Patriarchen und Propheten
Kapitel 8: Nach der Flut
Die Gewässer stiegen bis fünfzehn Ellen über die höchsten Berge. Oft schien es der Familie in der Arche, als müsse sie umkommen. Fünf lange Monate war ihr Schiff scheinbar der Gewalt von Wind und Wellen ausgesetzt. Es war eine schwere Prüfungszeit, aber Noahs Glaube wankte nicht, denn er hatte die Gewißheit, daß Gottes Hand am Steuer war. PP 82.1
Als die Wasser allmählich fielen, trieb die Arche an einen Platz, der von schützenden Bergen umgeben war, die Gottes Macht bewahrt hatte. In diesen ruhigen Hafen gelangte sie nun und wurde nicht mehr auf dem grenzenlosen Ozean umhergeworfen. Das bedeutete für die müden, sturmgeschüttelten Bewohner der Arche eine Wohltat. PP 82.2
Unruhig warteten Noah und die Seinen auf das Abnehmen des Wassers. Sie sehnten sich danach, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Vierzig Tage nachdem die Bergspitzen wieder zu sehen waren, schickten sie einen Raben aus, also einen Vogel mit schneller Orientierung. Durch ihn wollten sie feststellen, ob die Erde trocken geworden war. Da er nichts als Wasser fand, kehrte er immer wieder zur Arche zurück. Sieben Tage später sandten sie eine Taube aus. Da auch sie keinen festen Boden fand, kam sie zur Arche zurück. Noah wartete weitere sieben Tage und ließ die Taube erneut hinaus. Als sie gegen Abend mit einem Ölblatt im Schnabel zurückkam, herrschte große Freude. Später “tat Noah das Dach von der Arche und sah, daß der Erdboden trocken war”. 1.Mose 8,13. Doch wartete er geduldig ab. Wie er auf Gottes Befehl die Arche betreten hatte, so würde er sie nicht ohne besondere Anweisung verlassen. PP 82.3
Schließlich kam ein Engel vom Himmel herab, öffnete die schwere Tür und gebot dem Patriarchen und seinen Angehörigen, hinauszutreten und alle Lebewesen mitzunehmen. In der Freude über ihre Befreiung vergaß Noah aber den nicht, dessen gnädige Fürsorge sie bewahrt hatte. Nach dem Verlassen der Arche baute er deshalb als erstes einen Altar und opferte von jeder Art reiner Tiere und Vögel. So bekundete er dem Herrn seine Dankbarkeit für die Errettung und zugleich seinen Glauben an Christus, das große Opfer. Diese Opferhandlung fand das Wohlgefallen des Herrn. So erwuchs daraus nicht nur Segen für den Patriarchen und seine Familie, sondern für alle, die auf Erden leben sollten. “Der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen ... Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.” 1.Mose 8,21.22. Das war eine Lehre für alle folgenden Geschlechter. Noah kehrte auf eine verwüstete Erde zurück, aber ehe er daran dachte, sich selbst ein Haus zu bauen, errichtete er Gott einen Altar. Sein Vorrat an Vieh war nicht groß und mit viel Mühe erhalten worden. Doch gab er freudig einen Teil dem Herrn als Bekenntnis, daß alles dessen Eigentum war. In dieser Gesinnung sollten auch wir Gott unsere freiwilligen Gaben bringen; wir sollten dankbar sein für alle erfahrene Liebe und Güte, und dies sowohl durch tätige Liebe zum Nächsten als auch durch Gaben für sein Werk bekunden. PP 82.4
Damit die Menschen nicht ständig unter der Furcht vor einer neuen Flut lebten, wenn sich Wolken zusammenballten und Regen fiel, ermutigte der Herr Noahs Familie mit der Verheißung: “Ich richte meinen Bund so mit euch auf, daß hinfort nicht mehr alles Fleisch verderbt werden soll durch die Wasser der Sintflut ... Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. Und wenn es kommt, daß ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken ... Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, daß ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und ... allem Fleisch, das auf Erden ist.” 1.Mose 9,11.13.14.16. PP 83.1
Wie groß war Gottes Güte und Erbarmen mit den irrenden Geschöpfen, daß er zum Zeichen seines Bundes mit ihnen den prachtvollen Regenbogen in die Wolken setzte! Wenn er auf ihn sieht, will er, wie Gott erklärte, sich seines Bundes erinnern. Dies bedeutet nicht, daß er vergeßlich wäre. Aber zum besseren Verständnis spricht er mit uns in unserer Sprache. Wenn spätere Generationen nach der Bedeutung des herrlichen, den Himmel umspannenden Bogens fragten, sollten ihnen die Eltern nach seinem Willen die Geschichte der Sintflut wiederholen. Sie sollten ihnen erzählen, daß der Allerhöchste diesen Bogen gefügt und in den Wolken sichtbar gemacht habe, damit Gewißheit darüber bestünde, daß niemals wieder die Wasser die ganze Erde überfluten würden. Auf diese Weise würde einem Geschlecht nach dem anderen die Liebe Gottes zum Menschen bezeugt und damit das Vertrauen zu Gott gestärkt. PP 83.2
Im Himmel umgibt eine Art von Regenbogen den Thron Gottes und wölbt sich über dem Haupte Christi. Der Prophet sagt: “Wie der Regenbogen steht in den Wolken, wenn es geregnet hat, so glänzte es ringsumher. So war die Herrlichkeit des Herrn anzusehen.” Hesekiel 1,28. Johannes schreibt: “Siehe, ein Thron war gesetzt im Himmel, und auf dem Thron saß einer ... und ein Regenbogen war um den Thron, anzusehen gleichwie ein Smaragd.” Offenbarung 4,2.3. Wenn die große Bosheit der Menschen Gottes Gerichte herausfordert, dann legt der Heiland bei dem Vater Fürsprache für sie ein. Er weist auf den Bogen in den Wolken, auf den Regenbogen um den Thron und über seinem Haupte als Zeichen der Gnade Gottes gegenüber dem reuigen Sünder. PP 84.1
Mit der Zusicherung nach der Sintflut hat Gott eine der kostbarsten Verheißungen seiner Gnade verbunden: “Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, daß die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, daß ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.” Jesaja 54,9.10. PP 84.2
Angesichts der mächtigen Raubtiere, die mit ihm aus der Arche kamen, fürchtete Noah, daß seine nur aus acht Personen bestehende Familie von ihnen vertilgt werden könne. Da sandte der Herr seinem Diener einen Engel mit der zuversichtlichen Botschaft: “Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden und über allen Vögeln unter dem Himmel, über allem, was auf dem Erdboden wimmelt, und über allen Fischen im Meer; in eure Hände seien sie gegeben. PP 84.3
Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich’s euch alles gegeben.” 1.Mose 9,2.3. Vor dieser Zeit hatte Gott den Menschen nicht erlaubt, tierische Nahrung zu genießen. Er wollte, daß sie sich ausschließlich von den Erzeugnissen der Erde nährten. Nun alles Grün vernichtet war, durften sie das Fleisch der reinen Tiere essen, die in der Arche bewahrt geblieben waren. PP 85.1
Die Erdoberfläche war durch die Flut völlig verändert. Infolge der Sünde lastete ein dritter schrecklicher Fluch auf ihr. Als das Wasser zu sinken begann, waren Hügel und Berge von einem weiten, trüben Meer umgeben. Überall lagen tote Menschen und Tiere umher. Der Herr wollte nicht, daß sie verwesten und die Luft verunreinigten. Deshalb verwandelte er die Erde in einen riesigen Friedhof. Ein gewaltiger Sturm, der die Gewässer trocknen sollte, riß in einigen Fällen sogar die Berggipfel weg und häufte Bäume, Steine und Erde über die Leichen. Ebenso wurden Silber und Gold, kostbare Hölzer und Edelsteine, mit denen sich die Menschen vor der Flut geschmückt und bereichert hatten, ihrer Sicht entzogen. Die Gewalt des Wassers häufte Erd- und Felsmassen auf diese Schätze, und in manchen Fällen türmten sich Berge darüber. Gott sah, daß die sündigen Menschen, je reicher und wohlhabender sie durch ihn geworden waren, nur um so verderbtere Wege gingen. Die Reichtümer, die zur Verherrlichung des Schöpfers dienen sollten, bedeuteten ihnen alles, während sie Gott entehrten und verachteten. PP 85.2
Die Erde bot einen Anblick unbeschreiblicher Verworrenheit und Verwüstung. Die in ihrem vollkommenen Ebenmaß einst so schönen Berge waren nun zerrissen und ungleichförmig. Steine, Felsengrate und rauhe Blöcke waren über die ganze Erdoberfläche verstreut. An manchen Stellen waren Hügel und Berge verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen, während Ebenen Bergketten Platz gemacht hatten. Diese Veränderungen waren mancherorts ausgeprägter als anderswo. Gerade wo die reichsten Bodenschätze zu finden gewesen waren, sah man nun die auffallendsten Merkmale des Fluches, in manchen Gegenden, besonders den bis dahin unbewohnten, war weniger davon zu erkennen. PP 85.3
In dieser Zeit wurden riesige Wälder begraben. Sie verwandelten sich inzwischen in Kohle und bilden die ausgedehnten Kohlenlager, die auch große Mengen Öl liefern. Beide entzünden sich oft und geraten unter der Erdoberfläche in Brand. So werden die Felsen erhitzt, der Kalkstein gebrannt und das eisenhaltige Erz geschmolzen. Kommt zum Kalk noch Wasser, steigert sich die Glut zu ungeheurer Hitze und verursacht Erdbeben und Vulkanausbrüche. Wenn Feuer und Wasser sich mit Fels- und Erzschichten berühren, ereignen sich unterirdisch schwere Explosionen, die sich wie entferntes Donnergrollen anhören. Die Luft ist dann heiß und stickig. Finden durch ungenügende vulkanische Tätigkeit die erhitzten Elemente keinen Austritt, bebt die Erde, der Boden hebt und senkt sich wie Meereswellen, und große Erdrisse entstehen, die ganze Ortschaften und verbranntes Gelände verschlingen. Solche gewaltigen Erscheinungen werden sich kurz vor der Wiederkunft Christi und dem Ende der Welt als Anzeichen der Vernichtung häufiger und schrecklicher wiederholen. PP 85.4
In der Tiefe der Erde boten sich für den Herrn die Waffen, mit denen er die alte Welt zerstörte. Die aus der Erde hervorbrechenden und die vom Himmel herabstürzenden Wasser vollbrachten die Vernichtung. Seit der Sintflut sind Feuer und Wasser die Mittel in Gottes Hand gewesen, gottlose Städte zu vernichten. Das geschah, damit die leichtfertigen Gesetzesübertreter, die seine Autorität verachteten, sich von seiner Macht und gerechten Oberherrschaft überzeugten. Wenn Vulkane ausbrachen und durch deren Feuerglut Ströme geschmolzenen Erzes die Flüsse austrockneten, große Städte unter sich begruben und überall Vernichtung bewirkten, erschraken auch die Mutigsten, und ungläubige Lästerer mußten Gottes Allmacht anerkennen. PP 86.1
Auf solche Ereignisse beziehen sich die alten Propheten, wenn sie sagen: “Ach, daß du den Himmel zerrissest und führest herab, daß die Berge vor dir zerflössen, wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser siedend macht, daß dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müßten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten — und führest herab, daß die Berge vor dir zerflössen!” Jesaja 63,19; 64,1.2. — “Er ist der Herr, dessen Weg in Wetter und Sturm ist; Wolken sind der Staub unter seinen Füßen. Er schilt das Meer und macht es trocken; alle Wasser läßt er versiegen.” Nahum 1,3.4. PP 86.2
Noch schrecklichere Dinge, wie sie die Welt nie erlebte, werden bei der Wiederkunft Christi geschehen. “Die Berge erzittern vor ihm, und die Hügel zergehen; das Erdreich bebt vor ihm, der Erdkreis und alle, die darauf wohnen. Wer kann vor seinem Zorn bestehen, und wer kann vor seinem Grimm bleiben?” Nahum 1,5.6. — “Herr, neige deinen Himmel und fahre herab; rühre die Berge an, daß sie rauchen. Sende Blitze und streue sie aus, schick deine Pfeile und jage sie dahin.” Psalm 144,5.6. PP 86.3
“Ich will Wunder tun oben am Himmel und Zeichen unten auf Erden, Blut und Feuer und Rauchdampf.” Apostelgeschichte 2,19. — “Und es wurden Blitze und Stimmen und Donner; und ward ein großes Erdbeben, wie solches nicht gewesen ist, seit Menschen auf Erden gewesen sind, solch Erdbeben, so groß ... Und alle Inseln entflohen, und keine Berge wurden mehr gefunden. Und ein großer Hagel wie Zentnerstücke fiel vom Himmel auf die Menschen.” Offenbarung 16,18.20.21. PP 87.1
Wenn Blitze vom Himmel sich mit dem Feuer in der Erde verbinden, dann werden die Berge brennen wie ein Schmelzofen und schreckliche Lavaströme Gärten und Felder, Dörfer und Städte überfluten. Siedende, geschmolzene Erzmassen werden in die Flüsse stürzen, das Wasser zum Kochen bringen, gewaltige Felsblöcke mit unbeschreiblicher Wucht fortschleudern und ihre Trümmer über das Land verstreuen. Flüsse trocknen aus. Überall werden schreckliche Erdbeben und Vulkanausbrüche die Erde erzittern lassen. PP 87.2
So wird Gott die Bösen von der Erde vertilgen. Aber die Gerechten werden inmitten dieses Tumultes bewahrt bleiben wie Noah in der Arche. Gott wird ihre Zuflucht sein, und unter seinen Flügeln sind sie geborgen. Der Psalmist sagt: “Der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht. Es wird dir kein Übel begegnen.” Psalm 91,9.10. — “Er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes.” Psalm 27,5. Gott hat verheißen: “Er liebt mich, darum will ich ihn erretten; er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen.” Psalm 91,14. PP 87.3