Auf den Spuren des großen Arztes

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Kapitel 5: Heilung für die Seele

Viele von denen, die Jesus um Hilfe baten, hatten ihre Erkrankung selbst verursacht — und doch weigerte er sich nicht, sie zu heilen. Wenn seine Kraft dann in diese Menschen strömte, wurden sie sich ihrer Sünden bewußt, und dann waren sie von ihrer geistlichen Krankheit ebenso geheilt wie von ihrer körperlichen. SGA 49.1

So erging es auch dem Gelähmten von Kapernaum. Wie der Aussätzige hatte er jede Hoffnung auf Gesundung verloren. Seine Krankheit war das Ergebnis eines Lebens voller Sünde, und seine Leiden wurden durch Gewissensbisse noch bitterer. Vergeblich hatte er sich an die Pharisäer und Ärzte um Hilfe gewandt. Sie erklärten ihn für unheilbar, prangerten ihn als Sünder an und verkündeten ihm, daß er unter dem Zorn Gottes sterben werde. SGA 49.2

Da war der Gelähmte in Verzweiflung versunken. Aber dann hörte er von Jesus. Andere — genauso sündig und hilflos wie er — waren geheilt worden. So wuchs auch bei ihm der Glaube, daß er geheilt werden konnte, wenn man ihn zum Heiland tragen würde. Seine Hoffnung schwand jedoch wieder, als er sich an die Ursache seiner Krankheit erinnerte — und doch konnte er die Möglichkeit der Heilung nicht mehr aus seinem Denken verdrängen. SGA 49.3

Seine größte Sehnsucht war die Befreiung von der Last der Sünde. Deshalb wollte er dringend Jesus treffen und von ihm die Zusicherung erhalten, daß ihm vergeben sei und er mit dem Himmel Frieden habe. Dann wollte er zufrieden sein, entweder zu leben oder zu sterben, ganz nach Gottes Willen. SGA 49.4

Es galt, keine Zeit zu verlieren. Sein verkümmerter Körper zeigte schon Vorboten des Todes. Eindringlich bat er seine Freunde, ihn auf dem Bett zu Jesus zu tragen, und gern taten sie das. Aber die Menschenmenge, die sich im Haus und vor dem Haus versammelt hatte, in dem der Heiland gerade lehrte, stand derart dicht beisammen, daß es für den Kranken und seine Freunde unmöglich war, auch nur so weit an ihn heran zu kommen, daß sie seine Stimme hörten. Jesus lehrte gerade im Haus des Petrus. Wie sie es gewohnt waren, saßen Jesu Jünger ganz nah bei ihm; außerdem “saßen auch Pharisäer und Schriftgelehrte da, die gekommen waren aus allen Orten in Galiläa und Judäa und aus Jerusalem”. Lukas 5,17. Einige davon waren als Spitzel gekommen, die unbedingt einen Anklagegrund gegen Jesus finden wollten. Dahinter drängte sich die kunterbunte Menge: die Eifrigen, die Ehrerbietigen, die Neugierigen und die Ungläubigen. Verschiedene Nationalitäten und alle Schichten der Gesellschaft waren vertreten. SGA 49.5

“Und die Kraft des Herrn war mit Jesus, daß er heilen konnte.” Lukas 5,17. Der göttliche Geist des Lebens schwebte über der Versammlung, aber die Pharisäer und Gelehrten merkten nichts von seiner Gegenwart. Sie meinten, daß es ihnen an nichts fehle; außerdem war die Heilung nicht für sie gedacht: “Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer ausgehen.” Lukas 1,53. SGA 50.1

Immer aufs neue versuchten die Träger des Gelähmten, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen — aber vergeblich. Der Kranke sah in unsäglichem seelischem Schmerz um sich: Sollte er jetzt die Hoffnung aufgeben, da doch die ersehnte Hilfe so nah war? Auf seinen Vorschlag hin trugen ihn die Freunde dann auf das Dach des Hauses, deckten es ab und ließen ihn direkt zu Jesu Füßen herab. SGA 50.2

Die Predigt wurde unterbrochen. Der Heiland blickte in das traurige Gesicht und sah die bittenden Augen auf sich gerichtet. Er wußte sehr wohl, was diese beladene Seele wollte — war er es doch, der das Gewissen des Kranken aufgerüttelt hatte, als er noch zu Hause war. Nachdem er seine Sünden bereute und an Jesu Macht glaubte, ihn gesund zu machen, hatte ihn die Gnade des Heilands gesegnet. Jesus hatte den ersten Glaubensschimmer zu der Überzeugung wachsen sehen, daß er die einzige Möglichkeit der Rettung für ihn, den Sünder, war. Mit jedem Versuch, in seine Nähe zu gelangen, wuchs diese Überzeugung. Es war Christus selbst, der den Leidtragenden zu sich gezogen hatte. Und jetzt sagte der Heiland — mit Worten, die in den Ohren des Kranken wie Musik klangen: “Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.” Matthäus 9,2. SGA 50.3

Da fällt die Last der Schuld wie ein Stein von der Seele des Kranken. Zweifel gibt es nun nicht mehr. Jesu Worte enthüllen seine Macht, tief ins Herz zu sehen. Wer kann nun noch seine Kraft zur Vergebung von Sünden leugnen? Hoffnung nimmt deshalb die Stelle der Verzweiflung ein und Freude die der Depression. Die körperlichen Schmerzen des Mannes sind verschwunden, sein ganzes Wesen ist verwandelt. Ohne noch eine weitere Bitte auszusprechen, liegt er in friedvoller Stille auf seinem Bett — zu glücklich, um zu reden. SGA 51.1

Mit atemloser Spannung beobachten viele jede Bewegung in diesem außergewöhnlichen Geschehen. Viele spüren: Christi Worte sind auch eine Einladung an mich! Sind sie nicht auch seelisch krank aufgrund von Sünden? Streben sie nicht auch danach, von dieser Last befreit zu werden? SGA 51.2

Die Pharisäer aber fürchteten um ihren Einfluß auf die Menge und sagten deshalb in ihrem Innersten: “Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?” Markus 2,7. Da schaute Jesus sie fest und durchdringend an — was sie kleinlaut zurückweichen ließ — und sagte: “Warum denkt ihr so Böses in euren Herzen? Was ist denn leichter, zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf und geh umher? Damit ihr aber wißt, daß der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden die Sünden zu vergeben — sprach er zu dem Gelähmten: Steh auf, hebe dein Bett auf und geh heim!” Matthäus 9,4-6. SGA 51.3

Und dann stellte sich der, der auf einer Trage zu Jesus gebracht worden war, mit der Gelenkigkeit und Agilität eines Jugendlichen auf seine eigenen Füße; darauf “nahm er sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, so daß sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: Wir haben so etwas noch nie gesehen”. Markus 2,12. SGA 51.4

Nichts geringeres als die Kraft des Schöpfers war notwendig, um diesen zerfallenden Körper zu heilen. Der, der einer aus Erde vom Acker geformten Menschengestalt Leben einhauchte, hatte auch dem todgeweihten Gichtbrüchigen wieder Leben eingeflößt. Und dieselbe Macht, die dem Körper wieder Leben verlieh, hatte auch das Herz erneuert. Er, der bei der Schöpfung “sprach, und es geschah”, der “gebot, und es stand da” (Psalm 33,9), hatte der Seele, die in Schuld und Sünden zugrunde gegangen war, wieder Leben zugesprochen. Die Heilung des Körpers war mithin ein äußerer Beweis der Macht, die das Herz erneuert hatte. Christus gebot dem Gelähmten, aufzustehen und zu gehen, “damit ihr wißt, daß der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden”. Markus 2,10. SGA 51.5

Der Gichtbrüchige fand in Jesus Heilung sowohl für die Seele als auch für den Körper. Aber er brauchte Gesundheit für seine Seele, bevor er die Gesundung des Körpers überhaupt wertschätzen konnte. Bevor die physische Krankheit heilbar war, mußte Christus erst der Seele helfen, mußte sie von Sünden befreien. — Diese Lehre sollten wir nicht übersehen. Heutzutage gibt es Tausende mit körperlichen Erkrankungen, die sich wie der Gelähmte nach der Botschaft “Deine Sünden sind dir vergeben” sehnen. Die Last der Sünde mit ihren ruhelosen und unbefriedigten Wünschen legt die Basis für ihre Krankheiten. Sie können keine Erleichterung finden, bis sie zu dem kommen, der die Seele heilt. Der Friede, den nur Jesus vermitteln kann, wird dann der Seele wieder Kraft und dem Körper wieder Gesundheit geben. SGA 52.1

Die Wirkung der Heilung des Gichtbrüchigen auf die versammelten Menschen war, als ob sich der Himmel geöffnet und die Herrlichkeiten einer besseren Welt enthüllt hätte. Als der Geheilte seinen Weg durch die Menge nahm, dabei Gott bei jedem Schritt Dank sagte und das Bett trug, als wäre es federleicht, wichen die Leute zurück, um ihm Platz zu machen; voller Ehrfurcht starrten sie ihn an und flüsterten einander zu: “Wir haben heute seltsame Dinge gesehen.” Lukas 5,26. SGA 52.2

Im Heim des ehemals Gelähmten brach großer Jubel aus, als er zu seiner Familie zurückkehrte und dabei das Bett, auf dem er kurze Zeit zuvor schweren Schrittes weggetragen worden war, nun selbst trug — und das mit Leichtigkeit. Sie umringten ihn mit Freudentränen in den Augen — sie wagten kaum, ihren Augen zu trauen. Mit wiederhergestellter körperlicher Kraft stand er vor ihnen. Jene Arme, die sie leblos-schlaff gesehen hatten, gehorchten nun seinem Willen. Die Haut, zuvor verkümmert und aschgrau, war jetzt wieder frisch und rosig. Sein Gang wirkte wieder fest und sicher. Sein Gesicht strahlte vor Freude und Hoffnung. Ein Ausdruck von Lauterkeit und Frieden trat an die Stelle der Anzeichen von Sünde und Leid. Freudiger Dank stieg aus diesem Heim zu Gott auf; Gott wurde durch seinen Sohn verherrlicht, der Hoffnungslosen wieder Hoffnung und Kraftlosen wieder Kraft gegeben hatte. Dieser Mann und seine Familie waren bereit, ihr Leben Jesus zu weihen. Da verdunkelte kein Zweifel ihren Glauben, kein Unglaube störte ihre Treue zu Ihm, der ihr düsteres Heim wieder erhellt hatte. SGA 52.3

“Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst, ... so daß du wieder jung wirst wie ein Adler. Der Herr schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden ... Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat ... Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten. Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, daß wir Staub sind.” Psalm 103,1-14. SGA 53.1