Auf den Spuren des großen Arztes

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Kapitel 10: Den Versuchten helfen

Nicht weil wir Christus zuerst geliebt hätten, liebte er uns, sondern “als wir noch Sünder waren”, starb er für uns. Er behandelt uns nicht so, wie wir es verdient haben. Obwohl unsere Sünden uns die Verdammung eingebracht haben, verdammt er uns doch nicht. Jahr für Jahr trägt er uns in unserer Schwachheit und Unwissenheit, in unserer Undankbarkeit und Eigenwilligkeit. Trotz unseres oft chaotischen Lebens, unserer Hartherzigkeit und unserer Geringschätzung seines Wortes bleibt seine Hand ausgestreckt. SGA 122.1

Gnade ist eine Eigenschaft Gottes, die er an Menschen erweist, von denen keiner sie verdient hat. Wir suchten nicht nach ihr, sondern sie wurde ausgesandt, um uns zu suchen. Gott freut sich darüber, wenn er uns seine Gnade schenken darf — nicht, weil wir ihrer wert wären, sondern weil wir ihrer gänzlich unwürdig sind. Unser einziger “Anspruch” auf seine Gnade besteht in unserem großen Bedürfnis nach ihr. SGA 122.2

Gott der Herr streckt durch Jesus Christus beständig seine Hand aus, um die von Sünde Beladenen einzuladen. Er will alle annehmen, alle bei sich willkommen heißen. Darin besteht seine Herrlichkeit, selbst dem größten Sünder zu vergeben. Er will den Gewalttätigen die Opfer entreißen, die Gefangenen befreien und die in Feuer Verbrennenden aus den Flammen reißen. Er will die goldene Kette seiner Gnade in die untersten Tiefen menschlicher Verkommenheit herablassen und die von Sünden zerstörte Seele heraufziehen. SGA 122.3

Jeder Mensch ist ein Ziel liebevoller Anteilnahme dessen, der sein Leben dafür gab, die Menschheit zu Gott zurückzuführen. Er sorgt für schuldig gewordene und hilflose Seelen, die den Künsten und Schlichen Satans zu erliegen drohen, wie ein Hirte für die Schafe seiner Herde sorgt. SGA 122.4

Dieses Beispiel des Heilands soll auch das Vorbild für unseren Dienst an den Versuchten und Irrenden sein. Dieselbe Anteilnahme, Einfühlsamkeit und Geduld, die er uns erwiesen hat, sollen wir auch anderen erweisen. “Wie ich euch geliebt habe”, sagt er, “so sollt ihr euch untereinander lieben”. Johannes 13,34. Wenn Jesus in uns wohnt, werden wir seine selbstlose Liebe gegenüber allen praktizieren, mit denen wir in Kontakt kommen. Wenn wir sehen, daß Männer und Frauen Mitgefühl und Unterstützung benötigen, sollen wir nicht fragen: “Sind sie es wert?”, sondern: “Wie kann ich ihnen helfen?” SGA 123.1

Die Reichen wie die Armen, die Angesehenen wie die einfachen Leute, die Unabhängigen und die Abhängigen — sie alle sind Gottes Erben. Er, der sein Leben zur Erlösung der Menschheit hingab, sieht in jedem einzelnen Menschen einen Wert, den man in irdischen Bezugsgrößen nicht ermessen kann. Angesichts des Geheimnisses und der Herrlichkeit des Kreuzes sollen wir seine Einschätzung des Wertes jeder Seele erkennen. Wenn wir das tun, werden wir fühlen, daß Menschen, auch wenn sie noch so heruntergekommen zu sein scheinen, einen zu hohen Preis kosteten, um kalt und verächtlich behandelt zu werden. Wir sollen erkennen, wie wichtig die Arbeit für unsere Mitmenschen ist, damit sie möglichst wieder den Weg zum Thron Gottes finden können. SGA 123.2

Der verlorene Groschen im Gleichnis des Heilands war, obwohl er in Staub und Schmutz lag, immer noch ein Stück Silber. Die Eigentümerin suchte ihn, weil er wertvoll war. So ist auch jede Seele, wie durch Sünde erniedrigt sie auch sein mag, in Gottes Augen wertvoll. Wie die Münze das Bild und die Inschrift des Regenten trug, so wies der Mensch bei seiner Erschaffung das Bild und die Inschrift Gottes auf. Obwohl die Seele nun vom Einfluß der Sünde entstellt und geschwächt ist, bleiben die Spuren dieser Inschrift doch in jeder Seele erhalten. Gott will diese Seele zurückgewinnen und in ihr sein eigenes Bild in Gerechtigkeit und Heiligkeit wiederherstellen. SGA 123.3

Wie wenig teilen wir doch mit Christus, was das stärkste Band der Gemeinschaft zwischen uns und ihm sein sollte — das Mitgefühl für heruntergekommene, schuldige, leidende Seelen, die tot in Übertretungen und Sünden sind! Die Unmenschlichkeit von Menschen gegenüber Menschen ist unsere größte Sünde. Viele meinen, sie müßten die Gerechtigkeit Gottes hervorheben. Dabei versäumen sie völlig, sein Mitgefühl und seine große Liebe auszustrahlen. Oft stehen die, denen sie hart und streng gegenübertreten, gerade unter dem Ansturm von Versuchungen. Satan kämpft gerade um diese Seelen, und harsche, unfreundliche Worte entmutigen sie zusätzlich und lassen sie schließlich der Macht des Verführers unterliegen. SGA 123.4

Mit menschlichen Gemütern umzugehen, ist eine komplexe Angelegenheit. Nur Er, der in den Herzen lesen kann, weiß, wie Menschen zur Reue geführt werden können. Nur seine Weisheit kann uns Gelingen schenken, wenn wir die Verlorenen erreichen wollen. Wenn man schroff auftritt in dem Gefühl: “Ich bin heiliger als du”, dann spielt es keine Rolle mehr, wie fehlerlos die Argumentation oder wie zutreffend die Worte auch sein mögen. Sie werden niemals die Herzen berühren. Die Liebe Christi aber, offenbart in Wort und Tat, wird ihren Weg zu einer Seele dort finden, wo das ewige Wiederholen von Vorschriften und Argumenten nichts bewirken würde. SGA 124.1

Wir brauchen mehr von Christi Mitgefühl, nicht nur für die, die uns fehlerlos erscheinen, sondern für arme, leidende, kämpfende Seelen, die oft ihren Schwächen unterliegen, die wiederholt sündigen und dann wieder bereuen, die immer wieder versucht und schließlich entmutigt werden. Wir sollen zu unseren Mitmenschen gehen, von der Wahrnehmung ihrer Schwachheiten angerührt wie unser barmherziger Hoherpriester. SGA 124.2

Es waren die Ausgestoßenen, die Zöllner und Sünder, die vom Volk Verachteten, die Christus berief und mit seiner liebevollen Freundlichkeit dazu einlud, zu ihm zu kommen. Die einzige Gruppe, die nie sein Wohlwollen fand, bestand aus denen, die in ihrem Stolz und übersteigerten Selbstbewußtsein abseits standen und auf andere herabsahen. SGA 124.3

“Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen”, bittet uns Christus, “daß mein Haus voll werde.” Lukas 14,23. Um dies zu befolgen, müssen wir zu den Nichtchristen in unserer Umgebung wie auch in weit entfernte Gebiete gehen. Die “Zöllner und Huren” müssen die Einladung des Heilands hören. Durch die Freundlichkeit und Geduld seiner Gesandten wird diese Einladung zu einer siegreichen Macht, die jene wieder aufrichtet, die in die untersten Tiefen der Sünde abgesunken sind. SGA 124.4

Christliche Beweggründe erfordern, daß wir in ausdauernder, nie nachlassender Anteilnahme und beständig zunehmender Entschlossenheit für die Seelen arbeiten, die Satan zerstören will. Nichts soll das ernste, engagierte Streben nach der Rettung Verlorener lähmen. SGA 125.1

Achten wir darauf, wie sehr das gesamte Wort Gottes von dem dringlichen Aufruf geprägt ist, Männer und Frauen nachdrücklich darum zu bitten, zu Christus zu kommen. Wir müssen jede Gelegenheit im privaten wie öffentlichen Bereich ergreifen und dabei jedes Argument einsetzen und jeden gewichtigen Grund anführen, um Menschen zu Jesus zu bringen. Wir müssen sie mit all unserer Kraft nachdrücklich darum bitten, auf ihn zu sehen und die Bedeutung seines Lebens der Selbstverleugnung und Aufopferung für sich zu erkennen. Wir müssen zeigen, daß wir von ihnen erwarten, daß sie dem Herzen Christi Freude bereiten, indem sie jede seiner Gaben zur Ehre seines Namens einsetzen. SGA 125.2