Patriarchen und Propheten

23/74

Das auserwählte Volk

Kapitel 22: Mose

Um sich während der Hungersnot ernähren zu können, hatten die Ägypter ihr Vieh und ihre Felder der Krone verkauft. Schließlich verpflichteten sie sich zu dauernder Leibeigenschaft. Aber Joseph hatte Vorsorge für ihre Freilassung getroffen. Er gestattete ihnen, Pächter des Königs zu werden, die ihr Land von ihm zurückbekamen und dafür ein Fünftel ihrer Erzeugnisse als Jahresgabe bezahlten. PP 219.1

Jakobs Kinder wurden dagegen nicht gezwungen, solche Bedingungen einzugehen. Mit Rücksicht auf die Dienste, die Joseph dem ägyptischen Volk geleistet hatte, überließ man ihnen nicht nur einen Teil des Landes als Heimat, sie waren auch frei von Steuern und wurden während der Zeit der Hungersnot reichlich mit Nahrung versorgt. Der König erkannte öffentlich an, daß Ägypten durch das gnädige Eingreifen des Gottes Josephs Überfluß hatte, während andere Völker durch Hunger zugrunde gingen. Er sah auch, daß das Land unter Josephs Führung sehr reich geworden war, und aus Dankbarkeit erwies er der Familie Jakobs sein königliches Wohlwollen. PP 219.2

Aber die Zeit verging, und der mächtige Mann, dem Ägypten so viel verdankte, und seine Zeitgenossen, die den Segen seines Wirkens erlebt hatten, sanken ins Grab. Und dann “kam ein neuer König auf in Ägypten, der wußte nichts von Joseph”. 2.Mose 1,8. Nicht, daß er Josephs Verdienste um das Land nicht gekannt hätte, er wollte sie jedoch nicht anerkennen und sie soweit wie möglich in Vergessenheit geraten lassen. So sprach er zu seinem Volk: “Siehe, das Volk Israel ist mehr und stärker als wir. Wohlan, wir wollen sie mit List niederhalten, daß sie nicht noch mehr werden. Denn wenn ein Krieg ausbräche, könnten sie sich auch zu unsern Feinden schlagen und gegen uns kämpfen und aus dem Lande ausziehen.” 2.Mose 1,9.10. PP 219.3

Die Israeliten waren inzwischen recht zahlreich geworden. Sie “wuchsen ... und zeugten Kinder und mehrten sich und wurden überaus stark, so daß von ihnen das Land voll ward”. 2.Mose 1,7. Unter Josephs fördernder Obhut und dem Wohlwollen des damaligen Königs hatten sie sich rasch über das Land ausgebreitet. Aber sie hatten sich als ein besonderes Volk erhalten, das in Sitten und Religion nichts mit den Ägyptern gemein hatte. Ihre wachsende Zahl erregte nun beim König und seinem Volk die Furcht, sie könnten sich im Falle eines Krieges mit den Feinden Ägyptens verbinden. Aber die Staatsklugheit verbot ihre Austreibung aus dem Lande, denn viele Israeliten waren geschickte, sachverständige Handwerker, die sehr viel zum Reichtum des Volkes beitrugen. Solche Leute brauchte der König zum Bau seiner prachtvollen Tempel und Paläste. Also reihte er sie bei den Ägyptern ein, die sich samt ihrem Besitz dem König verkauft hatten. Bald setzte man Fronvögte über sie, und damit war ihre Knechtschaft vollständig. “Da zwangen die Ägypter die Kinder Israel unbarmherzig zum Dienst und machten ihnen ihr Leben sauer mit schwerer Arbeit in Ton und Ziegeln und mit mancherlei Frondienst auf dem Felde, mit all ihrer Arbeit, die sie ihnen auferlegten ohne Erbarmen.” 2.Mose 1,13.14. — “Aber je mehr sie das Volk bedrückten, desto stärker mehrte es sich und breitete sich aus.” 2.Mose 1,12. PP 220.1

Der König und seine Ratgeber hatten gehofft, die Israeliten durch schwere Arbeit zu unterjochen, auf diese Weise ihre Anzahl zu vermindern und das Bewußtsein ihrer Unabhängigkeit auszurotten. Als sie aber sahen, daß diese Absicht fehlschlug, griffen sie zu härteren Maßnahmen. Sie wandten sich mit dem Befehl an jene Frauen, die von ihrer Tätigkeit her am besten zur Ausführung geeignet schienen, die Knaben der Hebräer bei der Geburt zu töten, die Hebammen. Satan selbst war der Urheber dieses Planes. Er wußte, daß unter den Israeliten ein Befreier aufstehen sollte. Indem er den König dahin brachte, ihre Kinder zu töten, hoffte er Gottes Absichten zu durchkreuzen. Aber die Hebammen waren gottesfürchtig; sie wagten es nicht, den grausamen Befehl auszuführen. Und der Herr billigte ihr Verhalten und segnete sie deshalb. Als sein Plan fehlschlug, wurde der König zornig und veranlaßte einen dringenderen, umfassenderen Befehl. Das ganze Volk wurde aufgerufen, die hilflosen Opfer aufzuspüren und umzubringen. “Da gebot der Pharao seinem ganzen Volk und sprach: Alle Söhne, die geboren werden, werft in den Nil, aber alle Töchter laßt leben.” 2.Mose 1,22. PP 220.2

Während dieser Erlaß noch voll in Kraft war, wurde Amram und Jochebed, frommen Israeliten aus dem Stamme Levi, ein Sohn geboren. Der Knabe war “ein schönes Kind”, und die Eltern waren fest entschlossen, ihn nicht zu opfern. Sie glaubten, daß die Befreiung Israels nahe war und Gott einen Erlöser für sein Volk erwecken werde. Glaube an Gott gab ihnen Kraft, und sie “fürchteten sich nicht vor des Königs Gebot”. Hebräer 11,23. PP 221.1

Drei Monate gelang es der Mutter, das Kind zu verbergen. Dann erkannte sie, daß sie es nicht länger sicher verwahren konnte. Sie flocht ein Kästchen aus Binsen und machte es mit Schlamm und Pech wasserdicht. Dahinein legte sie den Säugling und setzte das Kästchen in das Schilf am Flußrand. Sie wagte nicht, selbst zur Bewachung dort zu bleiben, um nicht des Kindes und ihr eigenes Leben zu gefährden. Aber seine Schwester Mirjam hielt sich scheinbar unbekümmert in der Nähe auf und beobachtete ängstlich, was mit dem kleinen Bruder geschehen würde. Auch noch andere Wächter waren da. Im ernsten Gebet hatte die Mutter ihr Kind der Obhut Gottes anvertraut. Nun schwebten Engel unsichtbar über seiner bescheidenen Ruhestatt. Sie führten Pharaos Tochter gerade dorthin. Das Körbchen erregte ihre Neugier, und als sie das hübsche Kind darin sah, war ihr die Sache auf den ersten Blick klar. Die Tränen des Kindes erweckten ihr Mitleid. Voller Mitgefühl dachte sie an die unbekannte Mutter, die ihre Zuflucht zu diesem Mittel genommen hatte, um das kostbare Leben ihres Kindes zu bewahren. So entschloß sie sich, es zu retten und an Kindes Statt anzunehmen. PP 221.2

Mirjam hatte insgeheim jede Bewegung beobachtet. Als sie bemerkte, daß man das Kind freundlich ansah, wagte sie sich näher, und schließlich fragte sie: “Soll ich hingehen und eine der hebräischen Frauen rufen, die da stillt, daß sie dir das Kindlein stille?” 2.Mose 2,7. Das erlaubte man ihr. PP 221.3

Die Schwester lief mit der freudigen Nachricht zur Mutter und kam sogleich mit ihr zur Tochter Pharaos zurück. “Nimm das Kindlein mit und stille es mir; ich will es dir lohnen” (2.Mose 2,9), sagte die Prinzessin. PP 221.4

Gott hatte die Gebete der Mutter erhört und ihren Glauben belohnt. Mit tiefer Dankbarkeit übernahm sie ihre jetzt sichere, beglükkende Aufgabe. Gewissenhaft nutzte sie die Gelegenheit, ihr Kind für Gott zu erziehen. Sie hatte die Zuversicht, daß es für eine große Aufgabe bewahrt worden sei, und wußte, daß sie es bald seiner königlichen Pflegemutter überlassen mußte. Dann würde es von Einflüssen umgeben sein, die es von Gott wegführen konnten. Das alles ließ sie in seiner Unterweisung noch fleißiger und sorgfältiger als bei ihren andern Kindern sein. Sie bemühte sich, des Kindes Sinn mit Gottesfurcht und Liebe zur Wahrheit und Gerechtigkeit zu erfüllen, und betete ernstlich darum, daß es vor jedem verderblichen Einfluß bewahrt bliebe. Sie zeigte ihm Torheit und Sünde des Götzendienstes und lehrte es früh, sich im Gebet vor dem lebendigen Gott zu beugen, der allein hören und in jeder Not helfen konnte. PP 222.1

Sie behielt den Knaben, so lange sie konnte. Aber als er ungefähr zwölf Jahre alt war, mußte sie ihn hingeben. Aus seinem bescheidenen Heim kam er nun in den Königspalast zur Tochter Pharaos und “ward ihr Sohn”. 2.Mose 2,10. Doch gingen ihm nicht einmal hier die in der Kindheit empfangenen Eindrücke verloren. Die Belehrungen seiner Mutter hat er nie vergessen. Sie bewahrten ihn vor Stolz, Unglauben und Laster, die unter dem Glanze des Hofes üppig gediehen. PP 222.2

Wie weitreichend in seinen Folgen war doch der Einfluß dieser einen hebräischen Frau, einer Verbannten und Sklavin! Moses künftiges Leben, sein großer Auftrag, den er als Führer Israels erfüllte, bezeugen den Wert einer gottesfürchtigen Mutter. Es gibt nichts, das ihm zu vergleichen wäre. Eine Mutter hält in hohem Maße das Schicksal ihrer Kinder in den Händen. Sie kümmert sich um die geistige und charakterliche Entwicklung und wirkt damit nicht nur für diese Zeit, sondern für die Ewigkeit. Sie legt eine Saat, die aufgehen und Frucht tragen wird zum Guten oder Bösen. Sie muß nicht etwa eine schöne Gestalt auf Leinwand malen oder in Marmor meißeln, sondern sie muß vielmehr einer menschlichen Seele das Abbild des Göttlichen tief einprägen. Hauptsächlich in den Jugendjahren der Kinder trägt sie die Verantwortung für deren Charakterbildung, denn die Eindrücke, die sie in den Jahren der geistigen Entwicklung empfangen, bleiben fürs ganze Leben. Die Eltern sollten mit der Unterweisung und der Erziehung ihrer Kinder schon beginnen, wenn sie noch klein sind, mit dem Ziel, daß sie gute Christen werden. Unter unserer Obhut sollen sie nicht Erben eines irdischen Reiches werden, sondern einmal als Könige mit Gott herrschen in alle Ewigkeit. PP 222.3

Wenn sich doch jede Mutter bewußt wäre, wie unschätzbar wertvoll ihre Lebenszeit ist! Ihr Wirken wird an dem ernsten Tage der Rechenschaft überprüft werden. Dann erst wird sich herausstellen, wieviel Versagen und Schuld bei Männern und Frauen durch die Unwissenheit und Nachlässigkeit derer entstand, deren Pflicht es gewesen wäre, sie in jungen Jahren auf den rechten Weg zu lenken. Dann wird man erkennen, daß viele, die der Welt durch ihre glänzende Begabung, Wahrhaftigkeit und Gottesfurcht zum Segen wurden, ihre grundsatztreue Haltung — die Hauptursache ihrer Ausstrahlung und ihres Erfolges — dem Einfluß einer betenden, gläubigen Mutter verdankten. PP 223.1

Am Hofe Pharaos erhielt Mose die beste juristische und militärische Ausbildung. Der Herrscher hatte seinen Adoptivenkel zum Thronfolger bestimmt, und für diese hohe Stellung wurde der junge Mann erzogen. “Und Mose ward gelehrt in aller Weisheit der Ägypter und war mächtig in Worten und Werken.” Apostelgeschichte 7,22. Durch seine Begabung als Heerführer wurde er zum Liebling der ägyptischen Armee, und man achtete ihn allgemein als eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Damit war Satans Absicht zuschanden geworden. Gott ließ gerade durch die Verordnung, die die hebräischen Kinder zum Tode verurteilte, den künftigen Führer seines Volkes heranbilden und erziehen. PP 223.2

Engel unterrichteten die Ältesten Israels, daß die Zeit der Befreiung nahe wäre und Mose der Mann sei, den Gott zur Durchführung dieses Werkes gebrauchen wollte. Engel unterwiesen auch Mose, daß Jahwe ihn dazu ausersehen habe, die Knechtschaft seines Volkes zu beenden. In der Annahme, daß sie ihre Freiheit mit Waffengewalt erlangen würden, rechnete er damit, die Scharen Israels gegen die Heere Ägyptens zu führen. Im Hinblick darauf hütete er sich vor Gefühlsäußerungen, weil er bei seiner Anhänglichkeit an die Pflegemutter oder an den Pharao gehemmt gewesen wäre, Gottes Willen zu tun. PP 223.3

Nach den ägyptischen Gesetzen mußten alle Inhaber des Pharaonenthrones Mitglieder der Priesterkaste werden. Und als der mutmaßliche Erbe mußte auch Mose in die Geheimnisse der Staatsreligion eingeführt werden. Diese Aufgabe fiel den Priestern zu. Aber obwohl er ein eifrig und unermüdlich Lernender war, ließ er sich nicht dazu bewegen, an der Anbetung der Götter teilzunehmen. Obwohl man ihm den Verlust der Krone androhte und ihn warnte, daß die Prinzessin ihn verstoßen würde, wenn er bei dem Glauben der Hebräer beharrte, blieb er unerschütterlich bei seinem Entschluß, nur den einen Gott, den Schöpfer Himmels und der Erden, zu ehren. Er suchte Priester und Anbeter zu überzeugen und zeigte ihnen die Torheit abergläubischer Verehrung toter Dinge. Niemand konnte seine Beweisgründe widerlegen oder gar seinen Sinn ändern, doch duldete man zu dieser Zeit solche Festigkeit noch mit Rücksicht auf die hohe Stellung und die Gunst, die er bei König und Volk genoß. PP 223.4

“Durch den Glauben wollte Mose, als er groß ward, nicht mehr ein Sohn heißen der Tochter des Pharao, sondern wollte viel lieber mit dem Volk Gottes Ungemach leiden, als den vergänglichen Genuß der Sünde haben, und achtete die Schmach Christi für größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens; denn er sah hin auf die Belohnung.” Hebräer 11,24-26. Mose war durchaus fähig, eine vorrangige Stellung unter den Großen der Erde einzunehmen, am Hof des berühmtesten Königreichs zu glänzen und es mit Machtfülle zu regieren. Durch seine geistige Bedeutung zeichnete er sich vor den großen Männern aller Zeiten aus. Als Geschichtsschreiber, Dichter, Weltweiser, Heerführer und Gesetzgeber sucht er seinesgleichen. Doch obwohl sich ihm die allergrößten Möglichkeiten boten, hatte er die sittliche Kraft, die verlockenden Aussichten auf Reichtum, Macht und Ruhm zu verschmähen, “sondern wollte viel lieber mit dem Volk Gottes Ungemach leiden, als den vergänglichen Genuß der Sünde haben”. Hebräer 11,24-26. PP 224.1

Mose war über die endgültige Belohnung der demütigen, gehorsamen Diener Gottes belehrt worden, und im Vergleich dazu versank irdischer Gewinn in die ihm zukommende Bedeutungslosigkeit. Pharaos prächtigen Palast und den Königsthron stellte man ihm als wohl lockenden Anreiz hin, aber Mose wußte auch, daß an den stolzen Höfen sündliche Vergnügungen wohnten, die den Menschen Gott vergessen ließen. Er schaute über Palast und Königskrone hinaus auf die hohen Ehrungen, die den Heiligen des Höchsten in einem Königreich ohne Sünde verliehen werden. Im Glauben sah er eine unvergängliche Krone, die der König des Himmels den Überwindern aufs Haupt setzen wird. Und dieser Glaube bewog ihn, sich von den irdischen Herrschern abzuwenden und sich dem anspruchslosen, armen, verachteten Volk anzuschließen, das lieber Gott gehorchen als der Sünde dienen wollte. PP 224.2

Mose blieb bis zum vierzigsten Lebensjahr am Hofe. In Gedanken beschäftigte er sich oft mit der Erniedrigung seines Volkes. Er besuchte die geknechteten Brüder und ermunterte sie mit der Zusicherung, daß Gott für ihre Befreiung sorgen werde. Oft überkam ihn Groll, wenn er Härte und Ungerechtigkeit mit ansehen mußte. Dann brannte er darauf, das ihnen zugefügte Übel zu rächen. Als er eines Tages wieder einmal draußen war, bemerkte er, wie ein Ägypter einen Israeliten mißhandelte. Da sprang er zu und erschlug den Ägypter. Mit Ausnahme des einen Israeliten gab es keinen Zeugen für die Tat, und Mose vergrub den Leichnam schnell im Sande. Jetzt hatte er bewiesen, daß er bereit war, die Sache seines Volkes zu vertreten, und er hoffte, sie würden sich nun erheben, um die Freiheit wiederzuerlangen. “Er meinte aber, seine Brüder sollten’s verstehen, daß Gott durch seine Hand ihnen Rettung gebe; aber sie verstanden’s nicht.” Apostelgeschichte 7,25. Sie waren noch nicht darauf vorbereitet, ihre Freiheit wiederzuerlangen. Am folgenden Tage sah Mose, wie sich zwei Hebräer stritten, und einer von ihnen war offensichtlich im Unrecht. Er tadelte den Schuldigen. Der aber bestritt ihm sofort das Recht, sich einzumischen. In niedriger Weise klagte er ihn des Verbrechens an: “Wer hat dich zum Aufseher oder Richter über uns gesetzt?” fragte er. “Willst du mich auch umbringen, wie du den Ägypter umgebracht hast?” 2.Mose 2,14. PP 225.1

Die ganze Angelegenheit wurde in Ägypten schnell bekannt und kam, maßlos übertrieben, bald auch Pharao zu Ohren. Man stellte dem König das Vorgefallene als sehr schwerwiegend dar. Mose habe die Absicht, sein Volk gegen die Ägypter zu führen, die Regierung zu stürzen und sich selbst auf den Thron zu setzen. Solange er lebe, könne es darum für das Königreich keine Sicherheit geben. Sofort beschloß der Herrscher, daß Mose sterben müsse. Dieser bekam aber Kenntnis von der Gefahr; er entkam und floh nach Arabien. PP 225.2

Der Herr aber zeigte ihm den Weg, so daß er eine Heimat bei Jethro fand, dem Priester und Fürsten Midians, der auch ein Anbeter Gottes war. Später heiratete Mose eine Tochter Jethros und blieb vierzig Jahre im Dienst seines Schwiegervaters als Hüter seiner Herden. PP 225.3

Als Mose den Ägypter erschlug, verfiel er in denselben Fehler, den die Väter so oft begangen hatten, wenn sie das Werk, das Gott zu tun verheißen hatte, in die eigene Hand nahmen. Gott wollte sein Volk nicht durch Kriege befreien, wie Mose dachte; sondern durch seine große Macht, ihm allein zur Ehre. Doch benutzte er selbst diese unbesonnene Tat, um seine Absichten durchzuführen. Mose war für das große Werk noch nicht gerüstet. Er mußte erst dieselben Glaubenserfahrungen machen wie Abraham und Jakob, nämlich, sich nicht auf menschliche Kraft oder Weisheit zu verlassen, sondern auf Gottes Macht zur Erfüllung seiner Verheißungen. Aber es galt für Mose, in der Einsamkeit dieser Bergwelt noch mehr Dinge zu lernen. In der Schule der Selbstverleugnung und Mühsal sollte er Geduld erwerben, um seine heftigen Gemütsbewegungen zu mäßigen. Ehe er weise regieren konnte, mußte er selbst gehorchen gelernt haben. Nur in völliger Übereinstimmung mit Gott konnte er Israel die Erkenntnis des göttlichen Willens vermitteln. Durch eigenes Erleben sollte er darauf vorbereitet werden, allen Hilfsbedürftigen gegenüber väterliche Fürsorge zu üben. PP 226.1

Menschlich gesehen wäre solch lange Zeit schwerer Arbeit in der Verborgenheit nicht nötig gewesen, ja man könnte sie für Zeitverlust halten. Aber Gottes unendliche Weisheit rief Mose, den künftigen Führer seines Volkes, für vierzig Jahre in den bescheidenen Dienst eines Hirten. Die Gewöhnung an selbstlose, fürsorgliche Betreuung der Herde, die auf diese Weise bei Mose zur Entfaltung kam, bereitete ihn zum mitfühlenden, langmütigen Hirten Israels zu. Das war eine Erfahrung, die keine noch so vorteilhafte menschliche Ausbildung oder Erziehung hätte ersetzen können. PP 226.2

Mose hatte vieles gelernt, das er jetzt vergessen mußte. Alles, was ihn in Ägypten umgeben und beeinflußt hatte: die Liebe der Pflegemutter und seine hohe Stellung als Enkel des Königs, die allseits geübte Verschwendung, die Raffinesse und geheimnisvolle Tiefe einer falschen Religion und der Prunk heidnischen Götzendienstes wie auch die großartigen Bauwerke und die Bildhauerkunst —, dies alles hatte seinen entwicklungsfähigen Geist beeindruckt und Charakter sowie Gewohnheiten bis zu einem gewissen Grade geformt. Diese Eindrücke konnten nur die Zeit, ein Wechsel der Umgebung und der Umgang mit Gott beseitigen. Dem Irrtum zu entsagen und das Wahre anzunehmen, bedeutete für Mose einen solchen Kampf, als ginge es um das Leben. Aber Gott würde ihm helfen, wenn der Widerstreit in ihm seine Kräfte überstieg. PP 226.3

Bei allen, die dazu ausersehen sind, ein Werk für Gott zu tun, muß man auch die menschliche Natur in Betracht ziehen. Das waren keine Menschen mit fertigen Charakteren und festgefügten Gewohnheiten, die sich mit ihrem derzeitigen Zustand zufriedengegeben hätten. Vielmehr baten sie Gott ernstlich um Verstand und wollten lernen, für ihn zu arbeiten. Der Apostel sagt: “Wenn aber jemandem unter euch Weisheit mangelt, der bitte Gott, der da gern gibt jedermann und allen mit Güte begegnet, so wird ihm gegeben werden.” Jakobus 1,5. Aber Gott wird niemandem Licht von oben schenken, der in der Finsternis bleiben will. Wer Hilfe von Gott erwartet, muß sich der eigenen Schwäche und Unzulänglichkeit bewußt werden. Er muß seinen Verstand sprechen lassen bei der Wandlung, die in ihm vorgehen soll, und sich aufrütteln lassen zu ernstlichen, ausdauernden Anstrengungen und zum Gebet. Schlechte Neigungen und Gewohnheiten lege man ab. Den Sieg kann nur erringen, wer sich zielbewußt darum bemüht, seine Fehler zu überwinden, und sich nach guten Grundsätzen richtet. Viele gelangen nie zu der Stellung, die sie einnehmen könnten, weil sie erwarten, daß Gott für sie das tut, wozu er sie selbst durchaus fähig gemacht hat. Alle, die zum Dienst bereit sind, müssen sich in strengster geistiger und sittlicher Zucht bilden lassen. Gott wird ihnen dabei helfen und seine Kraft zu ihrem Bemühen schenken. PP 227.1

Umgeben von gewaltigen Bergen, war Mose allein mit Gott. Ägyptens prachtvolle Tempel samt Abgötterei und Unwahrheiten konnten ihn nicht mehr beeindrucken. In der feierlichen Erhabenheit der ewigen Berge erblickte er die Majestät des Höchsten. Im Gegensatz dazu stellte er sich die Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit der Götter Ägyptens vor. Überall stand der Name des Schöpfers geschrieben. Mose schien es, als stünde er in seiner Gegenwart und würde von seiner Macht überschattet. Hier wurden Hochmut und Selbstzufriedenheit hinweggefegt. In der harten Einfachheit seines Wüstenlebens verschwanden die Folgen des bequemen Wohllebens in Ägypten. Mose wurde geduldig, anspruchslos und bescheiden, “ein sehr demütiger Mensch, mehr als alle Menschen auf Erden” (4.Mose 12,3), dennoch stark im Glauben an den mächtigen Gott Jakobs. PP 227.2

Die Jahre vergingen. Wenn er mit den Herden in einsamen Gegenden wanderte, grübelte er oft über die Bedrückung seines Volkes nach. Er überdachte Gottes Tun mit den Vätern und die Verheißungen, das Erbe des erwählten Volkes. Und seine Gebete für Israel stiegen Tag und Nacht zu Gott empor. Dann brachten himmlische Engel ihm Erleuchtung. Hier schrieb er unter der Eingebung des Heiligen Geistes das 1. Buch Mose. Die jahrelange Einsamkeit in der Wüste war reich gesegnet, nicht nur für Mose und sein Volk, sondern für die ganze Welt in späteren Zeiten. PP 228.1

“Lange Zeit aber danach starb der König von Ägypten. Und die Kinder Israel seufzten über ihre Knechtschaft und schrien, und ihr Schreien über ihre Knechtschaft kam vor Gott. Und Gott erhörte ihr Wehklagen und gedachte seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob. Und Gott sah auf die Kinder Israel und nahm sich ihrer an.” 2.Mose 2,23-25. Die Zeit für Israels Befreiung war gekommen. Aber Gottes Absicht sollte auf eine Art und Weise verwirklicht werden, bei der aller menschliche Stolz zuschanden wurde. Der Befreier sollte als demütiger Hirte vorangehen, nur mit einem Stabe in der Hand. Aber diesen Stab wollte Gott zum Sinnbild seiner Stärke machen. Als Mose eines Tages die Herden am Horeb, den “Berg Gottes” (2.Mose 3,1), weidete, sah er einen Busch in Flammen stehen. Zweige, Blätter und Stamm brannten und schienen doch nicht verzehrt zu werden. Er ging hin, um diese wunderbare Erscheinung anzusehen. Da hörte er eine Stimme aus dem Feuer, die ihn mit Namen rief. Mit bebenden Lippen antwortete er: “Hier bin ich.” 2.Mose 3,4. Er wurde gewarnt, nicht unehrerbietig näher zu kommen: “Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! ... Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.” 2.Mose 3,5.6. Das war er, der sich als der Engel des Bundes den Vätern in vergangenen Zeiten offenbart hatte. Daraufhin verhüllte Mose sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. PP 228.2

Demut und Ehrfurcht sollte die Haltung aller ausdrücken, die in die Gegenwart Gottes kommen. Im Namen Jesu dürfen wir das voller Vertrauen tun, aber niemand darf sich ihm mit dreister Überheblichkeit nahen, als stünden wir mit ihm auf gleicher Stufe. Es gibt Menschen, die den allmächtigen, heiligen Gott, der in einem unzugänglichen Licht wohnt, in einer Art anreden, als sprächen sie mit ihresgleichen oder gar mit einem Untergeordneten. Manche verhalten sich in seinem Hause, wie sie das im Empfangszimmer eines irdischen Herrschers nie wagen würden. Solche Leute sollten sich darauf besinnen, daß sie im Blickfeld dessen sind, den Seraphim anbeten und vor dem Engel ihr Antlitz verhüllen. Gott gebührt alle Ehre. Wer seine Gegenwart wirklich verspürt, wird sich in Demut vor ihm beugen und wie Jakob nach seinem göttlichen Traum ausrufen: “Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels!” 1.Mose 28,17. PP 228.3

Mose wartete in ehrfürchtiger Scheu, bis Gott weitersprach: “Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedrängnis gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, daß ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt ... So geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Kinder Israel, aus Ägypten führst.” 2.Mose 3,7.8.10. PP 229.1

Bestürzt und erschrocken über diesen Befehl, wich Mose zurück und sagte: “Wer bin ich, daß ich zum Pharao gehe und führe die Kinder Israel aus Ägypten?” Die Antwort hieß: “Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, daß ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge.” 2.Mose 3,11.12. PP 229.2

Mose dachte an die Hindernisse, denen er begegnen würde, an die Unwissenheit und den Unglauben seines Volkes, von dem viele fast nichts mehr von Gott wußten: “Siehe”, sagte er, “wenn ich zu den Kindern Israel komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt! und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen?” Die Antwort lautete: “Ich werde sein, der ich sein werde ... So sollst du zu den Kindern Israel sagen: ‘lch werde sein’, der hat mich zu euch gesandt.” 2.Mose 3,13.14. PP 229.3

Gott gebot Mose, zunächst die Ältesten in Israel zu versammeln, und zwar die vornehmsten und rechtschaffensten unter ihnen, die ihrer Knechtschaft wegen lange Leid getragen hatten. Ihnen sollte er eine Botschaft von Gott ausrichten mit der Verheißung der Befreiung und dann mit den Ältesten zum König gehen und zu ihm sagen: PP 229.4

“Der Herr, der Gott der Hebräer, ist uns erschienen. So laß uns nun gehen drei Tagereisen weit in die Wüste, daß wir opfern dem Herrn, unserm Gott.” 2.Mose 3,18. Mose wurde allerdings darauf vorbereitet, daß der Pharao der Aufforderung, Israel ziehen zu lassen, Widerstand leisten werde. Dennoch sollte der Knecht Gottes den Mut nicht sinken lassen, denn der Herr würde bei dieser Gelegenheit den Ägyptern wie seinem Volk seine Macht offenbaren. “Daher werde ich meine Hand ausstrecken und Ägypten schlagen mit all den Wundern, die ich darin tun werde. Danach wird er euch ziehen lassen.” 2.Mose 3,20. PP 230.1

Mose erhielt auch Anweisung über die nötigen Vorbereitungen, die für die Reise zu treffen waren. Der Herr sagte: “Auch will ich diesem Volk Gunst verschaffen bei den Ägyptern, daß, wenn ihr auszieht, ihr nicht leer auszieht, sondern jede Frau soll sich von ihrer Nachbarin und Hausgenossin silbernes und goldenes Geschmeide und Kleider geben lassen.” 2.Mose 3,21.22. Die Ägypter hatten sich durch die Arbeit, zu der sie die Israeliten ungerechterweise gezwungen hatten, ziemlich bereichert. Als diese nun in ihre neue Heimat aufbrachen, war es nur recht und billig, für die mühseligen Jahre Lohn zu fordern. Wertgegenstände sollten sie verlangen, die man leicht befördern konnte. Gott selbst würde ihnen dazu das Wohlwollen der Ägypter schenken. Die machtvollen Wunder, die vor ihrer Befreiung geschehen sollten, würden die Unterdrücker in solchen Schrecken versetzen, daß sie den Forderungen ihrer Sklaven nachkämen. PP 230.2

Mose aber sah sich vor unüberwindlichen Schwierigkeiten. Welchen Beweis konnte er denn seinem Volke liefern, daß Gott ihn tatsächlich gesandt hatte? “Siehe”, sagte er, “sie werden mir nicht glauben und nicht auf mich hören, sondern werden sagen: Der Herr ist dir nicht erschienen.” 2.Mose 4,1. Da erhielt er sogleich einen Beweis, der sein sinnliches Wahrnehmungsvermögen ansprach. Er sollte seinen Stab auf die Erde werfen. Als er es tat, “ward er zur Schlange, und Mose floh vor ihr”.Er erhielt den Befehl, sie zu greifen, und in seiner Hand wurde sie wieder zum Stabe. Danach sollte er seine Hand in eine Falte seines Gewandes stecken. Er gehorchte, “und als er sie wieder herauszog, siehe, da war sie aussätzig wie Schnee”. 2.Mose 4,6. Auf Gottes Weisung hin steckte er die Hand erneut in seine Brustfalte; als er sie herauszog, war sie wieder wie die andere. Mit diesen Zeichen gab der Herr Mose die Gewähr, daß sich nicht nur sein eigenes Volk, sondern auch Pharao davon überzeugen würde, hier offenbare sich ein Mächtigerer als der König Ägyptens. PP 230.3

Aber noch war Gottes Diener schier überwältigt von dem Gedanken an die ungewöhnliche und doch wunderbare Aufgabe, die ihm bevorstand. In seiner Entmutigung und Bangigkeit wies er jetzt als Entschuldigung auf mangelnde Redegabe hin: “Ach, mein Herr, ich bin von jeher nicht beredt gewesen, auch jetzt nicht, seitdem du mit deinem Knecht redest; denn ich habe eine schwere Sprache und eine schwere Zunge.” 2.Mose 4,10. Er sei so lange von Ägypten fort, daß er die Sprache nicht mehr ganz beherrsche und sich ihrer nicht mehr so gewandt bedienen könne wie zu der Zeit, als er dort lebte. PP 231.1

Der Herr sagte zu ihm: “Wer hat dem Menschen den Mund geschaffen? Oder wer hat den Stummen oder Tauben oder Sehenden oder Blinden gemacht? Habe ich’s nicht getan, der Herr?” Und Gott versprach noch weitere Hilfe: “So geh nun hin: Ich will mit deinem Munde sein und dich lehren, was du sagen sollst.” 2.Mose 4,11.12. Aber wieder flehte Mose, Gott möge einen Geeigneteren dazu erwählen. Zuerst entsprangen diese Entschuldigungen echter Demut und Zaghaftigkeit. Aber nachdem der Herr verheißen hatte, alle Hindernisse zu beseitigen und ihm schließlich Erfolg zu schenken, bewies alles weitere Zurückschrecken und Beklagen seiner Untauglichkeit offensichtliches Mißtrauen gegen Gott. Das bedeutete nichts anderes, als daß er fürchtete, Gott könne ihn nicht zu dem großen Werk befähigen, zu dem er ihn berufen hatte, oder er habe mit der Wahl seiner Person einen Fehler gemacht. PP 231.2

Aber nun wurde Mose auf Aaron, seinen älteren Bruder, hingewiesen, der im täglichen Umgang mit den Ägyptern deren Sprache vollkommen beherrschte. Gott ließ Mose wissen, daß Aaron im Begriff sei, ihm entgegenzugehen. Die nächsten Worte des Herrn waren dann ein regelrechter Befehl: PP 231.3

“Du sollst zu ihm reden und die Worte in seinen Mund legen. Und ich will mit deinem und seinem Munde sein und euch lehren, was ihr tun sollt. Und er soll für dich zum Volk reden; er soll dein Mund sein, und du sollst für ihn Gott sein. Und diesen Stab nimm in deine Hand, mit dem du die Zeichen tun sollst.” 2.Mose 4,15-17. Nun konnte Mose keinen weiteren Widerstand leisten, denn ihm waren alle Entschuldigungsgründe genommen. PP 231.4

Trotz dieses göttlichen Auftrages fehlte Mose jedes Selbstvertrauen. Er war bedächtig im Reden und ängstlich dazu. Er war von der Vorstellung erfüllt, er sei unfähig dazu, Gottes Sprachrohr für Israel zu sein. Aber nachdem er die Aufgabe einmal angenommen hatte, stellte er sich mit ganzem Herzen darauf ein, voller Vertrauen auf den Herrn. Die Bedeutung seiner Sendung erweckte in ihm die höchsten Geisteskräfte, und Gott segnete seinen bereitwilligen Gehorsam. Er wurde beredt und hoffnungsvoll, so daß er gefaßt und bestens vorbereitet an das größte Werk ging, das jemals einem Menschen übertragen wurde. Das ist ein Beispiel dafür, wie Gott denen Kraft gibt, die vertrauensvoll und vorbehaltlos seinen Befehlen nachkommen. PP 232.1

Auferlegt Gott ihm Verantwortung, werden einem Menschen Kraft und Leistungsfähigkeit zufließen, sobald er sich mit ganzer Seele darauf vorbereitet, sie gewissenhaft zu tragen. Mögen Amt und Fähigkeiten noch so bescheiden und begrenzt sein, so wird doch jemand, der sein Werk im Vertrauen auf Gottes Kraft treu zu verrichten sucht, wahre Größe erlangen. Hätte sich Mose auf seine Tragkraft und Klugheit verlassen und die schwere Bürde übereifrig angenommen, hätte er sich damit als völlig untauglich für solche Aufgabe erwiesen. Wer jedoch seine Unzulänglichkeit empfindet, beweist dadurch zum mindesten, daß er die Bedeutung des ihm aufgetragenen Werkes erkennt und Gott zu seinem Ratgeber und seiner Stärke machen wird. PP 232.2

Mose kehrte mit dem Wunsch zu seinem Schwiegervater zurück, seine Brüder in Ägypten zu besuchen. Jethro stimmte zu und segnete ihn: “Geh hin mit Frieden.” 2.Mose 4,18. Mit Frau und Kindern brach Mose auf. Er hatte nicht gewagt, den Grund der Reise zu nennen, aus Furcht, daß sie ihn dann nicht begleiten durften. Aber ehe sie Ägypten erreichten, schien es Mose doch geraten, sie aus Sicherheitsgründen nach Midian zurückzuschicken. PP 232.3

Heimliche Furcht vor Pharao und den Ägyptern, deren Zorn vor vierzig Jahren gegen ihn entbrannt war, verstärkten zunächst Moses Widerstand, nach Ägypten zurückzugehen. Aber nachdem er sich entschieden hatte, Gottes Befehl zu gehorchen, offenbarte ihm der Herr, daß seine Feinde tot seien. PP 232.4

Auf dem Wege von Midian erlebte Mose eine unvermutete, schreckliche Warnung vor dem Mißfallen des Herrn. Ein Engel trat ihm in drohender Haltung entgegen, als wolle er ihn auf der Stelle umbringen. Dies geschah ohne jede Erklärung. Aber Mose erinnerte sich, daß er eine Forderung Gottes außer acht gelassen hatte. Von seiner Frau dazu überredet, hatte er die Beschneidung an seinem jüngsten Sohn bisher zu vollziehen versäumt. Damit hatte er die Bedingung nicht erfüllt, die sein Kind erst zu den Segnungen berechtigte, die zum Bunde Gottes mit Israel gehörten. Allein solche Mißachtung von seiten des erkorenen Befreiers konnte die Kraft der göttlichen Vorschriften bei dem Volk mindern. Weil Zippora fürchtete, ihr Mann müsse sterben, vollzog sie den Brauch selbst. Darauf erlaubte der Engel Mose, die Reise fortzusetzen. Mit seiner Sendung zu Pharao kam er in eine Lage, die nicht ungefährlich war. Nur unter dem Schutz heiliger Engel blieb sein Leben darin bewahrt. Aber bei nachlässiger Erfüllung der ihm gut bekannten Pflichten hätte er sich nicht sicher fühlen dürfen; denn dann konnten ihn die Engel Gottes nicht mehr schützen. PP 233.1

In der Zeit der Angst unmittelbar vor der Wiederkunft Christi werden auch die Gerechten durch himmlische Engel behütet. Aber die Übertreter des Gesetzes Gottes können nicht mit Schutz rechnen. Wenn sie auch nur eine göttliche Verordnung unbeachtet lassen, können nicht einmal Engel sie beschirmen. PP 233.2