Propheten und Könige
Kapitel 7: Jerobeam
Die zehn Stämme Israels, die sich gegen das Haus Davids aufgelehnt hatten, setzten Jerobeam zum Herrscher ein. Der einstige Knecht Salomos nahm damit eine Stellung ein, die es ihm ermöglichte, weise Reformen auf bürgerlichem wie religiösem Gebiet herbeizuführen. Unter der Herrschaft Salomos hatte er seine Begabung und sein gesundes Urteilsvermögen unter Beweis gestellt. Die in Jahren treuen Dienstes erworbenen Kenntnisse befähigten ihn, mit Umsicht zu regieren. Jerobeam versäumte es jedoch, sein Vertrauen auf Gott zu setzen. PK 68.1
Jerobeams größte Sorge war, daß irgendwann in der Zukunft die Herzen seiner Untertanen von dem Herrscher auf dem Thron Davids gewonnen werden könnten. Falls es den zehn Stämmen weiterhin erlaubt würde, regelmäßig die alte Hauptstadt des jüdischen Reiches zu besuchen, wo die Gottesdienste im Tempel noch immer wie unter Salomo durchgeführt wurden, rechnete er damit, daß viele sich veranlaßt sehen könnten, der Regierung zu Jerusalem von neuem Treue zu geloben. Nach einer Besprechung mit seinen Ratgebern beschloß Jerobeam, durch eine kühne Unternehmung die Wahrscheinlichkeit einer Empörung gegen seine Herrschaft soweit wie möglich zu verringern. Erreichen wollte er dies durch die Gründung zweier Stätten der Anbetung innerhalb der Grenzen seines neugebildeten Reiches, und zwar bei Bethel und bei Dan. Die zehn Stämme sollten eingeladen werden, sich statt in Jerusalem an diesen beiden Plätzen zur Anbetung Gottes zu versammeln. PK 68.2
Im Rahmen dieser Umstellung wollte sich Jerobeam dadurch an die Vorstellungskraft der Israeliten wenden, daß er ihnen mit Hilfe einer sichtbaren Darstellung die Gegenwart des unsichtbaren Gottes versinnbildlichte. Deshalb ließ er zwei Kälber aus Gold herstellen und sie mit Altären an den genannten Anbetungsstätten aufstellen. Mit diesem Versuch einer Darstellung der Gottheit übertrat Jerobeam den ausdrücklichen Befehl Jahwes: “Du sollst dir kein Gottesbild anfertigen ... Du sollst dich vor ihnen nicht niederwerfen und ihnen nicht dienen.” 2.Mose 20,4.5 (Menge). PK 68.3
So stark war Jerobeams Verlangen, die zehn Stämme von Jerusalem fernzuhalten, daß er dabei die seinem Plane zugrunde liegende Schwäche völlig übersah. Er bedachte nicht die große Gefahr, der er die Israeliten aussetzte, als er dasselbe abgöttische Sinnbild der Gottheit vor ihnen aufrichten ließ, mit dem ihre Vorfahren während der Jahrhunderte der Knechtschaft in Ägypten so vertraut gewesen waren. Sein eigner Aufenthalt in Ägypten, von dem er erst kurz zuvor zurückgekehrt war, hätte Jerobeam davon überzeugen müssen, welch eine Torheit es war, dem Volke derartige heidnische Darstellungen vorzusetzen. Seine feste Absicht, die nördlichen Stämme zur Aufgabe ihrer jährlichen Besuche in der heiligen Stadt zu bewegen, ließ ihn jedoch die übereilten Maßnahmen ergreifen. “Es ist zu viel für euch”, sagte er zur Begründung, “daß ihr hinauf nach Jerusalem geht; siehe, da ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat.” 1.Könige 12,28. Mit diesen Worten forderte er seine Untertanen auf, sich vor den goldenen Bildern niederzuwerfen und fremde Formen der Anbetung anzunehmen. PK 69.1
In seinem Hoheitsbereich lebten einzelne Leviten. Sie versuchte der König zu überreden, in den neuen Heiligtümern zu Bethel und Dan als Priester zu dienen. Doch seine Bemühungen waren nicht erfolgreich. Deshalb sah er sich gezwungen, “beliebige Leute aus dem Volk” (1.Könige 12,31, Menge) zu Priestern zu ernennen. Beunruhigt von dem, was auf sie zukam, flohen viele Getreuen einschließlich zahlreicher Leviten nach Jerusalem, wo sie Gott in Übereinstimmung mit den göttlichen Forderungen anbeten konnten. PK 69.2
Jerobeam aber “machte ein Fest am fünfzehnten Tag des achten Monats wie das Fest in Juda und opferte auf dem Altar. So tat er in Bethel, daß er den Kälbern opferte, die er gemacht hatte, und bestellte in Bethel Priester für die Höhen, die er gemacht hatte.” 1.Könige 12,32. PK 69.3
Es war dreiste Herausforderung Gottes, daß der König die vom Herrn verordneten Einrichtungen beiseite setzte; sie durfte nicht ungestraft bleiben. Als Jerobeam anläßlich der Weihe des fremden Altars gerade den Gottesdienst versah und das Räucherwerk anzündete, trat ein Mann Gottes aus dem Reiche Juda vor ihn. Er war gesandt worden, ihn wegen der Vermessenheit, neue Formen des Gottesdienstes einzuführen, öffentlich anzuklagen. Der Prophet “rief gegen den Altar auf das Wort des Herrn hin und sprach: Altar, Altar! So spricht der Herr: Siehe, es wird ein Sohn dem Hause David geboren werden mit Namen Josia; der wird auf dir schlachten die Priester der Höhen, die auf dir opfern, und wird Menschengebein auf dir verbrennen. PK 69.4
Und er gab an dem Tag ein Wunderzeichen und sprach: Das ist das Zeichen dafür, daß der Herr geredet hat: Siehe, der Altar wird bersten und die Asche verschüttet werden, die darauf ist.” 1.Könige 13,2.3. Gleich darauf brach der Altar auseinander, “und die Asche wurde verschüttet vom Altar nach dem Wunderzeichen, das der Mann Gottes gegeben hatte auf das Wort des Herrn hin”. 1.Könige 13,5. PK 70.1
Als Jerobeam dies sah, erfüllte ihn so heftiger Trotz gegen Gott, daß er den Überbringer der Botschaft festnehmen lassen wollte. Voller Zorn “streckte er seine Hand aus auf dem Altar” und rief laut: “Greift ihn!” 1.Könige 13,4. Seine Unbeherrschtheit wurde jedoch sofort bestraft. Die Hand, die er nach dem Boten des Herrn ausgestreckt hatte, verlor plötzlich alle Kraft und erstarrte, so daß er sie nicht mehr zurückziehen konnte. PK 70.2
Schreckerfüllt bat nun der König den Propheten, sich bei Gott für ihn zu verwenden. “Flehe doch den Herrn, deinen Gott, an”, drängte er, “und bitte für mich, daß ich meine Hand wieder an mich ziehen kann. Da flehte der Mann Gottes den Herrn an, und der König konnte seine Hand wieder an sich ziehen, und sie wurde, wie sie vorher war.” 1.Könige 13,6. PK 70.3
Somit war Jerobeams Bemühen gescheitert, einen fremden Altar, dessen Verehrung zur Mißachtung der Anbetung Gottes im Jerusalemer Tempel geführt hätte, feierlich seiner Bestimmung zu übergeben. Die Botschaft des Propheten hätte den König veranlassen sollen, Buße zu tun und seine gottlose Absicht, das Volk vom wahren Gottesdienst abzuwenden, aufzugeben. Leider aber verhärtete sich sein Herz, und er beschloß, seinen eigenen Weg zu gehen. PK 70.4
Während des Festes zu Bethel waren die Herzen der Israeliten noch nicht vollkommen erstarrt. Viele blieben für das Wirken des Heiligen Geistes empfänglich. Die anderen, deren Abfall immer raschere Fortschritte machte, wollte der Herr davon abhalten, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen, bis es für sie zu spät wäre. Deshalb sandte er seinen Propheten, um ihre Abgötterei zu unterbrechen und König wie Volk die Folgen dieses Abfalls vor Augen zu führen. Das Zerbersten des Altars war ein Zeichen des Mißfallens Gottes an den in Israel geschehenen Greuel. PK 70.5
Der Herr sucht zu retten, nicht zu zerstören. Seine Freude besteht darin, Sünder selig zu machen. “So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: ich habe kein Gefallen am Tode des Gottlosen.” Hesekiel 33,11. Durch Warnungen und Bitten fordert er die Abtrünnigen auf, ihr sündiges Treiben einzustellen und sich zu ihm zu kehren, damit sie leben. Er verleiht seinen auserwählten Boten heilige Unerschrockenheit, damit alle, die sie hören, erschrecken und zur Umkehr bewegt werden. Mit welcher Festigkeit hat doch der Mann Gottes den König zurechtgewiesen! Sie war aber auch dringend notwendig; denn die bestehenden Übel hätten auf keine andere Weise in die Schranken verwiesen werden können. So stattete der Herr auch diesen seinen Diener mit Unerschrockenheit aus, damit die Zuhörer einen bleibenden Eindruck empfingen. Die Botschafter des Herrn sollten niemals Menschen fürchten, sondern sich standhaft für das Recht einsetzen. Solange sie Gott uneingeschränkt vertrauen, brauchen sie sich vor nichts und niemand zu fürchten; denn der ihnen ihren Auftrag erteilt, versichert sie auch seiner Fürsorge und seines Schutzes. PK 71.1
Als der Prophet seine Botschaft ausgerichtet hatte und weggehen wollte, forderte Jerobeam ihn auf: “Komm mit mir heim und labe dich; ich will dir ein Geschenk geben.” 1.Könige 13,7. “Wenn du mir auch die Hälfte deiner Habe geben wolltest”, erwiderte der Prophet hierauf, “so käme ich doch nicht mir dir; denn ich will an diesem Ort kein Brot essen noch Wasser trinken. Denn das ist mir geboten durch des Herrn Wort: Du sollst kein Brot essen und kein Wasser trinken und nicht den Weg zurückgehen, den du gekommen bist.” 1.Könige 13,8.9. PK 71.2
Für den Propheten wäre es gut gewesen, wenn er seinen Plan, sofort nach Judäa zurückzukehren, ausgeführt hätte. Als er auf einem andern Wege heimreiste, holte ihn ein alter Mann ein. Der gab vor, ebenfalls ein Prophet zu sein, und machte dem Mann Gottes gegenüber falsche Angaben. “Ich bin auch ein Prophet wie du”, erklärte er, “und ein Engel hat zu mir geredet auf das Wort des Herrn hin: Führe ihn wieder mit dir heim, daß er Brot esse und Wasser trinke.” 1.Könige 13,18. Er wiederholte diese Lüge so oft und drängte den anderen so lange, seiner Einladung zu folgen, bis sich der Mann Gottes zur Umkehr überreden ließ. PK 71.3
Weil der wahre Prophet einen Weg einschlug, der der Pflicht zuwiderlief, ließ Gott ihn die Strafe der Übertretung erleiden. Während er noch mit dem, der ihn zur Rückkehr nach Bethel aufgefordert hatte, zu Tische saß, kam der Geist des Allmächtigen über den falschen Propheten, und er rief dem Manne Gottes aus Juda zu: “So spricht der Herr: Weil du dem Mund des Herrn ungehorsam gewesen bist und nicht gehalten hast das Gebot, das dir der Herr, dein Gott, geboten hat, und umgekehrt bist ..., so soll dein Leichnam nicht in deiner Väter Grab kommen.” 1.Könige 13,21.22. PK 72.1
Diese unheilvolle Prophezeiung ging bald buchstäblich in Erfüllung. “Nachdem er gegessen und getrunken hatte, sattelte man für ihn den Esel des Propheten ... Und als er seines Weges zog, fand ihn ein Löwe auf dem Wege und tötete ihn. Und sein Leichnam blieb auf dem Wege liegen, und der Esel stand neben ihm, und der Löwe stand neben dem Leichnam. Und als Leute vorübergingen, sahen sie den Leichnam auf dem Wege liegen ... und sagten es in der Stadt, in der der alte Prophet wohnte. Als das der Prophet hörte, der ihn zurückgeführt hatte, sprach er: Es ist der Mann Gottes, der dem Mund des Herrn ungehorsam gewesen ist.” 1.Könige 13,23-26. PK 72.2
Daß den treulosen Boten diese Strafe ereilt hatte, war ein weiterer Beweis für die Zuverlässigkeit der über den Altar ausgesprochenen Prophezeiung. Denn wäre der Prophet, nachdem er dem Wort des Herrn ungehorsam geworden war, in Sicherheit seines Weges gezogen, so hätte der König diese Tatsache zu dem Versuch benutzt, seinen eigenen Ungehorsam zu rechtfertigen. Der zerborstene Altar, der gelähmte Arm sowie das schreckliche Schicksal dessen, der es gewagt hatte, einem ausdrücklichen Befehl Gottes ungehorsam zu sein, hätten Jerobeam zeigen sollen, wie schnell Gott seinen Unwillen äußert, wenn man sich an ihm vergeht. Diese Strafgerichte hätten ihn davor warnen müssen, im Unrechttun zu beharren. Doch Jerobeam war weit davon entfernt zu bereuen, sondern “fuhr fort, alle beliebigen Leute zu Höhenpriestern zu machen; wer nur immer Lust dazu hatte, den setzte er ein und bestellte ihn zum Höhenpriester”. 1.Könige 13,33 (Menge). Dadurch versündigte sich Jerobeam nicht nur selbst schwer, er hat auch “Israel sündigen gemacht”. 1.Könige 14,16. “Dies geriet zur Sünde dem Hause Jerobeams, so daß es zugrunde gerichtet und von der Erde vertilgt wurde.” 1.Könige 13,34. PK 72.3
Am Ende einer wechselvollen Regierungszeit von zweiundzwanzig Jahren erlitt Jerobeam eine schwere Niederlage im Kriege mit Abia, dem Nachfolger Rehabeams, “so daß Jerobeam keine Macht mehr hatte, solange Abia lebte. Und der Herr schlug ihn, daß er starb.” 2.Chronik 13,20. PK 73.1
Der während der Regierungszeit Jerobeams einsetzende Abfall machte sich immer mehr bemerkbar, bis er schließlich den völligen Untergang des Reiches Israel herbeiführte. Noch vor dem Tode Jerobeams verkündigte Ahia, ein greiser Prophet zu Silo, der viele Jahre zuvor die Thronbesteigung Jerobeams vorausgesagt hatte: “Der Herr wird Israel schlagen, daß es schwankt, wie das Rohr im Wasser bewegt wird, und wird Israel ausreißen aus diesem guten Lande, das er ihren Vätern gegeben hat, und wird sie zerstreuen jenseits des Euphrat, weil sie sich Ascherabilder gemacht haben, die den Herrn erzürnen. Und er wird Israel dahingeben um der Sünden Jerobeams willen, der da gesündigt hat und Israel sündigen gemacht hat.” 1.Könige 14,15.16. PK 73.2
Doch der Herr gab das Volk Israel nicht auf, ohne vorher alles getan zu haben, es in sein Treueverhältnis zu ihm zurückzuführen. Lange, finstere Jahre hindurch trotzte ein Herrscher nach dem andern frech dem Himmel und führte Israel immer tiefer in den Götzendienst hinein. Dennoch sandte Gott seinem abtrünnigen Volk Botschaft auf Botschaft. Durch seine Propheten bot er ihm jede nur denkbare Möglichkeit, die Flut des Abfalls aufzuhalten und zu ihm zurückzukehren. In den Jahren nach der Teilung des Reiches sollten Elia und Elisa leben und wirken, ferner sollten die liebevollen Aufforderungen eines Hosea, eines Amos und eines Obadja im Lande vernommen werden. Das Reich Israel blieb niemals ohne aufrichtigen Zeugen der Macht Gottes, die von Sünden zu erretten vermag. Selbst in den dunkelsten Zeiten sollte noch ein Überrest dem göttlichen Herrscher treu bleiben und inmitten des Götzendienstes untadelig vor dem heiligen Gott leben. Diese Getreuen sollten zu den guten Wenigen gehören, die den ewigen Ratschluß Gottes zuletzt erfüllen würden. PK 73.3