Patriarchen und Propheten
Kapitel 34: Die zwölf Kundschafter
Elf Tage nach dem Aufbruch vom Berge Horeb lagerten die Hebräer bei Kadesch in der Wüste Paran, nicht weit entfernt von der Grenze des verheißenen Landes. Hier kam vom Volke der Vorschlag, Kundschafter zur Erforschung des Landes auszuschicken. Mose legte die Angelegenheit dem Herrn vor und erhielt die Erlaubnis mit der Weisung, von jedem Stamm einen Fürsten dazu auszuwählen. Man bestimmte entsprechende Männer, und Mose gebot ihnen, die Beschaffenheit des Landes, seine Lage und die naturgegebenen Vorzüge zu erkunden; ferner, ob das dort wohnende Volk stark oder schwach, gering oder zahlreich sei. Auch sollten sie auf die Art des Bodens und dessen Fruchtbarkeit achten und Früchte des Landes mitbringen. PP 366.1
Sie gingen und betrachteten mit prüfenden Blicken das ganze Land, das sie an der Südgrenze betraten und in dem sie bis in den äußersten Norden vordrangen. Nach vierzig Tagen kamen sie zurück. Das Volk Israel hegte große Hoffnungen und erwartete sie voller Spannung. Die Nachricht von ihrer Rückkehr pflanzte sich von einem Stamm zum andern fort und wurde mit Freude begrüßt. Das Volk stürmte hinaus, um den Botschaftern entgegenzugehen, die allen Gefahren ihres Unternehmens unversehrt entgangen waren. Sie hatten Proben von den Früchten bei sich als Beweis für die Fruchtbarkeit des Landes. Es war gerade die Zeit der Weinlese, und so brachten sie eine Traube mit, die so groß war, daß zwei Männer sie tragen mußten. Auch Feigen und Granatäpfel waren dabei, die dort in Hülle und Fülle wuchsen. PP 366.2
Das Volk freute sich, daß es in solch gutes Land kommen sollte. Aufmerksam lauschten die Israeliten, als die Kundschafter Mose berichteten, damit ihnen nur ja kein Wort entging. “Wir sind in das Land gekommen, in das ihr uns sandtet”, hörten sie; “es fließt wirklich Milch und Honig darin, und dies sind seine Früchte.” 4.Mose 13,27. Die Hebräer waren begeistert; sie wollten der Stimme des Herrn unverzüglich gehorchen und gleich hinaufziehen, um das Land einzunehmen. Aber nachdem sie die Schönheit und Fruchtbarkeit des Landes gepriesen hatten, schilderten alle Kundschafter mit Ausnahme von zweien ausführlich die Schwierigkeiten und Gefahren, die den Israeliten bevorstanden, wenn sie Kanaan erobern wollten. Sie zählten die mächtigen Völker auf, die in den verschiedenen Teilen des Landes wohnten; sie sprachen von den großen, befestigten Städten mit ihren starken Bewohnern und von der Unmöglichkeit, sie zu bezwingen. Ferner berichteten sie von Riesen, Enakskindern, die sie gesehen hatten, und behaupteten, daß es sinnlos sei, an eine Eroberung des Landes zu denken. PP 366.3
Sofort wurde alles anders. Hoffnung und Mut wichen kleinmütiger Verzweiflung, als die Kundschafter ihre Meinung äußerten. Deren ungläubige Herzen waren von Mutlosigkeit erfüllt, die Satan ihnen eingeflößt hatte. Ihr Unglaube warf einen düsteren Schatten über die Versammlung. Die gewaltige Kraft Gottes, die sich so oft zum Segen des erwählten Volkes offenbart hatte, war vergessen. Die Leute dachten gar nicht erst nach; sie überlegten nicht, daß Gott, der sie so weit gebracht hatte, ihnen ganz gewiß auch das Land geben würde. Auch erinnerten sie sich nicht daran, wie wunderbar er sie von ihren Unterdrückern befreit hatte, als er ihnen einen Weg durch das Meer bahnte und die verfolgenden Heerscharen Pharaos vernichtete. So vergaßen sie Gott über ihren Zweifeln, als hinge alles nur von der Stärke der Waffen ab. PP 367.1
In ihrem Unglauben setzten sie der Kraft Gottes Grenzen und mißtrauten der Hand, die sie bis dahin so sicher geführt hatte. Dadurch verfielen sie wieder einmal in den alten Fehler, gegen Mose und Aaron zu murren. “Das ist also das Ende all unserer Hoffnungen”, klagten sie. “Hier ist nun das Land, zu dessen Besitz wir den ganzen Weg von Ägypten hergewandert sind!” Sie beschuldigten ihre Anführer, das Volk zu täuschen und Verwirrung über Israel zu bringen. PP 367.2
Das Volk war hoffnungslos, enttäuscht und verzweifelt. Jammergeschrei übertönte hin und wieder das verworrene Stimmengemurmel. Aber Kaleb erfaßte die Lage. Unerschrocken verteidigte er das Wort Gottes und tat alles, was in seiner Macht stand, um den bösen Einfluß seiner ungläubigen Begleiter zu entkräften. Für einen Augenblick war das Volk still und lauschte den hoffnungsvollen, mutigen Worten über das gute Land. Kaleb widersprach dem nicht, was die andern gesagt hatten; die Mauern waren tatsächlich hoch und die Kanaaniter stark. Aber Gott hatte Israel das Land verheißen. “Laßt uns hinaufziehen und das Land einnehmen”, drängte Kaleb, “denn wir können es überwältigen.” 4.Mose 13,30. PP 367.3
Aber die andern zehn unterbrachen ihn und malten die Hindernisse in noch dunkleren Farben als zuvor. “Wir vermögen nicht hinaufzuziehen gegen dies Volk”, erklärten sie, “denn sie sind uns zu stark ... Alles Volk, das wir darin sahen, sind Leute von großer Länge. Wir sahen dort auch Riesen, Enaks Söhne aus dem Geschlecht der Riesen, und wir waren in unsern Augen wie Heuschrecken.” 4.Mose 13,31-33. PP 368.1
Nachdem diese Männer erst einmal eine falsche Richtung eingeschlagen hatten, widersetzten sie sich hartnäckig erst Kaleb und Josua, dann Mose und schließlich Gott. Jede vorgebrachte Entgegnung machte sie nur noch entschiedener. Sie hatten sich vorgenommen, alle Bemühungen zur Besitzergreifung Kanaans zu verhindern, und verzerrten deshalb die Wahrheit, um ihren verderblichen Einfluß zu unterstützen. “Das Land ... frißt seine Bewohner” (4.Mose 13,32), behaupteten sie. Das war nicht nur eine schlimme Nachricht, sie war auch erlogen und zeigte einen inneren Widerspruch auf. Die Kundschafter hatten berichtet, das Land sei fruchtbar und die Menschen von riesiger Gestalt. All das wäre bei einem solch ungesunden Klima, von dem man sagen könnte, das Land fresse seine Einwohner, schlechterdings unmöglich. Aber wenn sich Menschen einmal dem Unglauben ausgeliefert haben, unterstellen sie sich der Herrschaft Satans, und niemand kann sagen, wie weit der sie verführen wird. PP 368.2
“Da fuhr die ganze Gemeinde auf und schrie, und das Volk weinte die ganze Nacht.” 4.Mose 14,1. Bald folgten Aufruhr und offene Empörung; Satan hatte das Volk ganz in der Gewalt, es schien aller Vernunft beraubt. Es verwünschte Mose und Aaron und vergaß, daß Gott die bösen Reden hörte und der Engel seiner Gegenwart in der Wolkensäule Zeuge des schrecklichen Zornesausbruchs wurde. Verbittert wurde gerufen: “Ach daß wir in Ägyptenland gestorben wären oder noch in dieser Wüste stürben!” 4.Mose 14,2. Dann richtete sich ihr Gefühl gegen Gott: “Warum führt uns der Herr in dies Land, damit wir durchs Schwert fallen und unsere Frauen und unsere Kinder ein Raub werden? Ist’s nicht besser, wir ziehen wieder nach Ägypten? Und einer sprach zu dem andern: Laßt uns einen Hauptmann über uns setzen und wieder nach Ägypten ziehen.” 4.Mose 14,3.4. Mit diesen Worten klagten sie nicht nur Mose, sondern Gott selbst der Täuschung an, weil er ihnen ein Land verheißen habe, das sie nicht in Besitz nehmen könnten. Tatsächlich ernannten sie einen Hauptmann, der sie zurück in das Land ihrer Leiden und Knechtschaft bringen sollte, aus dem der starke Arm des Allmächtigen sie befreit hatte. PP 368.3
Gedemütigt und kummervoll fielen Mose und Aaron “auf ihr Angesicht vor der ganzen Versammlung der Gemeinde der Kinder Israel.” 4.Mose 14,5. Sie wußten nicht, wie sie sie von ihrem unbesonnenen, leidenschaftlichen Entschluß abbringen sollten. Kaleb und Josua versuchten, den Tumult zu beschwichtigen. Aus Gram und Unmut zerrissen sie ihre Kleider und sprangen unter das Volk. Mit schallender Stimme hörte man sie über das Jammergeschrei und die Empörung hinweg rufen: “Das Land, das wir durchzogen haben, um es zu erkunden, ist sehr gut. Wenn der Herr uns gnädig ist, so wird er uns in dies Land bringen und es uns geben, ein Land, darin Milch und Honig fließt. Fallt nur nicht ab vom Herrn und fürchtet euch vor dem Volk dieses Landes nicht, denn wir wollen sie wie Brot auffressen. Es ist ihr Schutz von ihnen gewichen, der Herr aber ist mit uns. Fürchtet euch nicht vor ihnen!” 4.Mose 14,7-9. PP 369.1
Das Maß der kanaanitischen Missetaten war voll. Der Herr wollte nicht länger Nachsicht mit ihnen üben. Wenn er ihnen seinen Schutz entzog, würden sie eine leichte Beute werden. Durch Gottes Bund war das Land ja den Israeliten zugesichert. Aber sie glaubten dem unwahren Bericht der gewissenlosen Kundschafter, und dadurch wurde die ganze Gemeinde irregeführt. Die Verräter hatten ihr Werk getan. Hätten nur zwei Männer solch schlimmen Bericht erstattet und alle andern zehn dazu ermutigt, das Land im Namen des Herrn einzunehmen, hätten sie in ihrem leichtfertigen Unglauben doch den Rat der zwei vorgezogen. Aber es gab hier nur zwei, die das Recht vertraten, während zehn auf der Seite der Empörung standen. PP 369.2
Laut klagten die unredlichen Kundschafter Kaleb und Josua an; es erhob sich sogar der Ruf, sie zu steinigen. Und der unsinnige Pöbel griff tatsächlich zu Wurfgeschossen, um diese treuen Männer zu töten. Mit wütendem Geschrei stürmten einige auf sie los. Da fielen ihnen plötzlich die Steine aus den Händen. Sie verstummten und bebten vor Furcht. Gott selbst griff ein und gebot ihrem mörderischen Vorhaben Einhalt. Die Herrlichkeit seiner Gegenwart erhellte die Stiftshütte wie ein flammendes Licht. Alles Volk sah das Zeichen des Herrn. Ein Mächtigerer als sie hatte sich offenbart, und keiner wagte noch, Widerstand zu leisten. Die Kundschafter jedoch, die so ungünstig berichtet hatten, duckten sich schreckensbleich und schlichen mit angehaltenem Atem zu ihren Zelten. PP 369.3
Nun erhob sich Mose und trat in die Stiftshütte. Der Herr sprach zu ihm: “Ich will sie mit der Pest schlagen und sie vertilgen und dich zu einem größeren und mächtigeren Volk machen als dieses.” 4.Mose 14,12. Doch wieder bat Mose für sie. Er konnte ihrer Vernichtung nicht zustimmen, damit von ihm selbst ein mächtigeres Volk käme. So berief er sich auf Gottes Barmherzigkeit und flehte: “Laß nun deine Kraft, o Herr, groß werden, wie du gesagt hast: ‘Der Herr ist geduldig und von großer Barmherzigkeit’ ... So vergib nun die Missetat dieses Volks nach deiner großen Barmherzigkeit, wie du auch diesem Volk vergeben hast von Ägypten an bis hierher.” 4.Mose 14,17-19. PP 370.1
Und der Herr versprach, Israel im Augenblick von der Vernichtung zu verschonen. Aber wegen ihres Unglaubens und Kleinmuts konnte er seine Macht nicht mit der Unterwerfung ihrer Feinde kundtun. In seiner Barmherzigkeit ließ er sie deshalb den einzig sicheren Weg, nämlich zum Roten Meer, zurückziehen. PP 370.2
In seiner Empörung hatte das Volk gerufen: “Ach daß wir noch in dieser Wüste stürben!” 4.Mose 14,2. Dieser Wunsch ging nun in Erfüllung. Der Herr sagte: “Ich will mit euch tun, wie ihr vor meinen Ohren gesagt habt. Eure Leiber sollen in dieser Wüste verfallen. Alle, die ihr gezählt seid von zwanzig Jahren an und darüber, wahrlich, ihr sollt nicht in das Land kommen ... Eure Kinder aber, von denen ihr sagtet: Sie werden ein Raub sein, die will ich hineinbringen, daß sie das Land kennenlernen, das ihr verwerft.” 4.Mose 11,28.29.31. Doch von Kaleb sagte er: “Nur mein Knecht Kaleb, weil ein anderer Geist in ihm ist und er mir treu nachgefolgt ist, den will ich in das Land bringen, in das er gekommen ist, und seine Nachkommen sollen es einnehmen.” 4.Mose 14,28. Wie die Kundschafter vierzig Tage zu ihrer Reise gebraucht hatten, so sollte Israel vierzig Jahre in der Wüste wandern. PP 370.3
Als Mose dem Volke die göttliche Entscheidung bekanntgab, verwandelte sich dessen Wut in Klage. Es wußte, daß seine Bestrafung gerecht war. Die zehn untreuen Kundschafter, von Gott mit einer Seuche geschlagen, kamen vor den Augen des ganzen Volkes um; und an ihrem Schicksal erkannte es sein eigenes Urteil. PP 371.1
Jetzt schienen die Israeliten ihr sündiges Verhalten aufrichtig zu bereuen. Aber sie trauerten mehr über dessen Folgen anstatt über ihre Undankbarkeit und ihren Ungehorsam. Als sie merkten, daß der Herr ihnen gegenüber nicht nachgab, wurde ihr Eigenwille von neuem wach. Sie erklärten, nicht in die Wüste zurückkehren zu wollen. Als Gott ihnen befohlen hatte, sich vom Land ihrer Feinde zurückzuziehen, wollte er ihre scheinbare Fügsamkeit prüfen, und nun erwies es sich, daß sie nicht echt war. Sie wußten wohl, wie schwer sie gesündigt hatten, als sie ihren unbeherrschten Gefühlen die Zügel schießen ließen und versuchten, gerade jene beiden Kundschafter zu töten, die so dringend zum Gehorsam gegen Gott aufgefordert hatten. Aber sie waren nur über den schlimmen Fehler erschrocken, den sie begangen hatten und dessen Folgen sich für sie als unheilvoll erweisen konnten. Sie waren noch unbekehrt, und es bedurfte nur der Gelegenheit für einen neuen Aufruhr. Diese bot sich, als Mose ihnen in göttlicher Vollmacht befahl, in die Wüste zurückzukehren. PP 371.2
Der Ratschluß, daß Israel in den nächsten vierzig Jahren Kanaan nicht betreten durfte, war für Mose, Aaron, Kaleb und Josua eine bittere Enttäuschung. Doch ohne aufzubegehren nahmen sie die göttliche Entscheidung an. Diejenigen allerdings, die sich über Gott beklagt und erklärt hatten, sie würden nach Ägypten zurückkehren, weinten und jammerten nun sehr, als ihnen die früher verachteten Segnungen entzogen wurden. Sie hätten über nichts zu klagen gehabt, aber nun gab Gott ihnen Ursache zum Weinen. Hätten sie über ihre Sünde getrauert, als sie ihnen so gewissenhaft vorgehalten wurde, wäre dieses Urteil nicht über sie ausgesprochen worden. Aber sie grämten sich nur über das Strafgericht. Ihr Kummer war keine Reue, deshalb konnte das Urteil auch nicht umgestoßen werden. PP 371.3
So verging die Nacht mit Wehklagen; aber am Morgen erwachte neue Hoffnung in ihnen: Sie wollten die Folgen ihrer Feigheit wettmachen. Als Gott ihnen geboten hatte, hinaufzuziehen und das Land einzunehmen, hatten sie sich geweigert; als er nun ihre Umkehr anordnete, begehrten sie wieder auf. Jetzt nahmen sie sich vor, sich des Landes zu bemächtigen und es in Besitz zu nehmen; es konnte ja immerhin sein, daß Gott ihre Anstrengungen gelten ließ und dann seine Absicht mit ihnen änderte. PP 371.4
Gott hatte ihnen das Recht eingeräumt und es ihnen andrerseits auch zur Pflicht gemacht, zu jener Zeit in das Land zu ziehen, wenn er es ihnen gebieten würde. Aber nach ihrem eigensinnigen Verzicht zog er diese Erlaubnis zurück. Satan hatte sein Ziel erreicht, nämlich sie am Einzug nach Kanaan zu hindern. Nun reizte er sie, angesichts des göttlichen Verbots gerade das zu tun, was sie zuvor ablehnten, als Gott es forderte. So gewann der große Betrüger wieder den Sieg, indem er sie zum zweiten Mal zum Aufruhr verführte. Sie hatten die Kraft Gottes bezweifelt, die ihre Anstrengungen bei der Einnahme Kanaans unterstützen wollte. Jetzt aber wagten sie es gar ohne göttliche Hilfe, nur aus eigener Kraft. “Wir haben an dem Herrn gesündigt”, riefen sie aus, “wir wollen hinaufziehen und kämpfen, wie uns der Herr, unser Gott, geboten hat.” 5.Mose 1,41. Infolge ihrer Übertretung waren sie völlig verblendet; denn niemals hatte ihnen der Herr geboten, hinaufzuziehen und zu kämpfen. Sie sollten das Land nicht durch Krieg gewinnen, sondern durch unbedingte Befolgung seiner Gebote. PP 372.1
Obwohl es im Innersten seines Herzens unverändert war, hatte es das Volk über sich gebracht, die Sündhaftigkeit und Torheit seiner Empörung nach dem Bericht der Kundschafter zu bekennen. Auch begriffen die Hebräer nun den Wert des Segens, den sie so übereilt verworfen hatten. Und sie gaben zu, daß ihr eigener Unglaube sie aus Kanaan ausschloß. “Wir haben ... gesündigt” (5.Mose 1,41), sagten sie und räumten damit ein, daß der Fehler bei ihnen und nicht bei Gott lag, den sie so boshaft beschuldigt hatten, er habe seine Verheißungen nicht wahr gemacht. Wenn auch ihr Bekenntnis keiner echten Reue entsprang, ließ es doch erkennen, daß Gott bei seinem Handeln mit ihnen gerecht geblieben war. PP 372.2
Der Herr bewegt die Menschen noch heute in ähnlicher Weise, daß sie zur Verherrlichung seines Namens seine Gerechtigkeit anerkennen. Viele lieben ihn angeblich, beklagen sich aber über seine Schicksalsfügungen, mißachten seine Verheißungen und erliegen der Versuchung. Dadurch verbinden sie sich mit bösen Engeln, die darauf aus sind, Gottes Absichten zunichte zu machen. Obwohl sie dann keine wahre Reue empfinden, kommen solche Menschen doch durch die von Gott gefügten äußeren Umstände dahin, sich von ihrer Sünde zu überzeugen. So werden sie schließlich genötigt, die Bosheit ihres Tuns und Gottes Gerechtigkeit und Güte im Zusammenhang mit ihnen anzuerkennen. Auf diese Weise ergreift Gott Gegenmaßnahmen, um die Werke der Finsternis zu offenbaren. Und wenn auch der Geist, der den Antrieb zum schlechten Wandel gab, keine grundlegende Änderung erfuhr, so wahrten solche Bekenntnisse doch Gottes Ehre und rechtfertigten alle, die gewissenhaft zurechtwiesen und dafür angefeindet und verleumdet wurden. PP 372.3
Genauso wird es sein, wenn am Ende der Zorn Gottes ausgegossen wird. Wenn der Herr kommt, “inmitten seiner heiligen Tausende, Gericht auszuführen wider alle”, dann geschieht dies auch, um “völlig zu überführen alle ... Gottlosen von allen ihren Werken der Gottlosigkeit”. Judas 14,15 (EB). Jeder Sünder wird dann einsehen und zugeben müssen, daß seine Verurteilung gerecht ist. PP 373.1
Ohne Rücksicht auf die göttliche Entscheidung bereiteten die Israeliten Kanaans Eroberung vor. Mit Rüstungen und Kriegswaffen versehen, waren sie ihrer Meinung nach für den Kampf gut, in den Augen Gottes und seiner besorgten Knechte jedoch völlig unzureichend vorbereitet. Als der Herr fast vierzig Jahre später Israel befahl, hinaufzuziehen und Jericho einzunehmen, da versprach er, mit ihnen zu gehen. Zu jener späteren Zeit trug man vor dem Heer die Lade mit seinem Gesetz. Die ernannten Heerführer sollten die Truppenbewegungen unter göttlicher Aufsicht lenken. Unter solcher Leitung konnte den Hebräern niemand Schaden tun. Jetzt aber zogen sie gegen den Befehl Gottes und gegen das ernste Verbot ihrer Anführer aus ohne die Bundeslade und ohne Mose, um den Heeren des Feindes zu begegnen. PP 373.2
Die Trompete blies Alarm, und Mose eilte ihnen nach mit der Warnung: “Warum wollt ihr das Wort des Herrn übertreten? Es wird euch nicht gelingen. Zieht nicht hinauf — denn der Herr ist nicht unter euch —, daß ihr nicht geschlagen werdet vor euren Feinden. Denn die Amalekiter und Kanaaniter stehen euch dort gegenüber, und ihr werdet durchs Schwertfallen.” 4.Mose 14,41-43. PP 373.3
Die Kanaaniter hatten von der geheimnisvollen Kraft, die dieses Volk zu bewahren schien, und von den Wundern gehört, die um seinetwillen geschahen. Darum boten sie nun eine große Streitmacht auf, um die Eindringlinge zurückzuschlagen. Aber die angreifenden Israeliten waren führerlos. Niemand betete, daß Gott ihnen den Sieg verleihen möge. Sie zogen aus mit der verzweifelten Absicht, ihr Schicksal zu wenden oder im Kampf zu sterben. Obwohl kriegsungewohnt, waren sie doch eine riesige Menge bewaffneter Männer; und sie hofften, den Gegner mit einem plötzlichen ungestümen Angriff zu überwältigen. Vermessen forderten sie den Feind heraus, der es nicht gewagt hatte, sie anzugreifen. PP 374.1
Die Kanaaniter hatten auf einer felsigen Hochebene Aufstellung genommen, die man nur in steilem, gefährlichem Aufstieg über beschwerliche Pässe erreichen konnte. Die ungeheure Zahl der Hebräer mußte ihre Niederlage nur um so furchtbarer machen. Langsam wanden sie sich durch die Bergpfade und setzten sich dabei den tödlichen Wurfgeschossen ihrer Feinde über ihnen aus. Schwere Felsblöcke donnerten herab und bezeichneten den Weg mit dem Blut der Erschlagenen. Die den Gipfel erreichten, noch vom Aufstieg erschöpft, wurden ungestüm angegriffen und unter großen Verlusten zurückgeworfen. Der Kampfplatz war von den Leibern der Toten übersät. Israels Heer war vollständig geschlagen. Vernichtung und Tod waren die Folgen jenes aufrührerischen Versuchs. PP 374.2
Schließlich waren die Überlebenden zur Aufgabe gezwungen. Als sie wiederkamen und dem Herrn ihr Leid klagten, “wollte der Herr eure Stimme nicht hören”. 5.Mose 1,45. Der überraschende Sieg gab Israels Feinden, die bis dahin das Herannahen des mächtigen Heeres voller Furcht erwartet hatten, das Selbstvertrauen zurück. Sie hielten nun alle Erzählungen von den erstaunlichen Dingen, die Gott für sein Volk getan hatte, für erlogen und glaubten, keinen Grund mehr zur Furcht zu haben. Mit dieser ersten Niederlage Israels hatten die Schwierigkeiten der Eroberung außerordentlich zugenommen, weil sie den Kanaanitern Mut und Entschlossenheit einflößte. Es blieb Israel nichts anderes übrig, als vor den siegreichen Feinden in die Wüste zurückzuweichen in dem Bewußtsein, daß sie das Grab einer ganzen Generation werden würde. PP 374.3