Propheten und Könige
Kapitel 20: Naëman
Auf der Grundlage von 2.Könige 5.
“Naëman, der Feldhauptmann des Königs von Aram, war ein trefflicher Mann vor seinem Herrn und wert gehalten; denn durch ihn gab der Herr den Aramäern Sieg. Und er war ein gewaltiger Mann, jedoch aussätzig.” 2.Könige 5,1. PK 174.1
Benhadad, der König von Aram, hatte das Heer Israels in der Schlacht besiegt, in der Ahab den Tod fand. Seit jener Zeit waren die Aramäer ständig in Grenzstreitigkeiten gegen Israel verwickelt und hatten bei einem ihrer Einfälle auch ein junges Mädchen weggeführt, das während ihrer Gefangenschaft “im Dienst der Frau Naëmans” stand. Obwohl eine Sklavin und fern der Heimat, war dieses Mädchen dennoch eine Zeugin für Gott, die unbewußt erfüllte, wozu Gott Israel zu seinem Volke erwählt hatte. Während sie in jenem heidnischen Haushalt diente, wurde ihr Mitgefühl geweckt für ihren Herrn. Sie erinnerte sich der großartigen Heilungswunder, die Elisa vollbracht hatte, und sagte zu ihrer Herrin: PK 174.2
“Ach, daß mein Herr wäre bei dem Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz befreien.” 2.Könige 5,3. Sie wußte, daß die Macht des Himmels mit Elisa war, und sie glaubte, daß auch Naëman durch diese Macht geheilt werden konnte. PK 174.3
Das Benehmen des gefangenen Mädchens, die Art und Weise, wie es sich in diesem Haushalt verhielt, ist ein starkes Zeugnis für den Einfluß einer frühen häuslichen Erziehung. Es gibt keine höhere Aufgabe, die Vätern und Müttern in der Pflege und Erziehung ihrer Kinder anvertraut ist. Eltern haben die Aufgabe, für die Entwicklung der Verhaltensweisen und des Charakters ihrer Kinder die Grundlage zu schaffen. Durch ihr Beispiel und ihre Unterweisung beeinflussen sie in hohem Maße deren Zukunft. PK 174.4
Glücklich die Eltern, deren Leben ein Abglanz des Göttlichen ist, so daß die Verheißungen und Gebote Gottes in dem Kinde Dankbarkeit und Ehrfurcht erwecken; glücklich die Eltern, deren Zärtlichkeit, Gerechtigkeit und Langmut ihrem Kinde die Liebe, Gerechtigkeit und Langmut Gottes veranschaulichen und die das Kind, indem sie es lehren, sie zu lieben, ihnen zu vertrauen und zu gehorchen, damit zugleich auch lehren, seinen Vater im Himmel zu lieben, ihm zu vertrauen und ihm gehorsam zu sein. Eltern, die ihrem Kind eine solche Gabe mitgeben, haben es mit einem Schatz bedacht, der nicht nur kostbarer ist als selbst der Reichtum aller Zeiten, sondern noch dazu von ewiger Dauer. PK 175.1
Wir wissen nicht, zu welchem Dienst unsere Kinder einmal berufen werden. Sie mögen ihr Leben im engsten Kreis der Familie zubringen, irgendeinen der alltäglichen Berufe aufnehmen oder auch als Lehrer des Evangeliums in Heidenländer gehen — sie alle sind gleicherweise dazu berufen, Missionare für Gott und Verkündiger der Gnade an die Welt zu sein. Sie sollten deshalb eine Erziehung erhalten, die sie befähigt, in selbstlosem Dienst einen Platz an der Seite Christi auszufüllen. PK 175.2
Die Eltern jenes hebräischen Mädchens hatten, als sie es über Gott belehrten, nichts davon gewußt, wie sich sein Leben gestalten würde. Doch sie hatten gewissenhaft ihre Aufgabe erfüllt. Im Hause des aramäischen Feldhauptmanns legte es Zeugnis ab von Gott, den es zu ehren gelernt hatte. PK 175.3
Als Naëman erfuhr, was das Mädchen zu ihrer Herrin gesagt hatte, ließ er sich vom König die Erlaubnis geben und machte sich auf, Heilung zu suchen. “Er ... nahm mit sich zehn Zentner Silber und sechstausend Goldgulden und zehn Feierkleider.” Er trug einen Brief des Königs von Aram an den König Israels bei sich, in dem stand: “Ich habe meinen Knecht Naëman zu dir gesandt, damit du ihn von seinem Aussatz befreist.” Und als der König von Israel den Brief las, zerriß er seine Kleider und sprach: “Bin ich denn Gott, daß ich töten und lebendig machen könnte, daß er zu mir schickt, ich solle den Mann von seinem Aussatz befreien? Merkt und seht, wie er Streit mit mir sucht!” 2.Könige 5,5-7. PK 175.4
Das kam auch Elisa zu Ohren. Er sandte zum König und ließ ihm sagen: “Warum hast du deine Kleider zerrissen? Laß ihn zu mir kommen, damit er innewerde, daß ein Prophet in Israel ist. So kam Naëman mit Rossen und Wagen und hielt vor der Tür am Hause Elisas.” Durch einen Boten bat ihn der Prophet: “Geh hin und wasche dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wieder heil und du wirst rein werden”. 2.Könige 5,8-10. PK 175.5
Naëman hatte erwartet, irgendeine wunderbare Bekundung himmlischer Macht zu sehen. “Ich meinte”, sprach er, “er selbst sollte zu mir herauskommen und hertreten und den Namen des Herrn, seines Gottes, anrufen und seine Hand hin zum Heiligtum erheben und mich so von dem Aussatz befreien.” 2.Könige 5,11. Da ihm nun gesagt wurde, er solle sich im Jordan waschen, war er in seinem Stolz gekränkt. Voller Verdruß und Enttäuschung erklärte er: “Sind nicht die Flüsse von Damaskus, Amana und Parpar, besser als alle Wasser in Israel, so daß ich mich in ihnen waschen und rein werden könnte? Und er wandte sich und zog weg im Zorn.” 2.Könige 5,12. PK 176.1
Der stolze Geist Naëmans lehnte sich dagegen auf, den Rat zu befolgen, den Elisa ihm gegeben hatte. Die von dem aramäischen Feldhauptmann erwähnten Flüsse waren von herrlichen Hainen gesäumt, und viele Menschen kamen an die Ufer dieser Gewässer, um dort ihre Götzen anzubeten. Für Naëman wäre es keine Demütigung gewesen, in einen dieser Flüsse hinabzusteigen. Doch er konnte nur geheilt werden, wenn er den Weisungen des Propheten nachkam. Bereitwilliger Gehorsam allein konnte zu dem erwünschten Ergebnis führen. PK 176.2
Naëmans Knechte flehten ihren Herrn an, die Anweisungen Elisas zu befolgen. “Wenn dir”, so forderten sie ihn auf, “der Prophet etwas Großes geboten hätte, hättest du es nicht getan? Wieviel mehr, wenn er zu dir sagt: Wasche dich, so wirst du rein!” 2.Könige 5,13. Naëmans Glaube wurde auf die Probe gestellt; sein Stolz jedoch wollte sich behaupten. Schließlich siegte der Glaube, und der hochmütige Aramäer ließ seinen Stolz fahren und beugte sich demütig unter den Willen Gottes. Siebenmal tauchte er im Jordan unter, “wie der Mann Gottes geboten hatte”. Und sein Glaube wurde belohnt; denn “sein Fleisch wurde wieder heil wie das Fleisch eines jungen Knaben, und er wurde rein”. 2.Könige 5,14. PK 176.3
Dankbar kehrte er “zurück zu dem Mann Gottes mit allen seinen Leuten” und bekannte: “Siehe, nun weiß ich, daß kein Gott ist in allen Landen, außer in Israel.” 2.Könige 5,15. PK 176.4
Wie es damaliger Sitte entsprach, bat Naëman darauf Elisa, ein kostbares Geschenk anzunehmen. Der Prophet aber lehnte ab. Er durfte sich eine Wohltat nicht bezahlen lassen, die Gott gnädig erwiesen hatte. “So wahr der Herr lebt, vor dem ich stehe”, sprach er, “ich nehme es nicht”. Der Aramäer “nötigte ihn, daß er es nehme; aber er wollte nicht”. 2.Könige 5,16. PK 177.1
“Da sprach Naëman: Wenn nicht, so könnte doch deinem Knecht gegeben werden von dieser Erde eine Last, soviel zwei Maultiere tragen! Denn dein Knecht will nicht mehr andern Göttern opfern und Brandopfer darbringen, sondern allein dem Herrn. Nur darin wolle der Herr deinem Knecht gnädig sein: Wenn mein König in den Tempel Rimmons geht, um dort anzubeten, und er sich auf meinen Arm lehnt und ich auch anbete im Tempel Rimmons, dann möge der Herr deinem Knecht vergeben. PK 177.2
Er sprach zu ihm: Zieh hin mit Frieden!” 2.Könige 5,17-19. PK 177.3
Gehasi, Elisas Diener, hatte während all dieser Jahre die Gelegenheit gehabt, jenen Geist der Selbstverleugnung zu entwickeln, der das Lebenswerk seines Herrn auszeichnete. Er durfte ein Vorkämpfer im Heere des Herrn sein. Lange Zeit standen ihm die Segnungen des Himmels zur Verfügung; er hatte sich indessen von ihnen abgewandt und statt ihrer die trügerischen Schätze irdischen Reichtums begehrt. Und nun wurden die heimlichen Wünsche seiner Habgier der Anlaß, daß er einer mächtigen Versuchung erlag. “Siehe”, so dachte er, “mein Herr hat diesen Aramäer Naëman verschont, daß er nichts von ihm genommen hat, was er gebracht hat ... ich will ihm nachlaufen und mir etwas von ihm geben lassen”. 2.Könige 5,20. So kam es, daß Gehasi heimlich dem Aramäer nachjagte. PK 177.4
“Und als Naëman sah, daß er ihm nachlief, stieg er vom Wagen, ging ihm entgegen und sprach: Geht’s gut? Er sprach: Ja.” 2.Könige 5,21.22. Dann aber log Gehasi vorsätzlich; denn er sagte: “Mein Herr hat mich gesandt und läßt dir sagen: Siehe, jetzt sind zu mir gekommen vom Gebirge Ephraim zwei von den Prophetenjüngern. Gib ihnen doch einen Zentner Silber und zwei Feierkleider!” 2.Könige 5,22. Dieser Bitte entsprach Naëman gern, und er nötigte Gehasi sogar statt eines Zentners Silber deren zwei auf, außerdem noch zwei Feierkleider. Dann beauftragte er Diener, den Schatz zurückzutragen. PK 177.5
Als Gehasi sich dem Hause Elisas näherte, entließ er die Diener und versteckte das Silber und die Feierkleider. Nachdem er dies getan hatte, “trat er vor seinen Herrn” und log, um einer Rüge zu entgehen, zum zweitenmal. Auf die Frage des Propheten: “Woher, Gehasi?” antwortete er nämlich: “Dein Knecht ist weder hierhin noch dorthin gegangen.” 2.Könige 5,25. PK 178.1
Doch nun folgte die schwerwiegende Anklage, aus der hervorging, daß Elisa alles wußte. “Bin ich nicht im Geist mit dir gegangen, als der Mann sich umwandte von seinem Wagen dir entgegen? Wohlan, du hast nun das Silber und die Kleider genommen und wirst dir schaffen Ölgärten, Weinberge, Schafe, Rinder, Knechte und Mägde. Aber der Aussatz Naëmans wird dir anhangen und deinen Nachkommen allezeit.” Schnell ereilte die Vergeltung den Schuldigen. Er verließ Elisa “aussätzig wie Schnee”. 2.Könige 5,26.27. PK 178.2
Ernst und gewichtig sind die Lehren, die durch die Erfahrung eines Menschen vermittelt werden, der hohe und heilige Segensgaben empfangen hat. Gehasis Verhalten hätte für Naëman ein Stein des Anstoßes werden können; denn diesem war eine außerordentliche Erkenntnis aufgegangen, die ihn bewegte, dem Dienst des lebendigen Gottes seine Neigung zu bekunden. Für den Betrug Gehasis gab es keine Entschuldigung. Bis zu seinem Tode blieb er aussätzig, ein Mensch, auf dem die Strafe Gottes lag und der von seinen Mitmenschen gemieden wurde. PK 178.3
“Ein falscher Zeuge bleibt nicht ungestraft; und wer frech Lügen redet, wird nicht entrinnen.” Sprüche 19,5. Die Menschen denken vielleicht, sie könnten ihre bösen Handlungen vor den Augen anderer Menschen verbergen; Gott aber können sie nicht täuschen. “Es ist alles bloß und aufgedeckt vor Gottes Augen, dem wir Rechenschaft geben müssen.” Hebräer 4,13. Gehasi gedachte Elisa zu betrügen; Gott offenbarte seinem Propheten jedoch die Worte, die Gehasi zu Naëman gesprochen hatte, ja sogar jede Einzelheit des Geschehens war ihm gegenwärtig. PK 178.4
Die Wahrheit stammt von Gott; der Betrug in seiner vielfältigen Gestalt dagegen von Satan. Jeder, der in irgendeiner Weise vom geraden Weg der Wahrheit abweicht, begibt sich daher in die Macht des Bösen. Wer von Christus gelernt hat, wird “nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis” haben. Epheser 5,11. In Wort und Tat wird er schlicht, redlich und aufrichtig sein und sich so auf die Gemeinschaft der Heiligen vorbereiten, in deren Munde kein Falsch ist. Vgl. Offenbarung 14,5. PK 178.5
Noch Jahrhunderte nach der Rückkehr des geheilten und bekehrten Naëman in seine aramäische Heimat wies der Heiland auf dessen außerordentlichen Glauben hin und lobte ihn als Vorbild für alle, die Gott dienen wollen. “Viele Aussätzige waren in Israel zu des Propheten Elisa Zeiten, und deren keiner ward gereinigt als allein Naëman aus Syrien.” Lukas 4,27. Gott überging die vielen Aussätzigen in Israel, weil ihnen ihr Unglaube den Zugang zum eigenen Wohlergehen verschloß. Ein heidnischer Adliger, der seiner Überzeugung vom rechten Weg treu geblieben war und der verspürte, daß ihm Hilfe not tat, wurde in Gottes Augen seines Segens für würdiger gehalten als die Kranken in Israel, die seine Gnadengaben geringgeschätzt und verachtet hatten. Gott tut etwas für Menschen, die seine Segnungen schätzen und nach der ihnen verliehenen Erkenntnis leben. PK 179.1
Es gibt heute in allen Landen aufrichtige Menschen, denen Erkenntnis von Gott zuteil wird. Wenn sie weiterhin gewissenhaft das befolgen, was sie für ihre Pflicht halten, wird sich ihre Erkenntnis mehren, bis sie wie einst Naëman bekennen müssen, “daß kein Gott ist in allen Landen” außer dem lebendigen Gott, dem Schöpfer. PK 179.2
Jeder aufrichtige Mensch, “der im Finstern wandelt und dem kein Licht scheint”, wird eingeladen, daß er “hoffe auf den Namen des Herrn und verlasse sich auf seinen Gott”. Jesaja 50,10. Man hat es auch “von alters her nicht vernommen ... Kein Ohr hat es gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren. Du begegnetest denen, die Gerechtigkeit übten und auf deinen Wegen deiner gedachten.” Jesaja 64,3.4. PK 179.3