Propheten und Könige

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Kapitel 4: Die Folgen der Übertretung

Unter den Hauptursachen, die Salomo zu Ausschweifung und Unterdrückung veranlaßten, stand an erster Stelle sein Versäumnis, den Geist der Selbstaufopferung zu wahren und zu pflegen. PK 41.1

Als Mose einst am Fuße des Sinai die Israeliten von dem göttlichen Befehl in Kenntnis setzte: “Sie sollen mir ein Heiligtum machen, daß ich unter ihnen wohne” (2.Mose 25,8), war des Volkes Antwort von entsprechenden Gaben begleitet. “Sie kamen, ein jeder, den sein Herz trieb; und ein jeder, der willigen Geistes war” (2.Mose 35,21, EB) und brachten Opfergaben. Der Bau des Heiligtums machte große und ausgedehnte Vorbereitungen notwendig, und seine Aufrichtung erforderte eine beträchtliche Menge an kostbarstem und teuerstem Material. Trotzdem nahm der Herr nur freiwillige Gaben an. “Von jedem, der es freiwillig gibt” (2.Mose 25,2), sollte eine Opfergabe erhoben werden, lautete der Befehl, den Mose der Gemeinde kundtat. Hingabe an Gott und Opfersinn waren die ersten Erfordernisse, dem Höchsten eine Wohnstätte zu bereiten. PK 41.2

Eine ähnliche Aufforderung zur persönlichen Hingabe ließ David ergehen, als er die Verantwortung für den Bau des Tempels auf Salomo übertrug. Damals richtete David an die versammelte Menge die Frage: “Wer ist nun willig, heute eine Gabe für den Herrn zu spenden?” 1.Chronik 29,5 (Zürcher). Diese Aufforderung zur Weihe und zu freudigem Dienst hätten alle, die mit dem Bau des Tempels zu tun hatten, nie vergessen sollen. PK 41.3

Für die Errichtung der Stiftshütte in der Wüste stattete Gott eigens dazu ausgewählte Männer mit besonderer Geschicklichkeit und Weisheit aus. “Mose sprach zu den Kindern Israel: Sehet, der Herr hat mit Namen berufen den Bezalel ... vom Stamm Juda, und hat ihn erfüllt mit dem Geist Gottes, daß er weise, verständig und geschickt sei zu jedem Werk ... Und er hat ihm auch die Gabe zu unterweisen ins Herz gegeben, ihm und Oholiab ... vom Stamm Dan. Er hat ihr Herz mit Weisheit erfüllt, zu machen alle Arbeiten des Goldschmieds und des Kunstwirkers und des Buntwirkers ... und des Webers, daß sie jedes Werk ausführen.” 2.Mose 35,30-35. “So sollen denn arbeiten Bezalel und Oholiab und alle Künstler, denen der Herr Weisheit und Verstand gegeben hat.” 2.Mose 36,1. Himmlische Wesen wirkten zusammen mit den Arbeitern, die Gott selbst erwählt hatte. PK 41.4

Die Nachkommen dieser Arbeiter erbten in erheblichem Maße die Fähigkeiten, die ihren Vorfahren verliehen worden waren. Eine Zeitlang blieben diese Männer aus den Stämmen Juda und Dan demütig und uneigennützig. Allmählich und fast unmerklich verloren sie aber ihren Halt an Gott sowie ihr Verlangen, ihm selbstlos zu dienen. Unter Berufung auf ihre außergewöhnliche Geschicklichkeit in den schönen Künsten forderten sie höhere Löhne für ihre Leistungen. In manchen Fällen wurde ihrer Bitte auch entsprochen; öfter jedoch fanden sie Beschäftigung unter den umwohnenden Völkern. An Stelle des edlen Geistes der Hingabe, der die Herzen ihrer berühmten Vorfahren erfüllt hatte, ließen sie es zu, daß der Geist der Habgier von ihnen Besitz ergriff, der immer mehr erraffen will. Um ihre selbstsüchtigen Wünsche zu befriedigen, stellten sie ihre Kunstfertigkeit in den Dienst heidnischer Könige und vollbrachten vermöge ihrer Begabung Werke, die ihren Schöpfer verunehrten. PK 42.1

Unter diesen Männern nun sah Salomo sich um nach einem Meister zur Beaufsichtigung des Tempelbaues auf dem Berge Morija. Dem König waren genaue schriftliche Angaben über jeden Teil des heiligen Bauwerks anvertraut worden, so daß er nur im Glauben hätte zu erwarten brauchen, daß Gott geheiligte Helfer mit der Geschicklichkeit ausrüsten würde, die für eine genaue Ausführung der erforderlichen Arbeiten unerläßlich war. Diese Gelegenheit, Glauben an Gott zu üben, ließ sich Salomo jedoch entgehen. Er bat den König von Tyrus um einen Mann, der “mit Gold, Silber, Kupfer, Eisen, rotem Purpur, Scharlach und blauem Purpur arbeiten kann und der Bildwerk zu schnitzen versteht zusammen mit den Meistern, die bei mir in Juda und Jerusalem sind”. 2.Chronik 2,6. PK 42.2

Der phönizische König entsprach der Bitte Salomos und sandte Hiram. “Er ist der Sohn einer Frau von den Töchtern Dans, und sein Vater ist ein Tyrer gewesen.” 2.Chronik 2,13. Hiram war mütterlicherseits ein Nachkomme Oholiabs, dem Gott Jahrhunderte früher besondere Weisheit zur Errichtung der Stiftshütte verliehen hatte. PK 42.3

So wurde an die Spitze von Salomos Arbeitern ein Mann gestellt, dessen Bemühungen nicht von dem selbstlosen Verlangen, Gott einen Dienst zu erweisen, bestimmt wurden. Er diente vielmehr dem Gott dieser Welt, dem Mammon. Sein Wesen war durch und durch von der Selbstsucht bestimmt. PK 43.1

Angesichts seiner ungewöhnlichen Geschicklichkeit verlangte Hiram einen hohen Lohn. Allmählich nahmen auch seine Mitarbeiter die verkehrten Grundsätze an, denen er huldigte. Während sie Tag für Tag mit ihm zusammen arbeiteten, verfielen sie darauf, seinen Lohn mit dem ihren zu vergleichen. So verloren sie allmählich den heiligen Charakter ihres Werkes aus den Augen. Der Geist der Selbstverleugnung wich von ihnen, und an seine Stelle trat der Geist der Habgier. Die Folge war eine Forderung höherer Löhne, der auch stattgegeben wurde. PK 43.2

Die so ausgelösten unheilvollen Einflüsse durchdrangen alle Zweige des Dienstes für den Herrn und breiteten sich über das ganze Reich aus. Die geforderten und auch erhaltenen hohen Löhne boten vielen die Möglichkeit zu einer üppigen und ausschweifenden Lebensweise. Die Armen wurden von den Reichen unterdrückt; der Geist der Hingabe schwand nahezu ganz. In den weitreichenden Wirkungen, die von diesen Einflüssen ausgingen, ist wahrscheinlich eine der Hauptursachen des schrecklichen Abfalls dessen zu erblicken, der einst zu den Weisesten der Sterblichen gezählt worden war. PK 43.3

Eine hochbedeutsame Lehre enthält der scharfe Gegensatz zwischen dem Geist und den Beweggründen der Erbauer der Stiftshütte in der Wüste einerseits und der Arbeiter am Bau des salomonischen Tempels anderseits. Die Selbstsucht, welche die Erbauer des Tempels kennzeichnete, findet ihr Gegenstück heute in der Selbstsucht, die in der Welt herrscht. Der Geist der Habsucht und das Streben nach der höchsten Stellung und dem höchsten Lohn ist weit verbreitet. Selten nur begegnet man der Dienstbereitschaft und freudigen Selbstverleugnung derer, die an der Stiftshütte arbeiteten. Doch Jesu Nachfolger sollten sich nur von diesem Geiste leiten lassen. Unser göttlicher Meister hat ein Beispiel dafür gegeben, wie seine Jünger arbeiten sollen. Er bot denen, die er aufforderte: “Folget mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen” (Matthäus 4,19), keine feste Summe als Lohn für ihre Dienste an. Sie sollten an seiner Selbstverleugnung und seinem Opfer teilhaben. PK 43.4

Wir sollen nicht um des Lohnes willen arbeiten, den wir empfangen. Der Beweggrund zu unserer Arbeit für Gott sollte nichts an sich haben, was nach Eigendienst aussieht. Selbstlose Hingabe und Opfersinn waren stets das erste Erfordernis für einen willkommen Dienst und werden es immer bleiben. Unser Herr und Meister möchte nicht, daß auch nur ein einziger Faden Selbstsucht in sein Werk verwoben wird. Wir sollen denselben Scharfsinn und dieselbe Geschicklichkeit, die gleiche Genauigkeit und Weisheit in unsere Bemühungen hineinlegen, die der Gott der Vollkommenheit von den Erbauern der irdischen Stiftshütte verlangte. Dabei sollten wir aber nie vergessen, daß auch die besten Gaben und die trefflichsten Dienste nur dann Gott angenehm sind, wenn das Ich als lebendiges, sich selbst verzehrendes Opfer auf den Altar gelegt wird. PK 44.1

Zu den Abweichungen von den rechten Grundsätzen gehörte ferner, daß der König Israels der Versuchung erlag, die Ehre, die Gott allein gebührte, für sich selbst zu nehmen. Auch dies führte schließlich seinen Fall herbei. PK 44.2

Von dem Tage an, an dem Salomo mit der Aufgabe betraut wurde, den Tempel zu erbauen, bis zur Zeit seiner Vollendung war es seine erklärte Absicht, “dem Namen des Herrn, des Gottes Israels, ein Haus zu bauen”. 2.Chronik 6,7. Vor dem anläßlich der Tempelweihe versammelten Israel anerkannte er dies auch voll und ganz als sein Bestreben. In seinem Gebet bestätigte der König, daß der Herr gesagt hatte: “Da soll mein Name sein.” 1.Könige 8,29. PK 44.3

Ein besonders herzbewegender Abschnitt des Weihegebets Salomos war seine Fürbitte für die Fremden, die aus fernen Ländern kommen würden, um mehr von dem zu erfahren, dessen Ruhm sich weithin verbreitet hatte und zu vielen Völkern gedrungen war. “Sie werden”, so sprach der König in seinem Gebet, “hören von deinem großen Namen und von deiner mächtigen Hand und von deinem ausgereckten Arm.” Für jeden dieser fremden Anbeter erbat Salomo: “So wollest du hören ... und alles tun, worum der Fremde dich anruft, auf daß alle Völker auf Erden deinen Namen erkennen, damit auch sie dich fürchten wie dein Volk Israel, und daß sie innewerden, daß dein Name über diesem Hause genannt ist, das ich gebaut habe.” 1.Könige 8,42.43. PK 44.4

Am Schluß des Gottesdienstes hatte Salomo die Kinder Israel schließlich ermahnt, Gott treu zu bleiben, “damit”, wie er sagte, “alle Völker auf Erden erkennen, daß der Herr Gott ist, und sonst keiner mehr!” 1.Könige 8,60. PK 45.1

Ein Größerer als Salomo hatte den Tempel entworfen; Gottes Weisheit und Herrlichkeit wurden durch ihn offenbart. War man mit dieser Tatsache nicht vertraut, so bewunderte und pries man natürlich Salomo als Architekten und Baumeister; der König aber wies jede Ehre für den Bauplan und die Baudurchführung von sich. PK 45.2

So lagen die Dinge, als die Königin von Saba Salomo besuchte. Sie hatte von seiner Weisheit gehört und Kunde von dem prächtigen Tempel empfangen, den er erbaut hatte. Deshalb nahm sie sich vor, “Salomo mit Rätselfragen zu prüfen”, um sich selbst von seinen berühmten Leistungen zu überzeugen. “Mit einem sehr großen Gefolge, mit Kamelen, die Spezerei trugen und viel Gold und Edelsteine”, begab sie sich auf die lange Reise nach Jerusalem. “Und als sie zum König Salomo kam, redete sie mit ihm alles, was sie sich vorgenommen hatte.” 1.Könige 10,1-3. Sie sprach mit ihm über die Geheimnisse der Natur; Salomo aber klärte sie auf über den Gott der Natur, den großen Schöpfer, der im höchsten Himmel wohnt und über alles herrscht. Er “gab ihr Antwort auf alles, was sie fragte, und es war Salomo nichts verborgen, was er ihr nicht hätte sagen können”. 2.Chronik 9,1.2. PK 45.3

“Als aber die Königin von Saba alle Weisheit Salomos sah und das Haus, das er gebaut hatte ..., geriet sie vor Staunen außer sich.” 1.Könige 10,4.5. “Es ist wahr”, sagte sie, “was ich in meinem Lande von deinen Taten und von deiner Weisheit gehört habe. Ich aber wollte es nicht glauben, bis ich gekommen bin und es mit meinen Augen gesehen habe. Und siehe, nicht die Hälfte von deiner großen Weisheit hat man mir gesagt. Du bist größer, als die Kunde sagte, die ich vernommen habe. Glücklich sind deine Männer und glücklich diese deine Großen, die allezeit vor dir stehen und deine Weisheit hören.” 2.Chronik 9,5.6. PK 45.4

Bis zur Beendigung ihres Besuches war die Königin so gründlich von Salomo über die Quelle seiner Weisheit und seines Wohlstandes belehrt worden, daß sie sich gedrungen fühlte, nicht mehr das menschliche Werkzeug zu preisen, sondern auszurufen: “Gelobt sei der Herr, dein Gott, der an dir Wohlgefallen hat, so daß er dich auf den Thron Israels gesetzt hat! Weil der Herr Israel liebhat ewiglich, hat er dich zum König gesetzt, daß du Recht und Gerechtigkeit übst.” 1.Könige 10,9. Dieser Eindruck sollte nach Gottes Absicht auf alle Völker gemacht werden. Und als “alle Könige auf Erden begehrten, Salomo zu sehen, um seine Weisheit zu hören, die ihm Gott in sein Herz gegeben hatte” (2.Chronik 9,23), ehrte Salomo Gott eine Zeitlang dadurch, daß er sie ehrfurchtsvoll auf den Schöpfer Himmels und der Erde, den Herrscher des Weltalls, den Allweisen hinwies. PK 45.5

Welchen Platz in der Geschichte könnte Salomo einnehmen, wenn er weiterhin in Demut des Herzens das Augenmerk der Menschen von sich weg auf den hingelenkt hätte, der ihm Weisheit, Reichtum und Ehre gegeben hatte! Doch mit derselben Treue, mit der die Feder der Inspiration seine Tugenden berichtet, legt sie auch Zeugnis von seinem Fall ab. Zu einem Gipfel irdischer Größe erhoben und von den Gaben des Glücks umgeben, wurde Salomo vom Taumel ergriffen, so daß er das Gleichgewicht verlor und stürzte. Immerwährend von den Menschen dieser Welt gepriesen, vermochte er zuletzt nicht mehr der ihm dargebotenen Schmeichelei zu widerstehen. Die ihm zur Verherrlichung des Gebers verliehene Weisheit erfüllte ihn mit Stolz. Schließlich gestattete er den Menschen, von ihm als von dem zu reden, dem am meisten Lob für die unvergleichliche Pracht des Bauwerks gebühre, das doch geplant und errichtet worden war, um den “Namen des Herrn, des Gottes Israels” (1.Könige 8,17), zu ehren. PK 46.1

So kam es, daß der Tempel des Herrn bei den Völkern als Tempel Salomos bekannt wurde. Das menschliche Werkzeug hatte die Ehre für sich genommen, die in Wahrheit dem gebührte, der “ein Allerhöchster” über die Höheren ist. Prediger 5,7 (Menge). Selbst heute noch wird der Tempel, von welchem Salomo Gott versichert hatte, daß “dein Name über diesem Hause genannt” sei (1.Könige 8,43), meistens nicht als Tempel des Herrn, sondern als Tempel Salomos bezeichnet. PK 46.2

Durch nichts können Menschen ihre Schwäche besser bezeugen, als dadurch, daß sie die Ehre für Fähigkeiten, die der Himmel ihnen beschert hat, für sich in Anspruch nehmen. Der wahre Christ wird in allen Dingen Gott zum ersten, letzten und besten machen. Keine ehrgeizigen Beweggründe werden seine Liebe zu Gott zum Erkalten bringen; beharrlich wird er darauf bedacht sein, daß seinem himmlischen Vater Ehre zuteil werde. Nur wenn wir treu den Namen Gottes erhöhen, stehen unsere inneren Regungen unter göttlicher Herrschaft. Wir werden dann befähigt, geistliche und geistige Kraft zu entfalten. PK 46.3

Jesus, der göttliche Meister, erhöhte stets den Namen seines himmlischen Vaters. Er lehrte seine Jünger beten: “Unser Vater in dem Himmel! Dein Name werde geheiligt.” Matthäus 6,9. Auch sollten sie nicht vergessen, anzuerkennen: “Dein ist ... die Herrlichkeit.” Matthäus 6,13. So sehr war der Große Arzt darauf bedacht, die Aufmerksamkeit der Leute von sich abzuwenden und auf die Quelle seiner Kraft hinzulenken, daß die verwunderte Menge nicht ihn verherrlichte, “da sie sahen, daß die Stummen redeten, die Krüppel gesund waren, die Lahmen gingen, die Blinden sahen”, sondern “den Gott Israels” (Matthäus 15,31) priesen. In seinem wunderbaren Gebet kurz vor seiner Kreuzigung erklärte Christus: “Ich habe dich verherrlicht auf Erden.” “Verherrliche deinen Sohn, auf daß dich der Sohn verherrliche”, betete er. “Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich, und diese haben erkannt, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und will ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, sei in ihnen und ich in ihnen.” Johannes 17,4.1.25.26. PK 47.1

“So spricht der Herr: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich kenne, daß ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der Herr.” Jeremia 9,22.23. PK 47.2

“Ich will den Namen Gottes loben ... und will ihn hoch ehren mit Dank.” Psalm 69,31. PK 47.3

“Herr, unser Gott, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft.” Offenbarung 4,11. PK 47.4

“Ich danke dir, Herr, mein Gott, von ganzem Herzen und ehre deinen Namen ewiglich.” Psalm 86,12. PK 47.5

“Preiset mit mir den Herrn und laßt uns miteinander seinen Namen erhöhen!” Psalm 34,4. PK 47.6

Die Annahme von Grundsätzen, die vom Geist der Opferwilligkeit wegleiteten und zur Selbstverherrlichung führten, war von einer weiteren groben Entstellung des göttlichen Planes für Israel begleitet. Nach Gottes Willen sollte sein Volk das Licht der Welt sein. Es sollte sein Gesetz im praktischen Leben offenbaren und so seine Herrlichkeit ausstrahlen. Um seine Absicht zu verwirklichen, hatte Gott das auserwählte Volk veranlaßt, sich an einer günstig gelegenen Stelle unter den Völkern der Erde niederzulassen. PK 48.1

In den Tagen Salomos erstreckte sich das Reich Israel von Hamath im Norden bis nach Ägypten im Süden sowie vom Mittelländischen Meer im Westen bis zum Strom Euphrat. Durch dieses Gebiet verliefen viele natürliche Verkehrsstraßen des Welthandels. Karawanen aus fernen Ländern zogen darauf beständig hin und her. So waren Salomo und seinem Volk Gelegenheiten geboten, Angehörigen aller Völker den Charakter des Königs aller Könige kundzutun und sie zu lehren, ihn zu ehren und ihm zu gehorchen. Diese Erkenntnis sollte aller Welt mitgeteilt werden. Durch die in den Opfern enthaltenen Lehren sollte Christus vor den Völkern erhöht werden, damit alle, die es wollten, das Leben haben konnten. PK 48.2

An die Spitze seines Volkes gestellt, das den umwohnenden Völkern zum Leuchtfeuer gesetzt worden war, hätte Salomo seine ihm von Gott verliehene Weisheit und seinen Einfluß dazu verwenden sollen, eine große Bewegung zur Erleuchtung derer, die noch nichts von Gott und seiner Wahrheit wußten, ins Leben zu rufen und zu leiten. Dadurch wären viele für ein gewissenhaftes Halten der göttlichen Vorschriften gewonnen worden. Israel wäre vor den von den Heiden begangenen Übeln bewahrt geblieben, und der Herr der Herrlichkeit wäre außerordentlich geehrt worden. Aber Salomo verlor dieses hohe Ziel aus den Augen und nutzte die glänzenden Gelegenheiten nicht aus, all jene zu erleuchten, die wiederholt durch sein Gebiet zogen oder in den wichtigsten Städten rasteten. PK 48.3

Der Missionsgeist, den Gott Salomo und allen wahren Israeliten ins Herz gepflanzt hatte, wurde überwuchert von dem Verlangen, Geschäfte zu machen. Die Gelegenheiten, die sich durch Verbindungen mit vielen Völkern boten, benutzte Salomo dazu, sich selbst zu erhöhen. Er suchte seine politische Macht dadurch zu stärken, daß er entlang den Handelsstraßen befestigte Städte baute. So baute er unweit Joppe die an der Straße zwischen Ägypten und Syrien gelegene Stadt Geser wieder auf sowie das westlich von Jerusalem befindliche Beth-Horon, das die Pässe an der vom Herzen Judäas nach Geser und der Meeresküste führenden Landstraße beherrschte. Wiederaufgebaut wurde ferner die nördlich von Jerusalem an der Karawanenstraße von Damaskus nach Ägypten gelegene Festung Megiddo sowie die Stadt “Tadmor in der Wüste” (2.Chronik 8,4) an dem von den Karawanen aus dem Osten benutzten Weg. All diese Städte wurden stark befestigt. Die Handelsvorteile, die ihm eine Niederlassung am oberen Ende des Roten Meeres bot, entwickelte er dadurch, daß er in “Ezjon-Geber, das bei Elath liegt am Ufer des Schilfmeers im Lande der Edomiter”, Schiffe baute. Geübte Seeleute von Tyrus bemannten “zusammen mit den Leuten Salomos” diese Schiffe bei Reisen “nach Ophir und holten dort ... Gold” (1.Könige 9,26.28; 2.Chronik 8,18) sowie “sehr viel Sandelholz und Edelsteine”. 1.Könige 10,11. PK 48.4

Die Einkünfte des Königs und vieler seiner Untertanen wurden dadurch sehr vermehrt, doch um welchen Preis! Infolge der Habgier und Kurzsichtigkeit derer, denen anvertraut war, was Gott geredet hatte, mußten zahllose Scharen, die die Handelsstraßen füllten, in Unwissenheit über den Herrn bleiben. PK 49.1

In auffallendem Gegensatz zu Salomos Verhalten war das Verhalten Christi, als er auf Erden war. Wiewohl der Heiland “alle Gewalt” (Matthäus 18,18) besaß, nutzte er sie doch nie dazu aus, sich selbst zu erhöhen. Kein Traum irdischer Eroberungen oder weltlicher Größe zerstörte die Vollkommenheit seines Dienstes für die Menschheit. Er konnte sagen: “Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege.” Matthäus 8,20. Alle, die dem Ruf der Stunde gefolgt und in den Dienst des Herrn und Meisters eingetreten sind, tun gut, sich mit seiner Arbeitsweise vertraut zu machen. Er nahm die Gelegenheiten wahr, die sich ihm an den großen Verkehrsstraßen boten. PK 49.2

Die Zeit zwischen seinen verschiedenen Reisen verbrachte Jesus in Kapernaum, das als “seine Stadt” (Matthäus 9,1) bezeichnet wurde. Sie lag an der Straße, die von Damaskus über Jerusalem nach Ägypten sowie zum Mittelländischen Meer führte und eignete sich ganz besonders als Mittelpunkt für die Tätigkeit des Heilandes. Menschen aus vielen Ländern zogen durch Kapernaum oder machten dort halt, um sich auszuruhen. Dort begegnete Jesus Vertretern aller Völker und Stände. Dadurch wurden seine Lehren in andere Länder und in viele Heime getragen. Auf diese Weise wurde Interesse für die auf den Messias hinweisenden Prophezeiungen erweckt. Das Augenmerk vieler wurde auf den Heiland gerichtet und die Welt mit seiner Sendung bekannt gemacht. PK 49.3

Heutzutage sind die Gelegenheiten, mit Männern und Frauen aller sozialen Schichten und vieler Nationalitäten in Berührung zu kommen, bedeutend größer als in den Tagen Israels. Die Verkehrsmöglichkeiten haben sich tausendfach vermehrt. Wie Christus sollten sich die Boten des Höchsten heute in den großen Zentren des Verkehrs niederlassen und mit zahllosen Reisenden aus allen Teilen der Welt Kontakt aufnehmen. Wie er eins mit Gott war, sollen sie den Samen des Evangeliums ausstreuen und andern Menschen die kostbaren Wahrheiten der Heiligen Schrift darlegen. Diese Saat wird in Herz und Sinn tiefe Wurzeln schlagen und zum ewigen Leben aufgehen. PK 50.1

Ernst sind die Lehren aus dem Versagen Israels während der Jahre, als Herrscher und Volk sich von der hohen Aufgabe abwandten, zu deren Erfüllung sie berufen waren. In dem, worin sie schwach waren oder sogar versagten, sollte das Israel von heute als Vertreter des Himmels und als wahre Gemeinde Christi stark sein; denn auf ihnen ruht die Aufgabe, das den Menschen anvertraute Werk zum Abschluß zu bringen und damit den Tag des endgültigen Urteilsspruches herbeizuführen. Doch wir müssen denselben Einflüssen, denen Israel zur Zeit der Herrschaft Salomos erlag, heute noch entgegentreten. Die Streitkräfte des Feindes aller Gerechtigkeit haben sich stark verschanzt, und nur durch die Kraft Gottes kann der Sieg errungen werden. Der Kampf, der unser wartet, fordert von uns die Bekundung selbstloser Gesinnung, Mißtrauen gegen uns selbst, völliges Vertrauen auf Gott allein sowie weises Ergreifen jeder Gelegenheit zur Errettung von Seelen. Der Segen des Herrn wird seine Gemeinde begleiten, wenn sie einmütig darangeht, der in der Finsternis des Irrtums liegenden Welt die Trefflichkeit einer in christlichem Geiste der Hingabe sich bekundenden Heiligkeit zu offenbaren, wenn sie das Göttliche über das Menschliche erhöht und denen, die so sehr der Segnungen des Evangeliums bedürfen, unermüdlich und in Liebe dient. PK 50.2