Für die Gemeinde geschrieben — Band 1

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Kapitel 52: Christus — unser Hoherpriester

Die Gerechtigkeit fordert, daß Sünde nicht einfach vergeben wird, sondern daß sie durch die Todesstrafe gesühnt wird. Gott hat mit der Gabe seines eingeborenen Sohnes beide Bedingungen erfüllt. Als Christus an des Menschen Statt starb, machte er die Strafe “unwirksam” und stellte für uns die Gnade bereit. FG1 359.1

Durch die Sünde wurde der Mensch vom Leben Gottes getrennt. Seine Seele wurde durch die Machenschaften Satans, des Urhebers der Sünde, gelähmt. Von sich aus ist der Mensch unfähig, Sünde wahrzunehmen, unfähig, die göttliche Natur richtig zu schätzen oder sich zu eigen zu machen. Würde sie in seine Reichweite gebracht, so wäre nichts in ihr, das in seinem natürlichen Herzen das Verlangen danach wecken könnte. Die bestrickende Macht Satans steht über ihm. Alle die raffinierten Schliche, die der Teufel vorbringen kann, werden dem Menschen in den Sinn gegeben, um nur jede gute Anregung zu verhüten. Alle Fähigkeiten und alle Macht, die ihm von Gott gegeben wurden, dienten als Waffen gegen den göttlichen Wohltäter. So kann Gott ihm, auch wenn er ihn liebt, nicht ohne Gefahr die Gaben und Segnungen verleihen, die er ihm schenken möchte. FG1 359.2

Aber Gott wird nicht von Satan besiegt werden. Er sandte seinen Sohn in die Welt, damit er durch die Annahme der menschlichen Gestalt und Natur die Menschlichkeit und die Göttlichkeit in sich vereinigte, um so den Menschen auf der Skala der moralischen Werte zu Gott emporzuheben. FG1 359.3

Es gibt keinen anderen Weg der Erlösung für den Menschen. “Ohne mich”, sagt Christus, “könnt ihr nichts tun.” Johannes 15,5. Durch Christus — und nur durch ihn — können die Quellen des Lebens die menschliche Natur beleben, des Menschen Geschmack verändern und seine Neigungen himmelwärts richten. Durch die Verbindung der göttlichen mit der menschlichen Natur konnte Christus das Verständnis dafür fördern und seine lebenspendenden heilenden Kräfte in die Seele einfließen lassen, die in Übertretung und in Sünden tot war. FG1 359.4

Wenn sich der Sinn des Menschen auf das Kreuz von Golgatha richtet, erkennt er mit seinem unvollkommenen Blick Christus am schändlichen Kreuz. Warum starb er? Als Folge der Sünde. Was ist Sünde? Die Übertretung des Gesetzes. Dann sind die Augen geöffnet, um den Charakter der Sünde wahrzunehmen. Das Gesetz ist gebrochen; aber das Gesetz kann dem Übeltäter nicht vergeben. Es ist unser Schulmeister, der uns zur Strafe verurteilt. Wo ist Hilfe? Das Gesetz treibt uns zu Christus, der ans Kreuz gehängt wurde, damit er seine Gerechtigkeit dem gefallenen, sündigen Menschen zugute kommen lassen konnte. Dadurch wurde es möglich, daß er seinem Vater den Menschen in seinem gerechten Charakter darstellen konnte. FG1 360.1

Christus am Kreuz — dieses Bild treibt nicht nur den Menschen zur Reue vor Gott wegen der Übertretung des göttlichen Gesetzes. Wem Gott vergibt, den erfüllt zunächst Reue. Doch Christus hat der Gerechtigkeit Genüge geleistet; er hat sich selbst dargebracht als Sühne. Sein vergossenes Blut, sein zerbrochener Leib stellen die Ansprüche des gebrochenen Gesetzes zufrieden, und so überbrückt er den Abgrund, den die Sünde geschaffen hat. Er litt im Fleisch, damit er mit seinem zerschlagenen und zerbrochenen Leib den schutzlosen Sünder bedecken konnte. Der Sieg, den Christus durch seinen Tod auf Golgatha errang, brach für immer die anklagende Macht Satans über das Universum und brachte seine Vorwürfe zum Schweigen, mit denen er behauptet hatte, daß Selbstverleugnung bei Gott unmöglich und deshalb in der menschlichen Familie nicht wichtig wäre. FG1 360.2

Satans Platz im Himmel befand sich in unmittelbarer Nähe des Sohnes Gottes. Er war der erste unter den Engeln. Seine Macht war verdorben worden, aber Gott konnte dies nicht in seinem wahren Licht offenbaren und ihn mit seinen schlechten Einflüssen [einfach] aus dem Himmel entfernen, wenn er die Harmonie zwischen sich und dem ganzen Himmel erhalten wollte. Seine Macht nahm zu; aber das Böse war noch nicht erkannt. Es war eine tödliche Gewalt für das Universum; aber um der Sicherheit der Welten und der Regierung des Himmels willen war es notwendig, das Böse sich entwickeln zu lassen, damit es in seinem wahren Licht offenbar würde. FG1 360.3

Selbstverleugnung bei Gott

Satan trieb seine Gegnerschaft zu Christus so weit, bis Gottes Sohn mit einem wundgeschlagenen und gequälten Körper und mit gebrochenem Herzen am Kreuz von Golgatha hing. Doch verlor er dabei die Zuneigung des ganzen Universums. Es wurde sichtbar, daß sich Gott in seinem Sohn selbst verleugnet hatte, um sich selbst für die Sünden der Welt zu geben, weil er nämlich die Menschheit liebte. Der Schöpfer wurde in dem Sohn des ewigen Gottes offenbar. Hier wurde die Frage: “Kann es bei Gott Selbstverleugnung geben?” für immer beantwortet. Christus war Gott — und indem er sich herabließ, um Fleisch zu werden, nahm er Menschlichkeit an und war gehorsam bis zum Tode, damit er ein immerwährendes Opfer brächte. FG1 361.1

Welches Opfer auch immer ein Mensch auf sich nehmen mußte Christus nahm es auf sich, ganz abgesehen davon, daß Satan jede Anstrengung machte, um ihn mit seinen Versuchungen zu verführen, aber je größer die Versuchung war, um so vollkommener war auch das Opfer. Alles, was dem Menschen im Konflikt mit Satan zu ertragen möglich war, das ertrug auch Christus mit seiner in ihm vereinigten menschlichen und göttlichen Natur. Gehorsam und sündlos bis zum letzten starb er für die Menschen, denen er Stellvertreter und Bürge wurde und für die er alles ertrug, was Menschen nur je vom trügerischen Versucher zu ertragen hatten. Und das alles, damit die Menschen durch ihre Teilnahme an der göttlichen Natur zu Überwindern würden. FG1 361.2

In allen, die — wie Christus — willig sind, um der Wahrheit willen alles zu opfern, auch das Leben selbst, wird die reine Wahrheit zum Gegengewicht gegen die Falschheit, wendet sich die Ehrlichkeit und Anständigkeit gegen die Spitzfindigkeit und Hinterhältigkeit. Satans Wünschen zu widerstehen ist keine leichte Aufgabe. Sie erfordert einen festen Stand der göttlichen Natur von Anfang bis zum Ende — sonst kann diese Aufgabe nicht gelingen. Christus öffnet durch seine Siege, die er am Kreuz von Golgatha errang, den Weg weit für die Menschen, auf dem es für sie möglich wird, das Gesetz Gottes zu hallen nämlich durch den, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Einen anderen Weg gibt es nicht. FG1 361.3

Die Gerechtigkeit Christi wird dem Sünder als Geschenk angeboten, sofern er sie annehmen will. Alles, was er von sich aus bringen könnte, wäre doch befleckt und verdorben und von der Sünde beschmutzt und für einen reinen und heiligen Gott geradezu abstoßend und unannehmbar. Nur durch den gerechten Charakter Jesu Christi kann der Mensch in die Nähe Gottes gelangen. FG1 362.1

Christus als Hoherpriester hinter dem Vorhang verewigte Golgatha so, daß er, obgleich er mit Gott lebt, doch ununterbrochen der Sünde stirbt, so daß, wenn ein Mensch sündigt, er einen Fürsprecher beim Vater hat. FG1 362.2

Er erhob sich aus dem Grabe, umhüllt von einer Wolke von Engeln in wunderbarer Macht und Herrlichkeit. — Göttlichkeit und Menschlichkeit waren vereint. Er bemächtigte sich der Welt, über die zu herrschen Satan sich angemaßt hatte, als sei es sein rechtmäßiges Gebiet. Durch sein wunderbares Werk, die Gabe seines Lebens, brachte er die ganze Menschheit wieder unter die Gunst Gottes ... FG1 362.3

Niemand sollte den begrenzten und engen Standpunkt einnehmen, daß er mit seinen Werken auf irgendeine Weise helfen könnte, die Schuld seiner Übertretung gutzumachen. Das ist eine verhängnisvolle Irreführung. Wenn du dies begreifen würdest, dürftest du nicht mehr um deine Lieblingsideen feilschen und müßtest mit demütigem Herzen über die Versöhnung nachdenken. Dieser Zusammenhang wird nur undeutlich erkannt, so daß Tausende und Abertausende Menschen, die vorgeben, Gottes Kinder zu sein, Kinder des Bösen sind, weil sie sich auf ihre eigenen Werke verlassen. Gott verlangte immer gute Werke; das Gesetz verlangt sie, aber weil sich der Mensch in den Bereich der Sünde begab, wo seine guten Werke wertlos waren, kann allein Jesu Gerechtigkeit nützen. Christus schafft es, uns selig zu machen bis zum letzten, denn er lebt immerdar und bittet für uns. Alles, was der Mensch möglicherweise zu seiner eigenen Erlösung beitragen könnte, wäre, die Einladung anzunehmen: “Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.” Offenbarung 22,17. Vom Menschen kann keine Sünde begangen werden, für die nicht auf Golgatha Vorsorge getroffen worden wäre. So bietet das Kreuz immerwährend in ernsten Aufrufen dem Sünder eine umfassende Sühne. FG1 362.4

Reue und Vergebung

Wenn du zum Kreuz von Golgatha kommst, dann erkennst du eine Liebe, die ohne Beispiel ist. Wenn du durch den Glauben die Bedeutung dieses Opfers wahrnimmst, dann siehst du dich als Sünder, der durch das gebrochene Gesetz verurteilt wird. Das ist Reue. Wenn du mit einem demütigen Herzen kommst, empfängst du Vergebung, denn Christus Jesus wird uns als derjenige gezeigt, der unaufhörlich am Altar steht und in jedem Moment das Opfer für die Sünder der Welt anbietet. Er ist ein Diener des wahren Heiligtums, das der Herr aufgerichtet hat — und kein Mensch. Der schattenhaft auf das wahre Heiligtum hinweisende jüdische Tempel hat seine Bedeutung verloren. Eine tägliche und jährliche Versöhnung muß nicht mehr erfolgen, sondern das versöhnende Opfer durch einen Mittler ist jetzt bedeutungsvoll, weil immerwährend Sünde begangen wird. Jesus übt sein Amt in der Gegenwart Gottes aus und bietet dabei sein Blut dar, das er als Lamm vergossen hat. Jesus bietet seine Opfergabe für jede Übertretung und jede Unzulänglichkeit des Sünders an. FG1 363.1

Christus, unser Mittler, und der Heilige Geist sind ununterbrochen dabei, für den Menschen einzutreten-, aber der Geist bittet nicht so für uns wie Christus, der sein Blut darbietet, das von der Gründung der Welt her für uns vergossen wurde. Der Geist arbeitet an unseren Herzen und bewirkt Gebete und Reue, Preis und Dank. Die Dankbarkeit, die unseren Mund überlaufen läßt, rührt daher, daß der Geist die Saiten unserer Seele angerührt hat und ein heiliges Erinnern weckt, das das Herz zum Klingen bringt. FG1 363.2

Die Gottesdienste, die Gebete, der Lobpreis, das reuevolle Bekenntnis der Sünde steigen von den wahrhaft Gläubigen als Weihrauch auf zum himmlischen Heiligtum. Auf ihrem Weg durch die verkommenen Kanäle der Menschheit werden sie jedoch so vom Schmutz verunreinigt, daß sie bei Gott niemals ihren Wert erhielten, würden sie nicht durch Blut gereinigt. Sie steigen nicht in fleckenloser Reinheit empor. Und wenn nicht der Mittler, der zur Rechten Gottes ist, seine Gerechtigkeit anbieten und damit alles reinigen würde, könnten sie niemals für Gott annehmbar sein. Aller Weihrauch aus irdischen Gotteshäusern muß mit den reinigenden Tropfen des Blutes Christi befeuchtet werden. Er hält dem Vater das Rauchfaß seiner eigenen Verdienste vor, und sie sind ohne Flecken und irdische Verkommenheit. In dieses Rauchfaß gibt er die Gebete, den Lobpreis und die Bekenntnisse seines Volkes. Und er fügt dann seine eigene fleckenlose Gerechtigkeit hinzu. So gelangt dann der Weihrauch, durchdrungen von den Verdiensten von Christi Versöhnung, hinauf vor Gott und ist gänzlich annehmbar: Antworten der Gnade kommen zurück. FG1 363.3

O, daß doch alle erkennen könnten, daß beim Gehorsam, bei der Reue, beim Preis und in der Danksagung alles auf das glühende Feuer der Gerechtigkeit Christi gelegt werden muß. Der Duft seiner Gerechtigkeit schwebt wie eine Wolke um den Gnadenstuhl. Manuskript 50, 1900. FG1 364.1