Propheten und Könige

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Kapitel 35: Das Gericht naht

In den ersten Jahren der Regierung Jojakims häuften sich die Warnungen vor dem drohenden Gericht. Gottes Wort, das die Propheten verkündet hatten, stand unmittelbar vor der Erfüllung. Die assyrische Macht im Norden, lange Zeit die erste unter den Völkern, sollte sie nicht länger beherrschen. Ägypten im Süden, auf dessen Stärke der König von Juda vergeblich seine Hoffnung gesetzt hatte, sollte bald eine entscheidende Niederlage erleiden. Völlig unerwartet stieg im Osten eine neue Weltmacht, das babylonische Reich, empor und stellte bald alle anderen Völker in den Schatten. PK 296.1

Binnen weniger Jahre sollte der König von Babylon als Werkzeug des Zornes Gottes über das unbußfertige Juda benutzt werden. Immer wieder sollten die Belagerungsarmeen Nebukadnezars Jerusalem belagern und endlich erobern. Schar auf Schar — zuerst waren es nur wenige, später jedoch Tausende und Zehntausende — sollten die Juden gefangen ins Land Sinear geführt werden und dort in der Verbannung leben. Die jüdischen Könige Jojakim, Jojachin und Zedekia sollten nacheinander Vasallen des babylonischen Herrschers werden und sich gegen ihn auflehnen. Immer stärkere Züchtigungen sollten über die aufrührerische Nation verhängt werden, bis schließlich das ganze Land zur Einöde würde. Jerusalem sollte verwüstet und verbrannt werden; das Königreich Juda sollte zu Fall kommen und nie wieder seine frühere Stellung unter den Völkern der Erde einnehmen können. PK 296.2

Kennzeichnend für jene wechselvollen, für die Israeliten gefährlichen Zeiten waren die vielen göttlichen Botschaften, die Jeremia ihnen überbrachte. So bot der Herr den Kindern Judas reichlich Gelegenheit, sich von den verstrickenden Bündnissen mit Ägypten zu befreien und den Streit mit den Herrschern Babylons zu vermeiden. Als die angedrohte Gefahr näherrückte, belehrte er sie durch eine Reihe gleichnishafter Handlungen, wobei er hoffte, in ihnen ein Gefühl für ihre Verpflichtung gegenüber Gott zu wecken und sie ferner zu veranlassen, freundliche Beziehungen zur babylonischen Regierung zu unterhalten. PK 296.3

Um die Wichtigkeit bedingungslosen Gehorsams gegen die Forderungen Gottes zu veranschaulichen, versammelte Jeremia einige Rechabiter in einer Kammer des Tempels, setzte ihnen Wein vor und forderte sie auf zu trinken. Wie zu erwarten war, traf er auf Widerspruch und entschiedene Ablehnung. “Wir trinken keinen Wein”, erklärten die Rechabiter; “denn unser Vater Jonadab, der Sohn Rechabs, hat uns geboten: Ihr und eure Nachkommen sollt niemals Wein trinken.” Jeremia 35,6. PK 297.1

“Da geschah des Herrn Wort zu Jeremia: So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels: Geh hin und sprich zu den Männern von Juda und zu den Bürgern von Jerusalem: Wollt ihr euch denn nicht bessern und meinen Worten gehorchen? spricht der Herr. Die Worte Jonadabs, des Sohnes Rechabs, der seinen Nachkommen geboten hat, daß sie keinen Wein trinken sollen, werden gehalten, und sie trinken keinen Wein bis auf diesen Tag; denn sie gehorchen ihres Vaters Gebot.” Jeremia 35,12-14. PK 297.2

So stellte Gott den scharfen Gegensatz zwischen dem Gehorsam der Rechabiter und dem Ungehorsam und der Auflehnung seines Volkes heraus. Die Rechabiter hatten der Weisung ihres Stammvaters gehorcht und ließen sich auch jetzt nicht zur Übertretung verführen. Die Männer Judas dagegen hatten nicht auf die Worte des Herrn gehört und mußten infolgedessen bald seine strengsten Strafgerichte erleiden. PK 297.3

“Ich aber habe euch immer wieder predigen lassen”, sagte der Herr, “doch gehorchtet ihr mir nicht. Ich habe auch immer wieder alle meine Knechte, die Propheten, zu euch gesandt und sagen lassen: Kehrt um, ein jeder von seinem bösen Wege, und bessert euer Tun und folgt nicht andern Göttern nach, ihnen zu dienen, so sollt ihr in dem Lande bleiben, das ich euch und euren Vätern gegeben habe. Aber ihr wolltet eure Ohren nicht zu mir kehren und mir nicht gehorchen. Ja, die Nachkommen Jonadabs, des Sohnes Rechabs, haben ihres Vaters Gebot gehalten, das er ihnen geboten hat. Aber dies Volk gehorcht mir nicht! Darum spricht der Herr, der Gott Zebaoth, der Gott Israels: Siehe, ich will über Juda und über alle Bürger Jerusalems kommen lassen all das Unheil, das ich gegen sie geredet habe, weil ich zu ihnen redete und sie nicht hören wollten, weil ich rief und sie mir nicht antworten wollten.” Jeremia 35,14-17. PK 297.4

Wenn die Menschen durch das Drängen des Heiligen Geistes erweicht und bezwungen sind, werden sie sich raten lassen; kehren sie jedoch der Ermahnung den Rücken, bis ihre Herzen verhärtet sind, läßt der Herr es zu, daß sie von anderen Einflüssen gelenkt werden. Lehnen sie die Wahrheit ab, dann nehmen sie die Lüge an, und die wird ihnen zu einem Fallstrick, in dem sie umkommen. PK 298.1

Gott hatte die Juden angefleht, ihn nicht zum Zorn zu reizen, sie aber hatten ihm kein Gehör geschenkt. Schließlich wurde das Urteil über sie gesprochen. Sie sollten gefangen nach Babylon verschleppt werden. Die Chaldäer wollte Gott als das Werkzeug benutzen, mit dem er sein ungehorsames Volk züchtigen wollte. Die Leiden der Juden sollten der Erkenntnis entsprechen, die sie besessen, und auch den Warnungen, die sie verachtet und zurückgewiesen hatten. Lange hatte Gott seine Strafgerichte hinausgeschoben, aber nun sollte sein Unwille über sie kommen — als letzter Versuch, sie auf ihrem bösen Weg aufzuhalten. PK 298.2

Über das Geschlecht der Rechabiter wurde ein unaufhörlicher Segen ausgesprochen. Der Prophet verkündete: “Weil ihr dem Gebot eures Vaters Jonadab gehorcht habt und alle seine Gebote gehalten und alles getan, was er euch geboten hat, darum spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels: Es soll dem Jonadab, dem Sohn Rechabs, niemals an einem Manne fehlen, der vor mir steht.” Jeremia 35,18.19. So belehrte Gott sein Volk, daß Treue und Gehorsam als Segen auf Juda genauso zurückfallen würden wie auf die Rechabiter, die dafür gesegnet wurden, daß sie dem Gebot ihres Vaters gehorchten. PK 298.3

Diese Lehre gilt auch uns. Wenn die Forderungen eines guten, verständigen Vaters, der die besten und wirksamsten Mittel anwandte, um seine Nachkommen vor den schädlichen Folgen der Unmäßigkeit zu bewahren, strikten Gehorsam wert waren, wieviel höheres Ansehen verdient dann Gott, der doch durch seine Heiligkeit weit über den Menschen steht. Unser Schöpfer und Gebieter, dessen Macht unendlich und dessen Gericht schrecklich ist, möchte die Menschen auf jede Weise dazu bewegen, daß sie ihre Sünden erkennen und bereuen. Durch den Mund seiner Diener sagt er die Gefahren des Ungehorsams voraus; er erteilt seine Warnungen und tadelt getreulich die Sünde. Nur durch seine Gnade, nur durch die wachsame Fürsorge seiner auserwählten Werkzeuge kann sein Volk gedeihen. Ein Volk, das seinen Rat verwirft und seine Zurechtweisung verachtet, kann er nicht stützen und beschützen. Eine Zeitlang mag er seine Strafgerichte zurückhalten, doch kann er die Strafe nicht ständig aufschieben. PK 298.4

Von den Kindern Judas hatte Gott gesagt: “Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.” 2.Mose 19,6. Nie verlor Jeremia bei seinem Amt die lebenswichtige Bedeutung eines geheiligten Herzens für die unterschiedlichen Dinge des Alltags und — vor allem — im Dienst für den Allerhöchsten aus den Augen. Deutlich sah er den Sturz des Königreichs und die Zerstreuung der Juden unter die Völker voraus; aber im Glauben schaute er über all dies hinweg, auch über die Zeiten der Wiederherstellung. Er vernahm die göttliche Verheißung: “Ich will die Übriggebliebenen meiner Herde sammeln aus allen Ländern, wohin ich sie verstoßen habe, und will sie wiederbringen zu ihren Weideplätzen ... Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, daß ich dem David einen gerechten Sproß erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein: ‘Der Herr, unsere Gerechtigkeit!’” Jeremia 23,3-6. PK 299.1

So waren Weissagungen über das hereinbrechende Gericht mit Verheißungen über die schließliche herrliche Errettung vermischt. Wer seinen Frieden mit Gott machen und in einer Welt des Abfalls ein heiliges Leben führen wollte, sollte Stärke für jede Prüfung erhalten und befähigt werden, machtvoll für ihn zeugen zu können. Die künftige Errettung der Kinder Israel sollte noch ruhmreicher sein als die zur Zeit des Auszugs. Der Herr verkündete durch seinen Propheten, daß die Tage kommen sollten, “daß man nicht mehr sagen wird: ‘So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel aus Ägyptenland geführt hat!’, sondern: ‘So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.’ Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.” Jeremia 23,7.8. So lauteten die wunderbaren Weissagungen, die Jeremia in den letzten Jahren des Königreichs Juda verkündete, als die Babylonier die Weltherrschaft antraten und ihre Belagerungsarmeen gegen die Mauern Zions heranführten. PK 299.2

Wie liebliche Musik klangen diese Verheißungen der Errettung in den Ohren derer, die in ihrer Anbetung des Herrn unerschütterlich geblieben waren. In allen Familien hohen und niedrigen Standes, in denen man die Ratschläge des bundestreuen Gottes noch in Ehren hielt, wurden die Worte des Propheten ständig wiederholt. Selbst die Kinder waren von ihnen so mächtig bewegt, daß sie in ihren jungen und aufnahmefähigen Gemütern bleibende Eindrücke hinterließen. PK 300.1

Gerade die gewissenhafte Beobachtung der Gebote der Heiligen Schrift bot Daniel und seinen Gefährten in den Tagen Jeremias Gelegenheit, den wahren Gott vor den Völkern der Erde zu verherrlichen. Der Unterricht, den diese hebräischen Kinder in den Heimen ihrer Eltern erhalten hatten, ließ sie in ihrem Glauben und ihrem Dienst für den lebendigen Gott, den Schöpfer Himmels und der Erden, beständig sein. Als Nebukadnezar in den ersten Regierungsjahren Jojakims Jerusalem zum ersten Male belagerte, eroberte und Daniel und seine Gefährten mit andern für den Dienst am Hofe zu Babylon Ausgesuchten wegführte, wurde der Glaube der hebräischen Gefangenen außergewöhnlich geprüft. Wer aber gelernt hatte, auf die Verheißungen Gottes zu bauen, fand in ihnen volles Genüge in allen Erfahrungen, durch die er während des Aufenthaltes im fremden Land gehen mußte. Die Heilige Schrift bewährte sich für ihn als Richtschnur und Stütze. PK 300.2

Als Deuter der Gerichte, die nun über Juda hereinbrachen, verteidigte Jeremia eindrucksvoll die Gerechtigkeit Gottes und seine barmherzigen Absichten auch bei strengsten Zurechtweisungen. Der Prophet wirkte unermüdlich. Um alle Volksklassen zu erreichen, dehnte er seinen Einfluß über Jerusalem hinaus in die umliegenden Bezirke aus und besuchte häufig verschiedene Teile des Königreichs. PK 300.3

In seinen Zeugnissen für die Gemeinde verwies Jeremia ständig auf die Lehren im Buche des Gesetzes, das während der Regierung Josias so sehr geehrt und gepriesen worden war. Erneut betonte er, wie wichtig es sei, den Bund mit dem allbarmherzigen und mitleidsvollen Gott aufrechtzuerhalten, der auf dem Gipfel des Sinai die Richtschnur der Zehn Gebote verkündet hatte. Jeremias warnende und flehende Worte erreichten jeden Teil des Königreichs, so daß alle Bewohner Gelegenheit hatten, die Absicht Gottes mit seinem Volk zu erfahren. PK 300.4

Der Prophet erläuterte die Tatsache, daß unser himmlischer Vater seine Gerichte hereinbrechen läßt, damit “die Heiden erkennen, daß sie Menschen sind”. Psalm 9,21. Der Herr hatte sein Volk im voraus gewarnt: “Wenn ihr mir zuwiderhandelt und mich nicht hören wollt, so will ich euch ... unter die Völker zerstreuen und mit gezücktem Schwert hinter euch her sein, daß euer Land soll wüst sein und eure Städte zerstört.” 3.Mose 26,21.33. PK 301.1

Gerade zu dem Zeitpunkt, als den Fürsten und dem Volk Botschaften des drohenden Untergangs nahegebracht wurden, verbrachte ihr Herrscher Jojakim seine Zeit mit selbstsüchtigen Vergnügungen. Er hätte ein weiser geistlicher Fürst sein sollen — im Bekenntnis seiner Sünden, in reformatorischen Bestrebungen und in guten Werken allen andern voran. Doch er nahm sich vor: “Ich will mir ein großes Haus bauen und weite Gemächer.” Und dieses Haus, das er “mit Zedern täfeln und rot malen” (Jeremia 22,14) ließ, wurde mit Geld und Arbeitskraft erbaut, die er durch Betrug und Unterdrückung beschafft hatte. PK 301.2

Dies erregte den Zorn des Propheten, und der Geist Gottes trieb ihn, dem unredlichen Herrscher das Gericht anzudrohen. “Weh dem, der sein Haus mit Sünden baut und seine Gemächer mit Unrecht”, rief er aus, “der seinen Nächsten umsonst arbeiten läßt und gibt ihm seinen Lohn nicht ... Meinst du, du seiest König, weil du mit Zedern prangst? Hat dein Vater nicht auch gegessen und getrunken und hielt dennoch auf Recht und Gerechtigkeit, und es ging ihm gut? Er half dem Elenden und Armen zum Recht, und es ging ihm gut. Heißt dies nicht, mich recht erkennen? spricht der Herr. Aber deine Augen und dein Herz sind auf nichts anderes aus als auf unrechten Gewinn und darauf, unschuldig Blut zu vergießen, zu freveln und zu unterdrücken. PK 301.3

Darum spricht der Herr über Jojakim, den Sohn Josias, den König von Juda: Man wird ihn nicht beklagen: ‘Ach, Bruder! Ach, Schwester!’ Man wird ihn nicht beklagen: ‘Ach, Herr! Ach, Edler!’ Er soll wie ein Esel begraben werden, fortgeschleift und hinausgeworfen vor die Tore Jerusalems.” Jeremia 22,13-19. PK 301.4

Innerhalb weniger Jahre sollte Jojakim von diesem schrecklichen Gericht heimgesucht werden. Aber vorher unterrichtete der Herr in seiner Gnade die unbußfertige Nation über sein Vorhaben. Im vierten Jahr der Herrschaft Jojakims sprach “der Prophet Jeremia ... zu dem ganzen Volk von Juda und zu allen Bürgern Jerusalems” und wies darauf hin, daß er über zwanzig Jahre, “vom dreizehnten Jahr des Josia ... bis auf diesen Tag” (Jeremia 25,2.3), von Gottes Retterwillen Zeugnis abgelegt habe; seine Botschaften seien jedoch verachtet worden. Nun laute das Wort des Herrn an sie: “Darum spricht der Herr Zebaoth: Weil ihr denn meine Worte nicht hören wollt, siehe, so will ich ausschicken und kommen lassen alle Völker des Nordens, spricht der Herr, auch meinen Knecht Nebukadnezar, den König von Babel, und will sie bringen über dies Land und über seine Bewohner und über alle diese Völker ringsum und will an ihnen den Bann vollstrecken und sie zum Bild des Entsetzens und zum Spott und zur ewigen Wüste machen und will wegnehmen allen fröhlichen Gesang, die Stimme des Bräutigams und der Braut, das Geräusch der Mühle und das Licht der Lampe, so daß dies ganze Land wüst und zerstört liegen soll. Und diese Völker sollen dem König von Babel dienen siebzig Jahre.” Jeremia 25,8-11. PK 301.5

Obwohl das Vernichtungsurteil unmißverständlich verkündet wurde, begriffen die Massen seine entsetzliche Tragweite kaum. Um sie tiefer zu beeindrucken, versuchte der Herr die Bedeutung seiner Worte zu veranschaulichen. Er forderte Jeremia auf, das Schicksal des Volkes mit dem Leeren eines Bechers zu vergleichen, der mit göttlichem Zorneswein angefüllt sei. Zu den ersten, die aus diesem Leidenskelch trinken sollten, gehörten “Jerusalem, die Städte Judas, ihre Könige und Fürsten”. Andere sollten an diesem Becher teilhaben — “Pharao”, der “König von Ägypten, mit seinen Großen und mit seinen Fürsten, mit seinem ganzen Volk”, sowie viele andere Erdenvölker —, bis Gottes Absicht erfüllt sei. Jeremia 25,17-29. PK 302.1

Um die Art der rasch nahenden Strafgerichte weiter zu veranschaulichen, wurde der Prophet aufgefordert: “Nimm mit etliche von den Ältesten des Volks und von den Ältesten der Priester und geh hinaus ins Tal Ben-Hinnom”. Dort sollte er, nach einer Rückschau auf den Abfall Judas, “einen irdenen Krug vom Töpfer” zerschmettern und im Namen des Herrn, dessen Diener er war, verkünden: “Wie man eines Töpfers Gefäß zerbricht, daß es nicht wieder ganz werden kann, so will ich dies Volk und diese Stadt zerbrechen.” Jeremia 19,1.2.10.11. PK 302.2

Der Prophet tat, wie ihm befohlen war. Als er dann in die Stadt zurückgekehrt war, stellte er sich in den Tempelhof und erklärte in Gegenwart des ganzen Volkes: “So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels: Siehe, ich will über diese Stadt und über alle ihre Ortschaften all das Unheil kommen lassen, das ich gegen sie geredet habe, weil sie halsstarrig sind und meine Worte nicht hören wollen.” Jeremia 19,15. PK 303.1

Statt zum Sündenbekenntnis und zur Reue zu führen, erregten die Worte des Propheten den Zorn der Machthaber. Das Ergebnis war: Jeremia wurde seiner Freiheit beraubt. Eingekerkert und in den Stock gespannt, fuhr der Prophet dennoch fort, denen, die bei ihm standen, die Botschaften des Himmels zu verkündigen. Seine Stimme konnte durch Verfolgung nicht zum Schweigen gebracht werden. Das Wort der Wahrheit, so sagte er, “ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, daß ich’s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.” Jeremia 20,9. PK 303.2

Um diese Zeit befahl der Herr dem Propheten Jeremia, die Botschaften niederzuschreiben, die er denen mitteilen wollte, für deren Rettung sein mitleidiges Herz unablässig schlug. “Nimm eine Schriftrolle”, forderte der Herr seinen Diener auf, “und schreibe darauf alle Worte, die ich zu dir geredet habe über Israel, über Juda und alle Völker von der Zeit an, da ich zu dir geredet habe, nämlich von der Zeit Josias an bis auf diesen Tag. Vielleicht wird das Haus Juda, wenn sie hören von all dem Unheil, das ich ihnen zu tun gedenke, sich bekehren, ein jeder von seinem bösen Wege, damit ich ihnen ihre Schuld und Sünde vergeben kann.” Jeremia 36,2.3. PK 303.3

Jeremia gehorchte dieser Weisung und rief einen treuen Freund, Baruch den Schreiber, zu Hilfe. Ihm diktierte er “alle Worte des Herrn, die er zu Jeremia geredet hatte”. Jeremia 36,4. Sie wurden sorgfältig auf eine Pergamentrolle geschrieben und bildeten nun eine ernste Verurteilung der Sünde, eine Warnung vor den sicheren Folgen ständigen Abfalls und einen dringenden Aufruf zur Ablehnung alles Bösen. PK 303.4

Als die Aufzeichnung vollendet war, sandte Jeremia, der noch Gefangener war, Baruch aus, die Schriftrolle der Menge vorzulesen, die sich aus Anlaß eines nationalen Fastentages “im fünften Jahre Jojakims, des Sohnes Josias, des Königs von Juda, im neunten Monat” beim Tempel versammelt hatte. Der Prophet begründete dies mit den Worten: “Vielleicht werden sie sich mit Beten vor dem Herrn demütigen und sich bekehren, ein jeder von seinem bösen Wege; denn der Zorn und Grimm ist groß, den der Herr diesem Volk angedroht hat.” Jeremia 36,9.7. PK 303.5

Der Schreiber Baruch gehorchte, und “las aus der Schriftrolle ... vor dem ganzen Volk”. Jeremia 36,10. Danach wurde er vor die Fürsten gerufen, damit er auch ihnen die Worte vorlese. Sie lauschten mit großem Interesse und versprachen, den König über alles Gehörte zu unterrichten; sie rieten jedoch dem Schreiber, sich zu verbergen, denn sie fürchteten, der König werde das Zeugnis verwerfen und die zu töten suchen, die die Botschaft vorbereitet und übermittelt hatten. PK 304.1

Die Fürsten erzählten also dem König Jojakim, was Baruch vorgelesen hatte. Daraufhin ordnete er an, sofort die Buchrolle vor ihn zu bringen und in seiner Gegenwart zu verlesen. Ein königlicher Diener namens Judi holte die Rolle und begann, die Worte des Tadels und der Warnung zu verlesen. Es war Winterzeit. Der König und seine Staatsmänner, die Fürsten Judas, saßen um ein offenes Feuer. “Wenn aber Judi drei oder vier Spalten gelesen hatte, schnitt” der König — weit davon entfernt, wegen der ihm und seinem Volk drohenden Gefahr zu erzittern — in einem Wutanfall “sie ab mit einem Schreibmesser und warf sie ins Feuer, das im Kohlenbecken war, bis die Schriftrolle ganz verbrannt war.” Jeremia 36,23. PK 304.2

Weder der König noch seine Fürsten erschraken darüber. “Und niemand ... zerriß seine Kleider.” Obwohl einige Fürsten den König dringend baten, “er möge die Schriftrolle nicht verbrennen, hörte er nicht auf sie”. Nachdem die Schrift vernichtet worden war, richtete sich der Zorn des gottlosen Königs gegen Jeremia und Baruch, und er sandte nach ihnen, um sie zu verhaften: “Aber der Herr hatte sie verborgen.” Jeremia 36,24-26. PK 304.3

Gott hatte die Anbeter im Tempel, die Fürsten und den König auf die in der Buchrolle enthaltenen Ermahnungen aufmerksam gemacht, um auf diese Weise die Menschen in Juda gnädig auf ihr eigenes Wohl hinzuweisen. “Vielleicht wird das Haus Juda, wenn sie hören von all dem Unheil, das ich ihnen zu tun gedenke, sich bekehren, ein jeder von seinem bösen Wege, damit ich ihnen ihre Schuld und Sünde vergeben kann.” Jeremia 36,3. Gott hat Mitleid mit den Menschen, die sich in der Verblendung ihrer Verderbtheit abquälen. Er möchte ihr getrübtes Verständnis dadurch erleuchten, daß er Zurechtweisungen und Drohungen sendet, damit auch die Hochgestellten ihre Unwissenheit spüren und ihre Irrtümer beklagen. Er bemüht sich, den Selbstgefälligen zu helfen, damit sie kein Gefallen an ihren eitlen Errungenschaften finden, sondern durch eine enge Verbindung mit dem Himmel geistliche Segnungen erstreben. PK 304.4

Gott will keine Boten senden, die den Sündern schmeicheln und nach dem Munde reden; er läßt keine Friedensbotschaften verkündigen, um durch sie ungeheiligte Menschen in vermeintliche Sicherheit zu wiegen. Statt dessen legt er dem Gewissen des Sünders schwere Bürden auf und durchbohrt sein Inneres mit den scharfen Pfeilen des Schuldbewußtseins. Dienstbereite Engel führen ihm die furchtbaren Gerichte Gottes vor Augen, um das Gefühl für seine Not zu vertiefen und ihn zu dem Ruf zu veranlassen: “Was soll ich tun, daß ich gerettet werde?” Apostelgeschichte 16,30. Aber die Hand, die bis in den Staub erniedrigt, Sünde straft sowie Stolz und Ehrgeiz zuschanden macht, richtet zugleich auch den Reuigen und Wundgeschlagenen wieder auf. Mit tiefstem Mitgefühl fragt derselbe, der die Züchtigung ergehen ließ: “Was willst du, das ich dir tun soll?” PK 305.1

Wenn der Mensch gegen den heiligen und barmherzigen Gott gesündigt hat, kann er nichts Besseres tun, als aufrichtig zu bereuen und seine Fehler weinend und zerknirscht zu bekennen. Gott erwartet es von ihm; er nimmt nur ein zerbrochenes Herz und einen reumütigen Geist an. König Jojakim und seine Adligen wiesen jedoch vor lauter Hochmut und Stolz die Einladung Gottes zurück. Sie wollten sich nicht warnen lassen und wollten auch nicht bereuen. Sie verbrannten die heilige Buchrolle und ließen damit ihre letzte gnädige Gelegenheit, die Gott ihnen anbot, ungenutzt verstreichen. Falls sie seine Stimme mißachteten, so hatte Gott erklärt, würde er sie schrecklich heimsuchen. Tatsächlich lehnten sie es ab, auf ihn zu hören. Daraufhin verkündigte er seine endgültige Gerichtsentscheidung über Juda. Sein besonderer Zorn werde den Mann treffen, der sich stolz gegen den Allmächtigen erhoben hatte. PK 305.2

“Darum spricht der Herr über Jojakim, den König von Juda: Es soll keiner von den Seinen auf dem Thron Davids sitzen, und sein Leichnam soll hingeworfen liegen, am Tag in der Hitze und nachts im Frost. Und ich will ihn und seine Nachkommen und seine Großen heimsuchen um ihrer Schuld willen, und ich will über sie und über die Bürger Jerusalems und über die in Juda kommen lassen all das Unheil, von dem ich zu ihnen geredet habe.” Jeremia 36,30.31. PK 305.3

Mit dem Verbrennen der Buchrolle war die Angelegenheit nicht zu Ende. Die geschriebenen Worte konnte man leichter beseitigen als die Zurechtweisungen und Warnungen, die sie enthielten, und als das schnell herannahende Strafgericht, das Gott über das aufrührerische Israel ausgesprochen hatte. Aber sogar die Buchrolle wurde neu erstellt: “Nimm dir eine neue Schriftrolle”, befahl der Herr seinem Diener, “und schreibe auf sie alle vorigen Worte, die auf der ersten Schriftrolle standen, die Jojakim, der König von Juda, verbrannt hat.” Jeremia 36,28. Die Niederschrift der Weissagungen über Juda und Jerusalem war zwar zu Asche geworden, aber die Worte lebten weiter “wie ein brennendes Feuer” im Herzen Jeremias, und der Prophet durfte neu schaffen, was menschliche Wut am liebsten vernichtet hätte. PK 306.1

“Da nahm Jeremia eine andere Schriftrolle und gab sie Baruch ... Der schrieb darauf, so wie ihm Jeremia vorsagte, alle Worte, die auf der Schriftrolle gestanden hatten, die Jojakim, der König von Juda, im Feuer hatte verbrennen lassen; und es wurden zu ihnen noch viele ähnliche Worte hinzugetan.” Jeremia 36,32. Menschlicher Zorn hatte die Arbeit des Propheten zu vereiteln gesucht; aber gerade die Mittel, mit denen Jojakim den Einfluß des Knechtes Gottes hatte einschränken wollen, boten eine weitere Möglichkeit, Gottes Forderungen klar herauszustellen. PK 306.2

Dieser Geist der Auflehnung gegen einen Tadel, der zur Verfolgung und Einkerkerung Jeremias führte, lebt auch heute. Viele weigern sich, wiederholte Warnungen zu beachten, und lauschen lieber falschen Lehrern, weil diese ihrer Eitelkeit schmeicheln, falsches Tun aber übersehen. In Zeiten des Unglücks werden solche Menschen keine sichere Zuflucht haben, und Gott wird ihnen nicht helfen. Seine Diener sollten den Versuchungen und Leiden, die infolge von Vorwürfen, Geringschätzung und Verdrehung ihrer Worte über sie kommen würden, mutig und geduldig begegnen und weiterhin treulich das Werk tun, das Gott ihnen aufgetragen hat. Dabei sollten sie immer daran denken, daß auch die Propheten vor alters sowie der Erlöser der Welt und seine Apostel Schmähung und Verfolgung um des Wortes willen erduldet haben. PK 306.3

Gott wollte eigentlich, daß Jojakim die Ratschläge Jeremias beherzigte. Dadurch hätte er Nebukadnezars Gunst erlangt und sich selbst viel Kummer erspart. Der junge König hatte ja dem babylonischen Herrscher den Lehenseid geschworen. Wäre er darin treu geblieben, hätte er die Achtung des Heiden gewonnen. Dies wiederum hätte wertvolle Gelegenheiten zur Bekehrung von Menschen geboten. PK 307.1

Judas König verachtete jedoch die außergewöhnlichen Möglichkeiten, die ihm geboten wurden und verfolgte hartnäckig seinen eigenen Weg. Er brach sein Ehrenwort dem babylonischen Herrscher gegenüber und lehnte sich gegen ihn auf. Dadurch gerieten er und sein Königreich in große Schwierigkeiten. “Scharen von Kriegsleuten ... aus Chaldäa, aus Aram, aus Moab und aus Ammon” (2.Könige 24,2) wurden gegen ihn entsandt, er aber konnte sein Land nicht davor bewahren, von diesen Räuberheeren überrannt zu werden. Schon nach wenigen Jahren beschloß er seine unselige Herrschaft in Schimpf und Schande, vom Himmel verworfen, bei seinem Volk ungeliebt und von den Herrschern Babylons verachtet, deren Vertrauen er mißbraucht hatte. All das war die Folge seines verhängnisvollen Fehlers, sich von dem abzuwenden, was Gott beabsichtigt und durch seinen erwählten Boten geoffenbart hatte. PK 307.2

Jojachin (auch unter dem Namen Jechonja und Konja bekannt), der Sohn Jojakims, hatte die Herrscherwürde nur drei Monate und zehn Tage inne. Dann ergab er sich den chaldäischen Heeren, welche die untergangsgeweihte Stadt erneut belagerten, weil sich auch dieser König Judas aufgelehnt hatte. Bei dieser Gelegenheit führte Nebukadnezar Jojachin in die Gefangenschaft nach Babylon, ebenso “die Mutter des Königs, die Frauen des Königs und seine Kämmerer; dazu die Mächtigen im Lande”, ferner “von den besten Leuten siebentausend und von den Zimmerleuten und Schmieden tausend”. Zugleich mit ihnen nahm der König von Babylon “alle Schätze im Hause des Herrn und im Hause des Königs” weg. 2.Könige 24,15.16.13. PK 307.3

Dennoch durfte das Königreich Juda, das in seiner Macht gebrochen und seiner Stärke an Menschen und Finanzkraft beraubt war, immer noch als besondere Regierungsprovinz weiterbestehen. An ihre Spitze stellte Nebukadnezar den Matthanja, einen jüngeren Sohn Josias, und änderte dessen Namen um in Zedekia. PK 307.4