Für die Gemeinde geschrieben — Band 2

123/237

Kapitel 25: Standhaftigkeit im Leid

Die Frage nach dem Leid1

Gegen Ende des Jahres 1891 reiste Ellen G.White im Auftrag der Generalkonferenz nach Australien, um dort die neu aufgenommene Arbeit zu unterstützen. Ihr Aufenthalt dauerte neun Jahre. Bald nach ihrer Ankunft wurde sie von einer schmerzhaften und langwierigen Krankheit heimgesucht. Die folgenden Abschnitte zeigen, mit welcher inneren Kraft sie dieser Anfechtung begegnete. Beachtenswert ist vor allem, was sie persönlich aus dieser Erfahrung gelernt hat. FG2 235.1

Die Herausgeber

Jedesmal wenn ich Post machte, hatte ich 100 bis 200 Seiten zu schreiben. Das meiste davon konnte ich nur schreiben, nachdem man mich, durch Kissen abgestützt, in eine halb sitzende, halb liegende Lage brachte. Mitunter saß ich auch auf einem ausgepolsterten, unbequemen Stuhl. FG2 235.2

Meine Hüfte und die Lendenwirbel schmerzen so sehr, daß ich kaum aufrecht sitzen kann. Wenn ich hier (Australien) einen solchen Stuhl finden könnte, wie Ihr sie im Sanatorium habt, würde ich ihn sofort kaufen, selbst wenn ich dafür 30 Dollar bezahlen müßte ... Es kostet mich große Anstrengung, aufrecht zu sitzen oder den Kopf geradezuhalten. Das geht nur, wenn mir die Kissen und die Rücklehne des Sessels den nötigen Halt geben. Das also ist meine augenblickliche Verfassung. FG2 235.3

Dennoch bin ich nicht entmutigt. Ich fühle mich täglich von Gottes Hand getragen. In den schmerzerfüllten, langen Nächten, wenn mich der Schlaf flieht, suche ich Trost im Gebet. Wenn ich wegen der entsetzlichen Nervenschmerzen nicht mehr ein noch aus wußte, erfüllte plötzlich der Friede Christi mein Herz, so daß ich nur noch danken konnte. Ich weiß, daß Jesus mich liebt — und ich liebe ihn. Manchmal schlief ich drei Stunden in der Nacht, hin und wieder auch mal vier, aber meist waren es nur zwei Stunden. Dennoch schien in diesen langen australischen Nächten die Dunkelheit um mich herum hell zu sein, und ich genoß die erquickende Gemeinschaft mit Gott. FG2 235.4

Als ich mir zum ersten Mal meiner Hilflosigkeit bewußt wurde, machte ich mir Vorwürfe, daß ich diese Reise überhaupt auf mich genommen hatte. Warum war ich nicht in Amerika geblieben? Warum mußte soviel Geld für die Überfahrt bezahlt werden, wenn ich doch nichts ausrichten konnte? Am liebsten hätte ich mir die Bettdecke über den Kopf gezogen und bitterlich geweint. Manchmal tat ich das auch, aber ich habe mir den Luxus von Tränen nicht lange leisten können. Ich fing an, mit mir selber zu sprechen und sagte: “Ellen G.White, was ist los mit dir? Bist Du nicht nach Australien gekommen, weil die Generalkonferenz Dich hierher geschickt hat und Du der Überzeugung warst, daß dort eine Aufgabe zu erfüllen sei? Bist Du nicht immer gegangen, wenn man Dich irgendwohin rief?” “Ja”, mußte ich mir selbst antworten. “Warum bist Du dann aber so enttäuscht und fühlst Dich verlassen? Merkst Du nicht, daß der Widersacher sein Spiel mit Dir treibt?” Ich sagte zu mir selbst: “Ja, ich glaube, so ist es!”, wischte mir die Tränen ab und machte mir selbst Mut: “Nun reicht es! Ich will mich nicht mehr mit den dunklen Seiten abgeben. Was immer auf mich zukommt — Leben oder Sterben —, ich vertraue ganz dem, der mich erlöst hat.” FG2 236.1

Von dieser Zeit an glaubte ich fest daran, daß der Herr alles richtig machen würde. Während der folgenden acht Monate meiner Hilflosigkeit konnten mich weder Hoffnungslosigkeit noch Zweifel überwinden. Ich lernte alles, was mir begegnete, als einen Teil des Planes Gottes anzunehmen. Irgendwie mußte es zum Wohl der Menschen in diesem Land, zum Wohl der Kinder Gottes in Amerika und zu meinem eigenen Besten zusammenwirken. Ich kann nicht erklären, warum ich so empfand — ich glaubte es einfach! Ich sagte mir: “Sei mitten in den schlimmen Anfechtungen fröhlich, vertraue deinem himmlischen Vater und zweifle nicht an seiner Liebe”. Ich fühlte, daß Gott mir Tag und Nacht nahe war; deshalb preise ich den Herrn — und dieses Lob kommt aus einem dankerfüllten Herzen. Brief 18a, 1892. FG2 236.2