Propheten und Könige

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Kapitel 59: “Das Haus Israel”

Durch die Verkündigung der Wahrheiten des ewigen Evangeliums “allen Nationen und Geschlechtern und Sprachen und Völkern” (Offenbarung 14,6) erfüllt Gottes Gemeinde auf Erden heute die alte Weissagung: “Es wird einst dazu kommen, daß ... Israel blühen und grünen wird, daß sie den Erdkreis mit Früchten erfüllen.” Jesaja 27,6. Die Nachfolger Jesu erobern im Zusammenwirken mit himmlischen Wesen rasch die vernachlässigten Plätze der Erde, und als Ergebnis ihrer Mühen reift eine reiche, kostbare Seelenernte heran. Heute wie nie zuvor bringt die Aussaat biblischer Wahrheit durch eine geweihte Gemeinde den Menschen die Segnungen, die vor Jahrhunderten in der Verheißung an Abraham und an das ganze Israel — an die Gemeinde Gottes aller Zeiten — angedeutet wurden: “Ich ... will dich segnen ..., und du sollst ein Segen sein.” 1.Mose 12,2. PK 496.1

Diese Segensverheißung hätte sich schon in großem Ausmaß während der Jahrhunderte erfüllen sollen, die auf die Rückkehr der Israeliten aus den Ländern ihrer Gefangenschaft folgten. Gott beabsichtigte, die ganze Erde auf die erste Ankunft Christi vorzubereiten, genauso wie heute der Weg für sein zweites Kommen geebnet wird. Am Ende der demütigenden Jahre der Verbannung gab Gott seinem Volk Israel durch Sacharja die freundliche Zusicherung: “Ich kehre wieder auf den Zion zurück und will zu Jerusalem wohnen, daß Jerusalem eine Stadt der Treue heißen soll und der Berg des Herrn Zebaoth ein heiliger Berg.” Und über sein Volk sagte er: “Siehe ..., ich will ihr Gott sein in Treue und Gerechtigkeit.” Sacharja 8,3.7.8. PK 496.2

Die Erfüllung dieser Verheißungen hing vom Gehorsam ab. Die Sünden, die die Israeliten vor der Gefangenschaft gekennzeichnet hatten, sollten sich nicht wiederholen. “Richtet recht”, mahnte der Herr jene, die am Wiederaufbau beteiligt waren, “und ein jeder erweise seinem Bruder Güte und Barmherzigkeit, und tut nicht Unrecht den Witwen, Waisen, Fremdlingen und Armen, und denke keiner gegen seinen Bruder etwas Arges in seinem Herzen!” Sacharja 7,9.10. “Rede einer mit dem andern Wahrheit und richtet recht, schafft Frieden in euren Toren.” Sacharja 8,16. PK 496.3

Reicher zeitlicher und geistlicher Lohn war denen versprochen, die diese Grundsätze der Gerechtigkeit in die Tat umsetzten. “Sie sollen in Frieden säen”, verkündete der Herr. “Der Weinstock soll seine Frucht geben und das Land sein Gewächs, und der Himmel soll seinen Tau geben. Und ich will denen, die übriggeblieben sind von diesem Volk, das alles zum Besitz geben. Und es soll geschehen: Wie ihr vom Hause Juda und vom Hause Israel ein Fluch gewesen seid unter den Heiden, so will ich euch erlösen, daß ihr ein Segen sein sollt. Fürchtet euch nur nicht.” Sacharja 8,12.13. PK 497.1

Durch die babylonische Gefangenschaft wurden die Israeliten nachhaltig vom Götzenbilderkult geheilt. Nach ihrer Rückkehr widmeten sie der religiösen Unterweisung viel Aufmerksamkeit, ebenso dem Studium dessen, was im Buch des Gesetzes und in den Propheten über die Verehrung des wahren Gottes niedergelegt war. Die Wiederherstellung des Tempels ermöglichte ihnen, die gottesdienstlichen Riten des Heiligtums voll auszuüben. Unter der Führung Serubabels, Esras und Nehemias verpflichteten sie sich wiederholt, alle Gebote und Verordnungen des Herrn zu halten. Die nun folgenden Zeiten des Wohlstandes zeigten deutlich Gottes Bereitschaft, sie anzunehmen und ihnen zu vergeben. Dennoch wandten sie sich immer wieder in verhängnisvoller Kurzsichtigkeit von ihrem herrlichen Ziel ab und nahmen selbstsüchtig für sich allein in Anspruch, was ungezählten Menschen Heilung und geistliches Leben gebracht hätte. PK 497.2

Dieses Nichterfüllen der göttlichen Absicht trat in Maleachis Zeit ganz offen zutage. Streng ging der Bote des Herrn gegen die Sünden vor, die Israel des zeitlichen Wohlstandes und der geistlichen Kraft beraubten. In seinem Tadel gegen die Übertreter schonte der Prophet weder Priester noch Volk. “Die Last, die der Herr ankündigt für Israel durch Maleachi”, bestand darin, daß die Lehren der Vergangenheit nicht vergessen und der vom Herrn mit dem Hause Israel geschlossene Bund treulich eingehalten werden sollte. Nur durch tiefempfundene Reue konnte der Segen Gottes verwirklicht werden. “So bittet doch Gott und seht, ob er uns gnädig sei” (Maleachi 1,1.9), mahnte der Prophet. PK 497.3

Der ewige Plan zur Erlösung der Menschheit sollte jedoch nicht durch irgendein zeitweiliges Versagen Israels vereitelt werden. Diejenigen, die der Prophet ansprach, beachteten die Botschaft vielleicht nicht; dennoch sollten die Absichten des Herrn stetig ihrer vollen Erfüllung entgegengehen. “Denn vom Anfang der Sonne bis zum Niedergang ist mein Name herrlich unter den Heiden”, verkündete der Herr durch seinen Boten, “und an allen Orten wird meinem Namen geopfert und ein reines Opfer dargebracht; denn mein Name ist herrlich unter den Heiden.” Maleachi 1,11. PK 498.1

Der Herr erbot sich jetzt, den Bund des Lebens und Friedens, den er mit den Söhnen Levis eingegangen war und der bei seiner Einhaltung unermeßlichen Segen gespendet hätte, mit denen zu erneuern, die einmal geistliche Führer gewesen, aber durch Gesetzesübertretungen vor dem ganzen Volk “verächtlich und unwert gemacht” (Maleachi 2,5.9) worden waren. PK 498.2

Feierlich wurden Übeltäter vor dem kommenden Gerichtstag und vor der Absicht des Herrn, sie alle schnell zu verderben, gewarnt. Doch keiner wurde ohne Hoffnung gelassen. Maleachis Gerichtsweissagungen waren von Einladungen an die Unbußfertigen begleitet, Frieden mit Gott zu machen. “So bekehrt euch nun zu mir”, forderte der Herr sie auf, “so will ich mich auch zu euch kehren.” Maleachi 3,7b. PK 498.3

Eigentlich müßte jedes Herz auf eine solche Einladung antworten. Der Gott des Himmels bittet seine irrenden Kinder inständig, zu ihm zurückzukehren und wieder mit ihm zusammenzuwirken, um sein Werk auf Erden voranzutreiben. Der Herr streckt seine Hand aus, um die Hand der Kinder Israel zu erfassen, sie auf den schmalen Pfad der Selbstverleugnung und Selbstaufopferung zu bringen und sie als Söhne Gottes am Erbe teilhaben zu lassen. Werden sie sich dazu bewegen lassen? Werden sie ihre einzige Hoffnung erkennen? PK 498.4

Wie traurig ist es, daß die Israeliten in den Tagen Maleachis zögerten, ihre stolzen Herzen in bereitwilligem, liebendem Gehorsam und zu herzlicher Mitarbeit zu übergeben! Aus ihrer Antwort spricht Selbstrechtfertigung: “Worin sollen wir uns bekehren?” Maleachi 3,7c. PK 498.5

Der Herr offenbart seinem Volk eine ganz besondere Sünde: “Soll ein Mensch Gott berauben, wie ihr mich beraubet?” fragt er. Noch nicht ihrer Sünde überführt, erkundigen sich die Ungehorsamen: “Wessen haben wir dich beraubt?” Maleachi 3,8 (Schlachter). PK 498.6

Wirklich eindeutig lautet die Antwort des Herrn: “Mit dem Zehnten und der Opfergabe! Darum seid ihr auch verflucht; denn ihr betrügt mich allesamt. Bringt aber die Zehnten in voller Höhe in mein Vorratshaus, auf daß in meinem Hause Speise sei, und prüft mich hiermit, spricht der Herr Zebaoth, ob ich euch dann nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle. Und ich will um euretwillen den ‘Fresser’ bedrohen, daß er euch die Frucht auf dem Acker nicht verderben soll und der Weinstock auf dem Felde euch nicht unfruchtbar sei, spricht der Herr Zebaoth. Dann werden euch alle Heiden glücklich preisen, denn ihr sollt ein herrliches Land sein, spricht der Herr Zebaoth.” Maleachi 3,8-12. PK 499.1

Gott segnet das Werk der Menschen, damit sie ihm seinen Teil zurückgeben können. Er schenkt ihnen Sonnenschein und Regen, er läßt die Pflanzen gedeihen, er verleiht Gesundheit und die Fähigkeit, ein Vermögen zu erwerben. Alle Segnungen kommen aus seiner gütigen Hand, und er wünscht, daß Männer und Frauen ihre Dankbarkeit dadurch bekunden, daß sie ihm einen Teil als Zehnten und Gaben — als Dankopfer, freiwillige Gaben und Sündopfer — zurückerstatten. Ihre Mittel sollen sie seinem Dienste weihen, so daß sein Weinberg nicht eine unfruchtbare Stätte bleibt. Sie sollen ferner überlegen, was der Herr an ihrer Stelle täte, und alle schwierigen Angelegenheiten ihm im Gebet vorlegen. Für den Aufbau seines Werkes in allen Teilen der Welt sollen sie selbstlose Anteilnahme zeigen. PK 499.2

Durch Botschaften, wie sie Maleachi, der letzte alttestamentliche Prophet, ausrichtete, und auch durch den Druck heidnischer Feinde lernten die Israeliten schließlich, daß wahres Gedeihen vom Gehorsam gegen Gottes Gesetz abhängt. Bei vielen Juden entsprang der Gehorsam jedoch nicht dem Glauben und nicht der Liebe, sondern selbstsüchtigen Beweggründen. Man leistete einen äußerlichen Dienst ab, um dadurch zu nationaler Größe zu gelangen. Das auserwählte Volk wurde nicht zum Licht der Welt, es schloß sich vielmehr von ihr ab, um sich so gegen die Verführung zum Götzendienst abzuschirmen. Die Beschränkungen, die Gott erlassen hatte, um Mischehen zwischen seinem Volk und den Heiden zu verhindern und um Israel von der Teilnahme an den abgöttischen Bräuchen der umliegenden Nationen fernzuhalten, wurden so verfälscht, daß sie eine Trennwand zwischen den Israeliten und allen anderen Völkern aufrichteten. Auf diese Weise schlossen sie andere gerade von jenen Segnungen aus, die Israel im Auftrag Gottes der Welt vermitteln sollte. PK 499.3

Gleichzeitig lösten sich die Juden durch ihre Sünden von Gott. Sie vermochten nicht die tiefe Bedeutung der Sinnbilder ihres Gottesdienstes zu erkennen. Aus lauter Selbstgerechtigkeit vertrauten sie ihren eigenen Werken, ihren Opfern und Riten, statt sich auf die Verdienste dessen zu verlassen, auf den alle diese Dinge hindeuteten. So trachteten sie, “ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten” (Römer 10,3), und stützten sich auf einen selbstgenügsamen Glauben, der sich in Äußerlichkeiten erschöpfte. Da es ihnen an Geist und Gnade Gottes fehlte, versuchten sie den Mangel durch strenge Beobachtung religiöser Zeremonien und Bräuche zu ersetzen. Unzufrieden mit den Ordnungen, die Gott selbst festgelegt hatte, häuften sie zahllose selbstersonnene Forderungen auf seine Gebote. Je größer ihr Abstand von Gott war, desto strenger waren sie in der Einhaltung dieser Formen. PK 500.1

Durch all diese kleinlichen und drückenden Forderungen war es für das Volk praktisch unmöglich, das Gesetz zu halten. Die in den Zehn Geboten dargelegten erhabenen Grundsätze der Gerechtigkeit und die herrlichen Wahrheiten, wie sie der symbolhafte Dienst vorschattete, waren gleichermaßen verdunkelt und unter einer Masse menschlicher Überlieferungen und Verordnungen begraben. Wer sich wirklich danach sehnte, Gott zu dienen und das ganze Gesetz so zu befolgen, wie es von den Priestern und Oberen eingeschärft wurde, stöhnte unter einer schweren Last. PK 500.2

Während das Volk Israel das Kommen des Messias ersehnte, war es in seinem Denken und in seinem Leben doch so weit von Gott getrennt, daß es sich keine wahre Vorstellung vom Wesen und der Sendung des verheißenen Erlösers machen konnte. Statt sich Erlösung von Sünde sowie den Glanz und Frieden der Heiligkeit zu wünschen, warteten seine Sinne auf die Befreiung von den Feinden seines Staates und auf die Wiederherstellung der irdischen Macht. Es hoffte, daß der Messias als Eroberer kommen, jedes Joch zerbrechen und Israels Herrschaft über alle Nationen erhöhen werde. So gründlich war es Satan gelungen, die Herzen des Volkes darauf vorzubereiten, den Heiland zu verwerfen, wenn er erscheinen würde. Ihr eigener innerer Stolz und ihre falschen Vorstellungen von seinem Wesen und Auftrag würden sie daran hindern, die Beweise seiner Messianität ehrlich zu prüfen. PK 500.3

Länger als tausend Jahre hatten die Juden das Kommen des verheißenen Erlösers erwartet. Ihre kühnsten Hoffnungen hatten sich auf dieses Ereignis gegründet. Tausend Jahre lang war sein Name in Liedern und Weissagungen, in Tempelriten und Familiengebeten eingeschlossen gewesen. Doch als er kam, erkannten sie ihn nicht als den Messias, auf den sie so lange gewartet hatten. “Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.” Johannes 1,11. Für ihre weltliebenden Herzen war der vom Himmel Geliebte “wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich”. In ihren Augen hatte er “keine Gestalt und Hoheit”. Sie nahmen an ihm keine Schönheit wahr, daß er ihnen erwünscht gewesen wäre. Jesaja 53,2. PK 501.1

Das ganze Leben Jesu von Nazareth unter den Juden war ein Vorwurf gegen ihre Selbstsucht. Sie zeigte sich darin, daß sie nicht bereit waren, die berechtigten Ansprüche des Eigentümers des Weinberges anzuerkennen, in den sie als Weingärtner gesetzt worden waren. Sie haßten seine vorbildliche Wahrhaftigkeit und Frömmigkeit, und als die letzte Prüfung kam, die Gehorsam und ewiges Leben oder Ungehorsam und ewigen Tod bedeutete, verwarfen sie den Heiligen in Israel und wurden verantwortlich für seine Kreuzigung auf Golgatha. PK 501.2

In dem Gleichnis vom Weinberg lenkte Christus gegen Ende seines irdischen Dienstes die Aufmerksamkeit der jüdischen Lehrer auf die reichen Segnungen, die Israel verliehen worden waren. Aus diesen erklärte er Gottes Anspruch auf ihren Gehorsam. Klar erläuterte er ihnen die Herrlichkeit des göttlichen Planes, den sie durch Gehorsam hätten erfüllen können. Den Schleier vor der Zukunft wegziehend, zeigte er, wie das ganze Volk den Segen Gottes verwirkte und Verderben über sich brachte, weil es versäumte, seine Absicht zu verwirklichen. “Es war ein Hausvater”, sagte Christus, “der pflanzte einen Weinberg und führte einen Zaun darum und grub eine Kelter darin und baute einen Turm und gab ihn an Weingärtner in Pacht und zog außer Landes.” Matthäus 21,33. PK 501.3

So spielte der Heiland auf “des Herrn Zebaoth Weinberg” an, den der Prophet Jesaja Jahrhunderte zuvor als das “Haus Israel” (Jesaja 5,7) bezeichnet hatte. Christus fuhr fort: “Da nun herbeikam die Zeit der Früchte, sandte er seine Knechte zu den Weingärtnern, daß sie seine Früchte empfingen. Da nahmen die Weingärtner seine Knechte; einen schlugen sie, den andern töteten sie, den dritten steinigten sie. Abermals sandte er andere Knechte, mehr als das erste Mal; und sie taten ihnen gleich also. Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen und sprach: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen. Da aber die Weingärtner den Sohn sahen, sprachen sie untereinander: Das ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten und sein Erbgut an uns bringen! Und sie nahmen ihn und stießen ihn zum Weinberge hinaus und töteten ihn.” PK 501.4

Als Christus den Priestern den Höhepunkt ihrer Bosheit geschildert hatte, fragte er sie: “Wenn nun der Herr des Weinberges kommen wird, was wird er diesen Weingärtnern tun?” Die Priester hatten die Schilderung mit großem Interesse verfolgt. Ohne über den Zusammenhang zwischen dem Inhalt des Gesagten und sich selbst nachzudenken, antworteten sie übereinstimmend mit dem Volk: “Er wird die Bösewichte übel umbringen und seinen Weinberg an andere Weingärtner vergeben, die ihm die Früchte zu rechter Zeit geben.” Matthäus 21,34-41. PK 502.1

Unbewußt hatten sie ihr eigenes Urteil gesprochen. Jesus sah sie an, und unter seinem forschenden Blick erkannten sie, daß er die Geheimnisse ihrer Herzen las. Mit unverkennbarer Macht leuchtete seine Göttlichkeit vor ihnen auf. Sie erkannten sich in den Weingärtnern selbst wieder und riefen unwillkürlich: Das verhüte Gott! PK 502.2

Feierlich und schmerzlich fragte Christus: “Habt ihr nie gelesen in der Schrift: ‘Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Von dem Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsren Augen’ ? Darum sage ich euch: Das Reich Gottes wird von euch genommen und einem Volke gegeben werden, das seine Früchte bringt. Und wer auf diesen Stein fällt, der wird zerschellen; auf wen aber er fällt, den wird er zermalmen.” Matthäus 21,42-44. PK 502.3

Christus hätte den Untergang der jüdischen Nation abgewendet, wenn das Volk ihn angenommen hätte. Doch Neid und Eifersucht machten die Juden hart und unzugänglich. Sie beschlossen, Jesus von Nazareth nicht als den Messias anzunehmen. Sie verwarfen das Licht der Welt, und hinfort war ihr Leben von mitternächtlicher Finsternis umhüllt. Über die jüdische Nation kam das vorausgesagte böse Geschick. Ihre eigenen hitzigen, ungezügelten Leidenschaften bewirkten den Untergang. In blinder Wut brachten sie einander um. Ihr rebellischer, eigensinniger Stolz ließ den Zorn ihrer römischen Eroberer über sie kommen. Jerusalem wurde zerstört, der Tempel in Trümmer gelegt und sein Standort wie ein Acker umgepflügt. Die Kinder Juda gingen durch die schrecklichsten Todesarten zugrunde. Millionen wurden verkauft und mußten als Sklaven in heidnischen Ländern dienen. PK 502.4

Was Gott durch Israel, das auserwählte Volk, für die Welt hatte tun wollen, wird er schließlich heute durch seine Gemeinde auf Erden vollbringen. Er hat “seinen Weinberg an andere Weingärtner vergeben”, nämlich an sein bundestreues Volk, das ihm gewissenhaft “die Früchte zu rechter Zeit” abliefert. Noch nie hat es dem Herrn auf dieser Erde an wahren Vertretern gefehlt, die seine Belange zu den ihren machten. Diese Zeugen für Gott zählen zum geistlichen Israel. An ihnen werden alle Bundesverheißungen erfüllt, die der Herr seinem alten Volk gab. PK 503.1

Heute hat die Gemeinde Gottes die Freiheit, den göttlichen Plan zur Erlösung eines verlorenen Geschlechts bis zur Vollendung durchzuführen. Viele Jahrhunderte lang litt Gottes Volk unter einer Einschränkung seiner Freiheiten. Die Predigt des Evangeliums in seiner Reinheit wurde unterbunden, und man auferlegte denen, die es wagten, gegen menschliche Anordnungen zu handeln, die härtesten Strafen. Infolgedessen war der geistliche Weinberg des Herrn fast völlig verödet. Das Volk wurde des Lichtes aus dem Worte Gottes beraubt. Das Dunkel des Irrtums und des Aberglaubens drohte die Erkenntnis der wahren Religion auszulöschen. Gottes Gemeinde auf Erden weilte während dieser langen Periode nie nachlassender Verfolgung ebenso wirklich in Gefangenschaft, wie die Kinder Israel während der Verbannungszeit in Babylon gefangengehalten wurden. PK 503.2

Doch, Gott sei es gedankt, seine Gemeinde lebt nicht mehr in der Sklaverei. Das geistliche Israel hat die Vorrechte wiedererhalten, die dem Volk Gottes zur Zeit seiner Befreiung aus Babylon gewährt wurden. In allen Teilen der Welt nehmen Männer und Frauen die vom Himmel gesandte Botschaft an, von der der Seher Johannes weissagte, daß sie vor dem zweiten Kommen Christi verkündigt werden sollte: “Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre; denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen!” Offenbarung 14,7. PK 503.3

Die Heerscharen des Bösen haben nicht länger die Macht, die Gemeinde gefangenzuhalten, denn: “Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon, die große Stadt; denn sie hat mit dem Zorneswein ihrer Unzucht getränkt alle Völker.” Offenbarung 14,8. Und an das geistliche Israel ergeht die Botschaft: “Gehet aus von ihr, mein Volk, daß ihr nicht teilhaftig werdet ihrer Sünden, auf daß ihr nicht empfanget etwas von ihren Plagen!” Offenbarung 18,4. Wie die verbannten Gefangenen die Botschaft “Fliehet aus Babel” (Jeremia 51,6) beachteten und wieder in das Land der Verheißung zurückgebracht wurden, so merken auch die Gottesfürchtigen unserer Tage auf den Ruf, das geistliche Babylon zu verlassen. Bald sollen sie als Siegesbeute der göttlichen Gnade auf der neu geschaffenen Erde, im himmlischen Kanaan sein. PK 504.1

In Maleachis Tagen wurde auf die spöttische Frage der Unbußfertigen: “Wo ist der Gott, der da straft?” (Maleachi 2,17) mit allem Ernst geantwortet: “‘Bald wird kommen zu seinem Tempel der Herr ... und der Engel des Bundes ... siehe, er kommt!’ ... Wer wird aber den Tag seines Kommens ertragen können, und wer wird bestehen, wenn er erscheint? Denn er ist wie das Feuer eines Schmelzers und wie die Lauge der Wäscher. Er wird sitzen und schmelzen und das Silber reinigen, er wird die Söhne Levi reinigen und läutern wie Gold und Silber. Dann werden sie dem Herrn Opfer bringen in Gerechtigkeit, und es wird dem Herrn wohlgefallen das Opfer Judas und Jerusalems wie vormals und vor langen Jahren.” Maleachi 3,1-4. PK 504.2

Gerade als der verheißene Messias erscheinen sollte, lautete die Botschaft des Vorläufers Christi: “Tut Buße”, ihr Zöllner und Sünder! “Tut Buße”, ihr Pharisäer und Sadduzäer! “Denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!” Matthäus 3,2. PK 504.3

Heute lenken von Gott berufene Boten im Geist und in der Kraft des Elias und des Johannes des Täufers die Aufmerksamkeit einer gerichtsreifen Welt auf die ernsten Ereignisse, die im Zusammenhang mit dem Abschluß der Gnadenzeit und dem Erscheinen Jesu Christi als König der Könige und als Herr aller Herren bald stattfinden sollen. Bald wird jeder Mensch für die Taten, die er zu Lebzeiten getan hat, gerichtet werden. Die Stunde des göttlichen Gerichts ist gekommen, und auf den Gliedern der Gemeinde Christi auf Erden ruht die feierliche Verpflichtung, jene zu warnen, die gleichsam unmittelbar am Rande des ewigen Verderbens stehen. Jedem Menschen in der weiten Welt, der achtzugeben gewillt ist, müssen die Grundsätze erklärt werden, die in dem jetzt geführten großen Kampf auf dem Spiel stehen — Grundsätze, von denen das Schicksal der ganzen Menschheit abhängt. PK 504.4

In diesen letzten Stunden der Bewährung für die Menschenkinder, in denen das Geschick jeder Seele bald für immer entschieden werden soll, erwartet der Herr des Himmels und der Erde, daß seine Gemeinde sich mehr als je zuvor zum Handeln aufrafft. Diejenigen, die durch die Erkenntnis kostbarer Wahrheit in Christus frei gemacht worden sind, betrachtet der Herr Jesus als seine Auserwählten. Sie stehen in seiner Gunst höher als alle anderen Menschen auf dem Erdenrund, und er rechnet damit, daß sie das Lob dessen verkündigen, der sie “berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht”. 1.Petrus 2,9. Die so reichlich verliehenen Segnungen sollen andern mitgeteilt werden. Die gute Nachricht von der Erlösung soll zu “allen Nationen und Geschlechtern und Sprachen und Völkern” gehen. Offenbarung 14,6. PK 505.1

In den Visionen der Propheten vor alters wurde gezeigt, daß der Herr der Herrlichkeit seiner Gemeinde in den Tagen der Finsternis und des Unglaubens, die seinem zweiten Kommen vorausgehen werden, besonderes Licht schenken werde. Als die “Sonne der Gerechtigkeit” werde er über seiner Gemeinde “aufgehen” mit “Heil unter ihren Flügeln”. Maleachi 3,20. Genauso werde von jedem echten Jünger Jesu ein lebenspendender, ermutigender, hilfreicher und wahrhaft heilender Einfluß ausgehen. PK 505.2

Im dunkelsten Abschnitt der Geschichte dieser Erde wird Christus wiederkommen. Die Tage Noahs und Lots sind ein Vorbild des Zustandes der Welt unmittelbar vor der Ankunft des Menschensohnes. Die Heilige Schrift weist auf diese Zeit hin und erklärt, daß Satan mit “allerlei lügenhaften Kräften ... und mit allerlei Verführung zur Ungerechtigkeit” (2.Thessalonicher 3,9.10) wirken werde. Sein Treiben offenbart sich deutlich durch die sich schnell ausbreitende Finsternis, durch die zahlreichen Irrtümer, Irrlehren und Täuschungen dieser letzten Tage. Satan hält nicht nur die Welt gefangen, sondern sein Betrug durchdringt auch die bekenntlichen Kirchen unseres Herrn Jesus Christus. Der große Abfall wird sich zu einer mitternächtlichen Finsternis entwickeln. Für Gottes Volk wird es eine Nacht der Prüfung, der Tränen und der Verfolgung um der Wahrheit willen sein. Aber aus dieser Nacht der Finsternis wird Gottes Licht erstrahlen. PK 505.3

Er läßt “das Licht aus der Finsternis hervorleuchten”. 2.Korinther 4,6. Als die Erde “wüst und leer” und es “finster auf der Tiefe” war, schwebte “der Geist Gottes ... auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.” 1.Mose 1,2.3. So ergeht auch in der Nacht geistlicher Dunkelheit Gottes Ruf: “Es werde Licht!” Sein Volk fordert er auf: “Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir!” Jesaja 60,1. PK 506.1

In der Heiligen Schrift heißt es: “Siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.” Jesaja 60,2. Christus, die strahlende Herrlichkeit Gottes, kam in die Welt als ihr Licht. Er kam, um den Menschen Gott darzustellen, und von ihm steht geschrieben, daß er gesalbt wurde “mit heiligem Geist und Kraft; der ist umhergezogen und hat wohlgetan”. Apostelgeschichte 10,38. In der Synagoge zu Nazareth sagte Jesus: “Der Geist des Herrn ist bei mir, darum weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und den Blinden, daß sie sehend werden, und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.” Lukas 4,18.19. Mit diesem Werk hat er auch seine Jünger beauftragt. “Ihr seid das Licht der Welt”, sagte er. “So soll euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.” Matthäus 5,14.16. PK 506.2

Genau dieses Werk beschreibt der Prophet Jesaja mit den Worten: “Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.” Jesaja 58,7.8. PK 506.3

So soll die Gemeinde die Herrlichkeit Gottes dadurch in die Nacht geistlicher Finsternis erstrahlen lassen, daß sie die Niedergebeugten aufrichtet und die Trauernden tröstet. PK 506.4

Überall um uns her sind die Klagen einer leidenden Welt zu hören. Allenthalben gibt es Notleidende und Unglückliche. An uns liegt es, die Not und das Elend erleichtern und lindern zu helfen. Die Bedürfnisse der Seele kann nur die Liebe Christi stillen. Wenn Christus in uns wohnt, wird göttliches Mitgefühl unsere Herzen erfüllen. Die verschlossenen Quellen aufrichtiger, christusähnlicher Liebe werden wieder fließen. PK 506.5

Viele haben die Hoffnung verloren. Bringt ihnen den Sonnenschein zurück! Viele sind mutlos geworden. Richtet Worte der Ermunterung an sie und betet für sie! Andere brauchen das Brot des Lebens. Lest ihnen aus dem Worte Gottes vor! Manche drückt ein seelisches Leiden nieder, das keine irdische Salbe mildern und kein Arzt heilen kann. Betet für diese Menschen! Bringt sie zu Jesus! Sagt ihnen, daß es in Gilead eine Salbe und einen Arzt gibt. Vgl. Jeremia 8,22. PK 507.1

Das Licht ist eine weltumfassende Gnade, deren Schätze sich auf eine undankbare, unheilige, verderbte Welt ergießen. So verhält es sich auch mit dem Licht der “Sonne der Gerechtigkeit”. Maleachi 3,20. Die ganze Erde, jetzt noch in das Dunkel der Sünde, des Leides und der Schmerzen gehüllt, soll von der Erkenntnis der Liebe Gottes erleuchtet werden. Keine religiöse Gruppe, kein Stand und keine Klasse von Menschen soll von dem Licht, das vom Thron des Himmels erstrahlt, ausgeschlossen sein. PK 507.2

Die Botschaft der Hoffnung und Gnade soll bis an die Enden der Erde getragen werden. Wer immer die Hand ausstrecken, Gottes Kraft für sich in Anspruch nehmen und mit ihm Frieden machen will, wird Frieden finden. Nicht länger sollen die Heiden in mitternächtliche Finsternis gehüllt sein. Die Dunkelheit soll den hellen Strahlen der “Sonne der Gerechtigkeit” weichen. PK 507.3

Christus hat Vorsorge getroffen, daß seine Gemeinde ein verwandelter “Leib” (Epheser 1,23) sei, der von dem “Licht der Welt” (Johannes 8,12) erleuchtet ist und die Herrlichkeit Immanuels (vgl. Jesaja 7,14; Matthäus 1,23) besitzt. Seine Absicht ist es, daß jeder Christ von einer geistlichen Atmosphäre des Lichts und des Friedens umgeben sei. Er wünscht, daß wir seine Freude in unserem Leben offenbaren. PK 507.4

“Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.” Jesaja 60,1. Christus kommt mit Kraft und großer Herrlichkeit. Er kommt in seiner eigenen Herrlichkeit und in der des Vaters. Die heiligen Engel werden ihn auf seinem Weg begleiten. Während die ganze Welt in Dunkelheit versunken sein wird, soll es doch licht sein, wo die Heiligen sind. Sie werden den ersten Lichtglanz seines zweiten Kommens erblicken. Makelloses Licht wird aus seiner Herrlichkeit erstrahlen, und alle, die ihm gedient haben, werden Christus, den Erlöser, bewundern. Während die Gottlosen fliehen, werden Christi Nachfolger in seiner Gegenwart frohlocken. PK 507.5

Dann werden alle, die “erkauft aus den Menschen” (Offenbarung 14,4) sind, ihr verheißenes Erbe empfangen. So wird sich Gottes Absicht mit Israel buchstäblich erfüllen. Was Gott sich vornimmt, vermag kein Mensch zu verhindern. Sogar während der Wirksamkeit des Bösen haben sich Gottes Pläne stetig ihrer Erfüllung genähert. Das trifft auf das Haus Israel während der gesamten Geschichte des geteilten Königreichs zu; so verhält es sich auch heute mit dem geistlichen Israel. PK 508.1

Als der Seher von Patmos über die Jahrhunderte hinweg die Zeit dieser Wiederherstellung Israels auf der neu erschaffenen Erde schaute, bezeugte er: PK 508.2

“Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, welche niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen, vor dem Thron stehend und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und Palmen in ihren Händen; die riefen mit großer Stimme und sprachen: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unsrem Gott und dem Lamm! Und alle Engel standen um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unsrem Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.” Offenbarung 7,9-12. “Und ich hörte, und es war wie eine Stimme einer großen Schar und wie eine Stimme großer Wasser und wie eine Stimme starker Donner, die sprachen: ‘Halleluja! denn der Herr, unser Gott, der Allmächtige, hat das Reich eingenommen! Lasset uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben!’” Offenbarung 19,6.7. “Es ist der Herr aller Herren und der König aller Könige, und die mit ihm sind, sind Berufene und Auserwählte und Gläubige.” Offenbarung 17,14. PK 508.3