Christi Gleichnisse

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Auf das Steinige

“Das aber auf das Steinige gesät ist, das ist, wenn jemand das Wort höret, und dasselbige alsbald aufnimmt mit Freuden; aber er hat nicht Wurzel in ihm, sondern er ist wetterwendisch; wenn sich Trübsal und Verfolgung erhebt um des Worts willen, so ärgert er sich bald.” Matthäus 13,20.21. CGl 45.2

Der auf steinigen Boden gesäte Same findet nur wenig Erde. Die Pflanze schießt zwar schnell empor; aber die Wurzel kann nicht durch den Felsen dringen, um Nahrung zur Förderung ihres Wachstums zu finden, und sie kommt bald um. Viele, die bekennen Christen zu sein, sind nur Hörer, bei welchen der Same auf steiniges Erdreich gefallen ist. Dem unter der dünnen Erdschicht liegenden Felsen gleich liegt die Selbstsucht des natürlichen Herzens unter den guten Wünschen und Bestrebungen. Die Liebe zum eigenen Ich ist nicht besiegt. Sie haben das außerordentlich Sündhafte der Sünde nicht erkannt und das Herz ist unter dem Gefühl seiner Schuld nicht gedemütigt worden. Diese Klasse könnte überzeugt und auch bekehrt werden, aber ihre Religion ist zu oberflächlich. CGl 45.3

Die Menschen fallen nicht ab, weil sie das Wort zu schnell aufnehmen oder sich desselben zu sehr freuen. Matthäus stand sofort auf, als er den Ruf des Heilandes hörte, verließ alles und folgte ihm nach. Gott wünscht, daß wir das göttliche Wort aufnehmen sobald es zu unseren Herzen kommt, und es ist recht, daß wir es mit Freuden aufnehmen. Es wird “Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut” (Lukas 15,7), und es ist Freude in der Seele, die an Christum glaubt. Aber diejenigen, von denen im Gleichnis gesagt wird, daß sie das Wort alsbald aufnehmen, überschlagen die Kosten nicht; sie erwägen nicht, was das Wort Gottes von ihnen fordert; sie stellen es nicht allen ihren Lebensgewohnheiten gegenüber und unterwerfen sich nicht völlig der Oberherrschaft desselben. CGl 46.1

Die Wurzeln dringen tief ins Erdreich hinein und nähren, unseren Augen verborgen, das Leben der Pflanze. So verhält es sich auch mit dem Christen. Durch die durch den Glauben bewirkte unsichtbare Vereinigung der Seele mit Christo wird das geistige Leben genährt, aber die Hörer, bei denen der Same auf steinigen Boden gefallen ist, vertrauen auf sich selbst anstatt auf Christum. Sie stützen sich auf ihre guten Werke und guten Beweggründe und sind stark in ihrer eigenen Gerechtigkeit, aber nicht stark im Herrn und in der Macht seiner Stärke. Ein solcher “hat nicht Wurzel in ihm”, denn er ist nicht mit Christo verbunden. CGl 46.2

Die heiße Sommersonne, welche das kräftige Getreide stärkt und reift, vernichtet das, was keine tiefen Wurzeln hat. So ist es auch mit dem Menschen, der “nicht Wurzel in ihm” hat; “er ist wetterwendisch” und “wenn sich Trübsal und Verfolgung erhebt um des Worts Willen, so ärgert er sich bald.” Viele nehmen das Evangelium an, vielmehr um dadurch Leiden zu entgehen, als um dadurch von der Sünde erlöst zu werden: sie freuen sich eine Zeitlang, weil sie glauben, daß die Religion sie von Schwierigkeiten und Prüfungen befreien wird. Solange alles ohne weitere Störungen vorangeht, mag es scheinen, als ob sie wahre Christen seien, aber unter der feurigen Probe der Versuchung werden sie schwach; sie können um Christi willen keine Schmach tragen. Wenn das Wort Gottes ihnen eine von ihnen genährte Sünde zeigt, oder Selbstverleugnung oder Opfer fordert, so ärgern sie sich; es kostet zu viel Anstrengung, eine gründliche Änderung in ihrem Leben zu machen, und indem sie auf die gegenwärtigen Unbequemlichkeiten und Schwierigkeiten blicken, vergessen sie die ewigen Wirklichkeiten. Den Jüngern gleich, die Jesum verließen, sind auch sie bereit zu sagen: “Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören?” Johannes 6,60. CGl 46.3

Sehr viele geben vor, Gott zu dienen, ohne ihn durch persönliche Erfahrung kennengelernt zu haben. Ihr Wunsch, seinen Willen zu tun, gründet sich auf ihre eigenen Neigungen und nicht auf die vom Heiligen Geiste gewirkte tiefe Überzeugung; ihr Leben ist nicht im Einklang mit dem Gesetze Gottes; sie bekennen wohl Christum als ihren Heiland, aber sie glauben nicht, daß er ihnen Kraft gibt, ihre Sünden zu überwinden. Sie stehen in keinem persönlichen Verhältnis zu einem lebendigen Heiland, und ihre Charaktere offenbaren sowohl angeerbte, wie auch anerzogene Fehler. CGl 47.1

Die Kraft des Heiligen Geistes im allgemeinen anzuerkennen oder sein Wirken als Überführer der Sünde, durch welches er zur Buße leitet, anzunehmen, sind zwei grundverschiedene Dinge. Viele fühlen sich von Gott entfremdet; sie sind sich der Knechtschaft der Sünde und des eigenen Ichs bewußt; sie bestreben sich, umzukehren und anders zu leben, aber sie kreuzigen das eigene Ich nicht, geben sich nicht völlig in die Hände Christi und bitten nicht um göttliche Kraft, seinen Willen zu tun. Sie sind nicht willens, sich nach dem göttlichen Ebenbilde umbilden zu lassen. Im allgemeinen erkennen sie ihre Unvollkommenheiten an, aber sie lassen nicht ab von ihren besonderen Sünden. Mit jeder ungerechten Handlung gewinnt die alte sündige Natur an Stärke. CGl 47.2

Die einzige Hoffnung für diese Seelen ist, an sich selbst die Wahrheit der Worte zu erfahren, die Christus zu Nikodemus sprach: “Ihr müßt von neuem geboren werden.” “Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.” Johannes 3,7.3. CGl 47.3

Wahre Heiligung ist ungeteilte völlige Hingabe im Dienste Gottes und sie ist wiederum die Bedingung zu dem wahren christlichen Leben. Christus fordert eine rückhaltlose Hingabe, einen ungeteilten Dienst. Er fordert das Herz, den Verstand, die Seele, die Kraft. Das eigene Ich soll nicht gehegt und gepflegt werden. Wer sich selbst lebt, ist kein Christ. CGl 48.1

Die Liebe muß die Triebfeder aller Handlungen sein. Die Liebe ist die Grundlage der Regierung Gottes im Himmel und auf Erden und muß auch die Grundlage des christlichen Charakters sein. Dies allein kann den Christen standhaft machen und ihn bewahren; dies allein kann ihn befähigen, den Schwierigkeiten und den Versuchungen zu widerstehen. CGl 48.2

Liebe aber offenbart sich im Opfer. Der Erlösungsplan beruht auf einem Opfer — einem Opfer so groß, so tief und so hoch, daß es unermeßlich ist. Christus gab alles für uns dahin, und wer Christum annimmt, wird bereit sein, alles um des Erlösers willen aufzuopfern. Der Gedanke, ihn zu ehren und ihn zu verherrlichen, wird allen andern voranstehen. CGl 48.3

Wenn wir Jesum lieben, werden wir auch gern für ihn leben, gern ihm unsern Dank darbringen und gern für ihn arbeiten. Für ihn zu wirken wird uns leicht sein; uns wird darnach verlangen, um seinetwillen zu leiden, zu dulden und uns abzumühen. Wir werden mit ihm um das Seelenheil der Menschheit besorgt sein, werden dieselbe warme Liebe für Seelen haben, die er hatte. CGl 48.4

Dies ist die Religion Christi, alles, was daran zu kurz kommt, ist eine Täuschung. Nicht die Theorie der Wahrheit, auch nicht das Bekenntnis der Jüngerschaft wird irgend eine Seele retten. Wir gehören nicht zu Christo, wenn wir nicht völlig sein sind. Gerade durch die Halbherzigkeit im christlichen Leben werden die Menschen schwach in ihrem Vorhaben und veränderlich in ihren Wünschen. Das Bestreben, dem eigenen Ich und zugleich auch Christo zu dienen, macht den Menschen nur zu einem Hörer, der mit dem steinigen Boden verglichen und nicht fest stehen wird, wenn die Prüfung an ihn herantritt. CGl 48.5