Das Wirken der Apostel

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Kapitel 28: Tage der Mühsal und Anfechtung

Auf der Grundlage von Apostelgeschichte 19,21-41; 20,1.

Mehr als drei Jahre lang bildete Ephesus den Mittelpunkt der Arbeit des Apostels Paulus. Von dieser Stadt, in der eine aufblühende Gemeinde entstanden war, breitete sich das Evangelium über die ganze Provinz Asia unter Juden und Nichtjuden aus. WA 291.1

Seit geraumer Zeit hatte der Apostel eine weitere Missionsreise geplant. Er “setzte sich im Geiste vor, durch Mazedonien und Achaja zu ziehen und nach Jerusalem zu reisen, und sprach: Hernach, wenn ich daselbst gewesen bin, muß ich auch Rom sehen.” Apostelgeschichte 19,21. In Übereinstimmung mit diesem Plan sandte er “zwei, die ihm dienten, Timotheus und Erastus, nach Mazedonien”. Apostelgeschichte 19,22. Weil er aber merkte, daß die Arbeit in Ephesus noch seine Gegenwart erforderte, entschloß er sich, bis nach Pfingsten dort zu bleiben. Doch da trat ein Ereignis ein, das seine Abreise beschleunigte. WA 291.2

Einmal im Jahr wurden zu Ehren der Göttin Diana in Ephesus besondere Feierlichkeiten veranstaltet. Sie lockten viel Volk aus allen Teilen der Provinz herbei. Unter großem Aufwand und Gepränge wurden dann die Festlichkeiten durchgeführt. WA 291.3

Diese Festtage wurden zu einer Bewährungsprobe für alle, die erst unlängst zum Glauben gekommen waren. Die Gruppe der Gläubigen, die sich in der Schule des Tyrannus versammelte, wurde wie ein Mißton in dem festlichen Jubel empfunden. Deshalb häufte man Spott, Hohn und Beleidigungen auf sie. Durch sein Wirken hatte Paulus dem heidnischen Götzendienst einen solch empfindlichen Schlag versetzt, daß als Folge die Zahl der Teilnehmer sowie die Begeisterung der Anbeter bei diesem Nationalfest merklich zurückgegangen war. Der Einfluß seiner Verkündigung reichte weit über die tatsächlich zum Glauben Bekehrten hinaus. Viele bekannten sich zwar noch nicht öffentlich zu den neuen Lehren, sie waren aber so weit erleuchtet, daß sie alles Vertrauen zu den heidnischen Göttern verloren hatten. WA 291.4

Es gab aber auch noch einen anderen Grund zur Unzufriedenheit. In Ephesus hatte sich durch die Herstellung und den Verkauf kleiner Altäre und Götzenbilder, die nach dem Tempel und dem Standbild der Göttin Diana gefertigt wurden, ein schwunghafter, einträglicher Handel entwickelt. Alle, die an diesem Gewerbe beteiligt waren, stellten nun aber fest, daß ihre Einnahmen schwanden. Diesen unerfreulichen Wandel schrieben sie dem Wirken des Paulus zu. WA 292.1

Demetrius, der silberne Altäre anfertigte, rief die Arbeiter seines Handwerks zusammen und sprach: “Liebe Männer, ihr wisset, daß wir großen Gewinn von diesem Gewerbe haben; und ihr sehet und höret, daß nicht allein zu Ephesus, sondern auch fast in der ganzen Landschaft Asien dieser Paulus viel Volks abfällig macht, überredet und spricht: Was von Händen gemacht ist, das sind keine Götter. Aber es droht nicht nur unser Gewerbe dahin zu geraten, daß es nichts mehr gilt, sondern auch der Tempel der großen Göttin Diana wird für nichts geachtet werden, und sogar ihre göttliche Majestät wird untergehen, welcher doch die ganze Landschaft Asien und der Weltkreis Anbetung erzeigt.” Apostelgeschichte 19,25-27. Diese Worte versetzten die Zuhörer in leidenschaftliche Erregung; sie wurden “voll Zorn, schrien und sprachen: Groß ist die Diana der Epheser!” Apostelgeschichte 19,28. WA 292.2

Die Worte dieser Ansprache machten schnell die Runde. “Die ganze Stadt ward voll Getümmel.” Apostelgeschichte 19,29a. Man suchte Paulus, konnte ihn aber nicht finden. Seine Brüder hatten gemerkt, daß ihm Gefahr drohte, und hatten ihn eiligst von diesem Ort fortgebracht. Gott hatte seine Engel gesandt, den Apostel zu bewahren. Seine Zeit, den Märtyrertod zu erleiden, war noch nicht gekommen. WA 292.3

Als der Pöbel den Urheber seines Zorns nicht fassen konnte, ergriff er “Gajus und Aristarchus aus Mazedonien, des Paulus Gefährten”, und stürmte mit ihnen “einmütig zum Theater”. Apostelgeschichte 19,29b. WA 293.1

Der Ort, an dem Paulus verborgen gehalten wurde, war nicht weit davon entfernt, und so hörte er bald von der Gefahr, in der seine lieben Brüder schwebten. Seiner eigenen Sicherheit nicht achtend, wollte er sofort zum Theater eilen, um zu den Aufrührern zu reden. Die Jünger ließen das jedoch nicht zu. Gajus und Aristarchus waren ja nicht die Beute, die das Volk suchte. Deshalb war auch kein ernsthafter Schaden für sie zu befürchten. Würde man jedoch des Apostels bleiches, abgehärmtes Gesicht sehen, war ein Ausbruch schlimmster Leidenschaften des aufgepeitschten Volkes zu befürchten. Nach menschlichem Ermessen gab es dann kaum eine Möglichkeit, sein Leben zu retten. WA 293.2

Zu gern hätte Paulus die Wahrheit vor der Menge verteidigt; schließlich wurde er aber durch eine Warnungsbotschaft aus dem Theater zurückgehalten. “Etliche der Obersten in der Landschaft Asien, die ihm freundlich gesinnt waren, sandten zu ihm und ermahnten ihn, daß er sich nicht zum Theater begäbe.” Apostelgeschichte 19,31. WA 293.3

Die Unruhe nahm dort ständig zu. “Etliche schrien so, etliche anders, und die Versammlung war in Verwirrung, und die meisten wußten nicht, warum sie zusammengekommen waren.” Apostelgeschichte 19,32. Die Tatsache, daß Paulus und einige seiner Begleiter hebräischer Herkunft waren, veranlaßte die Juden, mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, daß sie weder mit ihm noch mit seinem Wirken irgend etwas zu tun hatten. Deshalb forderten sie einen aus ihrer Mitte auf dies dem Volk zu erklären. Alexander wurde zum Sprecher gewählt, einer der Handwerker, ein Kupferschmied, den Paulus später als einen erwähnte, der ihm viel Böses zugefügt habe. (Siehe 2.Timotheus 4,14.) Alexander, ein außerordentlich fähiger Mann, setzte seine ganze Kraft ein, um den Zorn des Volkes allein auf Paulus und dessen Gefährten abzulenken. Als die Menge aber erkannte, daß er ein Jude war, stieß sie ihn beiseite. Es “erhob sich eine Stimme von allen, und schrien bei zwei Stunden: Groß ist die Diana der Epheser!” Apostelgeschichte 19,34. WA 293.4

Schließlich hielten die Schreier erschöpft inne, und für einige Augenblicke war es ganz still. Dem Kanzler gelang es, die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zu lenken und sich kraft seines Amtes Gehör zu verschaffen. Ihre Angelegenheit zu seiner eigenen erklärend, wies er darauf hin, daß für den gegenwärtigen Tumult kein Anlaß vorhanden sei. Er appellierte an ihre Vernunft mit den Worten: “Ihr Männer von Ephesus, wo ist ein Mensch, der nicht wisse, daß die Stadt Ephesus sei eine Hüterin der großen Göttin Diana und ihres Bildes, das vom Himmel gefallen ist? Weil nun das unwidersprechlich ist, so sollt ihr ja stille sein und nichts Unbedachtes tun. Ihr habt diese Menschen hergeführt, die weder Tempelräuber noch Lästerer unsrer Göttin sind. Hat aber Demetrius und die mit ihm sind vom Handwerk an jemanden einen Anspruch, so gibt es Gerichte und sind Landvögte da; lasset sie sich untereinander verklagen. Wollt ihr aber noch etwas darüber hinaus, so mag man es ausrichten in einer ordentlichen Volksversammlung. Denn wir stehen in der Gefahr, daß wir um des heutigen Tages willen des Aufruhrs verklagt werden möchten, und ist doch keine Sache vorhanden, womit wir solchen Aufruhr entschuldigen könnten. Und da er solches gesagt, ließ er die Versammlung gehen.” Apostelgeschichte 19,35-40. WA 294.1

Demetrius hatte in seiner Rede behauptet, ihr Handwerk sei in Gefahr. Diese Anschuldigung offenbarte sowohl den eigentlichen Grund für den Aufruhr zu Ephesus als auch die Ursache für viele Verfolgungen, die die Apostel immer wieder bei ihrer Arbeit erdulden mußten. Demetrius und seine Handwerksgenossen sahen, daß durch die Lehre und Ausbreitung des Evangeliums das Geschäft des Götzenhandels in Gefahr geriet. Das Einkommen der heidnischen Priester und Künstler stand auf dem Spiele. Dieser Ursache wegen entfachten sie gegen Paulus heftigen Widerstand. WA 294.2

Durch die Entscheidung des Kanzlers und anderer, die in der Stadt Ehrenämter bekleideten, war Paulus vor allem Volk von jeder ungesetzlichen Handlung freigesprochen worden. Dies war ein weiterer Sieg des Christentums über Irrtum und Aberglauben. Gott hatte sich eines hohen Regierungsbeamten bedient, um seinen Apostel zu rechtfertigen und das aufrührerische Volk in Schach zu halten. Paulus war Gott von Herzen dankbar, daß er sein Leben verschont hatte und daß das Christentum durch den Aufruhr in Ephesus nicht in Verruf gekommen war. WA 295.1

“Da nun das Getümmel aufgehört hatte, rief Paulus die Jünger zu sich und ermahnte sie, nahm Abschied und zog aus, zu reisen nach Mazedonien.” Apostelgeschichte 20,1. Zwei treue Brüder aus Ephesus, Tychikus und Trophimus begleiteten ihn auf dieser Reise. WA 295.2

Paulus’ Wirken zu Ephesus war abgeschlossen. Sein Dienst in dieser Stadt war eine Zeit unaufhörlicher Arbeit, vieler Anfechtungen und schwerer Sorgen gewesen. Er hatte öffentlich und von Haus zu Haus gelehrt und unter Tränen das Volk unterwiesen und gewarnt. Dabei war er immer wieder von den Juden angegriffen worden, die keine Gelegenheit versäumten, die öffentliche Meinung gegen ihn zu erregen. WA 295.3

Während Paulus gegen diesen Widerstand kämpfte, mit unermüdlichem Eifer das Evangeliumswerk vorantrieb und über das Wohl der im Glauben noch jungen Gemeinde wachte, lastete auf seiner Seele eine schwere Bürde für alle Gemeinden. WA 295.4

Großen Kummer bereitete ihm die Kunde vom Abfall einiger Glieder in den Gemeinden, die er gegründet hatte. Er befürchtete, daß alle seine Bemühungen um sie vergeblich gewesen sein könnten. Manche schlaflose Nacht verbrachte er im Gebet und in ernstem Nachdenken, als er erfuhr, mit welchen Mitteln seiner Arbeit entgegengewirkt wurde. Wenn sich ihm die Gelegenheit bot und die Verhältnisse es erforderten, schrieb er Briefe an die Gemeinden, in denen er sie tadelte und ihnen Rat, Mahnung und Ermutigung erteilte. In diesen Briefen hielt er sich zwar nicht bei seinen eigenen Schwierigkeiten auf; dennoch gewähren sie gelegentlich einen Einblick in sein Wirken und Leiden für die Sache Christi. Schläge und Gefängnis, Kälte, Hunger und Durst, Gefahren zu Lande und zu Wasser, in der Stadt und in der Wüste, von seinen eigenen Landsleuten, von den Heiden und von falschen Brüdern — alles erduldete er um des Evangeliums willen. Er wurde gelästert, gescholten, zum “Abschaum der Welt” erniedrigt (1.Korinther 4,13), geängstigt, verfolgt, hatte “allenthalben Trübsal”, war “alle Stunde in Gefahr”, wurde “immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen.” 2.Korinther 4,8-11; 1.Korinther 15,30. WA 295.5

Mitten im ständigen Sturm des Widerstandes, umtost vom Geschrei der Feinde und von Freunden verlassen, verlor der unerschrockene Apostel beinahe den Mut. Aber er blickte zurück nach Golgatha und ging dann mit neuem Eifer daran, die Erkenntnis von dem Gekreuzigten zu verbreiten. Er beschritt nur den blutgetränkten Pfad, den Christus vor ihm gegangen war, und wollte nicht von diesem Kampfe entbunden werden, ehe er nicht seine Rüstung zu den Füßen seines Erlösers niederlegen durfte. WA 296.1