Das Wirken der Apostel

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Unterwegs nach Rom

Kapitel 37: Paulus letzte Reise nach Jerusalem

Auf der Grundlage von Apostelgeschichte 20,4-21,16.

Paulus wünschte sehnlichst, Jerusalem noch vor dem Passafest zu erreichen, damit er mit Leuten, die aus allen Teilen der Welt das Fest besuchen würden, zusammentreffen könnte. Er hegte die Hoffnung, daß es ihm irgendwie möglich wäre, zur Beseitigung des Vorurteils seiner Ungläubigen Landsleute beizutragen, damit sie dahin geführt würden, das köstliche Licht des Evangeliums anzunehmen. Zum andern wollte er mit der Gemeinde zu Jerusalem zusammenkommen, um ihnen die Gaben zu überreichen, die die nichtjüdischen Gemeinden den armen Brüdern in Judäa sandten. Schließlich hoffte er durch diesen Besuch ein festeres Band zu knüpfen zwischen den zum Glauben bekehrten Juden und den Christen aus den Heiden. WA 387.1

Als er sein Werk in Korinth beendet hatte, beschloß er, unmittelbar zu einem der Häfen an der Küste Palästinas zu reisen. Als alle Vorbereitungen bereits getroffen waren und er sich an Bord des Schiffes begeben wollte, erhielt er die Mitteilung, daß die Juden einen Anschlag gegen ihn geplant hatten. Bisher war es diesen Widersachern des Glaubens trotz aller Bemühungen nicht gelungen, der Arbeit des Apostels ein Ende zu machen. WA 387.2

Der Erfolg der Evangeliumsverkündigung hatte jedoch den Zorn der Juden aufs neue erregt. Von überallher trafen Berichte über die weitere Ausbreitung der neuen Lehre ein, die die Juden von den Bräuchen des Zeremonialgesetzes entband und den Nichtjuden die gleichen Rechte mit den Juden als den Kindern Abrahams einräumte. Diese Grundsätze hatte Paulus in seinen Predigten zu Korinth mit demselben Nachdruck vertreten wie in seinen Briefen. Seine eindeutige Feststellung: “Da ist nicht mehr Grieche, Jude, Beschnittener, Unbeschnittener, Nichtgrieche, Skythe, Knecht, Freier, sondern alles und in allen Christus” (Kolosser 3,11), wurde von seinen Feinden als verwegene Lästerung angesehen. Deshalb beschlossen sie, seine Stimme zum Schweigen zu bringen. WA 387.3

Da Paulus vor dieser Verschwörung gewarnt wurde, beschloß er, den Umweg über Mazedonien zu wählen. Seinen Plan, Jerusalem rechtzeitig zum Passafest zu erreichen, mußte er aufgeben; er hoffte jedoch, zum Pfingstfest dort zu sein. WA 388.1

Mit Paulus und Lukas zogen “Sopater aus Beröa, des Pyrrhus Sohn, aus Thessalonich aber Aristarchus und Sekundus, und Gajus aus Derbe und Timotheus, aus der Landschaft Asien aber Tychikus und Trophimus”. Apostelgeschichte 20,4. Paulus hatte eine große Geldsumme von den nichtjüdischen Gemeinden bei sich, die er den an der Spitze des Werkes in Judäa stehenden Brüdern überreichen wollte. Deshalb hatte er dafür gesorgt, daß die genannten Brüder als Vertreter der Gemeinden, die zu diesem Opfer beigetragen hatten, ihn nach Jerusalem begleiteten. WA 388.2

Während des Passafestes hielt sich Paulus in Philippi auf. Nur Lukas blieb bei ihm, während seine anderen Begleiter nach Troas weiterreisten, um ihn dort zu erwarten. Die Philipper waren von allen, die durch den Apostel bekehrt worden waren, am liebevollsten und aufrichtigsten, und so verbrachte er die acht Tage des Festes in ungetrübter, glücklicher Gemeinschaft mit ihnen. WA 388.3

Dann fuhren Paulus und Lukas mit dem Schiff von Philippi nach Troas, wo sie fünf Tage später als ihre Begleiter eintrafen und weitere sieben Tage bei den dortigen Gläubigen blieben. WA 388.4

Der letzte Abend seines Aufenthaltes vereinte noch einmal die Brüder, um “das Brot zu brechen”. Apostelgeschichte 20,7. Der Umstand, daß ihr geliebter Lehrer Abschied von ihnen nehmen wollte, hatte mehr Personen als gewöhnlich zusammenkommen lassen. Sie versammelten sich “in dem Obergemach” (Apostelgeschichte 20,8) im dritten Stockwerk, und dort predigte der Apostel mit dem Eifer seiner Liebe und Besorgnis um sie bis Mitternacht. WA 389.1

In einem der offenen Fenster saß während dieser Zeit “ein Jüngling mit Namen Eutychus”. Auf diesem gefährlichen Platz schlief er ein und fiel hinab auf den Hof. Sofort geriet alles in Aufregung und Verwirrung. Der Jüngling “ward tot aufgehoben”, und viele standen weinend und klagend um ihn herum. Paulus jedoch bahnte sich einen Weg durch die erschrockene Menge zu ihm, “umfing ihn” und flehte zu Gott, er möge dem Toten das Leben zurückschenken. Seine Bitte wurde erhört. Die Stimme des Apostels übertönte alles Jammern und Wehklagen: “Machet kein Getümmel; denn seine Seele ist in ihm.” Apostelgeschichte 20,9.10. Voller Freude setzten die Gläubigen daraufhin ihre Versammlung im Obergeschoß fort. Sie hielten miteinander das Abendmahl, und Paulus “redete viel mit ihnen, bis der Tag anbrach”. Apostelgeschichte 20,11. WA 389.2

Das Schiff, mit dem Paulus und seine Begleiter ihre Reise fortsetzen wollten, war zur Abfahrt bereit, und so begaben sich die Brüder unverzüglich an Bord. Der Apostel selbst zog es jedoch vor, den kürzeren Landweg von Troas nach Assos zu benutzen und dort wieder mit seinen Reisegefährten zusammenzutreffen. Dadurch gewann er ein wenig Zeit zur Andacht und zum Gebet. Die Schwierigkeiten und Gefahren, die mit seinem bevorstehenden Besuch in Jerusalem verbunden waren, die Haltung der dortigen Gemeinde ihm und seinem Wirken gegenüber, aber auch der geistliche Zustand in den Gemeinden und die Belange des Evangeliumswerkes in andern Feldern, all das war ihm Anlaß zu ernstem, sorgenvollem Nachdenken. Und so nutzte er die sich ihm bietende besondere Gelegenheit aus, um Gott um Kraft und Führung zu bitten. WA 389.3

Als die Reisenden von Assos südwärts segelten, kamen sie an der Stadt Ephesus vorbei, die so lange der Wirkungsort des Apostels gewesen war. Gern hätte Paulus die dortige Gemeinde besucht, um ihr wichtige Unterweisungen und Ratschläge zu erteilen. Nach reiflicher Überlegung entschloß er sich jedoch zur Weiterreise; denn er hatte vor, “auf den Pfingsttag zu Jerusalem zu sein, so es ihm möglich wäre”. Apostelgeschichte 20,16. Bei seiner Ankunft in Milet, das ungefähr 45 km von Ephesus entfernt lag, erfuhr er, daß es sich noch ermöglichen ließe, mit der Gemeinde Ephesus in Verbindung zu treten, ehe das Schiff weiterfahre. Sofort ließ er die Ältesten dieser Gemeinde durch eine Nachricht dringend bitten, nach Milet zu kommen, damit er sie sprechen könne, ehe er seine Reise fortsetzte. WA 390.1

Sie folgten seiner Aufforderung, und er richtete gewichtige, zu Herzen gehende Worte der Ermahnung und des Abschieds an sie: “Ihr wisset, wie ich von dem ersten Tage an, da ich bin in die Landschaft Asien gekommen, allezeit bei euch gewesen bin und dem Herrn gedient habe mit aller Demut und mit Tränen und Anfechtungen, die mir sind widerfahren von den Juden, die mir nachstellten. Ich habe euch nichts vorenthalten, was da nützlich ist, daß ih’s euch nicht verkündigt hatte und euch gelehrt öffentlich und in den Häusern und habe bezeugt den Juden und Griechen, die Bekehrung zu Gott und den Glauben an unsren Herrn Jesus.” Apostelgeschichte 20,18-21. WA 390.2

Paulus hatte stets Gottes Gesetz hochgehalten, aber auch gezeigt, daß das Gesetz selbst keinerlei Kraft enthalte, um die Menschen von der Strafe des Ungehorsams zu retten. Übeltäter müßten ihre Sünde bereuen und sich vor Gott demütigen, dessen gerechten Zorn sie sich durch die Übertretung seines Gesetzes zugezogen hätten, und sie mußten ihr Vertrauen auf das Blut Christi setzen als ihre einzige Möglichkeit, Vergebung zu erhalten. Gottes Sohn habe für sie den Opfertod erlitten, sei zum Himmel aufgefahren und stehe nun als ihr Fürsprecher vor dem Vater. Durch Reue und Glauben konnten sie von dem Fluch der Sünde erlöst werden und fortan durch Christi Gnade dem Gesetz Gottes Gehorsam leisten. WA 390.3

“Und nun siehe”, fuhr Paulus fort, “im Geiste gebunden fahre ich hin nach Jerusalem, weiß nicht, was mir daselbst begegnen wird, nur daß der heilige Geist in allen Städten mir bezeugt und spricht, Gefängnis und Trübsale warten mein. Aber ich achte für mich selbst mein Leben keiner Rede wert, wenn ich nur vollende meinen Lauf und das Amt, das ich empfangen habe von dem Herrn Jesus, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes. Und nun siehe, ich weiß, daß ihr mein Angesicht nicht mehr sehen werdet, ihr alle, zu welchen ich hingekommen bin und das Reich gepredigt habe.” Apostelgeschichte 20,22-25. WA 391.1

Zunächst hatte Paulus nicht die Absicht, dieses Zeugnis abzulegen; aber während er sprach, kam der Geist der Weissagung über ihn und bestätigte ihm die Befürchtungen, daß dies die letzte Zusammenkunft mit den Glaubensgeschwistern von Ephesus sei. WA 391.2

“Darum”, so fuhr er fort, “bezeuge ich euch an diesem heutigen Tage, daß ich rein bin von aller Blut; denn ich habe nicht unterlassen, euch zu verkündigen den ganzen Ratschluß Gottes.” Apostelgeschichte 20,26.27. Weder die Furcht, jemand zu beleidigen, noch der Wunsch, Freundschaft oder Beifall zu erlangen, hatten Paulus bewegen können, ihnen Worte vorzuenthalten, die Gott ihm zu ihrer Belehrung, Warnung und Zurechtweisung gegeben hatte. Auch heute erwartet Gott von seinen Dienern Furchtlosigkeit bei der Verkündigung des Wortes und bei der Ausführung seiner Befehle. Der Diener Christi soll den Leuten nicht nur die Wahrheiten verkündigen, die ihnen angenehm sind, er darf ihnen auch die nicht vorenthalten, die ihnen nicht gefallen könnten. Er sollte mit großer Sorgfalt auf die Entwicklung ihres Charakters achten. Sieht er, daß einige seiner ihm Anbefohlenen sündigen, ist er als treuer Hirte verpflichtet, ihnen aus Gottes Wort die für ihren Fall zutreffende Unterweisung zu erteilen. Läßt er sie aber den verkehrten Weg selbstsicher weitergehen, ohne sie zu warnen, so wird er vor Gott für sie Rechenschaft ablegen müssen. Wer als Seelsorger seinen hohen Auftrag erfüllen will, muß die ihm Anbefohlenen in allen Fragen des christlichen Glaubens getreulich unterweisen und ihnen zeigen, was sie sein sollen und wie sie Handeln müssen, um am großen Tag des Herrn bestehen zu können. Nur der treue Lehrer der Wahrheit wird am Ende seines Wirkens wie Paulus sagen können: “Ich bin rein von aller Blut.” WA 391.3

Mit allem Ernst ermahnte der Apostel hierauf seine Brüder: “So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, unter welche euch der heilige Geist gesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, welche er durch sein eigen Blut erworben hat.” Apostelgeschichte 20,28. Wenn sich Diener des Evangeliums immer wieder daran erinnerten, daß sie es mit Menschen zu tun haben, die durch Christi Blut erkauft sind, dann würden sie sich der Wichtigkeit ihres Werkes tiefer bewußt werden. Sie sollen auf sich selbst und auf ihre Herde achtgeben. Ihr eigenes Beispiel sollte ihre Unterweisungen veranschaulichen und bekräftigen. Als Lehrer des Weges zum Leben sollten sie keinerlei Veranlassung geben, daß von der Wahrheit übel geredet werde. Als Stellvertreter Christi müssen sie die Ehre seines Namens hochhalten. Allein durch ihre Hingabe, durch die Reinheit ihres Lebens und durch ihren gottesfürchtigen Wandel können sie sich ihrer hohen Berufung würdig erweisen. WA 392.1

Dem Apostel war offenbart worden, welche Gefahren auf die Gemeinde zu Ephesus zukommen würden. “Das weiß ich”, sagte er, “daß nach meinem Abscheiden werden unter euch kommen greuliche Wölfe, die die Herde nicht verschonen werden. Auch aus euch selbst werden aufstehen Männer, die da verkehrte Lehren reden, die Jünger an sich zu ziehen.” Apostelgeschichte 20,29.30. Paulus bangte um die Gemeinde, als er in die Zukunft blickte und die Angriffe schaute, die ihr von äußeren und inneren Feinden drohten. Mit heiligem Ernst bat er seine Brüder, das ihnen Anvertraute sorgsam zu bewahren. Er wies darauf hin, wie er selbst ein Beispiel unermüdlichen Wirkens gegeben habe. “Darum seid wachsam und denket daran, daß ich nicht abgelassen habe drei Jahre, Tag und Nacht, einen jeglichen mit Tränen zu vermahnen.” Apostelgeschichte 20,31. WA 392.2

“Und nun”, fuhr er fort, “befehle ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade, der da mächtig ist, euch zu erbauen und zu geben das Erbe unter allen, die geheiligt sind. Ich habe von niemand unter euch Silber oder Gold oder Kleidung begehrt.” Apostelgeschichte 20,32.33. Einige Brüder in Ephesus waren wohlhabend; aber Paulus hatte niemals versucht, daraus für sich einen persönlichen Nutzen zu ziehen. Es paßte nicht zu der ihm aufgetragenen Botschaft, die Aufmerksamkeit auf seine eignen Bedürfnisse zu lenken. Er konnte vielmehr erklären: “Ihr wisset selber, daß mir diese Hände zum Unterhalt gedient haben für mich und die, die mit mir gewesen sind.” Apostelgeschichte 20,34. Trotz seiner mühevollen Arbeit und seiner weiten Reisen für Christi Werk vermochte er nicht nur für seinen eigenen Unterhalt zu sorgen, sondern konnte auch noch etwas für seine Mitarbeiter und für unterstützungswürdige Arme erübrigen. Dies konnte er jedoch nur durch unermüdlichen Fleiß und äußerste Sparsamkeit erreichen. Deshalb konnte er mit Recht auf das Beispiel hinweisen, das er selbst gegeben hatte: “Ich habe euch in allen Stücken gezeigt, daß man so arbeiten und sich der Schwachen annehmen müsse und gedenken an das Wort des Herrn Jesus, da er gesagt hat: ‘Geben ist seliger als nehmen.’ WA 393.1

Und als er solches gesagt, kniete er nieder und betete mit ihnen allen. Es ward aber viel Weinen unter ihnen allen, und sie fielen Paulus um den Hals und küßten ihn, am allermeisten betrübt über das Wort, das er sagte, sie würden sein Angesicht nicht mehr sehen; und geleiteten ihn auf das Schiff.” Apostelgeschichte 20,35-38. WA 393.2

Von Milet fuhren Paulus und seine Begleiter “geradeswegs nach Kos und am folgenden Tage nach Rhodus und von da nach Patara” an der Südwestküste Kleinasiens. “Und da wir ein Schiff fanden, das nach Phönizien fuhr, stiegen wir ein und fuhren hin.” Apostelgeschichte 21,1.2. In Tyrus, wo das Schiff zunächst entladen werden mußte, trafen sie einige Jünger, bei denen sie sieben Tage bleiben durften. Diese hatte der Heilige Geist auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die Paulus in Jerusalem drohten. Deshalb baten sie ihn, “er sollte nicht hinauf nach Jerusalem ziehen”. Apostelgeschichte 21,4. Aber der Apostel ließ sich durch Furcht vor Trübsal und Einkerkerung nicht von seinem Vorhaben abbringen. WA 394.1

Als die Woche in Tyrus vorüber war, geleiteten alle Brüder mit ihren Frauen und Kindern Paulus ans Schiff. Ehe er an Bord ging, knieten alle noch einmal am Ufer nieder und beteten, er für sie und sie für ihn. WA 394.2

Die Reisenden fuhren in südlicher Richtung, “kamen nach Cäsarea und gingen in das Haus des Philippus, des Evangelisten, der einer von den Sieben war, und blieben bei ihm”. Apostelgeschichte 21,8. Hier verbrachte Paulus einige ungetrübte, glückliche Tage — die letzten für lange Zeit, die er in völliger Freiheit genießen durfte. WA 394.3

Während Paulus in Cäsarea weilte, “kam herab aus Judäa ein Prophet mit Namen Agabus”, berichtet Lukas. “Und als er zu uns kam, nahm er den Gürtel des Paulus und band sich die Füße und Hände und sprach: Das sagt der heilige Geist: Den Mann, des der Gürtel ist, werden die Juden so binden zu Jerusalem und überantworten in der Heiden Hände.” WA 394.4

“Als wir aber solches hörten”, fuhr Lukas fort, “baten wir und die aus dem Ort waren, daß er nicht hinauf nach Jerusalem zöge.” Apostelgeschichte 21,10-12. Aber Paulus wollte nicht vom Pfad der Pflicht abweichen, sondern Jesus folgen, selbst wenn es ins Gefängnis und in den Tod ginge. “Was macht ihr”, rief er aus, “daß ihr weinet und brechet mir mein Herz? Denn ich bin bereit, nicht allein mich binden zu lassen, sondern auch zu sterben zu Jerusalem um des Namens willen des Herrn Jesus.” Apostelgeschichte 21,13. Da die Brüder sahen, daß sie ihm Schmerz bereiteten, ohne ihn von seinem Vorhaben abbringen zu können, hörten sie auf in ihn zu dringen, und sagten nur: “Des Herrn Wille geschehe.” Apostelgeschichte 21,14. WA 394.5

Die kurze Aufenthaltszeit in Cäsarea war bald abgelaufen, und so zogen Paulus und seine Gefährten, begleitet von einigen Brüdern, weiter nach Jerusalem. Schwer lastete auf ihren Herzen das Vorgefühl künftigen Unheils. WA 395.1

Nie zuvor hatte sich der Apostel mit so traurigem Herzen der Stadt Jerusalem genähert wie jetzt. Dort wurde er, das wußte er, nur wenige Freunde, aber viele Feinde antreffen. Er näherte sich der Stadt, die den Sohn Gottes verworfen und gekreuzigt hatte, und über der jetzt die drohenden Wolken des göttlichen Zornes hingen. Als er sich daran erinnerte, wie erbittert er in seinem Vorurteil gegen die Nachfolger Christi vorgegangen war, empfand er tiefes Mitleid mit seinen verblendeten Landsleuten. Und doch, wie gering war seine Hoffnung, daß er ihnen würde Hilfe bringen können! Der gleiche blinde Zorn, der einst in seinem Herzen gelodert hatte, war jetzt mit unsagbarer Gewalt in den Herzen eines ganzen Volkes gegen ihn entbrannt. WA 395.2

Er konnte nicht einmal auf das Mitgefühl und die Unterstützung seiner eigenen Glaubensbrüder rechnen. Die unbekehrten Juden, die ihm so dicht auf den Fersen gefolgt waren, hatten nicht versäumt, mündlich und brieflich in Jerusalem ungünstige Berichte über ihn und sein Werk zu verbreiten. Selbst einige Apostel und Ältesten hatten diese Gerüchte für bare Münze genommen, ohne einen Versuch zu ihrer Widerlegung zu unternehmen. Sie bekundeten auch kein Verlangen, mit Paulus in Übereinstimmung zu kommen. WA 395.3

Trotz aller entmutigenden Umstände verzweifelte der Apostel nicht. Er hoffte, daß die Stimme Gottes, die zu seinem Herzen gesprochen hatte, auch zu den Herzen seiner Landsleute reden werde und daß der Meister, den seine Mitjünger liebten und dem sie dienten, trotz allem ihre Herzen mit seinem Herzen zu gemeinsamer Hingabe an das Evangeliumswerk verbinden würde. WA 396.1