Aus der Schatzkammer der Zeugnisse — Band 2

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Kapitel 57: Das Gleichnis vom verirrten Schaf*

Das Gleichnis vom verirrten Schaf sollte in jedem Hause als Leitgedanke hochgeschätzt werden. Der göttliche Hirte läßt die 99 und geht hinaus in die Wüste, um das eine zu suchen, das verloren ist. Es gibt Dickichte, Sümpfe und gefährliche Felsspalten; und der Hirte weiß, daß eine gütige Hand dem Schaf heraushelfen muß, falls es sich an einem dieser Orte befindet. Hört er von ferne Blöken, nimmt er jede Schwierigkeit auf sich, um sein verlorenes Schaf zu retten. Wenn er es entdeckt, begrüßt er es nicht mit Vorwürfen. Er freut sich, daß er es lebendig wieder hat. Mit fester, freundlicher Hand zerteilt er die Dornen oder zieht er es aus dem Schlamm, zart hebt er es auf seine Schultern und trägt es zur Herde zurück. Der reine, sündlose Erlöser trägt die Sündigen, die Unreinen. Sch2 366.1

Der Träger der Sünden schleppt das befleckte Schaf, aber so kostbar ist seine Bürde, daß er frohlockt und singt: “Ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.” Lukas 15,6. Möge jeder daran denken, daß auch er in dieser Weise auf den Schultern Christi getragen worden ist! Möge keiner herrisch sein und Selbstgerechtigkeit und Kritiksucht pflegen; denn kein einziges Schaf wäre je zur Herde gekommen, wenn nicht der Hirte nach ihm gesucht hätte. Die Tatsache, daß ein einziges Schaf verloren war, genügte, das Mitgefühl des Hirten zu wecken und sich auf die Suche zu begeben. Sch2 366.2

Diese bescheidene Welt war der Schauplatz der Menschwerdung und des Leidens des Sohnes Gottes. Christus ging nicht in ungefallene Welten, sondern er kam auf unsere Erde, die vom Fluche gebrandmarkt und verderbt ist. Die Aussicht war nicht günstig, sondern entmutigend. Doch “er wird nicht matt werden noch verzagen, bis daß er auf Erden das Recht anrichte”. Jesaja 42,4. Wir sollen an die große Freude denken, die der Hirt bekundet, wenn er das Verlorene wiederfindet. Er ruft seinen Nachbarn zu: “Freuet euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.” Und der ganze Himmel hallt wider von Freude. Selbst der Vater nimmt an diesem Freuden- und Jubelgesang über das Gerettete teil. Welch ein heiliger Überschwang der Freude ist in diesem Gleichnis zum Ausdruck gebracht! An dieser Freude dürfen wir alle Anteil haben. Sch2 366.3

Willst du mit diesem Beispiel vor Augen gemeinsam mit dem wirken, der das Verlorene zu retten kam? Seid ihr Mitarbeiter Christi? Könnt ihr nicht um seinetwillen Leiden, Opfer und Prüfung erdulden? Wir haben Gelegenheit, Gutes für die Jugend und für Irrende zu tun. Wenn du jemand siehst, dessen Worte oder Haltung zeigen, daß er Gott fernsteht, dann tadle ihn nicht. Es ist nicht deine Aufgabe, ihn zu verurteilen, sondern nahe dich ihm, um ihm zu helfen. Sch2 367.1

Halte dir die Demut, Sanftmut und Bescheidenheit Christi vor Augen und arbeite, wie er es tat, mit heiligem Zartgefühl. “Zu derselben Zeit, spricht der Herr, will ich aller Geschlechter Israels Gott sein, und sie sollen mein Volk sein. So spricht der Herr: Das Volk, so übriggeblieben ist vom Schwert, hat Gnade gefunden in der Wüste; Israel zieht hin zu seiner Ruhe. Der Herr ist mir erschienen von ferne: Ich habe dich je und je geliebt; darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.” Jeremia 31,1-3. Sch2 367.2

Damit wir wirken, wie Christus wirkte, muß das Ich gekreuzigt werden. Es ist ein schmerzhafter Tod; aber er bedeutet Leben, Leben für die Seele. “Denn also spricht der Hohe und Erhabene, der ewiglich wohnt, des Name heilig ist: Der ich in der Höhe und im Heiligtum wohne und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf daß ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen.” Jesaja 57,15. Sch2 367.3