Auf den Spuren des großen Arztes

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“Geh hin und sündige hinfort nicht mehr!”

Das Laubhüttenfest war gerade zu Ende. Die Priester und Rabbiner in Jerusalem hatten mit ihren Attacken gegen Jesus keinen Erfolg gehabt; gegen Abend “ging jeder heim. Jesus aber ging zum Ölberg.” Johannes 7,53; 8,1. Nach der Aufregung und Verwirrung in der Stadt, die von einer sensationslüsternen Menschenmenge und verräterischen Schriftgelehrten verursacht worden war, suchte Jesus die Ruhe der Olivengärten, wo er mit Gott allein sein konnte. Aber früh am Morgen kehrte er zum Tempel zurück; als sich dort dann wieder Menschen um ihn scharten, setzte er sich und lehrte sie. SGA 57.1

Doch bald wurde er unterbrochen: eine Gruppe von Pharisäern und Schriftgelehrten näherte sich ihm. Sie zerrten eine völlig verstörte Frau mit sich, die sie lautstark anklagten, das siebte Gebot verletzt zu haben. Sie stießen sie in die Nähe Jesu und sagten in heuchlerischer Ehrerbietung: “Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?” Johannes 8,4.5. SGA 57.2

Ihr vorgetäuschter Respekt sollte die eigentliche Absicht verschleiern, ihn so oder so in die Falle zu locken. Würde Jesus die Frau freisprechen, könnte man ihn der Verachtung des mosaischen Gesetzes beschuldigen. Würde er sie dagegen des Todes schuldig erklären, dann könnte man ihn bei den Römern verklagen, weil er sich eine Autorität anmaßte, die nur der Besatzungsmacht zustand. SGA 57.3

Jesus blickte auf die Menschengruppe, auf die zitternde Frau in ihrer Scham und in die harten Gesichter der “Ehrenmänner”, denen jegliches Mitleid fehlte. Diese peinliche Inszenierung erregte seinen Widerwillen. Ohne erkennen zu lassen, ob er die Frage überhaupt gehört hatte, bückte er sich, sah auf den Boden und fing an, in dessen Staub zu schreiben. SGA 57.4

Ungeduldig über sein scheinbares Zögern oder seine Gleichgültigkeit, rückten die Ankläger noch näher heran, um seine Aufmerksamkeit für ihren “Rechtsfall” zu erzwingen. Als sie aber genauer hinschauten, was Jesus da auf den Boden schrieb, wurden sie ganz still. Denn dort waren die geheimen Sünden ihres eigenen Lebens zu lesen. SGA 57.5

Jesus erhob sich, richtete seinen Blick auf die Ankläger und sagte: “Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.” Johannes 8,7. Dann bückte er sich erneut und schrieb weiter in den Staub. SGA 58.1

Somit hatte er das mosaische Gesetz nicht beiseite gesetzt und sich andererseits nicht die Autorität Roms angemaßt; dennoch waren die Angreifer geschlagen. Denn nun, nachdem ihre Masken vorgetäuschter Heiligkeit heruntergerissen waren, standen sie schuldbeladen und verurteilt in der Gegenwart göttlicher Reinheit. Vor Angst zitternd, daß die geheimen Sünden ihres Lebens einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden könnten, stahlen sie sich mit gesenkten Köpfen und niedergeschlagenen Augen davon und ließen ihr Opfer beim Heiland zurück, der Mitleid mit ihr hatte. SGA 58.2

Jesus stand nun wieder auf, sah die Frau an und fragte: “Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.” Johannes 8,10.11. SGA 58.3

Während des gesamten Geschehens hatte die Frau eingeschüchtert und voller Angst vor Jesus gestanden. Seine Worte “Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie” waren ihr wie das Todesurteil vorgekommen. Sie wagte nicht mehr, dem Heiland ins Gesicht zu blicken, sondern erwartete schweigend ihr Schicksal. Erstaunt sah sie dann aber, daß ihre Ankläger wortlos und verunsichert davongingen. Schließlich hörte sie von Jesus diese Worte der Hoffnung: “So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.” Ihr Herz wurde angerührt; sie warf sich Jesus zu Füßen, versicherte ihm unter Tränen ihre dankbare Liebe und bekannte dann bitter weinend ihre Sünden. SGA 58.4

Und das war der Anfang eines neuen Lebens für sie, eines anständigen Lebens in innerem Frieden, das nun Gott geweiht war. Mit der Aufrichtung dieser gefallenen Seele hat Jesus ein größeres Wunder getan als mit der Heilung schlimmster körperlicher Krankheiten — hatte er doch die Krankheit der Seele geheilt, die in den ewigen Tod führt. Diese bereuende Frau wurde eine seiner zuverlässigsten Nachfolgerinnen. Mit einer Liebe und Hingabe, die sich selbst aufopferte, bewies sie ihre Dankbarkeit für seine vergebende Gnade. Die Welt hatte für diese Sünderin nichts als Verachtung übrig, aber der sündlose Eine empfand Mitleid mit ihrer Schwachheit und streckte ihr seine helfende Hand entgegen. Die heuchlerischen Pharisäer hatten sich aufs Anprangern konzentriert, Jesus dagegen bat sie: “Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.” SGA 58.5

Jesus kennt die Lebensumstände eines jeden Menschen. Je größer die Schuld des Sünders ist, desto mehr braucht er den Heiland. Sein Herz voll göttlicher Liebe und Mitempfinden fühlt sich am meisten zu denen hingezogen, die am hoffnungslosesten in den Schlingen des Feindes gefangen sind. Hat er doch mit seinem eigenen Blut die Befreiung der ganzen Menschheit besiegelt. SGA 59.1

Jesus will die, die mit einem derart hohen Preis freigekauft worden sind, nicht zum Objekt der Versuchungen des Feindes werden lassen. Er will nicht, daß wir überwältigt werden und verlorengehen. Der die Löwen in der Grube bändigte und mit seinen getreuen Zeugen im Feuer umherging, ist ebenso bereit, für uns einzutreten, um jedes Übel in unserem Charakter zu besiegen. Er steht heute vor dem Gnadenthron und bringt vor Gott die Gebete derer dar, die ihn um Hilfe bitten. Er weist keinen zurück, der unter Tränen bereut; bereitwillig vergibt er allen, die ihn um Vergebung und Heilung bitten. Keinem hält er die begangenen Fehler vor; vielmehr lädt er jede zitternde Seele ein, wieder Mut zu fassen. Jeder, der es möchte, darf sich an Gottes Stärke wieder aufrichten und Frieden mit ihm machen — und Gott wird ebenfalls Frieden schließen. SGA 59.2

Die Seelen, die bei ihm Vergebung und Hilfe suchen, erhebt Jesus über die, die anklagen und streitsüchtig reden. Kein Mensch und kein gefallener Engel kann diese Seelen dann noch beschuldigen, denn Christus verbindet sie mit seiner eigenen göttlichmenschlichen Natur. Sie stehen neben dem Opferlamm in dem Licht, das vom Thron Gottes ausgeht. Das Blut Jesu Christi “macht uns rein von aller Sünde” 1.Johannes 1,7. “Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.” Römer 8,33.34. SGA 59.3