Erziehung

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Kapitel 20: Bibelunterricht und Bibelstudium

“Nimm dir die Lebensweisheiten zu Herzen, die ich dir weitergebe,
achte auf sie und werde klug!”

Sprüche 2,2.

Sein Leben lang forschte Jesus in den heiligen Schriften. Zunächst führte ihn seine Mutter in Gottes Wort ein, später verbrachte er von sich aus viel Zeit mit Bibelstudium und Gebet. Seine genaue Kenntnis der Schrift zeigt, wie vertraut ihm Gottes Wort war. Er erwarb sein Wissen auf dem gleichen Wege, der auch uns offensteht. Seine unvergleichliche geistige und geistliche Kraft ist ein Beweis für die Bedeutung der Heiligen Schrift als Bildungsgrundlage. ERZ 195.1

Als Gott der Menschheit sein Wort übermittelte, dachte er auch an die Bedürfnisse der Kinder. Unter allem, was Menschen geschrieben haben, findet sich nur schwer etwas, das die Herzen der Kleinen so ansprechen und ihr Interesse so wecken könnte, wie die biblischen Geschichten. ERZ 195.2

Anhand dieser Erzählungen können ihnen die Grundsätze der Gebote Gottes einprägsam vermittelt werden. Indem Eltern und Erzieher so früh wie möglich damit beginnen, werden sie dem Auftrag Gottes gerecht: “Bewahrt die Worte im Herzen, die ich euch heute sage! Prägt sie euren Kindern ein! Redet immer und überall davon, ob ihr zu Hause oder unterwegs seid, ob ihr euch schlafen legt oder aufsteht.”1 ERZ 195.3

Anschauungshilfen wie Landkarten, Bilder oder andere Hilfsmittel helfen den Kindern, sich den Lehrstoff dauerhaft einzuprägen. Der Bibelunterricht im Kindergottesdienst und im Heim sollte so ansprechend wie möglich gestaltet sein, denn er ist das Beste, was wir unseren Kindern auf den Lebensweg mitgeben können. ERZ 195.4

Ob die Liebe zum Wort Gottes geweckt und gepflegt wird, hängt weitgehend davon ab, wie wir die Andachtszeiten gestalten. Die Familienandacht kann eine Zeit des Segens für alle Beteiligten sein. Sie sollte nicht durch Hast, Unruhe oder Unfrieden gestört werden, denn hier wollen Eltern und Kinder gemeinsam Jesus begegnen. Die Andacht sollte kurz, lebensnah und der jeweiligen Situation angemessen sein. Von Zeit zu Zeit sollte die Form geändert werden, um nicht Gefahr zu laufen, daß sie zu einer Routineveranstaltung wird. Wenn es möglich ist, sollte sich jeder am Bibellesen beteiligen können. ERZ 196.1

Wichtig ist auch, daß bestimmte Texte — zum Beispiel die Gebote, Psalmen oder andere Bibelstellen — auswendig gelernt und öfter wiederholt werden. In der Regel sind Kinder mehr bei der Sache, wenn sie den Schriftabschnitt oder eine Liedstrophe selbst auswählen oder sich in anderer Weise aktiv an der Gestaltung der Andacht beteiligen können. Wenn sie dazu bereit sind, sollten sie auch beten dürfen. Fragen, die den Kindern zum Text gestellt werden, oder die sie selbst stellen können, zeigen, inwieweit das Bibelwort verstanden worden ist. Benutzt alles, was die Andacht anziehend und interessant macht. ERZ 196.2

Eine Andacht muß sorgfältig vorbereitet sein, wenn sie werden soll, was sie sein kann. Das läßt sich nicht aus dem Ärmel schütteln, sondern kostet einiges an Überlegung, Zeit und Mühe. Doch dieser Aufwand zahlt sich aus. ERZ 196.3

Erste Voraussetzung für die erfolgreiche Weitergabe des Wortes Gottes ist natürlich, daß die Eltern es selbst zu Herzen nehmen. Deshalb verlangt Gott: “Bewahrt die Worte im Herzen, die ich euch heute sage! Prägt sie euren Kindern ein!” Um unsere Kinder für die Botschaft der Bibel zu gewinnen, muß Gottes Wort in uns selbst leben. Liebe zur Heiligen Schrift wecken wir nur, wenn wir sie selbst lieben. Ob unser Reden von Gott die Kinder überzeugt, hängt von unserem Verhalten und unserer geistlichen Einstellung ab. ERZ 196.4

Gott berief Abraham zum Lehrer seines Wortes und zum Vater eines großen Volkes, weil er wußte, daß er seine Kinder und Hausgenossen die göttlichen Weisungen lehren würde. Und weil Abraham selbst dem Willen Gottes gemäß lebte, hatte sein Wort Gewicht. Sein Haushalt bestand aus etwa tausend Menschen, von denen viele selbst Kinder hatten. Manche seiner Untergebenen waren nicht im Glauben Abrahams groß geworden, sondern kamen aus einer heidnischen Umgebung. ERZ 196.5

Die Leitung einer solchen Großfamilie forderte Konsequenz und eine feste Hand. Mit “vielleicht, abwarten, mal sehen, wenn ihr wollt ...” war da nichts getan. Gott sagte von Abraham: “Ich habe ihn ausgewählt, damit er seine Nachkommen dazu anhält, meinen Geboten zu folgen, er soll sie lehren zu tun, was recht ist, so daß ich meine Zusage an ihn einlösen kann.”1 Und genau das tat Abraham! Allerdings nicht autoritär, sondern weise und mit Feingefühl. So erreichte er nicht nur Einsicht und Gehorsam, sondern gewann auch die Herzen. ERZ 197.1

Bald erstreckte sich sein Einfluß weit über den eigenen Haushalt hinaus. Wenn er irgendwo seine Zelte aufschlug, errichtete er auch immer einen Altar, um dort Opfer zu bringen und Gott anzubeten. Zog die Sippe weiter, blieb der Altar stehen — sozusagen als stummer Zeuge dafür, daß hier Abraham und die Seinen Jahwe angebetet hatten. Manche Bewohner des Landes, die durch Abraham auch seinen Gott kennengelernt hatten, nutzten solche Stellen dann ihrerseits, um Jahwe zu ehren. ERZ 197.2

Heute ist es nicht anders als früher: Gottes Wort kann nur der glaubwürdig weitergeben, der mit seinem ganzen Leben dahintersteht. Es genügt nicht, zu wissen, was andere über die Bibel gedacht und gelehrt haben. Jeder Gläubige muß vor Gott für sich selbst Rechenschaft ablegen und sollte deshalb auch für sich selbst nach der Wahrheit fragen. Das ist besonders wichtig, wenn man sie an Kinder und junge Leute weitergeben will. Sie unterscheiden sich bezüglich ihrer Herkunft, Veranlagung, Erziehung und Denkweise oft stark voneinander. Wenn wir ihnen Gottes Wort so nahebringen wollen, daß es sie persönlich erreicht, müssen wir uns die Mühe machen, ihre Interessen, Neigungen und Veranlagungen herauszufinden. Wenn junge Menschen begriffen haben, daß die Lehren der Bibel ganz konkrete Bedeutung für ihr Leben haben, werden sie am ehesten bereit sein, sich aus der Heiligen Schrift Rat zu holen. ERZ 197.3

Wenn es uns gelingt, unsere Kinder für die Schönheiten des Wortes Gottes zu begeistern, werden sie von sich aus auf zweifelhafte Literatur verzichten. Man muß nicht alles, was unter dem Etikett “literarisch wertvoll” auf den Büchermarkt kommt, gelesen haben — heute schon gar nicht! Warum sollten unsere Kinder aus fragwürdigen Quellen schöpfen, wenn sie im Wort Gottes alles finden können, was den Durst ihrer Seele stillt? ERZ 198.1

Wenn sich junge Leute mit Gottes Wort befassen, wirkt sich das in jeder Beziehung förderlich auf ihr Denken, Fühlen und Wollen aus, kurz: auf ihre ganze Persönlichkeit. Sie werden sich zu Gott hingezogen fühlen, der sich ihnen durch sein Wort offenbart. ERZ 198.2

Der Bibel sollten wir uns stets als Lernende nahen. Es geht nämlich nicht darum, in ihr nach Aussagen zu suchen, die uns in unserer Meinung bestätigen, sondern danach zu fragen, was Gott will. Dabei sollten wir nicht vergessen, daß wahre Erkenntnis nicht ohne die Hilfe des Heiligen Geistes zu erlangen ist. Er hat uns Menschen Gottes Wort gegeben, und er sorgt auch dafür, daß wir es verstehen. Wer sich mit der Bibel befaßt, braucht Zielstrebigkeit und Ausdauer. So wie ein Goldsucher weder Mühe noch Arbeit scheut, um dem Gestein das begehrte Metall abzuringen, sollten wir uns um die geistlichen Schätze bemühen, die in der Heiligen Schrift verborgen liegen. ERZ 198.3

Wer junge Leute an die Bibel heranführen will, sollte ihnen raten, überschaubare Abschnitte zu lesen und über die Aussagen der einzelnen Verse nachzudenken. Mechanisches Lesen — etwa nach dem Motto: Die Anzahl der Kapitel macht’s! — führt zu nichts. Nur das, was der Mensch geistig bewegt und durchdringt, kann auch zu seinem geistigen Eigentum werden. Allerdings wird es den Menschen heutzutage nicht leicht gemacht, sich wirklich auf eine Sache zu konzentrieren. Die ständig anschwellende Flut an Presseerzeugnissen verleitet regelrecht zur Oberflächlichkeit. Aber wer nur noch flüchtig liest, ohne sich um Zusammenhänge zu kümmern und das Gelesene zu durchdenken, verliert schnell den Sinn für das Wesentliche. Der Geist wird träge und die Seele leidet früher oder später an Mangelerscheinungen. Also muß man junge Menschen lehren, sich eingehend mit dem Wort Gottes zu befassen. Wenn es ins Herz eingelassen wird, ist es ein mächtiges Bollwerk gegen die Versuchung. “Was du gesagt hast, präge ich mir ein,” sagt der Psalmdichter, “weil ich nicht schuldig werden will! ... Bei meinem ganzen Tun und Treiben habe ich mich stets nach deinem Wort gerichtet und niemals nach dem Vorbild der Verbrecher.”1 ERZ 198.4

Die Bibel legt sich selbst aus. Deshalb sollten Schriftstellen miteinander verglichen werden. Wer sich mit der Bibel befaßt, muß lernen, Gottes Wort als Ganzes zu erfassen und die Beziehung der einzelnen Abschnitte zueinander zu erkennen. Er sollte alles Nötige über das zentrale Thema der Heiligen Schrift erfahren: Gottes ursprüngliche Absicht mit der Welt, das Drama des großen Kampfes zwischen Licht und Finsternis und den Erlösungsplan. Die Heilige Schrift äußert sich an vielen Stellen über das Wesen Gottes und den Charakter seines Widersachers, zeigt die Auswirkungen des Ringens zwischen Gott und Satan und gibt uns durch die Prophetie die Möglichkeit, das alles sinnvoll einzuordnen. Sie zeigt auch, daß sich dieser Kampf im Leben jedes Menschen widerspiegelt. Was wir auch fühlen, denken und tun, alles wird irgendwie beeinflußt von der Macht des Guten oder des Bösen. Was wir auch tun, es wird immer eine Entscheidung für die eine oder die andere Seite sein. ERZ 199.1

Jeder Teil der Bibel ist durch göttliche Eingebung vermittelt und hat seinen Wert. Deshalb sollte dem Alten Testament nicht weniger Beachtung geschenkt werden als dem Neuen. Wer sich eingehend mit den alttestamentlichen Schriften befaßt, wird selbst dort auf Brunnen “lebendigen Wassers” stoßen, wo der oberflächliche Leser nur dürres Land sieht. ERZ 199.2

Besondere Aufmerksamkeit sollten wir dem Buch der Offenbarung in Verbindung mit dem Buch Daniel widmen. Die Offenbarung beginnt mit den Worten: “In diesem Buch enthüllt Jesus Christus Gottes Geheimnisse und Pläne, damit seine Diener wissen, was bald geschehen wird.”2 Für den Bibelleser geht es in diesem Zusammenhang um zweierlei: Er muß sich bemühen, diese wichtigen Botschaften selbst zu verstehen, und sich zugleich fragen, wie er das Erkannte so weitergeben kann, daß andere es verstehen. Dabei sollte man sich nicht durch scheinbar schwierige Abschnitte und die symbolträchtige Sprache abschrecken lassen. Gerade hier gilt es, den Rat der Bibel zu beachten: “Falls jemand von euch nicht weiß, wie der Wille Gottes in einer bestimmten Sache ist, so soll er um Weisheit bitten. Ihr wißt doch, wie reich Gott jeden beschenkt und wie gern er allen hilft. Also wird er auch euer Gebet erhören.”1 Oder: “Wer die prophetischen Worte dieses Buches liest, auf sie hört und danach handelt, der ist wirklich glücklich zu nennen. Denn schon bald wird dies alles in Erfüllung gehen.”2 ERZ 199.3

Wenn im Menschen erst einmal die Liebe zur Heiligen Schrift geweckt ist, und wenn er sich ihres Wertes bewußt geworden ist, wird er jede Gelegenheit nutzen, sich mit ihren Botschaften zu beschäftigen. Regelmäßiges Bibelstudium ist das beste Mittel, die Liebe zu Gottes Wort zu vertiefen. Deshalb sollte man seine Bibel eigentlich überall griffbereit haben. ERZ 200.1

Die Haupttriebkräfte der Seele sind Glaube, Hoffnung und Liebe. Gerade sie werden durch den Umgang mit Gottes Wort und die daraus erwachsenden Einsichten gefördert. Die äußere Gestalt der Heiligen Schrift — die kraftvolle Sprache und die Fülle der Bilder und Vergleiche — sind nur der Rahmen für das eigentliche Kleinod: die Schönheit heiligen Wesens. Wenn sie von Menschen berichtet, die mit Gott lebten, können wir einen Schimmer göttlicher Herrlichkeit erblicken. Wenn aber der Bibelleser den Erlöser schaut, bricht in seiner Seele die Kraft des Glaubens, der Anbetung und der Liebe auf. Sein Blick ist auf Christus gerichtet, und der Schauende wächst zum Ebenbild dessen heran, den er liebt. ERZ 200.2