Auf den Spuren des großen Arztes

74/229

Bewegung

Tätigkeit ist eines unserer Daseinsgesetze. Jedes Körperorgan hat seine ihm zugeordnete Aufgabe, von deren Ausübung seine Entwicklung und Stärke abhängen. Die normale Tätigkeit stärkt und kräftigt das Organ, während eine fehlende Beanspruchung Verfall und Tod begünstigt. Stellt einen Arm für einige Wochen ruhig. Wenn ihr ihn dann wieder gebrauchen wollt, werdet ihr feststellen, daß er schwächer ist als der andere Arm, der die ganze Zeit hindurch normal im Einsatz war. Körperliche Untätigkeit hat dieselben Folgen für die gesamte Muskulatur. SGA 190.3

Bewegungsmangel spielt bei vielen Beschwerden eine Rolle. Körperliche Bewegung nämlich beschleunigt und kräftigt die Blutzirkulation; dies unterbleibt bei Bewegungslosigkeit, was den für Leben und Gesundheit so nötigen Stoffwechsel herabsetzt. Auch die Haut wird dann träge. Schadstoffe werden nicht ausgeschieden, wie es geschähe, wenn die Blutzirkulation durch kräftige Bewegung beschleunigt, die Haut in gesundem Zustand erhalten und die Lunge mit viel reiner und frischer Luft versorgt worden wären. Diese Trägheit der Körperfunktionen bürdet den anderen Ausscheidungsorganen eine doppelte Last auf, was Erkrankungen zur Folge hat. SGA 191.1

Kranke sollten nicht zu Bewegungslosigkeit ermutigt werden. Wenn es bei jemandem in irgendeiner Richtung zu einer ernstlichen Überbeanspruchung gekommen ist, wird eine zeitweilige völlige Schonung manchmal eine ernsthafte Erkrankung abwenden; im Falle lang andauernder Krankheit aber ist es nur selten notwendig, jegliche Bewegung zu vermeiden. SGA 191.2

Wer infolge übermäßiger geistiger Arbeit zusammengebrochen ist, sollte seinem Geist eine Pause gönnen; das sollte aber nicht zu der Annahme verleiten, es sei generell gefährlich, seine Geisteskräfte zu nutzen. Viele Menschen neigen dazu, ihren Zustand schlimmer einzuschätzen, als er tatsächlich ist; diese Gesinnung aber ist der Genesung abträglich und sollte deshalb nicht gefördert werden. SGA 191.3

Prediger, Lehrer, Schüler und andere geistig Tätige leiden aufgrund einer starken geistigen Belastung ohne Ausgleich durch körperliche Bewegung oft an Krankheiten. SGA 191.4

Was diese Menschen brauchen, ist ein bewegungsreicheres Leben. Etwas reduzierte Arbeitsbelastung, verbunden mit angemessener körperlicher Betätigung, würde die geistige wie körperliche Kraft erhalten und allen geistig Arbeitenden große Ausdauer verleihen. SGA 191.5

Wenn jemand seine körperlichen Kräfte überbeansprucht hat, sollte er nicht dazu ermutigt werden, körperliche Arbeit nun gänzlich zu meiden. Statt dessen sollte die Arbeit, um möglichst zuträglich zu sein, systematisch angelegt und angenehm sein. Bewegung im Freien ist das beste; sie sollte so geplant werden, daß sie die geschwächten Organe durch ihren Einsatz stärkt. Und das Herz sollte dabei sein, die Arbeit der Hände sollte nie zu stumpfsinniger Plackerei werden. SGA 192.1

Wenn Kranke nichts haben, was ihre Zeit und Aufmerksamkeit beansprucht, kreisen ihre Gedanken nur um sich selbst. So entwickeln sie in ihrer Vorstellung weitere Krankheiten und werden unleidlich. Sie hängen ihren schlechten Gedanken nach, bis sie sich für wesentlich kranker halten, als sie in Wirklichkeit sind, und verlieren schließlich jeden Antrieb zur Besserung. SGA 192.2

In allen diesen Fällen würde sich eine gut angeleitete körperliche Bewegung als wirkungsvolles Heilmittel erweisen. In einigen Fällen ist sie sogar zur Genesung unerläßlich. Mit der Arbeit der Hände wächst auch die Willenskraft, und was diese Kranken brauchen, ist eine Stärkung ihres Willens. Wenn der Wille schwach ist, wächst um so mehr die Einbildungskraft, und dies macht es unmöglich, eine Krankheit zu heilen. SGA 192.3

Untätigkeit stellt für die meisten Kranken den größtmöglichen Fluch dar. Leichte Beschäftigung mit nützlicher Arbeit, die Geist oder Körper nicht zu sehr beansprucht, entfaltet auf beide einen günstigen Einfluß. Sie beansprucht die Muskeln, verbessert die Blutzirkulation und vermittelt dem Kranken die Erkenntnis, daß er in dieser geschäftigen Welt nicht gänzlich nutzlos ist. Zuerst mag er noch wenig leisten, aber bald wird er spüren, wie seine Kraft zunimmt, und dann können die Anforderungen entsprechend vergrößert werden. SGA 192.4

Bewegung hilft bei Verdauungsstörungen, indem sie den Verdauungsorganen einen gesunden Anreiz gibt. Schwere geistige oder körperliche Tätigkeit unmittelbar nach dem Essen beeinträchtigt die Stoffwechselfunktionen, aber ein kurzer Spaziergang nach einer Mahlzeit, mit erhobenem Kopf und in aufrechter Haltung, ist von großem Nutzen. SGA 192.5

Trotz allem, was über die Wichtigkeit körperlicher Bewegung gesagt und geschrieben worden ist, wird sie von vielen immer noch vernachlässigt. Einige entwickeln Übergewicht, weil ihr Stoffwechsel nicht mehr funktioniert. Andere werden schmächtig und schwach, weil ihre Lebenskräfte durch die Bewältigung eines Übermaßes an Nahrung aufgezehrt werden. Die Entgiftungsfunktion der Leber wird dadurch überlastet, was Erkrankungen zur Folge hat. SGA 193.1

Menschen mit sitzender Lebensweise sollten sich, wenn es das Wetter erlaubt, im Sommer wie im Winter täglich im Freien bewegen. Gehen ist dem Radfahren vorzuziehen, weil es mehr Muskeln beansprucht. Die Lungen werden kräftig aktiviert, da es unmöglich ist, rasch zu gehen, ohne tief zu atmen. SGA 193.2

Solche Bewegung wäre in vielen Fällen für die Gesundheit hilfreicher als Arzneimittel. Oft raten Ärzte ihren Patienten um eines Klimawechsels willen zu einer Schiffsreise, zum Besuch einer Heilquelle oder zum Aufenthalt in fremden Gegenden. In den meisten Fällen könnten diese Kranken schon durch Maßhalten beim Essen und regelmäßige körperliche Bewegung genesen und auf diese Weise Zeit und Geld sparen. SGA 193.3