Patriarchen und Propheten
Kapitel 28: Götzendienst am Sinai
Moses Abwesenheit bedeutete für Israel Warten und Ungewißheit. Es wußte, daß er mit Josua auf den Berg gestiegen und in die dichte, dunkle Wolke hineingegangen war. Man sah von der Ebene aus, wie sie auf der Bergesspitze ruhte und von Zeit zu Zeit von den Blitzen der Gegenwart Gottes erleuchtet wurde. Ungeduldig warteten die Hebräer auf Moses Rückkehr. Da sie von Ägypten Gottheiten aus irdischen Stoffen gewöhnt waren, fiel es ihnen schwer, einem unsichtbaren Wesen zu vertrauen. Sie verließen sich ganz auf Mose als Stütze ihres Glaubens. Nun war er ihnen genommen. Tag um Tag, Woche um Woche verging, und noch immer war er nicht zurückgekommen. Obwohl die Wolke noch zu sehen war, dachten viele im Lager, ihr Führer habe sie verlassen oder sei von dem Feuer verzehrt worden. PP 290.1
Während dieser Wartezeit wurde ihnen Zeit gewährt, über das Gesetz Gottes nachzudenken, das sie gehört hatten, und sich auf weitere Offenbarungen einzustellen, die er ihnen noch schenken konnte. Dafür blieb ihnen gar nicht zuviel Zeit. Hätten sie sich um besseres Verständnis für Gottes Forderungen bemüht und sich vor ihm gedemütigt, wären sie gegen Versuchung gewappnet gewesen. Weil sie das nicht taten, wurden sie bald nachlässig, unaufmerksam und zügellos. Das galt besonders für das Mischvolk. Alle waren voll Ungeduld, daß es auf dem Wege in das Land der Verheißung weiterging, dem Lande, in dem Milch und Honig floß. Aber dieses gute Land war ihnen nur unter der Bedingung des Gehorsams versprochen worden, und das hatten sie vergessen. Einige schlugen vor, nach Ägypten zurückzugehen. Aber ob vorwärts nach Kanaan oder zurück nach Ägypten, die Mehrheit des Volkes war entschlossen, nicht länger auf Mose zu warten. PP 290.2
Weil sie in seiner Abwesenheit ihre Hilflosigkeit empfanden, kehrten sie zu der alten Abgötterei zurück. Das “fremde Volk” (2.Mose 12,38) erlaubte sich als erstes, Murren und Unwillen zu äußern. Sie waren auch die Anführer bei dem Abfall, der nun folgte. Zu den Dingen, die die Ägypter als Sinnbild ihrer Götter ansahen, gehörte das Rind oder Kalb. Und die solchen Götzendienst in Ägypten gepflegt hatten, waren jetzt die Anstifter dazu, ein Kalb zu machen und es anzubeten. Das Volk wünschte sich irgendein Bild, das Gott darstellen sollte und ihm an Moses Stelle voranging. Gott hatte sie in keiner Weise seine Gestalt sehen lassen und jede sichtbare Darstellung für solchen Zweck verboten. Die überwältigenden Wunder in Ägypten und am Roten Meer geschahen ja mit der Absicht, ihren Glauben an den unsichtbaren, allmächtigen Helfer Israels, den einzig wahren Gott, zu festigen. Und das Verlangen nach einer sichtbaren Offenbarung seiner Gegenwart war ihnen sowohl mit der Wolken- und Feuersäule gewährt worden, die ihre große Schar geleitet hatte, als auch durch die Offenbarung seiner Herrlichkeit auf dem Berge Sinai. Aber mit der Wolke seiner Gegenwart vor Augen wandten sie sich in ihrem Inneren zurück zum Götzendienst Ägyptens und stellten die Herrlichkeit des unsichtbaren Gottes in der Gestalt eines Rindes dar! PP 291.1
Während Moses Abwesenheit war Aaron die richterliche Amtsgewalt übertragen worden. Eine riesige Menge versammelte sich nun um sein Zelt und forderte: “Auf, mach uns einen Gott, der vor uns hergehe! Denn wir wissen nicht, was diesem Mann Mose widerfahren ist, der uns aus Ägyptenland geführt hat.” 2.Mose 32,1. Sie meinten, die Wolke, die ihnen bisher voranging, ruhe jetzt ständig auf dem Berge und würde sie nicht länger auf ihrer Wanderung geleiten. Sie müßten ein Bildnis an ihrer Stelle haben. Und falls sie sich, wie einige vorschlugen, für die Rückkehr nach Ägypten entscheiden sollten, würden sich die Ägypter wohlwollend verhalten, wenn sie dieses Bild vor sich her trügen und damit als ihren Gott anerkannten. PP 291.2
Solche Krise verlangte eine entschlossene, willensstarke und mutige Persönlichkeit, die Gottes Ehre über Volksgunst und persönliche Sicherheit, selbst über das Leben stellte. Aber solchen Charakter besaß der derzeitige Führer Israels nicht. Aaron machte dem Volk gegenüber nur schwache Einwendungen, aber gerade durch seine Unschlüssigkeit und Furchtsamkeit im entscheidenden Augenblick wurde es um so entschlossener. Die Erregung wuchs. Blinde, unvernünftige Raserei schien von der Menge Besitz zu ergreifen. Wohl blieben einige ihrem Bund mit Gott treu, aber die Mehrzahl willigte in den Abfall ein. Zwar wagten einige wenige, das geplante Bild als Abgötterei zu brandmarken. Aber da fiel man über sie her und mißhandelte sie; in dem allgemeinen Aufruhr kamen sie schließlich ums Leben. PP 291.3
Weil Aaron um seine Sicherheit fürchtete, gab er den Forderungen der Menge nach, statt mutig für die Ehre Gottes einzutreten. Als erstes ließ er alle goldenen Ohrringe vom Volke einsammeln und zu sich bringen. Er hoffte, daß sie bei ihrer Eitelkeit auf ein solches Opfer gar nicht eingehen würden. Aber sie gaben ihren Schmuck willig her, und so goß er ihnen ein goldenes Kalb daraus, eine Nachbildung der ägyptischen Gottheit. Das Volk rief: “Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat!” 2.Mose 32,4. Und feige ließ Aaron diese Beleidigung Jahwes zu. Er tat noch mehr. Als er sah, mit welcher Befriedigung der goldene Gott aufgenommen wurde, baute er einen Altar davor und ließ ausrufen: “Morgen ist des Herrn Fest.” Im ganzen Lager verkündeten Trompeten die Nachricht von Gruppe zu Gruppe. “Und sie standen früh am Morgen auf und opferten Brandopfer und brachten dazu Dankopfer dar. Danach setzte sich das Volk, um zu essen und zu trinken, und sie standen auf, um ihre Lust zu treiben.” 2.Mose 32,5.6. Unter dem Vorwand, “des Herrn Fest” zu feiern, veranstalteten sie eine Schwelgerei und ausschweifende Lustbarkeit. PP 292.1
Wie oft wird heutzutage die Vergnügungssucht mit dem “Schein eines gottesfürchtigen Wesens” (2.Timotheus 3,5) bemäntelt! Eine Religion, die bei der Beobachtung gottesdienstlicher Bräuche den Leuten erlaubt, selbstischen oder sinnlichen Genüssen zu frönen, gefiele den Menschen heute ebensogut wie in den Tagen Israels. Und es gibt immer noch nachgiebige Aarons, die die Wünsche Ungeheiligter billigen und sie dadurch nur zur Sünde ermuntern, obwohl sie selbst hohe verantwortliche Stellen in der Gemeinde innehaben. PP 292.2
Es war nur wenige Tage her, daß die Hebräer einen feierlichen Bund mit Gott geschlossen und versprochen hatten, auf seine Stimme zu hören. Zitternd und angsterfüllt hatten sie vor dem Berge gestanden und den Worten des Herrn gelauscht: “Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.” 2.Mose 20,3. Die Herrlichkeit Gottes schwebte noch vor den Augen der Gemeinde über dem Sinai, aber sie wandten sich von ihr ab und verlangten nach anderen Göttern. “Sie machten ein Kalb am Horeb und beteten das gegossene Bild an und verwandelten die Herrlichkeit ihres Gottes in das Bild eines Ochsen, der Gras frißt.” Psalm 106,19.20. Größere Undankbarkeit hätten sie ihm nicht zeigen, schmählicher ihn nicht beleidigen können, der sich ihnen als gütiger Vater und allmächtiger König offenbart hatte! PP 292.3
Gott ließ Mose auf dem Berge von dem Abfall im Lager wissen und befahl ihm, unverzüglich zurückzukehren. “Geh, steig hinab”, lauteten Gottes Worte, “denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben’s angebetet.” 2.Mose 32,7.8. Gott hätte diese Entwicklung gleich zu Anfang verhindern können, aber er ließ sie den Höhepunkt erreichen, um allen ganz deutlich zu zeigen, wie er Verrat und Abfall strafte. PP 293.1
Gottes Bund mit seinem Volk war damit ungültig geworden, und er sagte deshalb zu Mose: “Nun laß mich, daß mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen.” 2.Mose 32,10. Israel und besonders die Fremden unter ihnen neigten immer dazu, sich gegen Gott aufzulehnen. Sie würden auch gegen Mose murren und ihn durch Unglauben und Halsstarrigkeit kränken. Es bliebe eine mühselige, zermürbende Aufgabe, sie in das verheißene Land zu bringen. Sie hatten ja auch mit ihren Sünden Gottes Gnade bereits verwirkt. Die Gerechtigkeit verlangte ihren Untergang. Deshalb schlug der Herr vor, sie auszurotten und Mose zum mächtigen Volk zu machen. PP 293.2
“Laß mich, daß ... [ich] sie vertilge” (2.Mose 32,10), waren Gottes Worte. Wer konnte für Israel bitten, wenn Gott beschlossen hatte, sie zu vernichten? Wie wenige hätten etwas anderes getan, als die Sünder ganz einfach ihrem Schicksal zu überlassen! Wer hätte nicht lieber mühevolle Arbeit sowie Lasten und Opfer, mit denen man noch dazu Undankbarkeit und Murren erntete, gegen eine bequemere, ehrenvolle Stellung eingetauscht, zumal wenn Gott selbst diese Erleichterung anbot! PP 293.3
Aber Mose meinte noch, Grund zur Hoffnung zu haben, wo es nur Enttäuschung und Zorn zu geben schien. Gottes Worte “Laß mich” (2.Mose 32,10) verstand er nicht als Verbot, sondern als Ermutigung zur Vermittlung, die andeuteten, daß nur Moses Fürbitte Israel retten könne. Wenn er ihn darum bäte, würde Gott sein Volk schonen. So flehte Mose vor dem Herrn, seinem Gott, und sprach: “Ach, Herr, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast?” 2.Mose 32,11. Gott hatte zu erkennen gegeben, daß er sein Volk verwarf, und zu Mose gesagt: “Dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast.” 2.Mose 32,7.8. Aber Mose lehnte die Führerschaft Israels demütig ab. Es gehörte nicht ihm, sondern Gott: “Dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand ... geführt hast. Warum sollen die Ägypter sagen”, flehte er, “er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, daß er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie vom Erdboden?” 2.Mose 32,11.12. PP 294.1
In den wenigen Monaten seit Israels Auszug aus Ägypten hatte sich die Nachricht von ihrer wunderbaren Befreiung bei allen umwohnenden Völkern herumgesprochen. Furcht und schreckliche Ahnungen überkamen die Heiden. Sie alle beobachteten, was Israels Gott mit seinem Volk tun würde. Vertilgte er es jetzt, gäbe es Triumphgeschrei bei dessen Feinden, und Gott wäre entehrt. Die Ägypter würden behaupten, daß ihre Beschuldigungen stimmten: statt die Hebräer in die Wüste zu führen, um ihm zu opfern, hätte Gott sie selbst geopfert. Israels Sünden würden sie natürlich nicht bedenken. Die Vernichtung dieses Volkes, das Gott in solch hohem Maße ausgezeichnet hatte, mußte Schande auf seinen Namen bringen. Welch große Verantwortung ruht deshalb auf denen, die Gott für würdig hält, zum Lobe seines Namens in der Welt beizutragen! Wie wachsam sollten sie sich vor Sünde hüten, um nicht seine Gerichte auf sich herabzurufen und damit die Lästerung seines Namens durch die Gottlosen zu veranlassen! PP 294.2
Als Mose für Israel eintrat, hatte er über seiner großen Liebe zu ihnen, für die er unter Gottes Führung so viel tun durfte, alle Zaghaftigkeit aufgegeben. Der Herr erhörte seine Bitten und gewährte ihm, worum er so selbstlos flehte. Er hatte seinen Diener auf die Probe gestellt. Er prüfte dessen Treue und Liebe zu dem undankbaren und vom rechten Wege abgewichenen Volk. Mose hatte diese Probe gut bestanden. Seine Anteilnahme für Israel entsprang keinem selbstsüchtigen Beweggrund. Das Wohlergehen des erwählten Gottesvolkes war ihm mehr wert als eigene Ehre und als der Vorzug, selbst Stammvater eines großen Volkes zu werden. Gott hatte Wohlgefallen an seiner Treue, seiner Herzenseinfalt und Lauterkeit. Darum übertrug er ihm als einem treuen Hirten die hohe Aufgabe, Israel in das verheißene Land zu führen. PP 294.3
Als Mose und Josua mit den “Tafeln des Gesetzes” (2.Mose 32,15) vom Berge herabkamen, hörten sie das Freudengeschrei der erregten Menge, die offensichtlich ein ausgelassenes Getümmel veranstaltete. Der erste Gedanke des Kriegsmannes Josua war, daß es sich um einen Angriff von Feinden handeln müsse. “Es ist ein Kriegsgeschrei im Lager” (2.Mose 32,17), sagte er. Aber Mose beurteilte den Tumult treffender. Diese Geräusche kamen nicht vom Kampf, sondern von lärmender Lustbarkeit. “Es ist kein Geschrei wie bei einem Sieg, und es ist kein Geschrei wie bei einer Niederlage, ich höre Geschrei wie beim Tanz.” 2.Mose 32,18. PP 295.1
Als sie sich dem Lager näherten, sahen sie das Volk jauchzend um das Götzenbild tanzen. Es war ein Anblick wie bei heidnischen Schwelgereien, eine Nachahmung der Götterfeste in Ägypten. Wie so ganz anders war dagegen die feierliche, ehrerbietige Anbetung Gottes! Mose war erschüttert. Er kam ja gerade aus der Gegenwart der Herrlichkeit Gottes. Zwar war er vor dem, was sich hier zutrug, gewarnt worden, auf eine solche furchtbare Zurschaustellung der Verderbtheit Israels war er jedoch nicht vorbereitet. Heftiger Zorn packte ihn. Um seinen Abscheu vor ihrem Frevel deutlich zu machen, schleuderte er die Steintafeln zu Boden, daß sie vor den Augen des ganzen Volkes zerbrachen. Damit machte er allen klar: So wie sie ihren Bund mit Gott gebrochen hatten, hatte nun auch Gott seinen Bund mit ihnen zerbrochen. PP 295.2
Mose betrat das Lager. Er ging durch das dichte Gedränge der Ausgelassenen, ergriff das Götzenbild und warf es ins Feuer. Später zerrieb er es zu Staub, schüttete ihn in den Bach, der vom Berge herabkam, und ließ das Volk daraus trinken. So zeigte er ihnen die völlige Wertlosigkeit des Götzen, den sie angebetet hatten. PP 295.3
Nun lud der große Volksführer seinen schuldig gewordenen Bruder vor und fragte streng: “Was hat dir das Volk getan, daß du eine so große Sünde über sie gebracht hast?” 2.Mose 32,21. Aaron suchte sich zu verteidigen, indem er sich auf die lauten Klagen des Volkes berief. Wenn er dessen Wünschen nicht nachgegeben hätte, würde es ihn getötet haben. “Mein Herr lasse seinen Zorn nicht entbrennen”, sagte er, “du weißt, daß dies Volk böse ist. Sie sprachen zu mir: Mache uns einen Gott, der vor uns hergehe; denn wir wissen nicht, was mit diesem Mann Mose geschehen ist, der uns aus Ägyptenland geführt hat. Ich sprach zu ihnen: Wer Gold hat, der reiße es ab und gebe es mir. Und ich warf es ins Feuer; daraus ist das Kalb geworden.” 2.Mose 32,22-24. Er wollte Mose glauben machen, hier sei ein Wunder geschehen; er habe das Gold ins Feuer geworfen, und durch übernatürliche Macht sei es zu einem Kalb geworden. Aber seine Ausflüchte und Vorwände nützten nichts. Zu Recht wurde er als der Hauptübeltäter behandelt. PP 295.4
Die Tatsache, daß Aaron mehr als alles Volk gesegnet und ausgezeichnet worden war, machte seine Sünde besonders abscheulich. Aaron, der “Heilige des Herrn” (Psalm 106,16), hatte das Götzenbild gemacht und ein Fest ausgerufen, und das, obwohl er zum Wortführer für Mose bestimmt worden war, von dem Gott selbst bezeugte, daß er beredt sei. Vgl. 2.Mose 4,14. Er versagte, als es galt, den Götzendienern in ihren den Himmel herausfordernden Absichten entgegenzutreten. Er, der als Gottes Werkzeug Gerichte über die Ägypter und ihre Götter brachte, hörte ungerührt vor dem gegossenen Bild rufen: “Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat.” 2.Mose 32,4. Mit Mose war er auf dem Berge gewesen und hatte die Herrlichkeit Gottes geschaut. Er mußte bei dieser Offenbarung erkennen, daß es nichts gab, woraus man sich ein Bild hätte machen können. Und doch hatte er danach diese Herrlichkeit in das Ebenbild eines Tieres verwandelt. Gott vertraute ihm in Moses Abwesenheit die Leitung des Volkes an, und er ließ dessen Empörung zu. “Auch war der Herr sehr zornig über Aaron, so daß er ihn vertilgen wollte.” 5.Mose 9,20. Aber auf Moses dringende Fürbitte hin blieb sein Leben verschont. Und als er seine große Sünde bereute und sich demütigte, nahm ihn Gott auch wieder in Gnaden an. PP 296.1
Wäre Aaron so mutig gewesen, ohne Rücksicht auf die Folgen für das Rechte einzustehen, hätte er jenen Abfall verhindern können. Wäre er Gott unerschütterlich treu geblieben und hätte er das Volk an das beängstigende Sinaierlebnis erinnert, an sein feierliches Gelübde, dem Gesetz Gottes zu gehorchen, dann hätte er dem Bösen Einhalt gebieten können. Aber seine Nachgiebigkeit gegenüber den Wünschen des Volkes und die ruhige Sicherheit, mit der er ihre Pläne ausführte, bestärkten sie, so daß sie in ihrer Sündhaftigkeit weiter gingen, als sie eigentlich beabsichtigten. PP 296.2
Als Mose nach der Rückkehr den Empörern gegenüberstand, verglich das Volk seine heftige Art zu tadeln und seinen Unwillen, in dem er die heiligen Gesetzestafeln zerbrach, mit der angenehmen Ausdrucksweise und würdevollen Haltung seines Bruders. Da galt ihre Zuneigung Aaron. Obwohl dieser zu seiner Rechtfertigung das Volk dafür verantwortlich zu machen suchte, daß er in seiner Schwäche dessen Forderungen nachgegeben hatte, bewunderte es seine Milde und Geduld. Aber Gott sieht nicht mit den Augen der Menschen. Durch seine Nachgiebigkeit und den Wunsch, gefällig zu sein, war Aaron für das Frevelhafte seiner Schuld, die er guthieß, wie mit Blindheit geschlagen. Daß er durch seinen Einfluß die Sünde Israels begünstigte, kostete Tausenden das Leben. Welcher Gegensatz zu Mose, der gewissenhaft Gottes Gerichte vollstreckte und damit bewies, daß ihm Israels Wohlergehen mehr wert war als das eigene Ansehen oder Leben. PP 297.1
Von allen Sünden, die Gott strafen wird, wiegt in seinen Augen keine so schwer wie die, andere im Bösen zu bestärken. Gott möchte, daß seine Diener ihre Treue dadurch beweisen, daß sie Fehler gewissenhaft tadeln, so schmerzlich das auch sein mag. Wer von Gott eines besonderen Auftrags gewürdigt wird, darf nicht nachgiebig und liebedienerisch sein, nicht nach Selbsterhöhung streben oder unangenehmen Pflichten ausweichen. Er muß vielmehr Gottes Werk mit unwandelbarer Treue ausführen. PP 297.2
Obwohl Gott Moses Bitte, Israel vor der Vernichtung zu bewahren, erhörte, mußte dessen Abfall doch spürbar bestraft werden. Die Gesetzlosigkeit und Unbotmäßigkeit, in die Aaron das Volk geraten ließ, würden sogleich in Gottlosigkeit ausarten, und es konnte einen nicht wieder gutzumachenden Schaden erleiden, wenn man sie nicht schnell unterdrückte. Das Böse mußte mit unnachgiebiger Härte ausgetrieben werden. Im Tor des Lagers stehend, rief Mose dem Volke zu: “Her zu mir, wer dem Herrn angehört!” 2.Mose 32,26. Wer nicht an der Abgötterei beteiligt war, mußte sich zu seiner Rechten aufstellen, wer schuldig war, aber bereute, zur Linken. Dieser Befehl wurde befolgt. Dabei stellte sich heraus, daß der Stamm Levi nicht am Götzendienst teilgenommen hatte. Aus den anderen Stämmen hatten viele gesündigt, aber sie gaben jetzt ihre Reue zu erkennen. Ein großer Teil dagegen, zumeist aus dem “fremden Volk” (2.Mose 12,38), der zur Herstellung des Kalbes angestiftet hatte, blieb verstockt bei seiner Auflehnung. Im Namen des Herrn, des Gottes Israels, befahl nun Mose denen zu seiner Rechten, die der Abgötterei ferngeblieben waren, ihre Schwerter umzugürten und alle, die hartnäckig bei ihrer Empörung blieben, zu erschlagen. “Und es fielen an dem Tage vom Volk dreitausend Mann.” 2.Mose 32,28. Ohne Rücksicht auf Stellung, Verwandtschaft oder Freundschaft wurden die Rädelsführer im Aufruhr ausgerottet. Aber alle, die sich demütigten und bereuten, blieben verschont. PP 297.3
Die Vollstrecker dieses schrecklichen Urteils handelten in göttlicher Autorität, indem sie den Richtspruch des Königs der Himmel ausführten. Man hüte sich davor, seine Mitmenschen unbesonnen zu richten und zu verdammen. Aber wenn Gott gebietet, sein Urteil über Missetaten zu vollstrecken, muß man gehorchen. Die dieser schmerzlichen Verfügung nachkamen, bewiesen damit, daß sie Empörung und Abgötterei verabscheuten, sie weihten sich dem wahren Gott noch völliger. Der Herr belohnte die Treue des Stammes Levi durch eine besondere Auszeichnung. PP 298.1
Die Israeliten hatten sich des Treubruchs schuldig gemacht und das an einem König, der sie mit Wohltaten überhäufte und dessen Autorität sich zu unterwerfen sie freiwillig gelobt hatten. Damit Gottes Herrschaft gerechtfertigt wäre, mußte der Verrat geahndet werden. Doch sogar hierbei zeigte sich Gottes Gnade. Während er sein Gesetz aufrecht hielt, hatten alle die Freiheit und Gelegenheit zur Buße. Nur wer in der Empörung beharrte, wurde hinweggerafft. PP 298.2
Diese Sünde mußte bestraft werden zum Beweis für die umwohnenden Völker, wie sehr der Götzendienst Gott mißfiel. Damit brachte Mose, das Werkzeug Gottes, einen feierlichen, öffentlichen Protest gegen dieses Verbrechen zum Ausdruck. Wenn die Israeliten später die Abgötterei an ihren Nachbarvölkern verurteilten, würden diese ihre Feinde ihnen ganz sicher vorwerfen, daß sie ja selbst am Horeb ein Kalb gemacht und angebetet hatten, und das, obwohl sie behaupteten, Jahwe sei ihr Gott. Dann konnte Israel, obgleich es diese schmachvolle Wahrheit zugeben mußte, an den schrecklichen Tod der Übertreter erinnern. Er bewies, daß ihre Sünde niemals gutgeheißen oder entschuldigt worden war. PP 298.3
Aber nicht weniger als Gerechtigkeit forderte auch die Liebe die Verurteilung jener Sünde. Gott ist Hüter und Herrscher seines Volkes. Er vertilgt alle, die sich für die Empörung entscheiden, damit sie nicht noch andere mit ins Verderben reißen. Als Gott Kain verschonte, zeigte er dem Weltall, welche Folge es hätte, wenn Sünde ungestraft bliebe. Der Einfluß, den Kain in Wort und Tat auf seine Nachkommen ausübte, führte schließlich zu der Verderbnis, welche die Vernichtung der ganzen Welt durch eine Flut erforderte. Die Geschichte der vorsintflutlichen Menschen beweist, daß lange Lebenszeiten für den Sünder kein Segen sind; denn trotz Gottes großer Langmut ließen sie nicht von ihrer Bosheit. Je länger jene Menschen lebten, desto lasterhafter wurden sie. PP 299.1
Ebenso war es mit dem Abfall am Sinai. Wäre hier die Strafe nicht auf dem Fuße gefolgt, hätte man das gleiche erlebt. Die Erdbewohner wären wieder so abgrundschlecht geworden wie zu Noahs Zeit. Hätte Gott diese Übertreter verschont, wären schlimmere Übeltaten gefolgt als nach Kains Zeit. Es war Gottes Gnade, wenn Tausende büßten, damit nicht Millionen dem Gericht verfielen. Um also viele Menschen zu bewahren, mußte er einige bestrafen. Außerdem verwirkte das Volk, als es Gott die Gefolgschaft aufsagte, auch seinen Schutz. Damit beraubte es sich seiner Verteidigung, und so wäre das Volk der Gewalt der Feinde preisgegeben gewesen. Wäre das Übel nicht sofort beseitigt worden, wären die Hebräer bald ihren zahlreichen und mächtigen Gegnern zum Opfer gefallen. Um Israels willen war also die unmittelbare Ahndung des Vergehens notwendig. Zugleich war es eine Lehre für alle kommenden Geschlechter. Und es bedeutete nicht minder Gnade für die Sünder selbst, daß ihrem bösen Wandel ein Ende gesetzt wurde. Derselbe aufrührerische Geist, der sie zur Auflehnung gegen Gott nötigte, hätte sich andernfalls auch in Haß und Streit unter ihnen selbst geäußert, so daß sie sich schließlich gegenseitig vernichtet haben würden. So war es Gottes Liebe zur Welt, zu Israel, ja sogar zu den Übertretern, wenn er den Frevel schnell und mit aller Strenge bestrafte. PP 299.2
Als dem Volk die Größe seiner Schuld zum Bewußtsein kam, bemächtigte sich des ganzen Lagers Entsetzen. Sie fürchteten, daß nun alle Schuldigen umgebracht würden. Mose hatte Mitleid mit ihrer Not und versprach, Gott noch einmal für sie anzuflehen. PP 300.1
“Ihr habt eine große Sünde getan”, sagte er, “nun will ich hinaufsteigen zu dem Herrn, ob ich vielleicht Vergebung erwirken kann für eure Sünde.” Er ging und bekannte vor Gott: “Ach, das Volk hat eine große Sünde getan, und sie haben sich einen Gott von Gold gemacht. Vergib ihnen doch ihre Sünde; wenn nicht, dann tilge mich aus deinem Buch, das du geschrieben hast.” Gott antwortete: “Ich will den aus meinem Buch tilgen, der an mir sündigt. So geh nun hin und führe das Volk, wohin ich dir gesagt habe. Siehe, mein Engel soll vor dir hergehen. Ich werde aber ihre Sünde heimsuchen, wenn meine Zeit kommt.” 2.Mose 32,30-34. PP 300.2
Moses Gebet macht uns aufmerksam auf die himmlischen Bücher, in denen die Namen aller Menschen und ihre Taten gewissenhaft vermerkt sind, sie seien gut oder böse. Das Buch des Lebens enthält alle Namen derer, die je in Gottes Dienst gestanden haben. Gaben sie ihn aber auf und wurden durch verstocktes Beharren in Schuld schließlich dem Einfluß des Heiligen Geistes gegenüber unzugänglich, werden sie beim Jüngsten Gericht aus dem Lebensbuch getilgt und der Vernichtung anheimgegeben. Mose erkannte wohl das schreckliche Schicksal der Sünder. Doch würde Israel vom Herrn verworfen, dann — so wünschte er sich — sollte mit ihren auch sein Name getilgt werden. Er konnte es nicht ertragen, daß die einst so wunderbar Befreiten dem Gericht Gottes verfielen. Moses Fürsprache um Israels willen veranschaulicht das Mittleramt Christi für die Sünder. Aber der Herr ließ nicht zu, daß Mose wie Christus die Schuld der Übertreter auf sich nahm. “Ich will den aus meinem Buch tilgen”, sagte er, “der an mir sündigt.” 2.Mose 32,30-34. PP 300.3
In tiefer Trauer hatte das Volk seine Toten begraben. Dreitausend waren durchs Schwert gefallen; bald danach war die Pest im Lager ausgebrochen; und nun kam die Botschaft, daß Gottes Gegenwart sie nicht mehr auf ihrer Wanderung begleiten werde. Jahwe hatte gesagt: “Ich selbst will nicht mit dir hinaufziehen, denn du bist ein halsstarriges Volk; ich würde dich unterwegs vertilgen.” 2.Mose 33,3. Weiter befahl er: “Und nun lege deinen Schmuck ab, dann will ich sehen, was ich dir tue.” 2.Mose 33,5. Im ganzen Lager herrschte Trauer. In Reue und Demut taten “die Kinder Israel ... ihren Schmuck von sich an dem Berge Horeb”. 2.Mose 33,6. PP 300.4
Auf Gottes Anweisung hin schaffte Mose das Zelt, das als vorläufiger Anbetungsort diente, “außerhalb des Lagers”. 2.Mose 33,7 (EB). Dies war ein weiterer Beweis dafür, daß Gott ihnen seine Gegenwart entzogen hatte. Er wollte sich Mose offenbaren, aber nicht solchem Volk. Sie empfanden die Bestrafung bitter, und der von Gewissensbissen geplagten Menge schien dies ein Vorzeichen größeren Unglücks zu sein. Hatte der Herr nicht Mose vom Lager ausgesondert, um sie gänzlich zu vertilgen? Aber sie blieben nicht hoffnungslos. Das Zelt wurde außerhalb des Lagers aufgeschlagen, jedoch nannte Mose es “Zelt der Zusammenkunft”. 2.Mose 33,7 (EB). Alle, die aufrichtig bereuten und das Verlangen hatten, zum Herrn zurückzukehren, erhielten die Weisung, dorthin zu kommen, um ihre Sünden zu bekennen und Gottes Gnade zu suchen. Während sie in ihre Zelte zurückgingen, trat Mose in das Versammlungszelt [Stiftshütte]. Mit qualvoller Spannung wartete dann das Volk auf ein Zeichen, daß seine Fürbitte angenommen war. Würde sich Gott herabneigen, ihm zu begegnen, konnten sie hoffen, nicht völlig vertilgt zu werden. Als sich daher die Wolkensäule niedersenkte und am Eingang der Stiftshütte stand, weinte das Volk vor Freude, “und sie standen auf und neigten sich, ein jeder in seines Zeltes Tür”. 2.Mose 33,10. PP 301.1
Mose hatte den Eigensinn und die Verblendung derer, die seiner Obhut anvertraut waren, kennengelernt. Er wußte um die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte. Und er begriff, daß er der Hilfe Gottes bedurfte, wenn er sich beim Volke durchsetzen wollte. Darum bat er um eine deutlichere Offenbarung seines Willens und um die Gewißheit seiner Gegenwart: “Siehe, du sprichst zu mir: Führe das Volk hinauf! und läßt mich nicht wissen, wen du mit mir senden willst, wo du doch gesagt hast: Ich kenne dich mit Namen, und du hast Gnade vor meinen Augen gefunden. Hab ich denn Gnade vor deinen Augen gefunden, so laß mich deinen Weg wissen, damit ich dich erkenne und Gnade vor deinen Augen finde. Und sieh doch, daß dies Volk dein Volk ist.” 2.Mose 33,12.13. PP 301.2
Gott antwortete: “Mein Angesicht soll vorangehen; ich will dich zur Ruhe leiten.” 2.Mose 33,14. Aber Mose war noch nicht zufriedengestellt. Ihn bedrückte der Gedanke an die schrecklichen Folgen, wenn Gott Israel in seiner Not und Verstocktheit sich selbst überließe. Daß er von seinen Brüdern getrennt sein sollte, war ihm unerträglich. Und so betete er, daß Gott seinem Volk wieder gnädig sein möge und das Zeichen seiner Gegenwart sie auf ihrer Wanderung auch weiterhin geleite: “Wenn nicht dein Angesicht vorangeht, so führe uns nicht von hier hinauf. Denn woran soll erkannt werden, daß ich und dein Volk vor deinen Augen Gnade gefunden haben, wenn nicht daran, daß du mit uns gehst, so daß ich und dein Volk erhoben werden vor allen Völkern, die auf dem Erdboden sind?” 2.Mose 33,14-16. PP 302.1
Und der Herr sprach: “Auch das, was du jetzt gesagt hast, will ich tun; denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.” 2.Mose 33,17. Aber der Prophet ließ noch immer nicht nach mit Bitten. Wohl hatte Gott alle seine Gebete beantwortet, aber ihn verlangte nach größeren Zeichen der Gnade Gottes. Er erbat nun etwas, das nie ein Mensch zuvor gewagt hatte: “Laß mich deine Herrlichkeit sehen!” 2.Mose 33,18. PP 302.2
Gott schalt seine Bitte nicht vermessen. Er antwortete ihm gnädig: “Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen.” 2.Mose 33,19. Kein menschliches Wesen kann in seiner sterblichen Beschaffenheit die unverhüllte Herrlichkeit Gottes schauen und am Leben bleiben. Aber Mose erhielt die Zusicherung, daß er so viel davon sehen sollte, wie er zu ertragen vermochte. Wiederum wurde er aufgefordert, auf den Gipfel des Berges zu steigen. Dann nahm die Hand, die die Welt geschaffen, die Hand, die Berge versetzt, ehe sie es innewerden (vgl. Hiob 9,5), dieses Geschöpf aus Staub, das doch ein so mächtiger Glaubensmann war, und stellte es in eine Felskluft, während die Herrlichkeit Gottes und alle seine Güte an ihm vorübergingen. PP 302.3
Dieses Erlebnis — vor allem die Verheißung, daß Gottes Gegenwart in seiner Nähe bleiben werde — war für Mose die Gewißheit des guten Fortgangs seiner künftigen Arbeit. Sie war ihm unendlich mehr wert als alle Gelehrsamkeit Ägyptens oder alle seine Kenntnisse als Staatsmann und Heerführer. Keine irdische Macht, keine Gewandtheit oder Gelehrsamkeit kann Gottes bleibende Gegenwart ersetzen. PP 302.4
Es ist etwas Schreckliches für den Übertreter, “in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen”. Hebräer 10,31. Aber Mose stand allein in der Gegenwart des Ewigen und fürchtete sich nicht, denn seine Seele befand sich in Übereinstimmung mit dem Willen seines Schöpfers. Der Psalmist sagt: “Wenn ich Unrechtes vorgehabt hätte in meinem Herzen, so hätte der Herr nicht gehört.” Psalm 66,18. Aber “der Herr ist denen Freund, die ihn fürchten; und seinen Bund läßt er sie wissen”. Psalm 25,14. PP 303.1
Gott rief aus: “Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft läßt er niemand.” 2.Mose 34,6.7. PP 303.2
“Mose neigte sich eilends zur Erde und betete an.” 2.Mose 34,8. Noch einmal bat er, daß Gott die Sünde seines Volkes vergeben und es als sein Eigentum annehmen wolle. Sein Gebet wurde erhört. Der Herr verhieß, seinen Bund mit Israel in Gnaden zu erneuern und um seines Volkes willen Wunder zu tun, “wie sie nicht geschehen sind in allen Landen und unter allen Völkern”. 2.Mose 34,10. PP 303.3
Vierzig Tage und Nächte blieb Mose auf dem Berge und wurde wie beim erstenmal während der ganzen Zeit auf wunderbare Weise erhalten. Niemand hatte mit ihm hinaufgehen dürfen, noch war es in der Zeit seiner Abwesenheit erlaubt, sich dem Berge zu nähern. Auf Gottes Befehl hielt Mose zwei Tafeln von Stein bereit und trug sie auf den Gipfel. Und wieder schrieb der Herr “auf die Tafeln die Worte des Bundes, die Zehn Worte”. 2.Mose 34,18. PP 303.4
Während jener langen Zeit der Gemeinschaft mit Gott hatte Moses Angesicht die Herrlichkeit der göttlichen Gegenwart widergespiegelt. Als er vom Berge herabkam, wußte er nicht, daß sein Antlitz noch stark leuchtete. Solcher Glanz verklärte auch das Gesicht des Stephanus, als er vor seine Richter gebracht wurde: “Sie sahen auf ihn alle, die im Rat saßen, und sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht.” Apostelgeschichte 6,15. Aaron und das Volk wichen vor Mose zurück und “fürchteten sich, ihm zu nahen”. 2.Mose 34,30. Er bemerkte wohl, daß sie bestürzt und entsetzt waren, wußte aber nicht den Grund dafür und nötigte sie, näherzukommen. Er hielt ihnen das Pfand der Versöhnung mit Gott hin und bestätigte ihnen die Erneuerung seiner Gnade. Sie spürten in seiner Ausdrucksweise nur Liebe und dringendes Bitten, und schließlich wagte es einer, nahe heranzukommen. Zu ehrfurchtsvoll, um sprechen zu können, wies er schweigend auf Moses Angesicht und dann gen Himmel. Da verstand der Führer des Volkes seine Geste. Im Bewußtsein ihrer Schuld litten die Israeliten noch unter dem göttlichen Mißfallen und konnten das himmlische Licht nicht ertragen. Wären sie Gott gehorsam geblieben, hätte es sie mit Freude erfüllt. In der Schuld lebt Furcht. Eine Seele, die frei von Sünde ist, möchte sich nicht vor dem Licht des Himmels verbergen. PP 303.5
Mose hatte ihnen viel mitzuteilen. Da sie ihm in ihrer Furcht leid taten, bedeckte er sein Gesicht mit einem Schleier. Er tat das auch später immer, wenn er aus der Gemeinschaft mit Gott zurückkam. PP 304.1
Mit diesem Glanz wollte Gott dem Volke Israel die Heiligkeit und Erhabenheit seines Gesetzes und die Herrlichkeit des Evangeliums einprägen, das einst durch Christus offenbart würde. Aber Gott gab Mose auf dem Berge nicht nur die Gesetzestafeln, er zeigte ihm auch den Erlösungsplan. Daran erkannte Mose, daß alle Zeichen und Sinnbilder des israelitischen Zeitalters Vorbilder auf das Opfer Christi waren. Es war sowohl das himmlische Licht, das von Golgatha ausging, als auch die Herrlichkeit des göttlichen Gesetzes, wodurch sich solcher Glanz auf sein Angesicht ergoß. Diese göttliche Erleuchtung versinnbildete die gnadenvolle Vergebung, deren sichtbarer Vermittler Mose war als Vorbild auf den einen wahren Mittler. PP 304.2
Der Glanz, der sich im Angesicht Moses widerspiegelte, veranschaulicht auch den Segen, den Gottes Volk, das die Gebote hält, durch Christi Mittleramt erhalten soll. Er bezeugt, daß wir um so mehr in das Bild Gottes verwandelt werden, je enger unsere Verbindung mit Gott und je klarer unsere Erkenntnis von seinen Geboten ist. PP 304.3
Mose war ein Vorbild auf Christus. Als Israels Fürsprecher verhüllte er das Gesicht, weil das Volk seinen Glanz nicht ertragen konnte. So verhüllte Christus seine Gottheit in der menschlichen Natur, als er auf diese Erde kam. Wäre er dabei mit der Klarheit des Himmels umgeben gewesen, hätte er bei den sündhaften Menschen keinen Eingang gefunden. Sie hätten die Herrlichkeit seiner Gegenwart nicht ertragen können. Darum “erniedrigte er sich und kam, in der Gestalt des sündlichen Fleisches” (Römer 8,3), damit er das gefallene Geschlecht gewinnen und zu sich emporheben könne. PP 304.4