Auf den Spuren des großen Arztes

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“Der Raub soll dem Gewaltigen entrissen werden”

Jesus bewies, daß er über Wind und Wellen und auch über Menschen, die von Dämonen besessen waren, uneingeschränkte Gewalt hatte. Er, der den Sturm zum Schweigen und die aufgewühlte See zur Ruhe brachte, gab auch den Seelen Frieden, die völlig von Satan überwältigt waren. SGA 60.1

In der Synagoge von Kapernaum sprach Jesus gerade von seinem Auftrag, die Gefangenen der Sünde zu befreien. Da wurde er von einem Schrei des Schreckens unterbrochen. Ein Besessener lief aus der Menge heraus nach vorn und rief: “Was willst du von uns, Jesus von Nazareth? Du bist gekommen, uns zu vernichten. Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!” Markus 1,24. Jesus aber bedrohte den bösen Geist und sagte: “Verstumme und fahre aus von ihm! Und der böse Geist warf ihn mitten unter sie und fuhr von ihm aus und tat ihm keinen Schaden.” Lukas 4,35. SGA 60.2

Auch hier lag die Ursache für das Leiden dieses Mannes in seiner eigenen Lebensführung. Er war von den Vergnügungen der Sünde fasziniert gewesen und hatte deshalb aus seinem Leben einen einzigen großen Karneval gemacht: Unmäßigkeit und Leichtfertigkeit verzerrten die edlen Eigenschaften seines Wesens, und schließlich konnte Satan völlige Kontrolle über ihn gewinnen. Seine Reue kam zu spät. Als er soweit war, daß er Reichtum und Vergnügungen geopfert hätte, um seine verlorene menschliche Würde zurückzugewinnen, war er dem Griff des Bösen schon hilflos ausgeliefert. SGA 60.3

In der Gegenwart des Heilands wuchs nun in ihm der Wunsch nach Befreiung — aber der Dämon widersetzte sich zunächst noch der Macht Christi. Als der Mann versuchte, Jesus um Hilfe zu bitten, legte der böse Geist ihm seine Worte in den Mund, so daß er in großer Furcht die oben zitierten Worte schrie. Der Besessene begriff teilweise, daß er in der Gegenwart des Einen war, der ihn befreien konnte, aber als er versuchte, in die Reichweite dieser mächtigen Hand zu gelangen, hielt ihn der Wille eines anderen zurück, und die Worte eines anderen sprachen aus ihm. SGA 60.4

Der Kampf zwischen der Macht Satans und seiner eigenen Sehnsucht nach Befreiung war fürchterlich. Fast schien es, als ob der geplagte Mensch sein Leben verlieren würde in dem Kampf mit dem Feind, der der Ruin seiner menschlichen Würde gewesen war. Aber der Heiland sprach in der ihm eigenen Vollmacht und befreite den Gefangenen. Der eben noch Besessene stand nun in neugewonnener Freiheit und Selbstbeherrschung vor der verwunderten Menge. SGA 61.1

Voller Freude pries er Gott für seine Erlösung. Seine Augen, die eben noch im Irrsinn geflackert hatten, leuchteten nun in wiedererlangter Vernunft und waren voller Tränen der Dankbarkeit. Die Menge jedoch begriff vor Erstaunen erst einmal gar nichts. Als sie aber ihre Sprachlosigkeit überwunden hatten, riefen die Menschen einander zu: “Was ist das? Eine neue Lehre in Vollmacht! Er gebietet auch den unreinen Geistern, und sie gehorchen ihm!” Markus 1,27. SGA 61.2

Auch heute gibt es viele Menschen, die genauso unter der Gewalt übler Geister stehen wie damals der Besessene in Kapernaum. Alle, die willentlich Gottes Gebote übertreten, stellen sich damit unter die Herrschaft Satans. Viele lassen sich auf das Böse ein in der Vorstellung, nach Belieben wieder damit aufhören zu können; aber man wird immer weiter gelockt, bis man sich von einem Willen beherrscht sieht, der stärker als der eigene ist. Dessen geheimnisvoller Macht kann man nun nicht mehr entrinnen. Geheime Sünden, übermächtige üble Gewohnheiten können einen dann so gefangenhalten, wie es bei dem Besessenen in Kapernaum der Fall war. SGA 61.3

Und doch ist dieser Zustand nicht hoffnungslos. Gott wird nicht zum Herrn unserer Seele, wenn wir das nicht wollen, aber jeder hat die Freiheit zu wählen, welcher Macht er die Herrschaft über sich gewähren will. Und keiner ist so tief gesunken, keiner so verdorben, daß er von Christus nicht mehr befreit werden könnte. Der Besessene von Kapernaum konnte anstelle eines Gebets nur die Worte Satans aussprechen, doch die unausgesprochene Bitte des Herzens wurde erhört. Kein Schrei einer Seele in Not wird ungehört bleiben, auch wenn er sich nicht mehr in Worten ausdrücken kann. Alle, die ihr Leben der Macht Gottes unterstellen, werden nicht mehr der Macht Satans und auch nicht mehr der Schwachheit ihrer eigenen Natur überlassen. “Kann man auch einem Starken den Raub wegnehmen? Oder kann man einem Gewaltigen seine Gefangenen entreißen? So aber spricht der Herr: Nun sollen die Gefangenen dem Starken weggenommen werden, und der Raub soll dem Gewaltigen entrissen werden. Ich selbst will deinen Gegnern entgegentreten und deinen Söhnen helfen.” Jesaja 49,24.25. SGA 61.4

Wunderbar wird die Verwandlung sein, die mit jedem geschieht, der im Glauben dem Heiland die Tür seines Herzens öffnet. SGA 62.1