Christi Gleichnisse
Kapitel 4: Das Unkraut
Auf der Grundlage von Matthäus 13,24-30.
Er legte ihnen ein ander Gleichnis vor, und sprach: “Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind, und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Da nun das Kraut wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut.” CGl 69.1
“Der Acker”, sagte Christus, “ist die Welt.” Aber wir müssen dies so verstehen, daß hier die Gemeinde Christi in der Welt gemeint ist. Das Gleichnis ist eine Beschreibung von dem, was zum Reiche Gottes und zu dem damit verbundenen Erlösungswerk gehört und das dazu auserlesene Werkzeug ist die Gemeinde. Freilich ist der Heilige Geist in die ganze Welt hinausgegangen und wirkt überall an den Herzen der Menschen, aber die Gemeinde ist der Ort, wo wir wachsen und heranreifen sollen, um in die Scheuer Gottes eingeheimst zu werden. CGl 69.2
“Des Menschen Sohn ist’s, der da guten Samen sät, ... der gute Same sind die Kinder des Reiches. Das Unkraut sind die Kinder der Bosheit.” Der gute Same stellt diejenigen dar, die vom Worte Gottes, der Wahrheit, geboren sind. Das Unkraut dagegen versinnbildet eine Klasse von Menschen, welche die Frucht oder die Verkörperung von Irrtum und falschen Grundsätzen sind. “Der Feind, der sie sät, ist der Teufel.” Weder Gott noch seine Engel haben jemals ein Samenkorn gesät, welches Unkraut hervorbringen würde. Das Unkraut wird immer vom Satan, dem Feinde Gottes und der Menschen, gesät. CGl 69.3
Im Morgenlande rächten sich die Leute manchmal an einem Feinde, indem sie seine neubesäten Felder mit dem Samen eines lästigen Unkrautes bestreuten, welches, während es emporwuchs, dem Weizen sehr ähnlich war. Indem es mit dem Weizen zusammen aufwuchs, schädigte es die Ernte und verursachte dem Eigentümer des Feldes Mühe und Verlust. So streut auch Satan aus Feindschaft gegen Christum seinen bösen Samen unter die gute Aussaat für das Himmelreich und schreibt dann die Frucht dieses Samens dem Sohne Gottes zu. Indem er solche, die zwar Christi Namen tragen, aber seinen Charakter verleugnen, in die Gemeinde bringt, will er bezwecken, daß Gott entehrt, das Erlösungswerk falsch dargestellt und Seelen gefährdet werden. CGl 70.1
Es schmerzt die Diener Christi, wahre und falsche Glieder in der Gemeinde vermischt zu sehen. Sie möchten etwas tun, um die Gemeinde zu reinigen. Gleich den Knechten jenes Menschen sind sie bereit, das Unkraut auszureißen; aber Christus sagt: “Nein, auf daß ihr nicht zugleich den Weizen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausjätet. Lasset Beides miteinander wachsen bis zu der Ernte.” CGl 70.2
Christus hat klar und deutlich gelehrt, daß solche, die in offener Sünde beharren, von der Gemeinde ausgeschlossen werden müssen, aber er hat uns nicht aufgetragen, über Charaktere und Beweggründe zu urteilen. Er kennt unsere Natur zu gut, um uns dies Werk anzuvertrauen. Würden wir versuchen, die, welche wir für falsche Christen halten, aus der Gemeinde zu bringen, so würden wir sicherlich fehl gehen. Oft betrachten wir gerade die, welche Christus zu sich zieht, als hoffnungslose Seelen, denen wir, wenn wir mit ihnen nach unserem unvollkommenen Urteil verfahren, vielleicht den letzten Hoffnungsfunken auslöschen würden. Viele wiederum, die sich für Christen halten, werden zuletzt zu leicht erfunden werden. Es werden viele im Himmel sein, von denen ihre Nachbarn dachten, daß sie nicht hineinkommen würden. Der Mensch urteilt nach dem Schein, aber Gott sieht das Herz an. Das Unkraut und der Weizen sollen zusammen wachsen bis zur Ernte; die Ernte aber ist das Ende der Gnadenzeit. CGl 70.3
In den Worten des Heilandes liegt noch eine andere Lehre, eine Lehre der wunderbaren Langmut und zärtlichen Liebe. Wie die Wurzeln des Unkrautes sich mit denen des Getreides eng verschlingen, so können auch die falschen Brüder in der Gemeinde mit den wahren Jüngern eng verbunden sein. Der wirkliche Charakter dieser vorgeblichen Gläubigen wird nicht völlig offenbar; würden sie aber von der Gemeinde ausgeschlossen, so könnten andere, die sonst standhaft geblieben wären, dadurch zum Straucheln veranlaßt werden. CGl 71.1
Die in diesem Gleichnis gegebene Lehre wird uns in dem Verfahren Gottes mit Menschen und Engeln veranschaulicht. Satan ist ein Betrüger. Als er im Himmel sündigte, erkannten selbst die getreuen Engel seinen Charakter nicht völlig, weshalb Gott ihn auch nicht sofort vernichtete. Hätte Gott das getan, dann würden die heiligen Engel die Liebe und Gerechtigkeit Gottes nicht erkannt haben. Ein Zweifel an der Liebe und Güte Gottes würde wie ein böser Same gewesen sein, der die bittere Frucht der Sünde und des Elendes hervorgebracht haben würde; deshalb wurde der Urheber des Bösen verschont, bis er seinen Charakter völlig entwickeln würde. Lange Zeitalter hindurch hat Gott es schmerzlich empfunden, das Werk des Bösen vorangehen zu sehen. Er hat lieber die unendliche Gabe auf Golgatha dargebracht, als daß irgend jemand durch die falschen Darstellungen des Bösen betört werde, denn das Unkraut konnte nicht ausgejätet werden, ohne Gefahr zu laufen, den köstlichen Samen mit auszuraufen. Sollten wir nicht ebenso langmütig gegen unsere Mitmenschen sein, wie der Herr des Himmels und der Erde es gegen Satan ist? CGl 72.1
Die Welt hat kein Recht, die Wahrheit des Christentums zu bezweifeln, weil unwürdige Glieder in der Gemeinde sind, und Christen sollten wegen dieser falschen Brüder nicht entmutigt werden. Wie verhielt es sich mit der ersten Christengemeinde? Ananias und Saphira schlossen sich den Jüngern an. Simon Magus wurde getauft. Demas, welcher den Paulus verließ, war als Gläubiger betrachtet worden. Judas Ischarioth zählte zu den Aposteln. Der Erlöser will nicht eine Seele verlieren; seine Erfahrung mit Judas ist uns berichtet, um uns seine große Geduld mit der verderbten Menschennatur zu zeigen, und er gebietet uns, mit derselben Nachsicht zu haben, wie er sie auch gehabt hat. Er hat gesagt, daß bis zum Ende der Zeit falsche Brüder in der Gemeinde sein werden. CGl 72.2
Ungeachtet der Warnung Christi haben die Menschen es dennoch versucht, das Unkraut auszujäten. Um solche, die man für Übeltäter hielt, zu bestrafen, hat die Kirche sich der Staatsgewalt bedient. Männer, welche behaupteten, unter der Leitung Christi zu stehen und zu handeln, haben solche, die von der festgesetzten Lehre abwichen, eingekerkert, gefoltert und getötet. Aber solche Handlungen werden durch den Geist Satans und nicht durch den Geist Christi eingegeben. So handelt Satan, um die Welt unter seine Herrschaft zu bringen. Indem die Kirche auf solche Weise mit vorgeblichen Ketzern verfuhr, ist Gott dadurch in ein falsches Licht gestellt worden. CGl 73.1
In den Gleichnissen Christ wird uns nicht gelehrt, andere zu richten und zu verdammen, sondern vielmehr demütig zu sein und dem eigenen Ich zu mißtrauen. Nicht alles, was auf dem Acker gesät wird, ist guter Weizen. Die Tatsache, daß Menschen Gemeindeglieder sind, beweist nicht, daß sie auch Christen sind. CGl 73.2
Das Unkraut, das unter den Weizen gesät war, war dem letzteren sehr ähnlich, solange der Halm noch grün war; wenn aber das Feld weiß zur Ernte dastand, zeigte sich zwischen dem Unkraut und dem Weizen, der unter dem Gewicht der vollen und reifen Ähren sich niederbog, ein großer Unterschied. Sünder, welche vorgeben, fromm zu sein, mischen sich eine Zeitlang unter die wahren Nachfolger Christi und der Anstrich des Christentums ist geeignet, viele zu täuschen; aber in der Ernte der Welt wird keine Ähnlichkeit zwischen dem Guten und dem Bösen sein. Dann werden die, welche sich zwar der Gemeinde angeschlossen, aber sich nicht mit Christo verbunden haben, offenbar werden. CGl 73.3
Es wird dem Unkraut gestattet, unter dem Weizen aufzuwachsen und dieselben Vorteile in bezug auf Sonnenschein und Regen zu genießen; aber in der Zeit der Ernte wird gesehen werden, “was für ein Unterschied sei zwischen den Gerechten und Gottlosen, und zwischen dem, der Gott dienet, und dem, der ihm nicht dienet”. Maleachi 3,18. Christus selbst wird entscheiden, wer würdig ist, mit der himmlischen Familie zu wohnen; er wird einen jeden Menschen nach seinen Worten und seinen Werken richten. Das Mundbekenntnis hat kein Gewicht auf der Waage; der Charakter allein entscheidet das Schicksal. CGl 73.4
Der Heiland weist nicht hin auf eine Zeit, zu welcher alles Unkraut Weizen wird. Der Weizen und das Unkraut wachsen miteinander bis zur Ernte, zum Ende der Welt. Dann wird das Unkraut in Bündel gebunden, um verbrannt zu werden, und der Weizen wird in die Scheuer Gottes gebracht. “Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich.” Dann wird des Menschen Sohn “seine Engel senden; und sie werden sammeln aus seinem Reich alle Ärgernisse, und die da Unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird sein Heulen und Zähneklappen”. CGl 74.1