löschen können, als sie sich müde über die sonnenverbrannten Ebenen schleppten. Nur Mose kannte diese Gegend gut genug, um zu wissen, daß zwar Mara die nächste Stelle war, wo es Quellen gab, daß das Wasser dort jedoch ungenießbar sein würde. Mit wachsender Sorge beobachtete er die führende Wolke, und beklommen hörte er schließlich den Freudenruf “Wasser, Wasser!”, der sich durch die Reihen fortpflanzte. Männer, Frauen und Kinder drängten sich in freudiger Hast zur Quelle. Da brach ein Schmerzensschrei aus der Menge hervor: Das Wasser war bitter. PP 265.2

Erschreckt und völlig verzweifelt warfen sie Mose vor, er habe sie diesen Weg geführt. Dabei bedachten sie nicht, daß Gottes Gegenwart in jener geheimnisvollen Wolke ihn ebenso leitete wie auch sie. In seinem Kummer über ihre Erschöpfung tat Mose, was sie vergessen hatten: Er rief ernstlich zu Gott um Hilfe. “Und der Herr zeigte ihm ein Holz; das warf er ins Wasser, da wurde es süß.” 2.Mose 15,25. Hier gab er auch Israel durch Mose die Verheißung: “Wirst du der Stimme des Herrn, deines Gottes, gehorchen und tun, was recht ist vor ihm, und merken auf seine Gebote und halten alle seine Gesetze, so will ich dir keine der PP 265.3

Krankheiten auferlegen, die ich den Ägyptern auferlegt habe; denn ich bin der Herr, dein Arzt.” 2.Mose 15,26. PP 266.1

Von Mara wanderte das Volk nach Elim. “Da waren zwölf Wasserquellen und siebzig Palmbäume.” 2.Mose 15,27. Hier blieben sie einige Tage, ehe sie in die Wüste Sin kamen. Nachdem sie etwa einen Monat zuvor Ägypten verlassen hatten, schlugen sie ihr Lager erstmals in der Wüste auf. Ihre Lebensmittelvorräte gingen nun zur Neige. Und weil sie nur kärgliche Weide fanden, nahmen die Herden ab. Wie sollte man jetzt für diese unübersehbare Menge Nahrung beschaffen? Zweifel stieg in ihnen auf, und wieder murrten die Kinder Israel. Selbst die Obersten und Ältesten des Volkes stimmten in die Klage gegen die von Gott berufenen Führer ein: “Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des Herrn Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, daß ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben laßt.” 2.Mose 16,3. PP 266.2

Dabei hatten sie noch gar keinen Hunger gelitten. Für ihren augenblicklichen Bedarf war gesorgt; sie fürchteten nur die Zukunft. Sie konnten nicht begreifen, wie diese riesige Volksmenge auf ihrer Wanderung durch die Wüste leben sollte, und in ihrer Phantasie sahen sie schon ihre Kinder an Hunger sterben. Der Herr ließ zu, daß sie tatsächlich in mißliche Lagen kamen und die Lebensmittel knapp wurden, damit sie sich ihm zuwenden würden, der bis dahin ihr Erretter gewesen war. Hätten sie Mangel und riefen ihn an, würde er ihnen noch deutliche Zeichen seiner Liebe und Fürsorge gewähren. Er hatte ja verheißen, daß keine Krankheit über sie kommen sollte, wenn sie seinen Geboten gehorchten. Deshalb war es sündiger Unglaube, von vornherein anzunehmen, ihre Kinder könnten Hungers sterben. PP 266.3

Der Herr hatte verheißen, ihr Gott zu sein, sie als sein Volk zu erhalten und sie in ein großes, gutes Land zu bringen. Aber bei jedem Hindernis auf dem Wege dahin wurden sie mutlos. Dabei hatte er sie auf wunderbare Weise von ihrer Knechtschaft in Ägypten befreit, um sie zu erheben und zum Lobe auf Erden zu machen. Aber zuvor mußten sie Schwierigkeiten begegnen und Entbehrungen ertragen lernen. Gott befreite sie ja aus der Erniedrigung, damit sie fähig würden, einen ehrenvollen Platz unter den Völkern einzunehmen und bedeutsame, heilige Pflichten zu übernehmen. Hätten sie ihm im Hinblick auf all das, was er für sie getan hatte, geglaubt, würden sie Unbequemlichkeit und selbst wirkliches Leiden mutig ertragen haben. Aber sie vermochten dem Herrn nur so weit zu trauen, wie sie die dauernden Beweise seiner Kraft erlebten. Sie vergaßen ihren harten Dienst in Ägypten und damit auch Gottes Güte und Macht, die sich bei ihrer Befreiung aus der Knechtschaft offenbart hatten. Sie ließen außer acht, daß ihre Kinder verschont blieben, als der Würgengel alle Erstgeborenen Ägyptens schlug, und gedachten der großartigen göttlichen Machtentfaltung am Roten Meer nicht länger. Ferner vergaßen sie, daß die ihnen nachfolgenden feindlichen Heere von den Meereswogen verschlungen wurden, während sie selber unversehrt den Weg gingen, der sich vor ihnen aufgetan hatte. Sie nahmen nur die gegenwärtigen Unannehmlichkeiten und Anfechtungen wahr, statt zu sagen: “Gott hat große Dinge für uns getan, als wir noch Sklaven waren, er will aus uns ein bedeutendes Volk machen.” Sie redeten von der Mühseligkeit des Weges und wollten von Mose erfahren, wann ihre beschwerliche Pilgerreise ein Ende habe. PP 266.4

Die Geschichte Israels in der Wüste wurde zum Heile des Gottesvolkes in der Endzeit aufgezeichnet. Der Bericht darüber, wie Gott mit den Wüstenwanderern bei all ihren Märschen hin und her umging, auf denen sie dem Hunger, dem Durst und der Ermüdung ausgesetzt waren, aber auch eindrucksvolle Offenbarungen seiner Macht zu ihrer Hilfe erlebten, ist voller Ermahnungen und Belehrungen für sein Volk zu allen Zeiten. Die mannigfaltige Erfahrung der Hebräer war eine gute Vorschule auf die verheißene Heimat in Kanaan. Gott möchte, daß sein derzeitiges Volk demütig und lernwillig auf die Prüfungen zurückblickt, durch die das alte Israel ging, und darin eine Belehrung für die Vorbereitung auf das himmlische Kanaan erkennt. PP 267.1

Viele wundern sich rückschauend über den Unglauben und die Unzufriedenheit des damaligen Volkes Israel und empfinden dabei, daß sie selbst nicht so undankbar gewesen wären. Aber sobald ihr Glaube auf die Probe gestellt wird, und sei es nur durch kleine Prüfungen, beweisen sie nicht mehr Glauben und Geduld als das alte Israel. Geraten sie in Not, beklagen sie sich über jene Vorgänge, durch die Gott sie lediglich läutern möchte. Sie haben alles, was sie brauchen, und wollen doch Gott nicht für die Zukunft vertrauen. Dauernd sind sie in Sorge, sie könnten in Armut geraten und ihre Kinder müßten Not leiden. Einzelne erwarten stets nur Böses oder übertreiben zumindest die wirklich vorhandenen Schwierigkeiten derart, daß sie für viele Segnungen, die Dankbarkeit verdienten, blind werden. Die ihnen begegnenden Hindernisse sollten sie veranlassen, Hilfe bei Gott, der einzigen Kraftquelle, zu suchen. Statt dessen trennen diese Hindernisse sie von ihm, weil sie Ruhelosigkeit und Unzufriedenheit in ihnen wekken. PP 267.2

Verhalten wir uns richtig, wenn wir ungläubig sind? Weshalb denn undankbar und mißtrauisch sein? Jesus ist doch unser Freund! Der ganze Himmel nimmt an unserm Wohlergehen Anteil. Deshalb betrüben unsere Sorgen und Ängste den heiligen Geist Gottes. Wir sollten ihnen nicht nachhängen, sofern sie uns nur aufregen und ermüden, aber nicht helfen in der Anfechtung. Gebt diesem gegen Gott gerichteten Mißtrauen nicht nach, das uns dazu verführt, die Vorsorge für die Zukunft als wichtigste Lebensaufgabe zu betreiben, als hinge unser Glück von diesen irdischen Dingen ab. Es ist nicht Gottes Wille, daß sich sein Volk mit Sorgen belastet. Aber er spricht auch nicht davon, daß es keine Gefahren auf unserem Wege gäbe. Er hat nicht die Absicht, sein Volk aus der Welt der Sünde und des Bösen zu nehmen, aber er verweist uns auf eine nie enttäuschende Zuflucht. Er lädt die Müden und Sorgenbeladenen ein: “Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.” Legt doch das Joch der Angst und der weltlichen Sorge ab, das ihr euch selbst aufgeladen habt, und “nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.” Matthäus 11,28.29. In Gott finden wir Ruhe und Frieden, wenn wir alle unsere Sorge auf ihn werfen, denn er sorgt für uns. Vgl. 1.Petrus 5,7. PP 268.1

Der Schreiber des Hebräerbriefes sagt: “Sehet zu, liebe Brüder, daß nicht jemand unter euch ein arges, ungläubiges Herz habe, das da abfalle von dem lebendigen Gott.” Hebräer 3,12. Im Hinblick auf alles, was Gott für uns tat, sollte unser Glaube stark und tragfähig sein. Statt zu murren und zu klagen, sollte die Sprache unseres Herzens sein: “Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat.” Psalm 103,1.2. PP 268.2

Gott vergaß nicht, was Israel nötig hatte. Er versprach Mose: “Ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen.” 2.Mose 16,4. Er hieß das Volk, jeweils für einen Tag Vorrat zu sammeln, am sechsten Tage aber die doppelte Menge, damit es den Sabbat heiligen konnte. PP 268.3

Mose versicherte der Gemeinde, Gott werde ihre Bedürfnisse befriedigen: “Der Herr wird euch am Abend Fleisch zu essen geben und am Morgen Brot die Fülle.” Und er fügte hinzu: “Was sind wir? Euer Murren ist nicht wider uns, sondern wider den Herrn.” 2.Mose 16,8. Weiter gebot er Aaron, ihnen zu sagen: “Kommt herbei vor den Herrn, denn er hat euer Murren gehört.” Während Aaron noch zu ihnen redete, “wandten sie sich zur Wüste hin, und siehe, die Herrlichkeit des Herrn erschien in der Wolke.” 2.Mose 16,9.10. Ein Leuchten, wie sie es nie gesehen hatten, kennzeichnete die Gegenwart Gottes. Durch Offenbarungen, die sich an ihre Sinne wandten, sollten sie Gotteserkenntnis gewinnen. Sie mußten begreifen, daß sie unter der Leitung des Allerhöchsten standen und nicht nur unter der des Mose, damit sie Gottes Namen fürchteten und seiner Stimme gehorchten. PP 269.1

Am Abend war das Lager von unübersehbaren Mengen Wachteln umgeben, genug für die ganze Gemeinde. Am Morgen “lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde”. 2.Mose 16,14. — “Und es war wie weißer Koriandersamen.” 2.Mose 16,31. Das Volk nannte es “Manna”, und Mose sagte: “Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat.” 2.Mose 16,15. Das Volk sammelte das Manna und erkannte, daß damit überreich für alle gesorgt war. Es “zerrieb es mit Mühlen oder zerstieß es in Mörsern und kochte es in Töpfen und machte sich Kuchen daraus; und es hatte einen Geschmack wie Ölkuchen.” 4.Mose 11,8. Täglich sollten die Israeliten einen Krug voll für jeden sammeln und nichts für den andern Morgen übriglassen. Einige versuchten trotzdem, Vorrat für den nächsten Tag aufzubewahren, aber dann war es ungenießbar. Die Tagesmenge mußte morgens gesammelt werden, denn alles, was auf der Erde liegen blieb, schmolz an der Sonne. PP 269.2

Beim Sammeln des Mannas stellte sich heraus, daß einige mehr und andere weniger als das bestimmte Maß erlangten, “aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte”. 2.Mose 16,18. Eine Erklärung zu dieser Schriftstelle und die praktische Nutzanwendung dazu (im Hinblick auf die Gabensammlung für die verarmte Jerusalemer Gemeinde) gibt der Apostel Paulus in seinem zweiten Brief an die Korinther. Er sagt: “Nicht geschieht das in der Meinung, daß die andern gute Tage haben sollen und ihr Trübsal, sondern daß ein Ausgleich sei. Euer Überfluß diene ihrem Mangel in der gegenwärtigen Zeit, damit auch ihr Überfluß hernach diene eurem Mangel und so ein Ausgleich geschehe, wie geschrieben steht: ‘Der viel sammelte, hatte nicht Überfluß, und der wenig sammelte, hatte nicht Mangel.’” 2.Korinther 8,13-15. PP 269.3

Am sechsten Tage las das Volk zwei Krüge voll für jeden auf. Die Vorsteher eilten zu Mose, um ihm dies mitzuteilen. Er antwortete ihnen: “Das ist’s, was der Herr gesagt hat: Morgen ist Ruhetag, heiliger Sabbat für den Herrn. Was ihr backen wollt, das backt, und was ihr kochen wollt, das kocht; was aber übrig ist, das legt beiseite, daß es aufgehoben werde bis zum nächsten Morgen.” 2.Mose 16,23. Sie taten es und entdeckten, daß es unverändert blieb. Da sprach Mose: “Eßt dies heute, denn heute ist der Sabbat des Herrn; ihr werdet heute nichts finden auf dem Felde. Sechs Tage sollt ihr sammeln; aber der siebente Tag ist der Sabbat, an dem wird nichts da sein.” 2.Mose 16,25.26. PP 270.1

Gott verlangt, daß der ihm geweihte Tag heute noch ebenso geheiligt wird wie zur Zeit Israels. Dieses zunächst den Hebräern gegebene Gebot sollten alle Christen als eine ausdrückliche Verpflichtung Gott gegenüber beachten. Der Tag vor dem Sabbat diene der Vorbereitung, damit alles für die geistlichen Stunden gerichtet sei. Auf keinen Fall sollten unsere eigenen Angelegenheiten die Andachtszeit schmälern. Gott hat angeordnet, daß die Kranken und Leidenden versorgt werden. Diese Arbeit, mit der man es ihnen behaglich zu machen sucht, ist ein Werk der Barmherzigkeit und keine Übertretung des Sabbats. Aber man vermeide alle unnötige Arbeit. Viele verschieben unbekümmert so manche Kleinigkeiten, die am Vorbereitungstag hätten erledigt werden können, bis zum Sabbatanfang. Das darf nicht sein. Die bis dahin versäumte Arbeit laßt liegen, bis der Sabbat vorüber ist. So kann man dem Gedächtnis jener Gedankenlosen nachhelfen, damit sie ihre Arbeit sorgfältig während der sechs Werktage verrichten. PP 270.2

In jeder Woche ihres langen Wüstenaufenthaltes erlebten die Israeliten ein dreifaches Wunder, das ihnen die Heiligkeit des Sabbats eindrucksvoll deutlich machen sollte: am sechsten Tage fiel die doppelte Menge Manna, am siebenten dagegen nichts. Und der für den Sabbat erforderliche Teil blieb frisch und wohlschmeckend, während alles, was man zu irgendeiner anderen Zeit aufhob, ungenießbar wurde. PP 270.3

Aus diesen Begleitumständen bei der Austeilung des Mannas läßt sich der schlüssige Beweis ableiten, daß der Sabbat nicht erst bei der Gesetzgebung am Sinai gestiftet wurde, wie viele behaupten. Ehe die Israeliten zum Sinai kamen, wußten sie, daß die Sabbatfeier für sie verbindlich war. Weil sie jeden Freitag die doppelte Menge Manna sammeln mußten — am Sabbat fiel ja keins —, prägte sich ihnen die Heiligkeit des Ruhetages tief ein. Und als einige doch am Sabbat hinausgingen, um zu sammeln, fragte der Herr: “Wie lange weigert ihr euch, meine Gebote und Weisungen zu halten?” 2.Mose 16,28. PP 271.1

“Und die Kinder Israel aßen Manna vierzig Jahre lang, bis sie in bewohntes Land kamen; bis an die Grenze des Landes Kanaan aßen sie Manna.” 2.Mose 16,35. Vierzig Jahre lang erinnerte sie diese wunderbare Versorgung täglich daran, daß Gott sich mit nie versagender, fürsorglicher Liebe um sie kümmerte. Nach den Worten des Psalmisten ließ er “Manna auf sie regnen zur Speise und gab ihnen Himmelsbrot. Brot der Engel aßen sie alle” (Psalm 78,24.25), das heißt, sie wurden von Engeln versorgt. Indem sie durch “Himmelsbrot” erhalten wurden, machte es Gott ihnen an jedem Tage erneut deutlich, daß sie mit seiner Verheißung ebenso sicher vor Mangel waren, als seien sie von wogenden Kornfeldern auf Kanaans fruchtbaren Ebenen umgeben. PP 271.2

Das Manna, das zur Versorgung Israels vom Himmel fiel, war ein Sinnbild dessen, der von Gott kam, um der Welt Leben zu spenden. Jesus sagt: “Ich bin das Brot des Lebens. Eure Väter haben das Manna gegessen in der Wüste und sind gestorben. Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt ... Wer von diesem Brot essen wird, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, das ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt.” Johannes 6,48-51. Und zu den Segensverheißungen für Gottes Volk im zukünftigen Leben gehört: “Wer überwindet, dem will ich geben von dem verborgenen Manna.” Offenbarung 2,17. PP 271.3

Nachdem die Israeliten die Wüste Sin verlassen hatten, lagerten sie sich in Raphidim. Aber hier gab es kein Wasser. Wieder mißtrauten sie deshalb der göttlichen Vorsorge. In seiner Blindheit und Vermessenheit kam das Volk zu Mose und forderte: “Gib uns Wasser, daß wir trinken.” Trotzdem verlor er die Geduld nicht. “Was hadert ihr mit mir?” fragte er. “Warum versucht ihr den Herrn?” Sie schrien in ihrem Zorn: “Warum hast du uns aus Ägypten ziehen lassen, daß du uns, unsere Kinder und unser Vieh vor Durst sterben läßt?” 2.Mose 17,2.3. Waren sie mit reichlich Nahrung versorgt worden, erinnerten sie sich beschämt ihres Murrens und Unglaubens und versprachen, künftig dem Herrn zu vertrauen. Aber nur zu bald vergaßen sie ihr Versprechen, und bei der nächsten Glaubensprüfung versagten sie. Die Wolkensäule, die sie führte, schien ein schreckliches Geheimnis zu bergen. Und Mose — wer war er? fragten sie sich, und zu welchem Zweck führte er sie aus Ägypten? Argwohn und Mißtrauen ergriff Besitz von ihnen. Sie erdreisteten sich, ihn anzuklagen, er wolle sie und ihre Kinder durch Entbehrungen und Mühsal töten, um sich an ihrem Besitz zu bereichern. In dem Tumult waren sie voll Wut und Empörung drauf und dran, ihn zu steinigen. PP 271.4

In seiner Not betete Mose laut zum Herrn: “Was soll ich mit dem Volk tun?” 2.Mose 17,4. Gott hieß ihn, den Stab zu nehmen, mit dem er in Ägypten die Wunder getan hatte, und gemeinsam mit den Ältesten vor das Volk zu treten. Weiter sagte ihm der Herr: “Siehe, ich will dort vor dir stehen auf dem Fels am Horeb. Da sollst du an den Fels schlagen, so wird Wasser herauslaufen, daß das Volk trinke.” 2.Mose 17,6. Er gehorchte, und das Wasser brach wie ein Lebensstrom hervor, der die Lagerbewohner reichlich versorgte. Statt Mose zu befehlen, seinen Stab zu erheben und — ähnlich wie in Ägypten — auf die Urheber dieses mutwilligen Klagens irgendeine schreckliche Plage herabzurufen, ließ der Herr in seiner großen Barmherzigkeit den Stab zu ihrer Errettung dienen. PP 272.1

“Er spaltete die Felsen in der Wüste und tränkte sie mit Wasser in Fülle; er ließ Bäche aus den Felsen kommen, daß sie hinabflossen wie Wasserströme.” Psalm 78,15.16. Wohl schlug Mose den Felsen, aber der Sohn Gottes stand in der Wolkensäule verhüllt neben Mose und ließ das lebenspendende Wasser fließen. Nicht nur Mose und die Ältesten, sondern die ganze Gemeinde, die von ferne stand, sahen die Herrlichkeit des Herrn. Hätte sich aber die Wolke entfernt, wären sie von dem gewaltigen Leuchten dessen, der darin wohnte, getötet worden. PP 272.2

Das vom Durst geplagte Volk hatte Gott versucht, als es fragte: Ist der Herr unter uns oder nicht? — Wenn Gott uns hierher gebracht hat, warum gibt er uns nicht Wasser wie Brot? Der darin sich äußernde Unglaube war strafbar, darum fürchtete Mose ein Gottesgericht. Und er nannte den Ort Massa, das heißt Versuchung, und Meriba, das ist Hader, zur Erinnerung an ihre Versündigung. PP 272.3

Aber schon drohte eine neue Gefahr. Weil sie sich gegen ihn auflehnten, ließ der Herr zu, daß sie von ihren Feinden angegriffen wurden. Die Amalekiter, ein wilder, kriegerischer Stamm, der in dieser Gegend wohnte, überfielen sie und erschlugen die Schwachen und Müden, die zurückgeblieben waren. Mose wußte, daß die große Menge des Volkes nicht auf einen Kampf vorbereitet war. Er beauftragte darum Josua, aus den verschiedenen Stämmen eine Truppe zu wählen und sie am nächsten Morgen gegen den Feind zu führen. Er selbst wollte, mit dem Stabe Gottes in der Hand, in der Nähe auf einer Anhöhe stehen. PP 273.1

Also griffen Josua und seine Schar am nächsten Tage den Feind an, während Mose, Aaron und Hur auf einem Hügel standen, von dem aus sie das Schlachtfeld übersehen konnten. Die ausgebreiteten Arme zum Himmel erhoben, den Stab Gottes in der Rechten, betete Mose für den Sieg seines Volkes. Im Verlauf des Kampfes sah man, daß Israel siegte, solange er die Arme emporhielt, aber der Feind die Oberhand gewann, wenn er sie sinken ließ. Als Mose müde wurde, stützten deshalb Aaron und Hur seine Arme, bis der Feind besiegt war. PP 273.2

Als Aaron und Hur Moses Hände aufrecht hielten, machten sie dem Volk deutlich, daß es ihre Pflicht war, ihm bei seiner schweren Aufgabe zu helfen, während er das Wort Gottes empfing, das er zu ihnen reden sollte. Moses Verhalten war insofern bedeutungsvoll, als es bewies, daß Gott ihr Schicksal in seinen Händen hielt. Vertrauten sie ihm, wollte er für sie streiten und ihre Feinde überwältigen. Hielten sie sich aber nicht an ihn und bauten auf die eigene Kraft, würden sie schwächer sein als jene Menschen, die ohne Gotteserkenntnis lebten und von ihren Feinden überwunden wurden. PP 273.3

Wie die Hebräer erfolgreich waren, wenn Mose seine Hände zum Himmel streckte und für sie bat, so wird das Israel Gottes den Sieg davontragen, wenn es gläubig der Kraft seines mächtigen Helfers vertraut. Doch muß göttliche Stärke mit menschlicher Anstrengung verbunden werden. Mose konnte nicht darauf hoffen, daß Gott ihre Feinde überwand, wenn Israel untätig blieb. Während der große Anführer zum Herrn flehte, kämpften Josua und seine tapferen Gefolgsleute mit äußerster Anstrengung weiter, um die Feinde Gottes und Israels zurückzuschlagen. PP 273.4

Nach der Niederlage der Amalekiter gab der Herr Mose den Auftrag: “Schreibe dies zum Gedächtnis in ein Buch und präge es Josua ein; denn ich will Amalek unter dem Himmel austilgen, daß man seiner nicht mehr gedenke.” 2.Mose 17,14. Unmittelbar vor seinem Tode befahl Mose dem Volk nachdrücklich: “Denke daran, was dir die Amalekiter taten auf dem Wege, als ihr aus Ägypten zogt: wie sie dich unterwegs angriffen und deine Nachzügler erschlugen, alle die Schwachen, die hinter dir zurückgeblieben waren, als du müde und matt warst, und wie sie Gott nicht fürchteten ... So sollst du die Erinnerung an die Amalekiter austilgen unter dem Himmel. Das vergiß nicht!” 5.Mose 25,17-19. Im Hinblick auf dieses gottlose Volk sagte Mose: “Der Herr führt Krieg gegen Amalek von Kind zu Kindeskind.” 2.Mose 17,16. PP 274.1

Den Amalekitern waren Gott und seine unumschränkte Herrschaft nicht unbekannt. Aber anstatt ihn zu fürchten, waren sie entschlossen, seiner Macht zu trotzen. Über die Wunder, die Mose vor den Augen der Ägypter getan hatte, spottete das Volk von Amalek, und über die Furcht der benachbarten Völker machte es sich lustig. Bei ihren Göttern hatten die Amalekiter geschworen, die Hebräer zu vertilgen, daß auch nicht einer entkommen sollte. Israels Gott sei nicht stark genug, ihnen zu widerstehen, prahlten sie. Dabei hatten die Israeliten sie weder beleidigt noch bedroht. Ihr Angriff erfolgte also ohne jeden Grund. Weil sie Gott haßten und ihn herausfordern wollten, suchten sie sein Volk zu vernichten. Die Amalekiter waren schon lange anmaßende Sünder, und ihre Verbrechen schrien zu Gott nach Vergeltung; dennoch rief er sie in seinem Erbarmen zur Buße. Als aber die Männer Amaleks über die müden, wehrlosen Reihen der Israeliten herfielen, besiegelten sie ihr Schicksal. Gottes Fürsorge achtet auf die Schwächsten seiner Kinder. Keine Unmenschlichkeit oder Härte gegen sie bleibt im Himmel unbeachtet. Über alle, die ihn lieben und fürchten, breitet Gott seine Hand wie einen Schild. Mögen sich die Menschen davor hüten, diese Hand zu schlagen, denn sie führt das Schwert der Gerechtigkeit. PP 274.2

Nicht weit vom derzeitigen Lagerplatz Israels wohnte Jethro, Moses Schwiegervater. Er hatte von der Befreiung der Hebräer gehört und machte sich nun auf, um sie zu besuchen und um Mose die Frau und seine beiden Söhne wieder zuzuführen. Als Boten ihm die Nachricht ihrer Ankunft überbrachten, ging Mose ihnen mit Freuden entgegen. Nach der Begrüßung führte er sie in sein Zelt. Vor der gefahrvollen Ausführung Israels aus Ägypten hatte er seine Familie zurückgesandt. Aber nun durfte er sich wieder ihrer Hilfe und ihres Trostes erfreuen. Er berichtete Jethro, auf welch wunderbare Weise Gott mit Israel gewesen war; freudig bewegt pries deshalb der Patriarch den Herrn. Mit Mose und den Ältesten vereinte er sich dann zu einem Dankopfer und zu einer Gedenkfeier an Gottes Barmherzigkeit. PP 274.3

Da Jethro im Lager blieb, sah er bald, welche schweren Lasten auf Mose ruhten. Zucht und Ordnung unter solcher riesigen und großenteils unwissenden Menge aufrechtzuerhalten, war tatsächlich eine ungeheure Aufgabe. Denn zu Mose als ihrem anerkannten Führer und ihrer Obrigkeit brachte man nicht nur die allgemeinen Anliegen und Pflichten des Volkes, sondern auch die persönlichen Streitigkeiten zwischen einzelnen Israeliten. Er hatte das erlaubt, weil es für ihn eine günstige Gelegenheit war, sie zu belehren. Er sagte: Ich “tue ihnen kund die Satzungen Gottes und seine Weisungen”. 2.Mose 18,16. Aber Jethro erhob Einspruch dagegen. “Das Geschäft ist dir zu schwer; du kannst es allein nicht ausrichten”, wandte er ein, “du machst dich zu müde.” 2.Mose 18,18. Er riet ihm, geeignete Männer als Unterführer über tausend, andere über hundert und wieder andere über zehn zu setzen. Es sollten redliche Leute sein, “die Gott fürchten, wahrhaftig sind und dem ungerechten Gewinn feind”. 2.Mose 18,21. Sie sollten über alle weniger wichtigen Sachen urteilen, die schwierigsten Anliegen aber würden weiterhin Mose vorgelegt. Jethro empfahl: “Vertritt du das Volk vor Gott und bringe ihre Anliegen vor Gott und tue ihnen die Satzungen und Weisungen kund, daß du sie lehrest den Weg, auf dem sie wandeln, und die Werke, die sie tun sollen.” 2.Mose 18,19.20. Mose nahm den Rat an, der ihm nicht nur Erleichterung brachte, sondern auch zu einer besseren Ordnung im Volk führte. PP 275.1

Der Herr hatte Mose ausgezeichnet und durch seine Hand Wunder tun lassen. Die Tatsache aber, daß Gott ihn dazu ausersah, andere zu belehren, verleitete ihn nicht zu der Annahme, er selbst bedürfe keiner Unterweisung mehr. Der erwählte Hirte Israels hörte gern auf die Ratschläge des frommen Priesters aus Midian und übernahm seinen Plan als eine kluge Einrichtung. PP 275.2

Von Raphidim zog das Volk weiter und folgte immer der Wolkensäule. Bis dahin hatte sein Weg durch unfruchtbare Ebenen, über steile Anhöhen und durch felsige Gebirgspässe geführt. Beim Durchwandern der Sandwüsten hatten die Hebräer oft schroffe Gebirgszüge, die riesigen Bollwerken glichen, gesehen. Sie stiegen unmittelbar vor ihnen auf und schienen jeden Weitermarsch unmöglich zu machen. Beim Näherkommen aber wurden Felsspalten sichtbar, hinter denen sich dem Auge eine andere Ebene auftat. Jetzt ging’s durch einen tiefen eingeschnittenen, geröllhaltigen Paß. Es war ein großartiger, ein beeindruckender Anblick. Zwischen den Felsenhängen, die zu beiden Seiten Hunderte von Metern hoch aufstiegen, zogen in weitem Strom die Scharen Israels mit ihren Herden dahin. Und nun ragte das Sinaimassiv in Ehrfurcht gebietender Majestät vor ihnen auf. Die Wolkensäule ruhte auf seinem Gipfel, und das Volk schlug unterhalb im Tal seine Zelte auf. Fast ein Jahr lang sollten sie hier wohnen. Des Nachts war ihnen die Feuersäule Gewißheit des göttlichen Schutzes, und während sie schliefen, fiel das Himmelsbrot leise auf das Lager. PP 276.1

In der Morgendämmerung glänzten die dunklen Bergkuppen wie vergoldet, und die hellen Sonnenstrahlen durchdrangen die tiefen Schluchten. Sie kamen den müden Wanderern vor wie Lichtstrahlen der Gnade vom Throne Gottes. Allenthalben schienen die gewaltigen Felsgipfel in ihrer einsamen Größe von Ewigkeit und Majestät zu sprechen. Hier wurde die Seele von feierlicher Ehrfurcht ergriffen. In der Gegenwart dessen, der “die Berge mit einem Gewicht” wiegt und “die Hügel mit einer Waage” (Jesaja 40,12), mußte der Mensch seine Unwissenheit und Schwachheit empfinden. Hier sollte Israel die wunderbarste Offenbarung empfangen, die Gott jemals Menschen mitteilte. Hier versammelte der Herr sein Volk, um ihm die ewige Gültigkeit seiner Forderungen einzuprägen, indem er ihm sein heiliges Gesetz mit eigener Stimme verkündete. Eine gründliche Wandlung sollte in den Israeliten vor sich gehen, denn die herabziehenden Einflüsse der Knechtschaft und die ständige Verbindung mit dem Götzendienst hatten in Charakter und Gewohnheiten ihre Spuren hinterlassen. Mit der besseren Gotteserkenntnis wollte Jahwe sie auf einen höheren sittlichen Stand heben. PP 276.2