Leben und Wirken von Ellen G. White

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Kapitel 60: Gedächtnisfeier in Richmond

Auf besondere Bitte der Beamten der Pacific Unionskonferenz und der californischen Konferenz der Siebenten-Tags-Adventisten wurde eine Gedächtnisfeier in Richmond, Cal., gehalten, und zwar am Tage nach der Begräbnisfeier zu “Elmshaven”. LW 518.1

Es war nicht schwierig, eine solche Feier zu arrangieren, da die jährliche Lagerversammlung der californischen Konferenz in Richmond im Gange war und diese Stadt an der Hauptbahn von der pazifischen Küste nach dem Osten liegt, wohin die Leiche zwecks Beisetzung in der Familiengruft gebracht werden sollte. Demgemäss wurden den in der Nähe gelegenen größeren Gemeinden Bekanntmachungen zugesandt, und am Morgen des 19. Juli waren wenigstens tausend Freunde aus den Städten in der Umgebung der San Franciscoer Bai und entfernteren Ortschaften auf dem Lagergrund versammelt. LW 518.2

Ältester E. G. Androß, der Präsident der Pacific Unionskonferenz, hatte die Leitung, und ihm standen Ältester E. W. Farnsworth, Vizepräsident der Union, Ältester J. N. Loughborough, ein ehrwürdiger Pionier der Adventbewegung, und Ältester A. O. Tait, Redakteur der “Signs of the Times”, behilflich zur Seite. LW 518.3

Das Eröffnungslied, “Sweet be thy rest”, und das Vorlesen von etlichen Schriftstellen vom Ältesten E. W.1 LW 518.4

Farnsworth (1.Korinther 15,15-20.35-38.42-45; 2.Korinther 4,6-18; 5,1-10) bereiteten die Gemüter der Versammelten darauf vor, auf den Geist des vom Ältesten Loughborough gesprochenen Gebets einzugehen, in welch letzterem er anerkannte, dass, “obgleich Trübsale und Prüfungen über uns kommen, und obgleich Arbeiter in diesem Werke wegen Mangel an körperlicher Kraft die Rüstung ablegen müssen”, doch der Vorsatz Gottes ausgeführt werden wird. Als der Heiland ins Grab gelegt wurde, da dachten seine Jünger, dass sein Werk auf Erden nun zum Ende gekommen sei; aber sein Tod am Kreuze war in Wirklichkeit gerade das Leben des Werkes, das er befürwortet hatte. LW 519.1

Eine vom Ältesten M. C. Wilcox, von der Pacific Press Verlagsgesellschaft, sorgfältig ausgearbeitete biographische Skizze wurde von einem Kollegen, dem Ältesten A. O. Tait, vorgelesen, weil Ältester Wilcox im Osten war. In den ersten Paragraphen wurde der Grundsatz hervorgehoben, dass “Gott viel aus einzelnen Personen machen kann. Alle großen Erweckungen und Krisen der Jahrhunderte haben einzelne Personen als Mittelpunkt gehabt, so dass die Lebensgeschichte dieser Personen die Geschichte des Werkes Gottes in der Welt oder die Geschichte der Krisen oder Bewegungen einschließen muss.” Die Biographien von Noah, Abraham und andern ebräischen Glaubensmännern, von Wiklif, Luther und den Gebrüdern Wesley anführend, fuhr der Schreiber fort: LW 519.2

“In der Adventbewegung, dem Verkündigen der letzten Reformbotschaft an die Welt, sind zwei Personen, deren Biographien den Anfang und die Begründung der Bewegung und ihr sich über die ganze Welt erstreckendes Wachstum einschließen muss. Nein, noch mehr, die durch sie wirkende Hand Gottes wird bis zum Ende fühlbar bleiben. Ich nehme Bezug auf den Ältesten James White und seine geliebte Gemahlin, Frau Ellen G. White.” LW 519.3

In diesem Überblick über die Lebensgeschichte der Frau White, wie in Richmond vorgelesen, wurde von ihrem Wirken an der pazifischen Küste folgender Umriss gegeben: LW 520.1

“Das Werk in Californien war im Sommer des Jahres 1868 von den Ältesten J. N. Loughborough und D. T. Bourdeau angefangen worden. Im Herbst des Jahres 1872 besuchten Ältester White und Gemahlin San Francisco, Santa Rosa, Woodland und Petaluma. Hier wurden die Botschaften von ernsten Seelen angenommen, und ihr Wirken wurde sehr geschätzt. LW 520.2

“Im Februar 1873 gingen Bruder und Schwester White nach Michigan, kehrten aber im Dezember jenes Jahres nach Californien zurück, um neue und größere Bürden aufzunehmen und mit neuen Unternehmungen zu beginnen. Im Jahre 1874 halfen sie in zwei in Dakland abgehaltenen Zeltversammlungen. Hier sprach Frau White vor einer Wahl, in welcher über den Getränkehandel abgestimmt werden sollte, mit sichtlichem Erfolge über die Mäßigkeitsfrage. LW 520.3

“Um diese Zeit wurde in Oakland mit dem Verlagswerke angefangen, denn die erste Ausgabe der ‘Signs of the Times’ trug das Datum vom 4. Juni 1874. Im Jahre 1975 wurde die ‘Pacific Press Publishing Company’ organisiert, und zwar mit einem Anfangskapital von nur $28 000. Diese Korporation ist jetzt in die ‘Pacific Press Pubishing Association’ übergegangen, die jetzt einen Wert von beinahe $250 000 hat und jährlich religiöse und erzieherische Literatur im Werte von einer halben Million Dollar herausgibt. LW 520.4

“Gott offenbarte der Frau White, dass an der pazifischen Küste und in den Städten an der Bai ein großes Werk getan werden würde. Dies begann sich sehr bald zu verwirklichen; denn in Oakland und San Francisco wurden in den Jahren 1875 und 1876 Kirchen gebaut. LW 520.5

Um zum Bau dieser Kirchen beizutragen, verkauften Herr und Frau White alles, was sie im Osten besaßen. LW 521.1

“Frau White war mit der Begründung des Kollegiums in Healsburg, von welchem Arbeiter nach allen Teilen der Welt gegangen sind, eng verbunden. Jene Schule ist jetzt in dem Pacific Union College, in der Nähe von St. Helena, aufgegangen, welches auch ihre herzliche Unterstützung gehabt hat. LW 521.2

“Da Ältester White und seine Gemahlin eine große Bürde im Aufbau des Sanatoriums zu Battle Creek, Mich., getragen hatten, so machte es ihnen besondere Freude, zu einem ähnlichen Werke in Californien zu ermutigen, was denn schließlich zu der Entwicklung des Sanatoriums zu St. Helena, welches als der sogenannte ‘Rural Health Retrat’ begann. Da Frau White während ihres ganzen Lebens körperlich zu leiden hatte, hatte sie immer Mitgefühl mit den Leidenden und Kranken. In Verbindung mit drei andern ärztlichen Missionsunternehmungen in Californien — in Paradise Valley, in der Nähe von San Diego; zu Glendale, in der Nähe von Los Angeles, und zu Loma Linda — hat Frau White schwere Bürden getragen und große Hilfe geleistet. Dies ist besonders der Fall mit dem ‘College of Medical Evangelist’ zu Loma Linda. LW 521.3

“Im Jahre 1878 reiste sie nach Oregon. Hier besuchte sie die erste in Oregon gehaltene Lagerversammlung, nämlich die zu Salem ... LW 521.4

“Ihr Leben war ein Leben der Aufopferung. In Armut, in schwacher Gesundheit, selber krank und mit kranker Familie, im Verein mit ihrem Manne mit ihren Händen arbeitend, nur die allernotwendigsten Lebensbedürfnisse befriedigend, andern unter den größten Entmutigungen, die sie selber durchzumachen hatte, noch Hoffnung einflößend und sie aufmunternd, hat sie, länger als man erwartet hatte, in ernster Selbstverleugnung und sich selbst vergessend zum Besten anderer gewirkt. Sie hat viel mehr gegeben, als sie zu einem sorgenfreien Leben gebraucht hätte. Ihre Aufforderungen an andere sind gewesen, für Gott und die Menschheit zu wirken; und sie ist hierin reich von Gott gesegnet worden. Oft war sie dem Tode nahe, und ihre Freunde zweifelten an ihrem Aufkommen, und immer wieder wurde sie von Ärzten aufgegeben; aber ihre Gesundheit ist wiederholt auf wunderbare Weise wiederhergestellt worden. LW 521.5

“Frau White hat mit ihrem Werke hier aufgehört, wie sie es angefangen hat — arm an den Gütern dieser Welt. Ihr Einkommen von ihren Büchern — keine unbeträchtliche Summe — ist in freigiebiger Weise benutzt worden, um bedürftigen Unternehmungen und bedürftigen Leuten zu helfen. Ihr Herz ist immer voller Sympathie gewesen, und ihre Hände haben oft den Kranken und Leidenden gedient ... LW 522.1

“Das Leben der Frau White lebt noch nach ihr. Sie hat sich Feinde gemacht durch ihr gerades, furchloses Lehren und die Tadelworte, die sie aussprechen musste. Sie ist verleumdet und angefeindet worden. Diejenigen, die sie am besten kennen, können ihr Leben am besten beurteilen. Sie war menschlich und allen Schwächen und Leiden des Menschengeschlechtes unterworfen; aber sie fand in Christo einen köstlichen Heiland und Helfer. Er berief sie zu einem unpopulären Werke, und sie nahm es an. Er hat sie mächtiglich benutzt. Sie ist in Wahrheit eine Mutter in Israel gewesen. LW 522.2

“Unser treuer Herr brachte das maßvollste Urteil des menschlichen Herzens zum Ausdruck, als er sagte, dass ein Baum an seinen Früchten erkannt wird. In diesem Lichte sind das Leben unserer Schwester und sein segensreicher Einfluss auf alle, die damit in Berührung kamen, ein Zeugnis von ihrem Charakter und Wirken. Sie redet noch, wiewohl sie gestorben ist.” LW 522.3

Zu der Predigt, die dem Vorlesen der biographischen Skizze folgte, wählte Ältester E. E. Androß als Text die Worte: “Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben, von nun an. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.” LW 523.1

“Von niemand”, erklärte der Redner, “kann es wahrheitsgetreuer gesagt werden als von unserer teuren Schwester, dass diese Schriftstelle erfüllt ist; dennoch sehnen sich unter solchen Umständen wie diesen unsere Herzen nach dem herrlichen Auferstehungsmorgen. Uns verlangt danach, zu wissen, dass der Tod aufgehoben werden wird, dass die Schläfer erwachen werden. Wie selig das Leben, das aufgehört hat, auch gewesen ist, wir wollen wissen, dass unsere Lieben in glorreicher Unsterblichkeit auferstehen werden. Und der Herr hat uns nicht der Trauer überlassen wie solche, die keine Hoffnung haben. ‘Ich will sie erlösen aus der Hölle [dem Grabe], und vom Tode erretten,’ schreibt der Prophet; ‘Tod, ich will dir ein Gift sein; Hölle [Grab], ich will dir eine Pestilenz sein.’ Herrliche Worte! ... LW 523.2

“Weiter lese ich die Worte des Propheten Jesaja, wie im sechsundzwanzigsten Kapitel verzeichnet: ‘Aber deine Toten werden leben, meine Leichname werden auferstehen. Wacht auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn dein Tau ist ein Tau des grünen Feldes; aber das Reich der Toten wirst du stürzen.’ Der Tod wird endlich aufgehoben, und die Schläfer werden wieder aufwachen ... LW 523.3

“So sage ich euch heute, meinen lieben Brüdern, und besonders denjenigen, die bei dieser Gelegenheit am tiefsten trauern — nämlich den Familiengliedern —, wir sollen nicht trauern wie solche, die keine Hoffnung haben. Unsere Schwester hat sich nach siebenzig oder mehr Jahren ernster, treuer Arbeit für den Meister im letzten Schlafe zur Ruhe gelegt; aber sie wird bald wieder auferstehen. ‘Denn er selbst, der Herr, wird mit einem Feldgeschrei und Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes hernieder kommen vom Himmel.’ Sie wird seine Stimme hören und hervorkommen ... O, lasst uns, wie unsere geliebte Schwester, dem Lamme nachfolgen, wo es hingeht. Und wenn nach einer kleinen Weile unsere Arbeit beendet ist, mögen wir dann, wie der Apostel, sagen: Wir haben einen guten Kampf gekämpft, wir haben den Lauf vollendet, wir haben Glauben gehalten.” LW 523.4

Mit dem Singen eines Liedes und Entlassung der Versammelten vom Ältesten E. W. Farnsworth schloss die Gedächtnisfeier in Richmond. LW 524.1