Aus der Schatzkammer der Zeugnisse — Band 2

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Kapitel 41: Eine unberechtigte Unterscheidung*

Manche haben den Standpunkt vertreten, daß die Warnungen, Ratschläge und Zurechtweisungen, die der Herr ohne besonderes Gesicht für den Einzelfall durch seine Dienerin gegeben hat, nicht mehr Wert haben als Ratschläge und Warnungen aus anderen Quellen. Man läßt nur die gelten, die in besonderen Gesichten für jeden einzelnen Fall gegeben werden. In verschiedenen Fällen wurde es so dargestellt, daß ich durch Briefe von einzelnen Gemeindegliedern beeinflußt worden sei, Zeugnisse an Gemeinden oder auch an einzelne so abzufassen, wie ich es tat. Es hat Leute gegeben, die behaupteten, daß Zeugnisse, die dem Geiste Gottes entstammen, nur der Ausdruck meines eigenen Urteils seien, wobei ich mich auf Mitteilungen aus menschlichen Quellen stütze. Diese Behauptung ist völlig falsch. Sch2 265.2

Wenn jedoch ein Zeugnis als Antwort auf Anfragen, Mitteilungen oder Bitten von Gemeinden oder auch von Einzelgliedern geschrieben wurde, das die darüber von Gott geschenkte Erkenntnis wiedergab, so macht die Tatsache, daß es auf diesen Anlaß zurückgeht, seine Gültigkeit oder seine Bedeutung um nichts geringer. Ich führe aus Zeugnis Nr. 31 einige Stellen an, die sich unmittelbar auf diesen Einwand beziehen: Sch2 265.3

Wie war es bei dem Apostel Paulus? Die Mitteilungen, die er aus dem Hause der Chloe über die Verhältnisse in der Gemeinde zu Korinth erhielt, veranlaßten ihn, seinen ersten Brief an jene Gemeinde zu schreiben. Er hatte private Briefe erhalten, die die bestehenden Tatsachen schilderten; nun legte er in seiner Antwort allgemeine Richtlinien nieder, die die bestehenden Mißstände beseitigen konnten, wenn man sie beachten würde. Mit großem Zartsinn und tiefer Weisheit ermahnte er sie alle, eines Sinnes zu sein und keine Spaltungen unter sich aufkommen zu lassen. Sch2 265.4

Paulus war ein vom Geiste Gottes erleuchteter Apostel. Dennoch offenbarte der Herr ihm nicht zu jeder Zeit den Zustand seines Volkes. Glieder der Gemeinde, die um das Wohl der Gemeinde besorgt waren und die sahen, wie sich Mißstände einschlichen, trugen ihm die Angelegenheit vor, und durch die Erkenntnis, die er bei einer früheren Gelegenheit erhalten hatte, war er in der Lage, den wahren Charakter der dortigen Entwicklung zu beurteilen. Obwohl der Herr ihm zu jenem Anlaß keine neue Offenbarung gegeben hatte, haben jene, die wirklich nach Klarheit suchten, seine Botschaft nicht wie einen gewöhnlichen Brief beiseite gelegt. Nein, in der Tat nicht! Der Herr hatte ihm die Schwierigkeiten und Gefahren gezeigt, die in den Gemeinden aufkommen würden, damit er ihnen zu begegnen wußte, wenn sie in Erscheinung traten. Sch2 266.1

Er war zum Schutz der Gemeinde berufen. Er hatte über Seelen zu wachen als ein Mann, der vor Gott Rechenschaft abzulegen hat. Sollte er nun Berichte über die dort aufgekommene Unordnung und Spaltung nicht beachten? Ganz gewiß! Die Rüge, die er ihnen erteilte, war ebenso unter der Einwirkung des Geistes Gottes geschrieben wie jeder andere seiner Briefe. Aber als diese Zurechtweisung kam, wollten sich manche nicht bessern lassen. Sie vertraten den Standpunkt, daß nicht Gott durch Paulus zu ihnen gesprochen hatte, sondern daß er als Mensch nur seine eigene Meinung wiedergegeben habe. Sie hielten ihr eigenes Urteil für ebenso berechtigt wie das des Paulus. So geht es manchen unter unserem Volk, die sich von den alten Grenzsteinen entfernt haben und ihren eigenen Ansichten gefolgt sind. Sch2 266.2

Wenn unser Volk diese Haltung einnimmt, dann können die besonderen Mahnungen und Ratschläge Gottes durch den Geist der Weissagung keinen Einfluß ausüben und keine Erneuerung im Leben und Charakter bewirken. Der Herr gibt nicht für jede Schwierigkeit, die bei der unterschiedlichen Haltung seines Volkes in der Entwicklung seines Werkes aufkommen kann, ein Gesicht. Aber er hat mir gezeigt, daß er in der Vergangenheit seine Gemeinde führte, indem er seine erwählten Diener oder einzelne Glieder die Bedürfnisse und Gefahren seines Werkes fühlen ließ und ihnen die Last auferlegte, zu warnen und zu raten. Sch2 266.3

So hat Gott mir in vielen Fällen Erkenntnis über besondere Charakterfehler von Gemeindegliedern und über Gefahren geschenkt, die dem Einzelglied und dem Werk drohen, wenn diese Fehler nicht beseitigt werden. Unter Umständen können sich falsche Neigungen entwickeln und festsetzen, die dem Werke Gottes schaden und das Einzelglied vernichten. Wenn besondere Gefahren das Werk Gottes oder auch Einzelglieder bedrohen, wird mir zuweilen durch einen Traum oder durch ein nächtliches Gesicht vom Herrn eine Mitteilung gegeben und diese Angelegenheit lebendig vor Augen gestellt. Ich höre, wie eine Stimme zu mir spricht: “Stehe auf und schreibe; diese Seelen sind in Gefahr.” Ich gehorche dem Einwirken des Geistes Gottes, und meine Feder beschreibt ihre wirkliche Lage. Wenn ich auf Reisen bin und an den verschiedenen Orten vor den Gemeinden stehe, bringt mir der Geist des Herrn die mir vorher gezeigten Fälle klar zum Bewußtsein und läßt den Vorgang vor mir lebendig werden, den er mich vorher hat schauen lassen. Sch2 267.1

In den letzten fünfundvierzig Jahren hat der Herr mir die Bedürfnisse seines Werkes und die Fälle von Einzelgliedern in jeder Entwicklungsstufe offenbart und mir gezeigt, wo und wie sie es versäumt haben, einen christlichen Charakter zu entwickeln. Die Geschichte Hunderter solcher Einzelpersonen wurde vor mir entrollt; dabei wurde mir offen dargelegt, was Gott gefällt, aber auch, was er verurteilt. Gott hat mich sehen lassen, welche Folgen es hat, wenn man einen bestimmten Weg weitergeht oder gewisse Charakterzüge duldet. Auf diese Weise hat Gott mich erzogen und unterwiesen, Gefahren zu sehen, die den Seelen drohen, und sein Volk immer wieder durch Vorschriften und Unterweisungen zu belehren und zu warnen, damit es Satans List erkennen und seinem Netz entfliehen kann. Sch2 267.2

Der Auftrag, den Gott mir insbesondere erteilt hat, lautet: Junge und Alte, Gelehrte und Ungelehrte dringend zu mahnen, selbst in der Schrift zu forschen; allen einzuprägen, daß das Studium des Wortes Gottes das Verständnis weitet, jede Fähigkeit stärkt und das Denken befähigt, sich mit tiefen und weitreichenden Fragen der Wahrheit auseinanderzusetzen; allen die Zusicherung zu geben, daß klares Bibelwissen jedes andere Wissen übertrifft, weil es den Menschen zu dem macht, was er nach dem Plane Gottes sein sollte. “Die Erschließung deiner Worte erleuchtet und macht die Einfältigen verständig.” Psalm 119,130 (Zürcher). Sch2 267.3

Kann ich mit der durch das Studium seines Wortes gewonnenen Erkenntnis und mit der besonderen Kenntnis, die mir über Einzelfälle seines Volkes unter allen Verhältnissen und auf jeder Entwicklungsstufe verliehen worden ist, jetzt noch in der gleichen Unwissenheit, derselben geistigen Unsicherheit und geistlichen Blindheit sein wie am Anfang dieser Erfahrung? Wollen meine Brüder sagen, daß Schwester White ein so schlechter Schüler gewesen ist, daß ihr diesbezügliches Urteil nicht klarer geworden ist als vor ihrem Eintritt in die Schule Christi, in der sie für dieses besondere Werk erzogen und geschult werden sollte? Habe ich kein besseres Verständnis von den Pflichten und Gefahren des Volkes Gottes als die, denen diese Dinge niemals gezeigt worden sind? Ich möchte meinen Schöpfer nicht mit dem Eingeständnis entehren, daß alle diese Erkenntnis und alle Entfaltung seiner gewaltigen Macht in meinem Wirken und in meiner Erfahrung nutzlos gewesen und daß dadurch meine Urteilskraft nicht entwickelt oder ich für sein Werk nicht brauchbarer geworden sei. Sch2 268.1

Sollte ich nicht bestürzt sein, daß Männer und Frauen den gleichen Weg einschlagen und die gleichen Schwächen nähren, die andre Menschen gefährdeten und dem Werke Gottes geschadet haben, obwohl der Herr sie immer wieder gerügt hat? Viele verzagte Seelen sind durch das Gefühl ihrer Unvollkommenheit bedrückt und suchen dennoch gewissenhaft das zu tun, was Gott für richtig erklärt hat; ich weiß, daß der Herr mit Wohlgefallen auf ihre treuen Bemühungen herabschaut. — Soll ich diesen armen, ängstlichen Menschen nicht ein Wort zu ihrer Ermutigung sagen? Soll ich nur deshalb schweigen, weil ich nicht durch ein besonderes Gesicht auf jeden einzelnen Fall hingewiesen worden bin? Sch2 268.2

“Wenn aber der Wächter das Schwert kommen sieht und er stößt nicht in die Posaune, und das Volk wird so nicht gewarnt, und es kommt nun das Schwert und rafft einen aus ihnen hinweg, so wird dieser zwar um seiner Schuld willen weggerafft, sein Blut aber fordere ich von dem Wächter. Dich nun, o Menschensohn, dich habe ich zum Wächter bestellt dem Hause Israel; wenn du ein Wort aus meinem Munde vernimmst, so sollst du sie in meinem Namen verwarnen. Wenn ich zum Frevler sage: ‘Du mußt sterben!’ und du sagst nichts, den Frevler vor seinem Wandel zu warnen, so wird der Frevler um seiner Schuld willen sterben, sein Blut aber fordere ich von dir. Hast du aber den Frevler vor seinem Wandel gewarnt, daß er davon abstehe, und er steht nicht ab von seinem Wandel, so wird er um seiner Schuld willen sterben, du aber hast deine Seele gerettet.” Hesekiel 33,6-9 (Zürcher). Sch2 268.3

Unlängst befand ich mich im Traum vor einer Versammlung. Einige der Anwesenden bemühten sich, den ernsten Eindruck eines Warnungszeugnisses zu verwischen, das ich ihnen gegeben hatte. Sie sagten: “Wir glauben an Schwester Whites Zeugnisse. Aber wenn sie uns etwas sagt, was sie nicht in einem ausdrücklich aus diesem Anlaß gegebenen Gesicht gesehen hat, dann haben ihre Worte für uns nicht mehr Wert als die Worte eines andern.” Dann kam der Geist Gottes über mich. Ich stand auf und strafte sie im Namen des Herrn. Im wesentlichen wiederholte ich das, was ich soeben über den Wächter gesagt habe. Dieses Wort, so fügte ich hinzu, entspricht eurer, aber auch meiner Lage. Sch2 269.1

Wenn nun diejenigen, an die sich diese ernsten Mahnungen richten, sagen: “Das ist lediglich eine eigene Meinung von Schwester White, ich werde mich nach meinem eigenen Urteil richten”, und wenn sie fortfahren, eben das zu tun, wovor sie gewarnt worden sind, dann zeigen sie, daß sie den Rat Gottes verachten. Die Folge wird so sein, wie sie mir der Geist Gottes gezeigt hat: Schaden für das Werk Gottes und Untergang für sie selbst. Es gibt Leute, die ihre eigene Meinung stützen wollen und sich dazu auf Stellen aus den Zeugnissen berufen. Sie meinen, daß diese Stellen ihre Auffassungen bestätigen, und errichten auf ihnen das stärkst mögliche Gebäude. Aber Stellen, die ihre Handlungsweise nicht gutheißen oder sich nicht mit ihren Auffassungen decken, nennen sie Schwester Whites eigene Meinung; sie bestreiten die himmlische Herkunft und stellen sie ihrem eigenen Urteil gleich. Sch2 269.2

Wenn ihr, liebe Brüder, die ihr mich und mein Werk seit vielen Jahren kennt, den Standpunkt vertretet, daß mein Rat nicht mehr bedeutet als der Rat von Leuten, die für dieses Werk nicht besonders erzogen wurden, dann bittet mich nicht, mit euch zusammenzuarbeiten. Denn solange ihr diesen Standpunkt einnehmt, werdet ihr unausweichlich dem Einfluß meines Wirkens entgegenstehen. Fühlt ihr euch ebenso sicher, wenn ihr euren eigenen Empfindungen folgt, wie in der Beachtung der Belehrung, die euch durch Gottes auserwählte Dienerin gegeben wird, dann tut ihr das auf eigene Gefahr. Ihr werdet der Verdammnis anheimfallen, weil ihr die Erkenntnis verwerft, die der Himmel euch sandte. Sch2 270.1