Aus der Schatzkammer der Zeugnisse — Band 2

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Persönliche Zeugnisse

Botschaften, die mir für verschiedene Einzelpersonen gegeben wurden, habe ich oft, vielfach auf ihre dringenden Bitten hin, für sie niedergeschrieben. Als meine Arbeit zunahm, wurde dies ein wichtiger und anstrengender Teil meines Dienstes. Vor der Veröffentlichung des Zeugnisses Nr. 15, 1868 gingen mir viele Bitten um geschriebene Zeugnisse von Menschen zu, denen ich einen Rat erteilt oder die ich ermahnt hatte; aber durch die anstrengende Arbeit befand ich mich in einem Zustande schwerer Erschöpfung, und ich schreckte vor der Aufgabe zurück, besonders, da ich wußte, daß viele dieser Leute äußerst unwürdig waren und nur geringe Hoffnung boten, daß die ihnen gegebenen Warnungen eine entscheidende Wandlung in ihnen herbeiführen würden. Damals wurde ich durch folgenden Traum sehr ermutigt: Sch2 245.2

Jemand brachte mir ein Stück weißer Leinwand und gab mir den Auftrag, daraus Kleider für Leute jeder Größe, jeden Charakters und der verschiedensten Lebensumstände zuzuschneiden. Mir wurde gesagt, ich solle die zugeschnittenen Teile aufhängen, damit sie verarbeitet werden könnten, wenn es verlangt würde. Ich hatte den Eindruck, daß viele, für die ich Kleider zuschneiden sollte, unwürdig waren. Ich fragte, ob das das letzte Stück Stoff sei, von dem ich zuschneiden sollte, und mir wurde geantwortet, es sei nicht der Fall; sobald ich mit diesem Stück fertig sei, wären andere da, die ich nehmen könnte. Vor der Fülle der vor mir liegenden Arbeit wurde ich mutlos. Ich sagte, daß ich nun mehr als zwanzig Jahre lang Kleider für andere zugeschnitten hätte; meine Arbeit sei jedoch nicht geschätzt worden, auch könne ich nicht sehen, daß viel Gutes dabei herausgekommen sei. Ich sprach mit dem, der mir den Stoff brachte, besonders über eine Frau, für die ich ebenfalls ein Kleid zuschneiden sollte. Ich sagte, sie werde das Kleid nicht schätzen; es bedeute deshalb nur einen Verlust an Zeit und Stoff, wenn man es ihr gäbe. Sie war sehr arm und von nur mäßigem Verstand, dazu von unordentlichen Gewohnheiten. Sie würde es doch bald beschmutzen. Sch2 245.3

Der Auftraggeber antwortete: “Schneide die Kleider zu. Das ist deine Pflicht. Der Verlust trifft nicht dich, sondern mich. Gott sieht nicht, wie ein Mensch sieht. Er plant die Arbeit, die er getan haben will, du weißt nicht, was gelingen wird, dies oder jenes ...” Sch2 246.1

Dann erhob ich meine Hände, die vom langen Gebrauch der Schere schwielig geworden waren, und sagte, daß ich vor dem Gedanken, weiter diese Arbeit verrichten zu müssen, zurückschrecke. Wieder erhielt ich die Antwort: “Schneide die Kleider zu. Deine Erlösung ist noch nicht gekommen.” Sch2 246.2

Mit dem Gefühl großer Müdigkeit erhob ich mich zur Arbeit. Vor mir lag eine neue, glänzende Schere, die ich in Gebrauch nahm. Sofort verließ mich das Gefühl der Ermüdung und Mutlosigkeit, fast ohne Anstrengung meinerseits schien die Schere zu schneiden, und verhältnismäßig leicht schnitt ich Kleid für Kleid zu. Sch2 246.3

Viele Träume werden durch die alltäglichen Einflüsse des Lebens hervorgerufen, ohne daß der Geist Gottes etwas mit ihnen zu tun hat. Es gibt auch falsche Träume und falsche Gesichte, die durch den Geist Satans erzeugt werden. Aber Träume vom Herrn werden im Worte Gottes den Gesichten gleichgestellt und sind ebenso gewiß eine Frucht des Geistes der Weissagung wie Gesichte. Solche Träume enthalten unter Berücksichtigung der Personen, die sie erleben, sowie der Umstände, unter denen sie gegeben werden, ihre eigenen Beweise der Echtheit. Sch2 246.4

Weil die Zeugnisse an Einzelpersonen Warnungen und Belehrungen enthalten, die mit dem gleichen Nachdruck vielen anderen gelten, die dabei nicht besonders angeredet wurden, hielt ich es für meine Pflicht, solche persönlichen Zeugnisse zum Besten der Gemeinde zu veröffentlichen. In Zeugnis Nr. 15 sprach ich davon, daß es nötig war, so zu handeln, und erklärte: “Ich weiß nicht, wie ich meine Erkenntnis über allgemeine Gefahren und Irrlehren sowie über die Pflichten all derer, die Gott lieben und seine Gebote halten, besser darbieten kann als durch die Veröffentlichung solcher Zeugnisse. Vielleicht gibt es keinen einfacheren und wirksameren Weg, das darzulegen, was der Herr mir gezeigt hat.” Sch2 246.5

In einem mir am 12. Juni 1868 gegebenen Gesicht wurde meine Absicht, persönliche Zeugnisse zu veröffentlichen, völlig gerechtfertigt. Wenn der Herr einzelne Fälle herausgreift und ihr Unrecht aufdeckt, halten andere, die im Gesicht nicht genannt wurden, es häufig für ausgemacht, daß sie recht stehen oder doch, daß sie beinah richtig wandeln. Wenn jemand um einer bestimmten Sünde willen gerügt wird, dann sollten sich die Geschwister mit aller Sorgfalt selbst prüfen, um zu erkennen, worin sie gefehlt haben oder ob sie sich derselben Sünde schuldig gemacht haben. Sie sollten den Geist des demütigen Bekennens an den Tag legen. Wenn andere sie für gut halten, so macht sie das nicht gut. Gott sieht das Herz an. Auf diese Weise prüft und wägt er die Seele. Wenn er den Fehler des einen rügt, will er viele bessern. Aber wenn sie es versäumen, die Rüge auf sich selbst anzuwenden, und sich damit schmeicheln, daß Gott ihre Fehler übersieht, weil er sie nicht besonders herausgreift, so betrügen sie sich selbst; sie werden in Finsternis geraten, ihren eigenen Wegen überlassen bleiben, um so den Vorstellungen ihres eigenen Selbst zu folgen. Sch2 247.1

Viele handeln unrecht an ihrer eigenen Seele und geben sich über ihre wahre Stellung vor Gott einer großen Täuschung hin. Gott braucht Mittel und Wege, die seinem Ziel am besten dienen, um zu erproben, was in den Herzen seiner bekenntlichen Nachfolger lebt. Er deckt die Fehler einzelner auf, um andere zu warnen, damit sie diese Irrtümer fürchten und meiden. Wenn sie sich selbst prüfen, können sie erkennen, daß sie dasselbe tun, was Gott bei andern verurteilt. Haben sie wirklich das Verlangen, Gott zu dienen, fürchten sie sich, ihn zu beleidigen, dann werden sie nicht warten, bis ihre Sünden genannt werden, ehe sie sie bekennen, und in demütiger Reue zum Herrn zurückkehren. Nach der Belehrung, die anderen gegeben wurde, werden sie alles unterlassen, was Gott mißfällt. Wenn dagegen jemand nicht recht tut und sieht, daß er derselben Sünde schuldig ist, die bei anderen gerügt wurde, und dann doch in seinem unheiligen Wandel verharrt, weil er nicht namentlich genannt worden ist, so gefährdet er seine Seele und wird freiwillig zum Gefangenen Satans. Sch2 247.2

Mir wurde gezeigt, daß es der Weisheit Gottes entspricht, nicht die Sünden und Irrtümer eines jeden zu offenbaren. Alle, die schuldig sind, werden in diesen persönlichen Zeugnissen angesprochen, obwohl ihre Namen in keinem Zeugnis besonders genannt werden. Wenn sie ein solches Zeugnis immer wieder übergehen und ihre Sünden verbergen, weil ihre Namen darin nicht ausdrücklich genannt werden, wird Gott sie nicht segnen. Sie können im geistlichen Leben keine Fortschritte erzielen, sondern werden in immer größere Finsternis absinken, bis ihnen das Licht des Himmels gänzlich entzogen wird. Sch2 248.1

In einem Gesicht, das ich vor etwa zwanzig Jahren (1871) hatte, wurde ich angewiesen, allgemeine Richtlinien in Wort und Schrift zu geben und gleichzeitig die Gefahren, Irrtümer und Sünden mancher Einzelpersonen herauszugreifen, damit dadurch alle gewarnt, ermahnt und beraten würden. Ich sah, daß jeder sein eigenes Herz und sein eigenes Leben gründlich prüfen sollte, ob er nicht die gleichen Fehler begangen hat, die an anderen gerügt wurden, und ob die Warnungen, die an andere gerichtet waren, nicht auch ihn angehen. Trifft das zu, dann sollte jeder den Rat und die Zurechtweisung so ansehen, als seien sie besonders für ihn bestimmt; dann sollte er sie so praktisch auf sich anwenden, als sei das Zeugnis an ihn persönlich gerichtet. Es ist Gottes Absicht, den Glauben aller zu prüfen, die sich als Nachfolger Christi ausgeben. Er wird die Aufrichtigkeit der Gebete bei allen prüfen, die behaupten, daß sie das ernste Verlangen haben, ihre Pflicht zu erkennen. Er wird die Pflicht klar umreißen und wird jedem reichlich Gelegenheit geben, zu zeigen, was in seinem Herzen ist. Sch2 248.2