Aus der Schatzkammer der Zeugnisse — Band 2

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Kapitel 40: Wesen und Einfluß der Zeugnisse*

Je näher wir dem Ende kommen und je mehr sich das Werk, das der Welt die letzte Warnungsbotschaft verkündigt, ausbreitet, desto wichtiger wird es für alle, die die gegenwärtige Wahrheit annehmen, ein richtiges Verständnis vom Wesen und Einfluß der Zeugnisse zu bekommen, die Gott in seiner Vorsehung von Anfang an mit dem Werk der dritten Engelsbotschaft verbunden hat. Die folgenden Seiten enthalten Auszüge von dem, was ich während der letzten vierzig Jahre über meine eigenen früheren Erfahrungen geschrieben habe. Sie geben auch das wieder, was Gott mir über das Wesen und die Wichtigkeit der Zeugnisse, über die Art, wie sie mir mitgeteilt wurden und wie sie angesehen werden sollten, gezeigt hat. Sch2 242.3

Nicht lange nach der Zeit des Jahres 1844 wurde mir mein erstes Gesicht gezeigt. Ich war bei einer lieben Glaubensschwester zu Besuch, mit der ich eng verbunden war. Wir waren fünf Frauen und waren still zur Familienandacht niedergekniet. Während wir beteten, kam die Kraft Gottes über mich, wie ich sie nie zuvor gefühlt hatte. Es schien mir, als wäre ich von Licht umgeben und als stiege ich immer höher von der Erde empor. Bei dieser Gelegenheit wurde mir im Gesicht die Erfahrung der Adventgläubigen, das Kommen Christi und der Lohn, der den Treuen zuteil wird, gezeigt. Sch2 243.1

Nicht lange nach dem ersten Gesicht wurden mir in einem zweiten die Schwierigkeiten gezeigt, die mir begegnen würden, aber auch meine Pflicht, hinzugehen und das an andere weiterzugeben, was Gott mir offenbart hatte. Mir wurde gezeigt, daß meine Arbeit auf großen Widerstand stoßen und mein Herz mit Furcht erfüllt sein würde, daß aber die Gnade Gottes stark genug sei, mir in allem zu helfen. Die in diesem Gesicht erteilte Belehrung bereitete mir viel Kummer, denn sie verpflichtete mich, zu den Menschen zu gehen und ihnen die Wahrheit mitzuteilen. Sch2 243.2

Mich bedrückte die große Befürchtung, daß ich mich in sündhafter Weise überheben könnte, wenn ich dem Ruf der Pflicht folgen, hinausgehen und mich als eine vom Allerhöchsten durch Gesichte und Offenbarungen für das Volk Begnadete ausgeben würde; ich könnte mich über die Stellung, die ich einnehmen sollte, erheben, mir das Mißfallen Gottes zuziehen und meine eigene Seligkeit dadurch verlieren. Mir waren verschiedene Fälle der eben beschriebenen Art bekannt, und mein Herz schrak vor der schweren Prüfung zurück. Sch2 243.3

Ich bat nun, daß der Herr mich vor Selbstüberhebung bewahren möchte, wenn ich gehen und berichten müsse, was er mir gezeigt hatte. Darauf sagte der Engel: “Deine Gebete sind erhört worden und sollen Erhörung finden. Wenn das Übel, das du fürchtest, dich bedroht, wird die Hand Gottes ausgestreckt sein, dich zu bewahren; er wird dich durch Leid zu sich ziehen und dich in Demut erhalten. Richte die Botschaft getreulich aus. Beharre bis ans Ende, dann sollst du die Frucht des Lebensbaumes genießen und vom Lebensstrom trinken.” Sch2 243.4

Um diese Zeit waren einige von denen, die an die erste Botschaft geglaubt hatten, dem Fanatismus verfallen. Man gab bedenklichen Irrtümern Lehre und Leben Raum, und manche waren bereit, jeden zu verdammen, der ihre Auffassungen nicht teilen wollte. Gott offenbarte mir diese Irrtümer in einem Gesicht und sandte mich zu seinen irrenden Kindern, sie darüber aufzuklären. Aber als ich dieser Pflicht nachkam, begegnete ich heftigen Widerständen und bitteren Vorwürfen. Sch2 244.1

Es fiel mir sehr schwer, den im Irrtum Befangenen zu sagen, was mir über sie gezeigt worden war. Es tat mir sehr weh, andere beunruhigt und bekümmert zu sehen. Deshalb schwächte ich die Botschaft, die ich ihnen erläutern mußte, oftmals ab und ließ sie dem Betreffenden so angenehm wie möglich erscheinen. Dann zog ich mich zurück und weinte vor Seelenangst. Ich schaute auf die, die nur für ihre eigene Seele zu sorgen hatten, und dachte, ich wollte nicht murren, wenn ich in ihrer Lage wäre. Es fiel mir schwer, die mir von Gott gegebenen klaren und scharfen Zeugnisse auszusprechen. Ängstlich beobachtete ich die Folgen, und wenn die Getadelten die Rüge zurückwiesen und dann Gegner der Wahrheit wurden, stiegen in mir Fragen auf: Habe ich die Botschaft so ausgerichtet, wie ich es sollte? Hätte es nicht doch eine Möglichkeit gegeben, sie zu retten? Dann drückte mich ein solcher Schmerz, daß ich oft dachte, der Tod würde mir ein willkommener Bote und das Grab ein süßer Ruheplatz sein. Sch2 244.2

Das Gefährliche und Sündhafte eines solchen Verhaltens erkannte ich nicht, bis ich in einem Gesicht vor Jesus gestellt wurde. Er schaute mich mit strafendem Blick an und wandte dann sein Angesicht von mir ab. Es ist nicht möglich, zu beschreiben, welche Angst und welch ein Schrecken über mich kamen. Ich fiel vor ihm auf mein Angesicht, hatte aber keine Kraft, ein Wort hervorzubringen. O wie ich mich sehnte, mich vor jenem schrecklichen Blick bedecken oder verbergen zu können! Da konnte ich einigermaßen verstehen, was die Verlorenen empfinden werden, wenn sie ausrufen: Ihr Berge und Felsen, “fallet über uns und verberget uns vor dem Angesichte des, der auf dem Stuhl sitzt, und vor dem Zorn des Lammes!” Offenbarung 6,16. Sch2 244.3

Bald darauf gebot mir ein Engel, mich zu erheben. Was sich meinen Blicken bot, ist kaum zu beschreiben. Vor mir stand eine Schar von Menschen mit wirrem Haar und zerrissenen Kleidern, ihre Gesichter boten das Bild der Verzweiflung und des Schreckens. Sie traten nahe an mich heran und rieben ihre Kleider an meinen. Als ich dann auf meine Kleidung schaute, sah ich, daß sie mit Blut befleckt war. Wieder fiel ich wie tot zu den Füßen des mich begleitenden Engels. Ich konnte nichts zu meiner Entschuldigung sagen und wünschte mich fort von jener heiligen Stätte. Der Engel richtete mich wieder auf und sprach: “Dies ist nicht dein jetziges Schicksal, aber dieses Bild wurde vor dir entrollt, damit du erkennst, was dich erwartet, wenn du es versäumst, anderen zu sagen, was der Herr dir offenbart hat.” Dieser nachdrücklichen Warnung eingedenk, ging ich nun hin, den Leuten die Worte des Tadels und der Weisung zu sagen, die Gott mir gegeben hatte. Sch2 245.1