Erziehung
Kapitel 25: Erziehung und Charakter
“Nur ein Dummkopf lehnt Lebensweisheit und Selbstbeherrschung ab.”
Sprüche 1,7.
Biblisch orientierte Erziehung ist keineswegs wissenschafts- oder bildungsfeindlich, wie mitunter behauptet wird. Aber sie hält Charakterbildung für wichtiger als Geistesbildung. ERZ 229.1
Selbstverständlich braucht die Welt begabte, geistig hochstehende Menschen, aber was sie noch viel dringender braucht, sind Menschen mit Charakter. Klug sein ist gut, weise sein ist besser. Deshalb mahnt die Bibel: “Nur eins im Leben ist wirklich wichtig: Werde weise! Werde verständig! Kein Preis darf dir zu hoch dafür sein.”1 ERZ 229.2
Wahre Erziehung ist bemüht, nicht nur Wissen, sondern auch Weisheit zu vermitteln. Sie ist nicht einseitig ausgerichtet, sondern lehrt, alle Fähigkeiten und Kräfte sinnvoll einzusetzen, um allen Verpflichtungen gerecht zu werden — den eigenen ebenso wie denen Gott und den Mitmenschen gegenüber. ERZ 229.3
Für Eltern und Erzieher ist nichts wichtiger als bei der Charakterbildung junger Menschen mitzuwirken. Heute ist das womöglich noch dringlicher als in früheren Zeiten. Nie mußten sich die jungen Leute mit so schicksalsträchtigen Entwicklungen auseinandersetzen, wie das in unseren Tagen der Fall ist. Und nie waren sie größeren Versuchungen ausgesetzt als heute. ERZ 229.4
Wie reagiert moderne Erziehung im allgemeinen auf diese Situation? Welche Ziele verfolgt sie? Das Zauberwort heißt: Selbstverwirklichung. Das klingt gut, aber in Wirklichkeit geht es um nichts anderes als Eigenliebe und Selbstsucht. Dazu bedarf es eigentlich keiner Erziehung, denn das steckt von Anfang an im Menschen drin. Wahre Erziehung stößt genau in die entgegengesetzte Richtung vor. Sie will dem Menschen helfen, mit Selbstsucht, Machtstreben, Rücksichtslosigkeit und manchen anderen Verhaltensweisen, die wie ein Fluch auf unserer Welt lasten, fertig zu werden. Auf Gottes Erde soll Platz für alle sein — wie groß oder gering ihre Gaben und Fähigkeiten auch sein mögen. ERZ 229.5
Gott möchte, daß sich jeder seiner Art und seinen Möglichkeiten entsprechend entwickeln kann. Aber das soll nicht auf Kosten der Schwächeren geschehen. Gott will in dieser Beziehung keinen Konkurrenzkampf, nicht Gegeneinander, sondern Miteinander — besser noch: Füreinander. Und dafür gibt es bestimmte Regeln, aber die scheinen den Menschen zu keiner Zeit gefallen zu haben. Paulus beispielsweise klagte im Blick auf einige seiner christlichen Gegner: “Sie sind so unverständig, daß sie sich ihre eigenen Maßstäbe aufrichten und sich an sich selbst messen.”1 ERZ 230.1
Was wir tun, soll “durch Jesus Christus zur Ehre Gottes geschehen.”2 Und Paulus mahnt: “Tut alles von Herzen, als Leute, die dem Herrn und nicht Menschen dienen. Denkt daran: Der Herr wird euch dafür als Lohn geben, was er seinem Volk versprochen hat! Dient mit eurem Tun Christus, dem Herrn!”3 ERZ 230.2
Wie wertvoll ist ein Dienst, der von solchen Gesichtspunkten getragen ist, und Bildung, die auf einer solchen Grundlage erworben wird! Leider ist die Erziehung, die heutzutage vermittelt wird, ziemlich weit von diesen Grundsätzen entfernt! ERZ 230.3
Von klein auf wird der Ehrgeiz der Kinder angestachelt. Der Leistungsdruck ist groß und führt zwangsläufig zu selbstsüchtigem Konkurrenzdenken oder zu rücksichtsloser Selbstverwirklichung, die immer zu Lasten von Schwächeren geht. Selbstsucht war aber schon immer die Wurzel allen Übels. ERZ 230.4
In manchem Klassenzimmer tobt ein gnadenloser Konkurrenzkampf. Wer nicht mithalten kann, bleibt auf der Strecke. Und um mithalten zu können, muß mit unlauteren Mitteln gearbeitet und ohne Rücksicht auf die Gesundheit “gepaukt” werden. Viele halten das nicht lange durch und rutschen nur noch weiter ab. Das macht unzufrieden, verbittert, ruhelos oder aggressiv. So zieht man sich selbst die Menschen heran, die später für die Gesellschaft zur Belastung oder gar zur Gefahr werden. ERZ 230.5
Leider sind nicht nur die Methoden dieser Art von Erziehung fragwürdig, sondern auch die Lehrinhalte. Mit welchem Unterrichtsmaterial müssen sich die Kinder gerade in jener Zeit befassen, in der sie besonders beeinflußbar sind? Welche Bücher gibt man ihnen im Fach Literatur oder im Fremdsprachenunterricht zu lesen? Sie müssen sich mit antiken Schriftstellern und deren heidnischer Philosophie befassen. Oder sie haben es mit Literatur zu tun, deren Verfasser keinen Hehl daraus machen, daß sie von moralischen Grundsätzen nicht viel halten. Mag sein, daß solche Werke von hoher sprachlicher Qualität sind und zur Weltliteratur gehören, aber was nützt das schon, wenn der Inhalt über weite Strecken abstoßend und zersetzend ist! ERZ 231.1
Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Büchern, die den Leser lediglich in eine fragwürdige Scheinwelt führen, die nichts mit dem wirklichen Leben zu tun hat. Weil sie nicht wirklich lesenswert sind, vergeudet man damit nur seine Zeit, die man anderweitig sinnvoller einsetzen könnte. ERZ 231.2
Auch in den naturwissenschaftlichen Fächern — jedenfalls so, wie sie heute angelegt sind — lauern große Gefahren. Die Evolutionslehre und verwandte Theorien gehören zum festen Bestandteil des Unterrichts — vom Kindergarten angefangen bis hin zu den Hochschulen. Dadurch wird das naturwissenschaftliche Studium, das eigentlich zur Gotteserkenntnis hinführen sollte, so mit menschlichen Spekulationen und Theorien durchsetzt, daß es letztlich zum Unglauben verführt. ERZ 231.3
Sogar das Studium der Bibel, wie es an vielen Ausbildungsstätten betrieben wird, verbirgt die Schätze, die Gott in seinem Wort anbietet, eher, als daß es sie sichtbar macht. Die “wissenschaftliche” Bibelkritik ergeht sich in Vermutungen, zerstückelt das Bibelwort und setzt es wieder zusammen, selektiert, rekonstruiert und deutet um — bis bei den Studenten auch der letzte Funke Glauben an die göttliche Herkunft der Heiligen Schrift erstickt ist. Kein Wunder, daß viele es nicht mehr für möglich halten, daß Gottes Wort heute noch ein Wegweiser zum Heil ist und das Leben des Menschen von Grund auf verändern kann. ERZ 231.4
Es ist wirklich beängstigend, womit sich unsere Kinder in dieser Welt auseinandersetzen müssen. Sie begegnen vorwiegend Geldgier, Vergnügungssucht, Verschwendung und Luxus, Eigennutz, Betrug, Raub und moralischer Verwahrlosung. ERZ 232.1
Und auf religiösem Gebiet ist es mitunter nicht viel besser. Wieviel spiritistisches und pseudoreligiöses Gedankengut wird zur Zeit kolportiert! Da heißt es, die Menschen seien eigentlich Halbgötter, die tun und lassen könnten, was sie wollten, ohne zu sündigen; oder es heißt, “daß ein jeder Geist sich selbst richten wird”, und daß “wahre Erkenntnis den Menschen über alle Gesetze stellt”. Andere wiederum behaupten, “alle Sünden seien harmlos”, denn “was es auch geben mag, es ist gut ... Gott verdammt niemanden”. Manche sind sogar der Überzeugung, daß selbst die verworfensten Typen ihren Platz im Himmel sicher haben. Diese Leute erklären allen Ernstes: “Es spielt keine Rolle, was du tust; lebe, wie es dir gefällt, vom Reich Gottes wirst du deshalb nicht ausgeschlossen.” ERZ 232.2
Und man sollte nicht meinen, daß solche Ideen keinen Widerhall in Menschenherzen finden. Unzählige sind zu dem Irrglauben verleitet worden, die Begierden dürften ihr Handeln bestimmen, Zügellosigkeit bedeute Freiheit, letztlich seien sie niemandem verantwortlich außer sich selbst. ERZ 232.3
Wenn junge Leute, die noch “unausgegoren” sind, entsprechend impulsiv reagieren und Selbstbeherrschung erst noch lernen müssen, mit solchen Ideen bombardiert werden, haben sie es besonders schwer, den richtigen Weg zu gehen. Da kann einem schon Angst werden, und man fragt sich: Was wird die Welt davor bewahren, ein zweites Sodom zu werden? ERZ 232.4
Hinzu kommt, daß die Anarchie immer mehr um sich greift. Gesetze — nicht nur die göttlichen, sondern mehr und mehr auch staatliche und bürgerliche — werden als unerträgliche Einengung empfunden und einfach hinweggefegt. Reichtum und Macht befinden sich in den Händen weniger, die sich auf Kosten der Mehrheit schamlos bereichern. Die Armen und Ausgebeuteten tun sich zusammen, um ihre Rechte und Ansprüche zu verteidigen. Das führt zu Unruhen, Aufruhr und Blutvergießen. Das alles scheint die Welt in eine Situation zu treiben, die der ähnlich ist, die zur Zeit der Französischen Revolution ganz Europa erschütterte. ERZ 232.5
Mit solchen Einflüssen müssen sich heutzutage gerade junge Menschen auseinandersetzen. Um dem die Stirn bieten zu können, brauchen sie einen gefestigten Charakter. Das Fundament dafür muß jetzt gelegt werden! ERZ 233.1
Der Grundstock für die Charakterbildung war, ist und bleibt immer dasselbe: “Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben mit deinem ganzen Herzen, von ganzer Seele, mit aller Kraft und deinem ganzen Verstand. Und auch deinen Mitmenschen sollst du so lieben wie dich selbst.”1 Jesus selbst hat diese Forderung zur Grundlage seines Lebens gemacht, und auch für uns gibt es keine andere verläßliche Leitlinie. ERZ 233.2
Für den, der sich daran hält, gilt, was der Prophet seinen Landsleuten zusagte: “... ihr werdet in Sicherheit leben, und es wird euch in jeder Hinsicht gut gehen. Weisheit und Erkenntnis besitzt ihr dann in reichem Maß, euer größter Schatz aber wird die Ehrfurcht vor dem Herrn sein.”2 Das ist die Weisheit und Erkenntnis, die allein Gottes Wort vermitteln kann. Sie macht es dem Menschen möglich, redlich in dieser Welt zu leben, sie sorgt für den Bestand der Familien, und sie entscheidet darüber, was aus einer Gesellschaft und einem Volk wird. ERZ 233.3
Inmitten aller Schwierigkeiten des Lebens, aller Gefahren und Konflikte kann es für jung und alt nur heißen: Gott gehorchen! ERZ 233.4