Christi Gleichnisse

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Kapitel 7: “Einem Sauerteig gleich”

Auf der Grundlage von Matthäus 13,33; Lukas 13,20.21.

Viele gebildete und einflußreiche Männer waren herbeigekommen, um den Propheten von Galiläa zu hören. Einige derselben blickten mit Neugierde auf die Menge, die sich um Christum versammelt hatte, als er am See lehrte. Da waren alle Gesellschaftsklassen vertreten: die Armen, die Ungebildeten, der zerlumpte Bettler, der Räuber mit dem Stempel der Schuld auf seinem Gesicht, die Krüppel, die Ausschweifenden, der Kaufmann und der Rentier, hoch und niedrig, reich und arm; alle drängten sich, um einen Platz zu bekommen, von wo aus sie den Worten Christi lauschen konnten. Indem die gebildeten Männer auf diese seltsame Versammlung blickten, fragten sie sich selbst: Besteht das Reich Gottes aus solchem Material wie dieses? Und der Heiland antwortete durch ein Gleichnis: CGl 93.1

“Das Himmelreich ist einem Sauerteig gleich, den ein Weib nahm, und vermengte ihn unter drei Scheffel Mehls, bis daß es gar durchsäuert ward.” CGl 94.1

Bei den Juden wurde der Sauerteig manchmal als ein Sinnbild der Sünde hingestellt. Während des Passahfestes wurden die Leute angewiesen, allen Sauerteig aus ihren Häusern zu entfernen, gerade so, wie sie auch die Sünde aus ihrem Herzen hinaustun sollten. Christus warnte seine Jünger: “Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, welches ist die Heuchelei”, und der Apostel Paulus spricht von “dem Sauerteig der Bosheit und Schalkheit”. Lukas 12,1; 1.Korinther 5,8. Aber in diesem Gleichnis des Heilandes wird der Sauerteig benutzt, um das Himmelreich darzustellen und um die belebende, umwandelnde Kraft der Gnade Gottes zu veranschaulichen. CGl 94.2

Niemand ist so schlecht, so tief gefallen, daß ihn das Wirken dieser Kraft nicht mehr erreichen könnte. In alle, die sich dem Heiligen Geiste unterwerfen, soll ein neues Lebenselement eingepflanzt werden; das verlorene Bild Gottes soll in der Menschheit wieder hergestellt werden. CGl 94.3

Aber der Mensch kann sich durch die Ausübung seines Willens nicht umbilden. Ihm mangelt die Kraft, solche Änderung zu bewerkstelligen. Der Sauerteig — etwas, das ganz und gar von außerhalb kommt — muß in das Mehl getan werden, damit die gewünschte Veränderung des letzteren bewirkt werden kann. So muß der Sünder die Gnade Gottes annehmen, ehe er für das Reich der Herrlichkeit geschickt gemacht werden kann. Alle Bildung und Erziehung, welche die Welt zu geben vermag, kann kein entartetes Kind der Sünde zu einem Kinde des Himmels umgestalten. Die erneuernde Kraft muß von Gott kommen. Einzig und allein durch den Heiligen Geist kann eine solche Umwandlung geschehen. Alle, die gerettet werden wollen, hoch oder niedrig, reich oder arm, müssen sich dem Wirken dieser Macht unterwerfen. CGl 94.4

Wie der Sauerteig, wenn er mit dem Mehl vermengt wird, von innen nach außen wirkt, so bewirkt auch die Gnade Gottes, indem sie an dem Herzen wirkt, eine Umbildung und gänzliche Änderung des Lebens. Ein nur äußerlicher Wechsel genügt nicht, um uns in Harmonie mit Gott zu bringen. Viele versuchen sich zu bessern, indem sie diese oder jene schlechte Gewohnheit ablegen; sie hoffen in dieser Weise Christen zu werden. Aber sie beginnen am verkehrten Platz, sie müssen mit dem Herzen anfangen. Sich als Christ mit dem Mund zu bekennen und die Wahrheit in der Seele zu besitzen, sind zwei grundverschiedene Dinge. Das einfache Wissen der Wahrheit genügt nicht; wir mögen dasselbe haben und unser ganzes Denken und Fühlen kann dennoch unverändert sein. Das Herz muß bekehrt und geheiligt werden. CGl 94.5

Ein Mensch, der es versucht, die Gebote Gottes nur aus Pflichtgefühl zu halten — weil man es von ihm verlangt — wird nie die Freude, die im Gehorsam liegt, erfahren; in Wirklichkeit gehorcht er nicht. Wo die Forderungen Gottes als eine Last angesehen werden, weil sie den menschlichen Neigungen entgegen sind, da ist das Leben noch kein christliches, denn wahrer Gehorsam ist die Betätigung eines im Innern lebenden Grundsatzes. Er entspringt aus der Liebe zur Gerechtigkeit, der Liebe zum Gesetze Gottes. Der Kern aller Gerechtigkeit ist Treue gegen unseren Erlöser. Dies wird uns veranlassen, das Rechte zu tun, weil es recht ist — weil Rechttun Gott gefällt. CGl 95.1

Die große Wahrheit der Herzensbekehrung durch den Heiligen Geist wird uns in den Worten Christi an Nikodemus gezeigt: CGl 95.2

“Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen ... Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Laß dich’s nicht wundern, daß ich dir gesagt habe: Ihr müsset von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, von wannen er kommt, und wohin er fährt. Also ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.” Johannes 3,3-8. CGl 95.3

Der Apostel Paulus sagt durch Eingebung des Heiligen Geistes: “Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit, durch seine große Liebe, damit er uns geliebet hat, da wir tot waren in den Sünden, hat er uns samt Christo lebendig gemacht (denn aus Gnade seid ihr selig worden), und hat uns samt ihm auferwecket, und samt ihm in das himmlische Wesen gesetzt in Christo Jesu, auf daß er erzeigete in den zukünftigen Zeiten den überschwenglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christo Jesu. Denn aus Gnade seid ihr selig worden durch den Glauben, und dasselbige nicht aus euch, Gottes Gabe ist es.” Epheser 2,4-8. CGl 96.1

Der in dem Mehl verborgene Sauerteig wirkt unsichtbar und durchsäuert alles; so wirkt auch der Sauerteig der Wahrheit im geheimen, ruhig und beständig, und die Seele wird umgebildet. Die natürlichen Neigungen werden unterdrückt und verändert; neue Gedanken, neue Gefühle, neue Beweggründe werden eingepflanzt; als neue Richtschnur für die Ausbildung des Charakters dient nun das Leben Christi. Das Gemüt wird umgestaltet, die Kräfte und Gaben werden in neuen Richtungen verwertet. Es werden dem Menschen keine neuen Geistesfähigkeiten verliehen, sondern die vorhandenen werden geheiligt, das Gewissen wird erweckt und die Charakterzüge so entwickelt, daß sie ihn befähigen, etwas für Gott zu tun. CGl 96.2

Oft wird die Frage laut: warum gibt es denn so viele, die vorgeben dem Worte Gottes zu glauben, obgleich an ihnen keine Reformation in Worten, im Geiste und im Charakter zu sehen ist? Warum gibt es so viele, die es nicht vertragen können, wenn ihren Plänen und Absichten widersprochen wird, die ein ungeheiligtes Gemüt besitzen und deren Worte barsch, herrisch und leidenschaftlich sind? In ihrem Leben zeigt sich noch dieselbe Eigenliebe, dieselbe selbstsüchtige Nachsicht gegen das eigene Ich, dieselbe aufgeregte, unüberlegte Sprache, wie im Leben des Weltmenschen. Man sieht denselben empfindlichen Stolz, dasselbe Nachgeben in den natürlichen Neigungen, dieselbe Verkehrtheit des Charakters, als ob die Wahrheit ihnen gänzlich unbekannt wäre. Die Ursache davon ist, daß sie nicht wirklich bekehrt sind. Sie haben den Sauerteig der Wahrheit nicht im Herzen verborgen, sie haben ihm noch nie Gelegenheit gegeben, sein Werk zu verrichten. Ihre natürlichen und anerzogenen Neigungen zum Bösen sind seiner umbildenden Kraft nicht unterworfen worden. Ihr Leben offenbart die Abwesenheit der Gnade Christi und den Unglauben an seine Macht, den Charakter umzubilden. CGl 97.1

“So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Gottes.” Johannes 17,17. Wenn man das Wort Gottes studiert und demselben gehorcht, so wirkt es im Herzen und überwältigt eine jede unheilige Eigenschaft. Der Heilige Geist kommt, um uns der Sünde zu überführen, und der in dem Herzen entstehende Glaube wirkt durch die Liebe zu Christo und bildet uns an Leib, Seele und Geist nach seinem Ebenbilde. Dann kann Gott uns benutzen, seinen Willen auszuführen. Die in uns wirkende Kraft bekundet sich äußerlich und veranlaßt uns, anderen die Wahrheit mitzuteilen, die wir empfangen haben. CGl 97.2

Die Wahrheiten aus dem Worte Gottes bewirken gerade das im Menschen, was er braucht — die Bekehrung der Seele durch den Glauben. Sie sollen nicht für zu rein und zu heilig gehalten werden, um sie im täglichen Leben in die Tat umzusetzen. Sie sind Wahrheiten, welche bis zum Himmel reichen und die ganze Ewigkeit umfassen, deren belebender Einfluß jedoch mit den menschlichen Erfahrungen verwoben werden muß. Sie müssen alle großen und alle kleinen Dinge des täglichen Lebens durchdringen. CGl 98.1

Wird der Sauerteig der Wahrheit in das Herz aufgenommen, so wird er die Wünsche regulieren, die Gedanken reinigen, die Gemütsverfassung mildern, die Geistesfähigkeiten und Seelenkräfte beleben und mehr Mitgefühl und Liebe erzeugen. CGl 98.2

Die Welt betrachtet einen Menschen, der nach solchen Grundsätzen handelt, als einen Sonderling. Der selbstsüchtige Mensch, der das Geld liebt, lebt nur, um sich Reichtümer und Ehren zu sichern und die Vergnügungen dieser Welt zu genießen. Die ewige Welt läßt er ganz aus seiner Rechnung, aber bei dem Nachfolger Christi werden die weltlichen Dinge nicht seine ganze Aufmerksamkeit fesseln; er wird um Christi willen arbeiten, wird sich selbst verleugnen, um in dem großen Werk der Rettung von Seelen, die ohne Christum und ohne Hoffnung in der Welt sind, helfen zu können. Einen solchen Menschen kann die Welt nicht verstehen, denn er behält seine Augen auf die ewigen Wirklichkeiten gerichtet. Die Liebe Christi mit ihrer Erlösungsmacht ist in sein Herz gedrungen. Diese Liebe beherrscht jeden anderen Beweggrund und erhebt ihren Besitzer über den verderblichen Einfluß der Welt. CGl 98.3

Das Wort Gottes soll eine heiligende Wirkung auf unseren Verkehr mit einem jeden Gliede der menschlichen Familie haben. Der Sauerteig der Wahrheit erzeugt nicht den Geist der Eifersucht, des Ehrgeizes oder den Wunsch, der erste zu sein. Wahre, vom Himmel geborene Liebe ist nicht selbstsüchtig oder veränderlich. Sie hängt nicht vom menschlichen Lob ab. Das Herz dessen, der die Gnade Gottes annimmt, fließt über von Liebe zu Gott und zu denjenigen, für die Christus starb. Er strebt nicht mehr nach Anerkennung. Er liebt andere nicht, weil sie ihn lieben und ihm gefallen und seine Verdienste schätzen, sondern weil sie Christi erkauftes Eigentum sind. Wenn die Beweggründe eines solchen, seine Worte oder Handlungen mißverstanden oder falsch dargestellt werden, so wird er nicht beleidigt, sondern geht still sein Gang weiter. Er ist gütig und rücksichtsvoll, denkt gering von sich selbst, ist aber voller Hoffnung und vertraut immer auf die Gnade und Liebe Gottes. CGl 99.1

Der Apostel ermahnt uns: “Nach dem, der euch berufen hat und heilig ist, seid auch ihr heilig in allem euren Wandel. Denn es stehet geschrieben: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig.” 1.Petrus 1,15,16. Die Gnade Christi soll das Gemüt und die Stimme beherrschen. Ihr Wirken wird sich in Höflichkeit, in zarter Rücksicht eines Bruders gegen den andern, in gütigen, liebevollen und ermutigenden Worten kundtun. Engel werden in dem Heim weilen, das ganze Leben atmet einen süßen Duft, der als heiliger Weihrauch zu Gott emporsteigt. Die Liebe offenbart sich in Güte, Freundlichkeit, Langmut und Geduld. CGl 99.2

Das ganze Aussehen wird verändert. Christus wohnt in den Herzen derer, die ihn lieben und seine Gebote halten, und spiegelt sich auf ihren Angesichtern wider. Wahrheit steht auf ihnen geschrieben, der süße Friede des Himmels wird offenbar, eine beständige Sanftmut, eine mehr als menschliche Liebe ist auf ihnen ausgedrückt. CGl 100.1

Der Sauerteig der Wahrheit bewirkt eine Veränderung im ganzen Menschen. Er macht die Groben und Unhöflichen zartfühlend, die Rauhen sanft, die Selbstsüchtigen freigebig. Die Unreinen werden durch ihn gereinigt, im Blute des Lammes gewaschen. Durch seine lebengebende Macht bringt er das ganze Gemüt, die ganze Seele und die ganze Kraft in Harmonie mit dem göttlichen Leben. Der Mensch mit seiner menschlichen Natur wird ein Teilhaber der Göttlichkeit. Christus wird durch die Schönheit und Vollkommenheit des Charakters geehrt. Wenn solche Änderungen bewirkt werden, dann stimmen die Engel ein Loblied an und Gott und Christus freuen sich über die Seelen, die nach dem göttlichen Ebenbilde umgebildet sind. CGl 100.2

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