Frühe Schriften von Ellen G. White

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Kapitel 23: Die erste Engelsbotschaft1

Ich sah, daß Gott im Jahr 1843 mit der Verkündigung des Zeitpunktes von Daniel 8,14 einverstanden war. Es war seine Absicht, das Volk zu erwecken und zur Entscheidung für oder gegen die Wahrheit zu bringen. Prediger wurden von der Richtigkeit des Verständnisses der prophetischen Zeitperioden überzeugt. Manche entsagten ihrem Stolz, gaben ihr Gehalt und ihre Kirchen auf, um von Ort zu Ort zu gehen und die Botschaft zu verkündigen. Aber als nur wenige der bekenntlichen Diener Christi die Botschaft vom Himmel annahmen, wurde das Werk auf viele andere gelegt, die keine Prediger waren. Etliche verließen ihre Felder, um die Botschaft zu verkündigen, während andere aus ihren Geschäften und Läden berufen wurden. Selbst manche beruflich gut ausgebildete Männer fühlten sich genötigt, ihre berufliche Position aufzugeben, in das unpopuläre Werk einzutreten und die erste Engelsbotschaft zu verkündigen. FS 218.1

Prediger legten ihre sektiererischen Ansichten und Gefühle beiseite und vereinigten sich, um die Wiederkunft Jesu zu verkündigen. Wohin die Botschaft auch drang, bewegte sie das Volk. Sünder bereuten, weinten und baten um Vergebung, und solche, deren Leben durch Unehrlichkeit befleckt war, waren ernstlich bemüht, Wiedergutmachung zu leisten. Eltern fühlten eine besondere Verantwortung für ihre Kinder. Die die Botschaft annahmen, arbeiteten mit ihren unbekehrten Freunden und Verwandten. Sie waren von der Last der ernsten Botschaft gebeugt und warnten und baten andere, sich auf das Kommen des Menschensohnes vorzubereiten. Nur die allerverhärtetsten Menschen konnten solche von Herzen kommende, gewichtige Warnungen unbeachtet lassen. Dieses seelenreinigende Werk wandte die Neigungen der Menschen von weltlichen Dingen ab und einer nie zuvor erfahrenen Heiligung zu. FS 218.2

Tausende gewannen die von William Miller verkündigte Botschaft lieb. Knechte Gottes erhoben sich im Geist und in der Kraft des Elia, um die Botschaft zu verkündigen. Wie Johannes, der Vorläufer Jesu, fühlten sich die, die diese feierliche Botschaft predigten, gedrungen, die Axt dem Baum an die Wurzel zu legen und die Menschen zu ermahnen, rechtschaffene Früchte der Buße zu bringen. Ihr Zeugnis war dazu geeignet, die Kirchen aufzurütteln und mächtig anzugreifen und ihren wahren Charakter zu offenbaren. Und als die ernste Warnung erging, dem zukünftigen Zorn zu entfliehen, nahmen viele, die in den Kirchen waren, die versöhnende Botschaft an. Sie sahen ihren Rückfall ein, und mit bitteren Tränen der Reue und in tiefer Seelenangst demütigten sie sich vor Gott. Als der Geist Gottes auf ihnen ruhte, stimmten sie mit ein in den Ruf: “Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre, denn die Zeit seines Gerichts ist gekommen!” Offenbarung 14,7. FS 219.1

Die Verkündigung eines bestimmten Zeitpunkts der Wiederkunft Christi rief in allen Kreisen großen Widerstand hervor, von dem Prediger auf der Kanzel bis herab zu dem sorglosesten, den Himmel herausfordernden Sünder. “Niemand weiß den Tag noch die Stunde”, hörte man die heuchlerischen Prediger und den frechen Spötter sagen. Sie wollten nicht von denen belehrt und zurechtgewiesen werden, die auf das Jahr hinwiesen, in dem nach ihrem Glauben die prophetischen Zeitperioden zu Ende gingen, und auf die Zeichen der Zeit verwiesen, die zeigten, daß Christus nahe war, ja, vor der Tür stand. Viele Hirten der Herde, die bekannten, Jesus zu lieben, sagten, daß sie nichts gegen die Verkündigung des Kommens Christi hätten, sich aber gegen die festgesetzte Zeit wendeten. Gottes allsehendes Auge las in ihren Herzen. Sie wußten, daß ihr unchristliches Leben die Prüfung nicht bestehen würde, denn sie wandelten nicht auf dem von Gott vorgezeichneten Weg der Demut. Diese falschen Hirten standen dem Werk Gottes im Weg. Die mit überzeugender Macht gesprochene Wahrheit rüttelte das Volk auf, und die Menschen begannen gleich dem Kerkermeister zu fragen: “Was muß ich tun, daß ich gerettet werde?” Apostelgeschichte 16,30.31. Aber diese Hirten traten zwischen die Wahrheit und das Volk und predigten ihnen sanfte Dinge, um sie von der Wahrheit abzubringen. Sie taten sich mit Satan und seinen Engeln zusammen und riefen: “Friede, Friede!” und war doch kein Friede. Solche, die ihre Bequemlichkeit liebten und damit zufrieden waren, in einiger Entfernung von Gott zu leben, wurden aus ihrer fleischlichen Sicherheit nicht aufgerüttelt. Ich sah, daß Engel Gottes dies alles aufzeichneten; die Kleider dieser ungeheiligten Hirten waren mit dem Blut von Seelen bedeckt. FS 219.2

Prediger, die diese rettende Botschaft selbst nicht annehmen wollten, hinderten auch andere, die sie angenommen hätten. Das Blut von Seelen klebt an ihnen. Prediger und Volk machten gemeinsame Sache, um dieser Botschaft vom Himmel zu widerstehen und William Miller und die, die mit ihm in diesem Werk zusammenarbeiteten, zu verfolgen. Es wurden Lügen verbreitet, um seinen Ruf zu schädigen. Mehrmals, nachdem er den Rat Gottes klar erklärt und den Herzen seiner Zuhörer entscheidende Wahrheiten nahegebracht hatte, entstand ein großer Zorn gegen ihn. Als er den Versammlungsplatz verließ, lauerten ihm einige auf, um ihm das Leben zu nehmen. Aber Gott sandte seine Engel, um ihn zu beschützen, und sie führten ihn sicher durch die wütende Menge. Sein Werk war noch nicht beendet. FS 220.1

Die Ergebensten nahmen die Botschaft freudig an. Sie wußten, daß sie von Gott war und zur rechten Zeit gegeben wurde. Engel beobachteten mit tiefstem Interesse das Ergebnis der himmlischen Botschaft. Als die Kirchen sich davon abwandten und sie verwarfen, berieten sie sich traurig mit Jesus. Er wandte sein Angesicht von den Kirchen ab und gebot seinen Engeln, treu über die Teuren zu wachen, die das Zeugnis nicht verwarfen, denn es sollte ihnen noch ein anderes Licht scheinen. FS 221.1

Wenn bekenntliche Christen das Erscheinen ihres Heilandes geliebt, ihm ihre Zuneigung geschenkt und gefühlt hätten, daß nichts auf Erden mit ihm verglichen werden kann, dann hätten sie bei der ersten Andeutung seines Kommens vor Freude gejubelt.1 Doch der Widerwille, den sie zeigten, als sie vom Kommen ihres Herrn hörten, war ein entscheidender Beweis dafür, daß sie ihn nicht liebten. Satan und seine Engel triumphierten und schleuderten Christus und seinen heiligen Engeln ins Gesicht, daß sein bekenntliches Volk so wenig Liebe zu ihm habe, daß es seine Wiederkunft gar nicht wünsche. FS 221.2

Ich sah das Volk Gottes in freudiger Erwartung seines Herrn. Doch Gott beabsichtigte, es zu prüfen. Seine Hand bedeckte einen Fehler in der Berechnung der prophetischen Zeitperioden. Jene, die auf ihren Herrn warteten, entdeckten den Fehler nicht, “..., und selbst die gelehrtesten unter den Männern, die der berechneten Zeit widersprachen, konnten ihn nicht sehen.” Gott beabsichtigte, daß sein Volk eine Enttäuschung erleben sollte. Die Zeit verstrich. Wer in freudiger Erwartung nach seinem Heiland ausgeschaut hatte, wurde traurig und entmutigt, während solche, die die Erscheinung Jesu nicht geliebt, sondern die Botschaft nur aus Furcht angenommen hatten, sich freuten, daß er nicht zu der erwarteten Zeit gekommen war. Ihr Bekenntnis hatte nicht ihr Herz berührt und ihr Leben in Ordnung gebracht. Das Verstreichen der Zeit war dazu angetan, solche Herzen zu offenbaren. Sie waren die ersten, die sich abwandten und die Traurigen und Enttäuschten verlachten, die die Erscheinung ihres Heilandes wirklich liebten. Ich sah die Weisheit Gottes darin, daß er sein Volk auf die Probe stellte und es einer genauen Prüfung unterzog, um die aufzudecken, die in der Stunde der Heimsuchung zurückschrecken und umkehren würden. FS 221.3

Jesus und alle himmlischen Heerscharen blickten mit Mitgefühl und Liebe auf die, die in froher Erwartung danach verlangt hatten, den zu sehen, den sie liebten. Engel umschwebten sie, um sie in der Stunde ihrer Heimsuchung zu unterstützen. Solche, die es verschmäht hatten, die himmlische Botschaft anzunehmen, wurden in Finsternis gelassen, und der Zorn Gottes entzündete sich gegen sie, weil sie das Licht nicht hatten annehmen wollen, das er ihnen vom Himmel gesandt hatte. Die treuen, enttäuschten Seelen, die nicht verstehen konnten, warum ihr Herr nicht kam, wurden nicht in Finsternis gelassen. Sie wurden wieder zu ihren Bibeln geführt, um die prophetischen Zeitperioden zu untersuchen. Nun war die Hand des Herrn von den Zahlen entfernt, und der Fehler wurde erklärt: Sie sahen, daß die prophetischen Zeitperioden bis 1844 reichten und daß die gleiche Art der Beweisführung, die sie vorgebracht hatten, um zu zeigen, daß die prophetischen Zeitperioden im Jahr 1843 schlossen, eigentlich bewies, daß sie im Jahr 1844 zu Ende gingen. Licht aus dem Worte Gottes schien auf ihren Standpunkt, und sie entdeckten eine Zeit der Verzögerung: “Wenn sie (die Weissagung) sich auch hinzieht, so harre ihrer”. Habakuk 2,3. In ihrer Liebe für das unmittelbare Kommen Christi hatten sie die Verzögerung übersehen, die dazu vorgesehen war, die wirklich treuen, wartenden Seelen zu offenbaren. Wieder hatten sie einen Zeitpunkt. Ich sah aber, daß viele sich nicht von ihrer schmerzlichen Enttäuschung lösen konnten und nicht mehr den Grad von Eifer und Mut besaßen, der ihren Glauben im Jahr 1843 ausgezeichnet hatte. FS 222.1

Satan und seine Engel triumphierten über sie, und jene, die die Botschaft nicht annehmen wollten, beglückwünschten sich selbst zu ihrem weitsichtigen Urteil und ihrer Weisheit, daß sie der Täuschung, wie sie es nannten, nicht erlegen seien. Sie erkannten nicht, daß sie den Rat Gottes gegen sich selbst verwarfen und mit Satan und seinen Engeln zusammenarbeiteten, um das Volk Gottes zu verwirren, das die vom Himmel gesandte Botschaft auslebte. FS 222.2

Wer an diese Botschaft glaubte, wurde in den Kirchen unterdrückt. Eine Zeitlang wurden jene, die die Botschaft nicht annehmen wollten, durch Furcht zurückgehalten, ihrem Gefühl entsprechend zu handeln; aber das Verstreichen der Zeit offenbarte ihre wahren Gefühle. Sie wollten das Zeugnis, zu dessen Verkündigung sich die wartenden Seelen verpflichtet fühlten — daß nämlich die prophetischen Perioden bis zum Jahr 1844 reichten —, zum Schweigen bringen. Die Gläubigen erklärten ihren Fehler ganz deutlich und gaben die Gründe an, warum sie ihren Herrn nun 1844 erwarteten. Ihre Gegner konnten keine Beweise gegen ihre gewichtigen Gründe vorbringen. Dennoch wurde der Zorn der Kirchen erregt. Sie waren entschlossen, die Beweisführung nicht anzuhören und das Zeugnis aus der Kirche zu verbannen, damit andere es nicht hören konnten. Die, die es nicht wagten, anderen das Licht vorzuenthalten, das Gott ihnen gegeben hatte, wurden aus den Kirchen ausgeschlossen; doch Jesus war mit ihnen, und sie freuten sich im Licht seines Angesichts. Sie waren vorbereitet, die Botschaft des zweiten Engels zu empfangen. FS 223.1