Erziehung

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Kapitel 10: Gottes Handschrift in der Natur

“O Herr, welch unermeßliche Vielfalt zeigen deine Werke!
Sie alle sind Zeugen deiner Weisheit, die ganze Erde ist voll von deinen Geschöpfen.”

Psalm 104,24.

Keine Frage: Die Schöpfung trägt die Handschrift des Schöpfers. Man muß die Augen schon bewußt verschließen, wenn man hinter den Wundern der Natur und den Geheimnissen des Universums den nicht sehen will, der das alles erdacht und geschaffen hat. ERZ 101.1

Reiner Zufall, daß sich unsere Erde seit Jahrtausenden in festgelegten Bahnen um die Sonne bewegt und dadurch genau die Bedingungen erfüllt, die für das Leben selbst und die Vielfalt an Lebensformen auf unserem Planeten nötig sind? Wohin man auch schaut, überall stößt man auf eine geheimnisvolle Kraft, die Leben schafft und erhält. Sie lenkt das Universum mit seinen unzähligen Welten und wirkt in dem winzigen Insekt, das sich im lauen Sommerwind wiegt. Sie läßt die Knospe zur Blüte werden und sorgt dafür, daß aus der Blüte Frucht entsteht. Und wie diese Kraft schaffend, ordnend und lebenserhaltend in der Natur wirkt, so durchpulst sie auch den Menschen: seinen Körper, seinen Geist und seine Seele. ERZ 101.2

Weil Gott der Ursprung allen Lebens ist, kann der Mensch nur in Übereinstimmung mit ihm zu seiner wahren Bestimmung finden. Wer Gottes Ordnungen mißachtet — sei es in körperlicher, seelischer oder geistiger Hinsicht —, trägt dazu bei, daß die vom Schöpfer gewollte Harmonie zerstört wird. Wer daraus die richtigen Schlüsse zieht, gelangt zu wichtigen Einsichten. Für ihn wird die Welt um ihn herum zum Lehrbuch und das Leben zur Schule. ERZ 101.3

Niemand lebt für sich allein, da jeder in das Beziehungsgeflecht Natur — Mensch — Gott mit seinen für alle verbindlichen Ordnungen eingebunden ist. Werden diese Regeln mißachtet, wirkt sich das nachteilig auf unser Denken und auf die Charakterbildung aus. ERZ 102.1

Zu dieser Erkenntnis sollte der Mensch so früh wie möglich geführt werden. Für Kinder im Vorschulalter ist die Natur das beste Lehrbuch. Es hält unzählige Überraschungen und eine Fülle von Freuden für sie bereit. In diesem Alter empfinden und reagieren Kinder noch spontan auf die Erlebnisse in Gottes Schöpfung. Ihr Herz ist noch unverdorben und ihre Erfahrungen mit dem Bösen halten sich in Grenzen. Weil ihre Ohren noch nicht taub geworden sind durch den Lärm der Welt, fällt es ihnen leichter als anderen, Gottes Stimme in der Natur zu hören und hinter dem für das Auge Sichtbaren — etwa einem majestätischen Baum, einer unscheinbaren Flechte auf einem Stein, dem unendlichen Meer oder der bizarr geformten Schale einer Muschel — den unsichtbaren Gott zu erkennen. ERZ 102.2

Wenn möglich sollten Kinder von klein auf da leben, wo das Lehrbuch der Natur noch offen vor ihnen aufgeschlagen liegt. Wo diese Voraussetzung nicht gegeben ist, sollten wir sie wenigstens bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Wunder der Schöpfung aufmerksam machen. Landschaft, Tier- und Pflanzenwelt sind gerade für sie wichtige Erziehungsgrundlagen, auf die Eltern nicht verzichten sollten. ERZ 102.3

Allerdings dürfen wir nicht vergessen, daß auch die Natur unter den Folgeerscheinungen der Sünde zu leiden hat. Sie ist heute nicht mehr Paradies oder heile Welt. Kinder begegnen in der Natur auch Gegebenheiten, die ihnen unbegreiflich sind oder sie erschrecken. An solchen Stellen brauchen sie das erklärende Wort und die behutsam führende Hand ihrer Eltern und Lehrer. Wenn Kinder dem Bösen in der Natur begegnen, ist das für sie zunächst ein gewaltiger Schock. Damit sie nicht an Gott irre werden, müssen wir ihnen erklären, daß sich die Auseinandersetzung zwischen ihm und der Macht des Bösen auch in der Natur niederschlägt. Das könnte etwa im Sinne des Gleichnisses vom Unkraut zwischen dem Weizen geschehen. Dort fragen die Feldarbeiter: “Herr, du hast doch guten Samen auf deinen Acker gesät, woher kommt das ganze Unkraut?” Der Bauer antwortet: “Das muß einer getan haben, der mir schaden will.”1 ERZ 102.4

Erzieher dürfen also nicht übersehen, daß die Schöpfung in ihrer jetzigen Gestalt zwar ein sehr wertvolles, aber kein vollkommenes Lehrbuch ist. Viele Vorgänge in der Natur lassen sich nur auf dem Hintergrund des Sündenfalls und des Erlösungswerkes Christi richtig verstehen. Wenn wir den Kindern also die biblischen Geschichten vom Leben der ersten Menschen im Paradies, von der Geburt Jesu in Bethlehem oder seinem Sterben am Kreuz erzählen, sollte ihnen dadurch bewußt werden, wie wichtig es ist, das Böse zu überwinden. Zugleich sollten sie begreifen lernen, wie groß der Segen ist, der uns aus der Erlösung durch Jesus Christus zufließt. ERZ 103.1

So können ihnen Dornen und Disteln, Unkraut und Wildwuchs zum Bild dafür werden, welchen Schaden das Böse in dieser Welt anrichtet. Andererseits kann ihnen das Zwitschern der Vögel, die sich öffnende Blüte, Regen und Sonnenschein, der Tau auf der Wiese, das Eichhörnchen auf dem Zweig oder das Veilchen am Wegesrand ein Zeichen dafür sein, daß Gott sie liebt und es gut mit ihnen meint. Die Natur erzählt auch heute noch von der Güte Gottes. ERZ 103.2

Durch den Propheten Jeremia läßt Gott uns sagen: “... mein Plan mit euch steht fest: Ich will euer Glück und nicht euer Unglück.”2 Diese Botschaft wird uns nicht nur durch Gottes Wort vermittelt, sondern auch durch die Schöpfung. Die Himmel verkündigen Gottes Ruhm, und die Erde ist voll seiner Güte. ERZ 103.3