Leben und Wirken von Ellen G. White

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Kapitel 8: Der Ruf zum Reisen

In meinem zweiten Gesicht, das ich ungefähr eine Woche nach dem ersten hatte, zeigte mir der Herr die Prüfungen, die ich durchzumachen haben würde, und er sagte mir, dass ich gehen und erzählen müsse, was er mir gezeigt hatte. Es wurde mir gezeigt, dass meine Arbeiten großem Widerstande begegnen, und dass mein Herz von Schmerz zerrissen werden, aber dass die Gnade Gottes hinreichend sein werde, mich durch alles hindurch zu tragen. LW 76.1

Nachdem ich aus diesem Gesicht gekommen war, fühlte ich mich außerordentlich beunruhigt, denn es zeigte mir meine Pflicht, unter die Leute zu gehen und die Wahrheit zu verkündigen. Meine Gesundheit war so schwach, dass ich körperlich beständig litt und allem Anscheine nach nur noch eine kurze Zeit zu leben hatte. Ich war nur siebzehn Jahre alt, klein und schwächlich, die Gesellschaft nicht gewohnt und von Natur so ängstlich und zurückgezogen, dass es mir Schmerz bereitete, Fremden zu begegnen. LW 76.2

Mehrere Tage lang betete ich bis spät in die Nacht hinein, dass diese Bürde von mir genommen und auf jemand anders gelegt werden möchte, der besser imstande sei, sie zu tragen. Aber die mir gezeigte Pflicht wurde nicht anders, und die Worte des Engels: “Verkündige anderen, was ich dir gezeigt habe”, tönten mir beständig in den Ohren. LW 76.3

Bis so weit hatte ich mich, als der Geist Gottes mich zur Pflicht nötigte, über mich selbst gehoben und alle Furcht und Ängstlichkeit in dem Gedanken an Jesu Liebe und an das wundervolle Werk, das er für mich getan hatte, vergessen. LW 76.4

Aber es schien mir unmöglich, dieses mir jetzt vorgehaltene Werk zu verrichten; es zu unternehmen, schien mir sicherer Misserfolg. Die damit verbundenen Prüfungen erschienen mir größer als ich ertragen konnte. Wie konnte ich, an Jahren noch ein Kind, von Ort zu Ort gehen und den Leuten die heiligen Wahrheiten Gottes mitteilen? Mit Entsetzen wandte sich mein Herz von dem Gedanken ab. Mein Bruder Robert, der nur zwei Jahre älter als ich war, konnte mich nicht begleiten, denn seine Gesundheit war schwach, und seine Schüchternheit war größer als die meinige; nicht würde ihn haben bewegen können, einen solchen Schritt zu unternehmen. Mein Vater hatte seine Familie zu versorgen und konnte sein Geschäft nicht aufgeben; aber wiederholt gab er mir die Versicherung, dass, wenn Gott mich berufen habe, an andern Plätzen zu arbeiten, er nicht verhehlen werde, mir den Weg zu öffnen. Aber diese ermutigenden Worte brachten meinem verzagten Herzen wenig Trost; der vor mir liegende Pfad schien mit Schwierigkeiten verlegt zu sein, die ich nicht überwinden konnte. LW 77.1

Ich begehrte den Tod, um von den sich mir aufdrängenden Verantwortlichkeiten befreit zu sein. Endlich verließ mich der süße Friede, dessen ich mich so lange erfreut hatte, und Verzweiflung erfüllte von neuem meine Seele. LW 77.2