Patriarchen und Propheten
Kapitel 13: Die Glaubensprüfung
Abraham hatte die Verheißung eines Sohnes hingenommen, ohne Fragen zu stellen, aber vermochte nicht, auf die Erfüllung dieses Gotteswortes zu seiner Zeit und auf seine Weise zu warten. Denn der Herr verzögerte sie, um Abrahams Glauben an die Macht Gottes auf die Probe zu stellen, und er bestand sie nicht. Sara hielt es für unmöglich, daß ihr in ihrem hohen Alter noch ein Kind geschenkt würde. Um aber die göttliche Absicht trotzdem zu verwirklichen, schlug sie Abraham eine Zweitehe mit einer ihrer Mägde vor. Die Vielweiberei war so weit verbreitet, daß man sie gar nicht mehr als etwas Sündhaftes ansah. Aber sie blieb eine Übertretung des göttlichen Gesetzes und wurde für die Heiligkeit und den Frieden des Familienkreises verhängnisvoll. Abrahams Ehe mit Hagar hatte nicht allein für sein Heim, sondern auch für die künftigen Geschlechter böse Folgen. PP 124.1
Hagar fühlte sich durch ihre ehrenvolle Stellung als Abrahams Frau überaus geschmeichelt. In der Erwartung, Mutter eines großen Volkes zu werden, das von ihr abstammen sollte, wurde sie stolz und behandelte ihre Herrin geringschätzig. Gegenseitige Eifersüchteleien störten den Frieden des einst so glücklichen Heimes. Abraham hörte notgedrungen auf beider Klagen und suchte vergeblich, die Eintracht zu erhalten. Obwohl er Hagar nur auf Saras dringende Bitte geheiratet hatte, warf sie ihm das jetzt als seine Schuld vor. Sie wünschte die Vertreibung der Nebenbuhlerin. Aber das lehnte Abraham ab. Hagar sollte die Mutter seines Sohnes der Verheißung werden, wie er sehnsüchtig hoffte. Sie blieb trotzdem Saras Dienerin, und er beließ es auch dabei, daß sie seiner Frau unterstand. Aber Hagars hochmütiger Sinn konnte die unfreundliche Behandlung, die sie mit ihrer Anmaßung herausgefordert hatte, nicht ertragen. “Als nun Sarai sie demütigen wollte, floh sie von ihr.” 1.Mose 16,6. PP 124.2
Sie machte sich auf den Weg in die Wüste, und als sie allein und verlassen an einer Quelle ausruhte, erschien ihr ein Engel des Herrn in menschlicher Gestalt. Er redete sie an mit “Hagar, Sarais Magd”, um sie an ihre Stellung und ihre Pflicht zu erinnern, und befahl ihr: “Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.” 1.Mose 16,8.9. Doch verband er mit dem Tadel Worte des Trostes. “Der Herr hat dein Elend erhört.” 1.Mose 16,11. “Ich will deine Nachkommen so mehren, daß sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.” 1.Mose 16,10. Und zur dauernden Erinnerung an seine Barmherzigkeit sollte sie ihr Kind Ismael nennen, “Gott hört”. PP 125.1
Als Abraham nahezu hundert Jahre alt war, wiederholte Gott die Verheißung eines Sohnes mit der Versicherung, daß der künftige Erbe das Kind Saras sein würde. Aber Abraham verstand noch immer nicht. Seine Gedanken gingen sofort zu Ismael, und er klammerte sich an den Gedanken, daß Gottes gnädige Absicht durch ihn erfüllt würde. Voller Liebe zu seinem Sohn rief er aus: “Ach daß Ismael möchte leben bleiben vor dir!” Abermals wiederholte Gott die Verheißung in unmißverständlichen Worten: “Sara, deine Frau, wird dir einen Sohn gebären, den sollst du Isaak nennen, und mit ihm will ich meinen ewigen Bund aufrichten.” Doch berücksichtigte Gott auch die Bitte des Vaters. “Und für Ismael habe ich dich auch erhört. Siehe, ich habe ihn gesegnet ... und ich will ihn zum großen Volk machen.” 1.Mose 17,18-20. PP 125.2
Isaaks Geburt brachte nach lebenslangem Warten die Erfüllung ihrer sehnlichsten Hoffnungen und erfüllte die Zelte Abrahams und Saras mit Freude. Für Hagar dagegen bedeutete das die Vernichtung ihrer ehrgeizigen Lieblingspläne. Im Lager hatte man den herangewachsenen Ismael allgemein als Erben der Reichtümer und Segnungen angesehen, die Abrahams Nachkommen verheißen waren. Nun wurde er plötzlich zur Seite geschoben, und in ihrer Enttäuschung haßten Mutter und Sohn das Kind Saras. Die allseitige Freude steigerte ihre Eifersucht noch, bis Ismael sich unterstand, den Erben der göttlichen Verheißung öffentlich zu verspotten. Sara sah in Ismaels Aufsässigkeit eine dauernde Quelle der Zwietracht, und so drang sie in Abraham, Hagar und Ismael aus dem Lager zu entfernen. PP 125.3
Das brachte den Patriarchen in arge Bedrängnis. Wie konnte er Ismael, den noch immer geliebten Sohn, verstoßen? In seiner Not flehte er um göttliche Führung. Da befahl ihm Gott durch einen Engel, Saras Wunsch nachzugeben. Seine Liebe zu Ismael oder Hagar sollte dem Familienglück nicht im Wege stehen, denn nur so konnte die Eintracht wieder hergestellt werden. Ihm wurde aber die tröstliche Zusage, daß Ismael auch fern vom Heim des Vaters nicht von Gott verlassen sein würde. Er sollte am Leben bleiben und der Vater eines großen Volkes werden. Abraham gehorchte den Worten des Engels, aber nicht ohne bitteres Weh. Sein Vaterherz war schwer von unaussprechlichem Leid, als er Hagar und ihren Sohn wegschickte. PP 125.4
Diese Lehre, die Abraham über die Heiligkeit der Ehe erteilt wurde, kann allen zur Warnung dienen. Sie besagt, daß Rechte und Glück dieser Verbindung sorgfältig gehütet werden sollten, wenn es sein muß, auch unter Opfern. Sara war die einzige rechtmäßige Frau Abrahams. Ihre Rechte als Gattin und Mutter sollte sie mit keiner anderen teilen. Sie achtete ihren Mann sehr hoch und deshalb wird sie im Neuen Testament als ein würdiges Vorbild hingestellt. Aber sie war unwillig darüber, daß Abraham auch einer anderen Zuneigung entgegenbrachte, und der Herr tadelte sie nicht, als sie die Verstoßung ihrer Nebenbuhlerin forderte. Abrahams und Saras mangelndes Vertrauen in die Macht Gottes hatte sie zu dem Irrtum bewogen, die Ehe mit Hagar zu schließen. PP 126.1
Gott hatte Abraham zum Vater der Gläubigen berufen. Sein Leben sollte für spätere Geschlechter beispielgebend sein. Aber noch war sein Glaube unvollkommen. Das bewies er durch sein mangelndes Vertrauen zu Gott, als er verheimlichte, daß Sara seine Frau war, und ebenso, als er Hagar heiratete. Damit er die höchste Reife erlange, legte ihm Gott eine Prüfung auf, die härter war, als sie je ein Mensch zu erdulden hatte. In einem Nachtgesicht gab er ihm die Weisung, ins Land Morija zu gehen und dort auf einem Berge, den er ihm zeigen würde, seinen Sohn als Brandopfer darzubringen. PP 126.2
Als Abraham diesen Auftrag erhielt, war er bereits hundertzwanzig Jahre alt, also selbst für seine Zeit ein alter Mann. Früher hatte er Mühsal ertragen und Gefahren getrotzt. Nun aber war das Jugendfeuer erloschen. In der Kraft der Mannesjahre kann man Schwierigkeiten und Anfechtungen tapfer begegnen, vor denen einem im Alter, wenn man dem Grabe zuwankt, der Mut entfallen würde. Aber gerade die letzte und schwerste Prüfung blieb Abraham vorbehalten, bis die Jahre schon schwer auf ihm lasteten und er den Wunsch hatte, von Sorge und Mühe auszuruhen. PP 126.3
Als wohlhabender und angesehener Mann wohnte der Patriarch damals in Beerseba. Er war sehr reich, und die Herren des Landes achteten ihn als einen mächtigen Fürsten. Tausende von Schafen und Rindern weideten in den Ebenen, die sich rund um sein Lager erstreckten. Überall standen Zelte seiner Verwalter, die Heime von Hunderten treuer Diener. An seiner Seite war der Sohn der Verheißung herangewachsen. Der Himmel schien sein aufopferndes Leben, das die immer wieder verzögerte Hoffnung in Geduld ertrug, mit Segen gekrönt zu haben. PP 127.1
Im Glaubensgehorsam hatte Abraham seine Heimat, seine Verwandten und die Gräber der Väter verlassen. Als Fremdling war er im Lande seines Erbteils umhergewandert. Wie lange hatte er auf den verheißenen Erben warten müssen! Auf Gottes Befehl hatte er seinen Sohn Ismael fortgeschickt. Und jetzt, als das so lange ersehnte Kind ins Mannesalter kam und der Patriarch die Erfüllung seiner Hoffnung zu sehen glaubte, stand ihm eine Prüfung bevor, die schwerer war als alle früheren. PP 127.2
Der Auftrag mußte das Herz des Vaters mit Seelenqual erfüllen: “Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer.” 1.Mose 22,2. Isaak war der Sonnenschein des Hauses, der Trost seines Alters und vor allem der Erbe des verheißenen Segens. Hätte er diesen Sohn durch Unfall oder Krankheit verloren, würde es ihn bis ins Mark getroffen haben. Der Kummer hätte sein graues Haupt niedergebeugt. Nun aber gebot ihm Gott, das Blut seines Sohnes mit eigener Hand zu vergießen. Das erschien ihm furchtbar, ja unmöglich. PP 127.3
Satan war bereit, ihm einzuflüstern, daß er sich getäuscht haben müsse, denn das Gesetz Gottes lautete: “Du sollst nicht töten.” 2.Mose 20,13. Gott könne doch nicht fordern, was er einst verboten hatte. Abraham trat aus seinem Zelt und schaute auf zu der stillen Pracht des wolkenlosen Himmels. Er rief sich die Zusage in die Erinnerung zurück, die er vor beinahe fünfzig Jahren erhalten hatte, daß seine Nachkommen zahllos sein würden wie die Sterne. Wie könnte Isaak getötet werden, wenn diese Verheißung doch durch ihn in Erfüllung gehen sollte? PP 127.4
Abraham war versucht zu glauben, daß er einer Täuschung erlegen sei. Von Zweifel und Angst überwältigt, beugte er sich zur Erde nieder und betete wie nie zuvor im Leben um irgendeine Bestätigung des Befehls, sofern er diese schreckliche Pflicht erfüllen müßte. Er erinnerte sich der gottgesandten Engel, die ihm Sodoms Zerstörung ankündigten. Sie brachten ihm auch die Verheißung dieses Sohnes Isaak. Es zog ihn dorthin, wo er sie einige Male getroffen hatte, in der Hoffnung, ihnen wieder zu begegnen und andere Weisungen zu erhalten. Aber niemand kam ihm zu Hilfe. Finster war es um ihn, nur Gottes Gebot klang in seinen Ohren: “Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast.” 1.Mose 22,2. Dem mußte er gehorchen, und er wagte nicht zu zögern. Der Tag zog herauf, er mußte sich auf den Weg machen. PP 128.1
Als er ins Zelt zurückkehrte, trat er an Isaaks Lager, der den tiefen, ungestörten Schlaf der Jugend und Unschuld schlief. Einen Augenblick schaute der Vater auf das liebe Gesicht des Sohnes, dann wandte er sich bebend ab. Er ging zu Sara, die ebenfalls schlief. Sollte er sie wecken, daß sie ihr Kind noch einmal umarmen könnte? Sollte er zu ihr von Gottes Forderung sprechen? Er sehnte sich danach, ihr sein Herz auszuschütten und die schreckliche Verantwortung mit ihr zu teilen. Aber die Furcht, sie könnte ihn zurückzuhalten suchen, hinderte ihn daran. Isaak war Saras Freude und ihr Stolz. Er erfüllte ihr ganzes Denken, und die Liebe der Mutter hätte das Opfer verhindern können. PP 128.2
Schließlich weckte Abraham seinen Sohn und erzählte ihm von dem Befehl, auf einem entfernten Berge ein Opfer darzubringen. Isaak hatte den Vater oft zu den Altären begleitet, die er auf seinen Wanderungen errichtet hatte, um anzubeten. Deshalb überraschte ihn diese Aufforderung nicht. Schnell trafen sie die Vorbereitungen zur Reise. Sie legten das Holz zurecht, luden es auf den Esel und machten sich mit zwei Knechten auf den Weg. PP 128.3
Schweigend wanderten Vater und Sohn Seite an Seite. Dem Erzvater, der über seinem schweren Geheimnis grübelte, war nicht nach Plaudern zumute. Seine Gedanken verweilten bei der glücklichen Mutter und dem Augenblick, wenn er allein zurückkehrte. Er wußte wohl, daß das Messer, womit er seinem Sohne das Leben nähme, auch ihr Herz durchbohren würde. PP 128.4
Der Tag, der längste, den Abraham je erlebte, schlich langsam seinem Ende zu. Während sein Sohn und die jungen Leute schliefen, verbrachte er die Nacht im Gebet. Noch immer hoffte er, daß irgendein Himmelsbote kommen und ihm zurufen würde, daß es genug sei mit der Prüfung und Isaak unversehrt zu seiner Mutter zurückkehren dürfe. Aber seiner gemarterten Seele wurde keine Hilfe zuteil. Der nächste lange Tag verging, ebenso eine weitere Nacht in demütigem Gebet, und immer klang der Befehl in seinen Ohren, der ihm das Kind rauben würde. Satan näherte sich ihm und versuchte, ihm Zweifel und Unglauben einzuflüstern, aber Abraham widerstand der Versuchung. Als er am dritten Tage beim Aufbruch nach Norden schaute, sah er das verheißene Zeichen, eine Wolke der Herrlichkeit, über dem Berge Morija schweben. Nun wußte er, daß die Stimme, die zu ihm gesprochen hatte, vom Himmel war. PP 128.5
Auch jetzt murrte er nicht gegen Gott, sondern holte sich Kraft aus der Erinnerung an die Beweise dessen Güte und Treue, die er erfahren hatte. Dieses Kind war ihm geschenkt worden, als es (nach menschlichem Ermessen) nicht mehr zu erwarten war. Hatte er, der ihm diese kostbare Gabe verliehen hatte, nicht das Recht, sein Eigentum zurückzufordern? Dann wiederholte er gläubig die Verheißung, “nach Isaak soll dein Geschlecht benannt werden” (1.Mose 21,12), das zahllos sein würde wie der Sand am Meer. Isaaks Geburt war ein Wunder. Konnte nicht die Macht, die ihm das Leben gab, es ihm ein zweites Mal schenken? Als er über das Sichtbare hinausschaute, begriff er das Wort: “Gott kann auch wohl von den Toten erwecken.” Hebräer 11,19. PP 129.1
Doch konnte außer Gott niemand verstehen, wie groß des Vaters Opfer war, wenn er seinen Sohn in den Tod gab. Abraham wollte außer Gott keinen Zeugen des Abschieds haben. Deshalb befahl er seinen Knechten, zurückzubleiben: “Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.” 1.Mose 22,5. Er legte Isaak, der das Opfer werden sollte, das Holz auf. Der Vater nahm Messer und Feuer, und miteinander stiegen sie zum Berggipfel hinauf. Im stillen wunderte sich der junge Mann, woher so weit von den Herden entfernt das Opfertier kommen sollte. “Mein Vater!” sagte er endlich, “siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?” Welche Prüfung war das! Wie schnitten die rührenden Worte “mein Vater” Abraham ins Herz! Noch nicht, noch immer nicht konnte er’s ihm sagen. “Mein Sohn”, erwiderte er, “Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.” 1.Mose 22,7.8. PP 129.2
An dem bezeichneten Platz bauten sie den Altar und legten das Holz darauf. Dann eröffnete Abraham seinem Sohn mit zitternder Stimme die göttliche Botschaft. Erschrocken und bestürzt hörte Isaak von seinem Schicksal, aber er leistete keinen Widerstand. Es wäre ihm möglich gewesen zu entrinnen, wenn er das gewollt hätte. Der vom Kummer verzehrte alte Mann, von der Qual der drei letzten schrecklichen Tage völlig erschöpft, hätte den kräftigen jungen Mann nicht daran hindern können. Aber Isaak war von Kindheit an zu bereitwilligem, vertrauensvollem Gehorsam erzogen worden. Als ihm der Vater Gottes Absicht offenbarte, beugte er sich deshalb willig. Er teilte Abrahams Glauben und war bereit, Gott sein Leben zum Opfer zu bringen. Zartfühlend versuchte er, dem Vater seinen Kummer zu erleichtern. Er half dem Greis, der mit kraftlosen Händen die Stricke binden wollte, die ihn an den Altar fesseln sollten. PP 130.1
Und nun kam der Abschied, die letzten Worte, die letzten Tränen, die letzte Umarmung. Der Vater hob das Messer, um seinen Sohn zu töten. Da wurde sein Arm plötzlich festgehalten. Ein Engel vom Himmel rief dem Erzvater zu: “Abraham! Abraham!” Schnell antwortete er: “Hier bin ich.” Abermals hörte er die Stimme: “Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, daß du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.” 1.Mose 22,11.12. PP 130.2
“Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen.” Eilig brachte er das neue Opfer herbei und opferte es “an seines Sohnes Statt”. In seiner Freude und Dankbarkeit gab Abraham dem heiligen Ort einen neuen Namen: “Der Herr sieht”. 1.Mose 22,13.14. PP 130.3
Auf dem Berge Morija erneuerte Gott seinen Bund abermals und bestätigte Abraham und seinen Nachkommen für alle künftigen Geschlechter den Segen mit einem feierlichen Eid: “Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der Herr: Weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, will ich dein Geschlecht segnen und mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und deine Nachkommen sollen die Tore ihrer Feinde besitzen; und durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast.” 1.Mose 22,16-18. PP 130.4
Abrahams große Glaubenstat ist ein leuchtendes Vorbild und wies den Dienern Gottes aller späteren Jahrhunderte den Weg. Abraham versuchte nicht zu erreichen, daß ihm die Erfüllung des göttlichen Willens erlassen wurde. Auf der dreitägigen Wanderung hatte er genügend Zeit, darüber nachzudenken und an Gott zu zweifeln, wenn er dazu neigte. Wäre auf diese Weise nicht seine Wirksamkeit als Wohltäter der Menschheit zunichte und seine Verkündigung abgelehnt worden, wenn er seinen Sohn tötete und man ihn als Mörder, als einen zweiten Kain ansehen mußte? Hätte er für seinen Ungehorsam nicht auch sein Alter vorschützen können? Aber er nahm zu keiner dieser Ausreden Zuflucht. Abraham war ein Mensch wie wir, hatte Empfindungen und Neigungen wie wir. Aber er blieb nicht stehen bei der Frage, wie sich die Verheißung nach Isaaks Tode erfüllen könnte. Und er hielt sich auch nicht mit Vernunftgründen für sein wundes Herz auf. Er wußte, Gott ist in allen seinen Forderungen gerecht; darum gehorchte er dem Befehl aufs Wort. PP 131.1
“Abraham hat Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet, und ward ‘ein Freund Gottes’ geheißen.” Jakobus 2,23. Und Paulus sagt: “Die des Glaubens sind, das sind Abrahams Kinder.” Galater 3,7. Aber Abrahams Glaube bekundete sich durch die Tat. “Ist nicht Abraham, unser Vater, durch Werke gerecht geworden, als er seinen Sohn Isaak auf dem Altar opferte? Da siehest du, daß der Glaube zusammengewirkt hat mit seinen Werken und durch die Werke der Glaube vollkommen geworden ist.” Jakobus 2,21.22. Viele verstehen die Beziehung von Glaube und Werken nicht. Sie sagen: “Glaube nur an Christus, und du hast nichts zu fürchten, nichts zu tun mit dem Halten des Gesetzes.” Aber echter Glaube zeigt sich im Gehorsam. Christus sagte den ungläubigen Juden: “Wenn ihr Abrahams Kinder wäret, so tätet ihr Abrahams Werke.” Johannes 8,39. Und über den Glaubensvater urteilt der Herr, daß er “meiner Stimme gehorsam gewesen ist und gehalten hat meine Rechte, meine Gebote, meine Weisungen und mein Gesetz.” 1.Mose 26,5. Der Apostel Jakobus sagt: “Der Glaube, wenn er nicht Werke hat, ist er tot in sich selber.” Jakobus 2,17. Und Johannes, der die Liebe so nachdrücklich betont, sagt uns: “Das ist die Liebe zu Gott, daß wir seine Gebote halten.” 1.Johannes 5,3. PP 131.2
Durch Vorbild und Verheißung gab Gott “dem Abraham zum voraus die Frohe Botschaft”. Galater 3,8 (Albrecht). Der Glaube des Erzvaters war auf den kommenden Erlöser gerichtet. Christus sagt zu den Juden: “Abraham, euer Vater, ward froh, daß er meinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich.” Johannes 8,56. Der an Stelle Isaaks getötete Widder versinnbildete den Sohn Gottes, der für uns geopfert werden sollte. Als der Mensch durch die Übertretung des göttlichen Gesetzes dem Tode verfiel, sprach der Vater im Hinblick auf seinen Sohn zu dem Sünder: “Lebe, ich habe ein Lösegeld gefunden.” PP 132.1
Gott gebot Abraham, seinen Sohn zu töten, um ihm das Evangelium einprägsam zu veranschaulichen und seinen Glauben zu prüfen. Er ließ die Seelenpein in den dunklen Tagen der furchtbaren Prüfung zu, damit er durch eigenes Erleben etwas von der Größe des Opfers begriffe, das der unendliche Gott für die Erlösung des Menschen brachte. Nichts hätte Abraham mehr Qual bereiten können als die Opferung seines Sohnes. Gott gab seinen Sohn in einen Tod der Schmach und Schande. Die Engel, die Zeugen der Erniedrigung und Seelenangst des Sohnes Gottes wurden, durften nicht eingreifen wie bei Isaak. Keine Stimme durfte rufen: “Es ist genug.” Der König der Herrlichkeit gab sein Leben, um die gefallenen Menschen zu retten. Könnte es einen stärkeren Beweis für die unendliche Liebe und Barmherzigkeit Gottes geben? “Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben; wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?” Römer 8,32. PP 132.2
Das von Abraham geforderte Opfer war nicht nur für ihn selbst und für kommende Geschlechter von Bedeutung; es war auch lehrreich für die sündlosen Wesen des Himmels und anderer Welten. Hier war der Schauplatz des Kampfes zwischen Christus und Satan, das Gebiet, auf dem der Erlösungsplan verwirklicht wird. Weil Abraham Zweifel an Gottes Verheißungen hatte aufkommen lassen, hatte Satan ihn vor Gott und den Engeln verklagt. Er habe die Bedingungen des Bundes nicht eingehalten und sei deshalb seiner Segnungen nicht würdig. Deshalb wünschte Gott, die Treue seines Knechtes vor dem ganzen Himmel zu beweisen und zu veranschaulichen, daß er nur vollkommenen Gehorsam gelten lassen kann. Überdies wollte er ihnen den Erlösungsplan besser verständlich machen. PP 132.3
Die Himmelsbewohner waren Zeugen, als Gott Abrahams Glauben und Isaaks Ergebung prüfte. Diese Bewährungsprobe war weit schwerer als jene, die Adam zu bestehen hatte. Mit dem Verbot, das unsern ersten Eltern auferlegt wurde, war kein Leiden verbunden. Aber der Befehl an Abraham verlangte das qualvollste Opfer. Der ganze Himmel schaute mit Staunen und Bewunderung auf Abrahams unwandelbaren Gehorsam und zollte seiner Treue Anerkennung. Satans Anklagen erwiesen sich als falsch. Gott bestätigte seinem Knecht: “Nun weiß ich, daß du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.” 1.Mose 22,12. Gott bezeugte, daß Gehorsam belohnt werden wird, indem er vor den Bewohnern anderer Welten Abraham den Bund mit einem Eide bekräftigte. PP 133.1
Selbst die Engel vermochten das Geheimnis der Erlösung nur schwer zu erfassen. Sie konnten kaum verstehen, daß der Herr des Himmels, der Sohn Gottes, für schuldige Menschen sterben müsse. Als Gott Abraham die Opferung seines Sohnes befahl, erregte dies die Anteilnahme aller himmlischen Wesen. Mit tiefem Ernst beobachteten sie jeden Schritt hin zur Erfüllung jener Forderung. Abraham antwortete auf Isaaks Frage: “Wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?” “Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.” 1.Mose 22,7.8. Als Gott in dem Augenblick des Vaters Hand festhielt, als er seinen Sohn schlachten wollte, und danach der Widder an Isaaks Stelle geopfert wurde, da lüftete sich das Geheimnis der Erlösung. Nun verstanden die Engel Gottes wunderbare Vorsorge für die Menschen besser als früher. Vgl. 1.Petrus 1,10-12. PP 133.2