Auf den Spuren des großen Arztes

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“Willst du, daß ich dich gesund mache?”

“Es ist aber zu Jerusalem bei dem Schaftor ein Teich, der heißt auf hebräisch Bethesda und hat fünf Hallen, in welchen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Verdorrte, die warteten, wann sich das Wasser bewegte.” Johannes 5,2.3 (Luther 1912). SGA 53.2

Zu bestimmten Zeiten bewegte sich das Wasser dieses Teichs, und man glaubte, dies sei das Wirken einer übernatürlichen Macht; wer dann als erster in dieses Wasser käme, würde geheilt werden, welche Krankheit er auch immer habe. Hunderte von Leidenden kamen deshalb an diesen Ort; aber wenn sich dann das Wasser bewegte, waren es so viele, die zum Teich hasteten, daß sie über Männer, Frauen und Kinder trampelten, die schwächer waren als sie. Viele konnten einfach nicht nahe genug an den Teich herankommen; manche, die es doch geschafft hatten, starben an seinem Rand. Man hatte Hallen rings um den Platz erbaut, um die Kranken tagsüber vor der Sonnenhitze und nachts vor der Kälte zu schützen. Viele verbrachten die Nächte in diesen Hallen und krochen dann tagein, tagaus an den Rand des Teichs, in der vergeblichen Hoffnung auf Genesung. SGA 53.3

Jesus weilte gerade in Jerusalem, allein in Meditation und Gebet, und kam dabei zu dem Teich. Dort sah er nun die Kranken in ihrem elenden Zustand, wie sie auf das Ereignis warteten, das sie für ihre einzige Heilungschance hielten. Am liebsten hätte er all diese Kranken gesund gemacht. Aber — es war Sabbat. Viele waren auf dem Weg zum Tempel, um anzubeten, und Jesus wußte, daß eine solche Heilungstat am Ruhetag das Vorurteil der Juden sehr aufstacheln würde. Seine Zeit des öffentlichen Wirkens konnte dann jäh zu Ende gehen. SGA 54.1

Jedoch bemerkte der Heiland da einen Fall ganz besonderen Elends: einen Mann, der seit achtunddreißig Jahren hilflos krank war. Sein Leiden war zum größten Teil das Ergebnis seiner eignen üblen Lebensgewohnheiten und wurde deshalb als ein Gericht Gottes angesehen. Allein, von Freunden längst verlassen, in dem Glauben, er sei von Gottes Gnade ausgeschlossen, hatte der Kranke lange Jahre des Elends zugebracht. Als man wieder einmal eine Bewegung des Wassers erwartete, trugen ihn jene, die mit seiner Hilflosigkeit Mitleid hatten, in die Hallen rings um den Teich. Aber im entscheidenden Moment hatte er niemanden, der ihm in das Wasser geholfen hätte. Oft hatte er die Bewegung des Wassers vor Augen, konnte aber nie weiter kommen als nur bis zum Rand des Teichs. Andere, die stärker als er waren, stiegen vor ihm hinein. Der arme und hilflose Kranke konnte mit der selbstsüchtig drängelnden Menge nicht konkurrieren. Die erfolglosen Versuche, das eine Ziel zu erreichen, seine Angst und die dauernden Enttäuschungen zehrten schnell auch den Rest seiner Kraft auf. SGA 54.2

Da lag also der Kranke auf seiner Matte und hob immer wieder den Kopf, um zum Teich zu blicken, als sich ein freundliches, mitfühlendes Gesicht über ihn beugte. Überrascht vernahm er die Frage: “Willst du gesund werden?” Hoffnung keimte in seinem Herzen. Er spürte: Irgendwie wird mir jetzt geholfen. Aber schnell erlosch die aufkeimende Hoffnung wieder. Erinnerte er sich doch, wie oft er vergeblich versucht hatte, in den Teich zu kommen — und inzwischen bestand wenig Aussicht, bei der nächsten Bewegung des Wassers überhaupt noch am Leben zu sein. Traurig wandte er sich ab, wobei er sagte: “Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein.” SGA 54.3

Da spricht Jesus zu ihm: “Steh auf, nimm dein Bett und geh hin!” Johannes 5,6-8. Mit neuer Hoffnung schaut der Kranke nun auf Jesus. Der Ausdruck dieses Gesichts, der Ton dieser Stimme sind ohne Beispiel. Liebe und Macht scheinen von seiner bloßen Gegenwart auszuströmen: Der Glaube des Kranken richtet sich an Christi Worten wieder auf. Ohne weitere Fragen wächst in ihm der Wille, zu gehorchen — und weil er dies tut, folgt der Körper dem Willen nach. Jeden Nerv und jeden Muskel erfüllt neues Leben, kraftvolle Bewegung kehrt in die kranken Gliedmaßen zurück. Er springt auf, geht seinen Weg mit festem, leichtem Schritt, lobt dabei Gott und freut sich über seine wiedererhaltene Kraft. SGA 55.1

Jesus hatte dem Kranken nicht ausdrücklich göttliche Hilfe zugesichert. Der Mann hätte also sagen können: “Herr, wenn du mich gesund machen willst, dann will ich deinem Wort gehorchen.” Er hätte sich von skeptischen Gedanken lähmen lassen können — und damit seine einzige Heilungschance vertan. Aber nein! Er vertraute bedingungslos Jesu Wort, glaubte daran, daß er schon geheilt war, ohne das geringste Zögern strengte er sich an zu gehen, und Gott gab ihm die Kraft dazu. Er wollte gehen, also konnte er es auch; auf das Wort Christi hin handelte er prompt und wurde deshalb geheilt. SGA 55.2

Durch die Sünde sind wir von der lichten Gegenwart Gottes getrennt. Unsere Seele ist gelähmt. Aus uns selbst heraus sind wir ebensowenig imstande, ein heiliges Leben zu führen, wie der Kranke nicht fähig war zu gehen. Viele erkennen diese Ohnmacht; sie sehnen sich nach dem geisterfüllten Leben, das ihnen eine harmonische Verbindung mit Gott ermöglicht, und strengen sich eifrig an, ein solches Leben zu führen. Aber vergeblich! Voller Verzweiflung rufen sie dann aus: “Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von diesem todverfallenen Leibe?” Römer 7,24. Dabei brauchen sie in ihrer Verzweiflung nur aufzuschauen. Der Heiland beugt sich zu denen, die er mit seinem eigenen Blut erlöst hat, und fragt unaussprechlich einfühlsam und mitleidsvoll: “Willst du, daß ich dich gesund mache?” Er fordert dich auf, gesund und mit innerem Frieden aufzustehen. Warte also nicht darauf, daß du schon vorab fühlst, gesund gemacht zu sein — vertraue dem Wort des Heilands. Füge dich ganz unter seinen Willen, und indem du auf Jesu Wort hin handelst, bekommst du Kraft. SGA 55.3

Was auch immer die üble Gewohnheit sein mag, die üble Neigung, der du fortgesetzt nachgegeben hast, die deine Gedanken oder deinen Körper gefangen hält — Christus kann und will dich von ihr befreien. Er will deine Seele wieder lebendig machen, die “tot durch Übertretungen” ist. Epheser 2,1. Dieser Gefangenen, die durch Schwächen, Unglücksfälle und die Ketten der Sünde gebunden ist, will er die Freiheit wiedergeben. SGA 56.1

Die beständige Neigung zur Sünde hat deine Verbindung zu den Quellen des Lebens vergiftet; aber Christus sagt zu dir: “Ich will deine Sünden wegnehmen und dir dafür Frieden geben. Ich habe dich mit meinem eigenen Blut erkauft — du bist mein! Meine Gnade wird deine geschwächte Willenskraft stärken; deine ständig nötige Reue über die immer gleichen Fehler will ich dir ersparen.” Wenn Versuchungen Sturm gegen dich laufen, wenn Sorgen und Schwierigkeiten dich erdrücken wollen, wenn du, deprimiert und entmutigt, wieder einmal dabei bist, völlig verzweifelt aufzugeben — dann schau auf Jesus, und die Dunkelheit um dich herum wird vom hellen Glanz seiner Gegenwart vertrieben. Wenn Sünde in deiner Seele die Macht ergreifen will und dich das Gewissen plagt — dann schau auf den Heiland: Seine Gnade ist ausreichend, um die Sünde zu beherrschen. Wende dein dankbares Herz hin zu ihm. Finde Halt in der Hoffnung, die vor dir steht. Christus wartet ja nur darauf, dich in seine Familie aufzunehmen. Seine Stärke will deiner Schwäche zu Hilfe kommen, er möchte dich bei jedem Schritt führen. Leg deine Hand in die seine und laß dich von ihm führen. SGA 56.2

Glaube nie, daß Jesus weit weg sei — er ist dir immer nah. Seine liebevolle Gegenwart umgibt dich! Suche ihn als den einen, der innig wünscht, daß du ihn findest. Er will von dir nicht nur am Saum seines Gewandes berührt werden, sondern in beständiger Gemeinschaft mit dir leben. SGA 56.3