Propheten und Könige
Kapitel 10: Strenger Tadel ist nötig
Auf der Grundlage von 1.Könige 17,8-24; 1.Könige 18,1-19.
Eine Zeitlang hielt sich Elia in den Bergen am Bache Krith verborgen. Dort wurde er viele Monate auf wunderbare Weise mit Nahrung versorgt. Als später jedoch auch dieser Bach infolge der anhaltenden Dürre austrocknete, befahl Gott seinem Knechte, in einem heidnischen Land Zuflucht zu suchen. “Mach dich auf und geh nach Zarpath, das bei Sidon liegt, und bleibe dort; denn ich habe dort einer Witwe geboten, dich zu versorgen.” 1.Könige 17,9. PK 90.1
Diese Frau war keine Israelitin. Sie hatte keinen Anteil an den Vorzügen und Segnungen, deren sich Gottes auserwähltes Volk erfreute. Trotzdem glaubte sie an den wahrhaftigen Gott und lebte gemäß der Erkenntnis, die ihren Lebenspfad erhellte. Als nun Elia im Lande Israel nicht mehr sicher war, sandte Gott ihn zu dieser Frau, damit er in ihrem Hause Zuflucht fände. PK 90.2
“Und er machte sich auf und ging nach Zarpath. Und als er an das Tor der Stadt kam, siehe, da war eine Witwe, die las Holz auf. Und er rief ihr zu und sprach: Hole mir ein wenig Wasser im Gefäß, daß ich trinke! Und als sie hinging zu holen, rief er ihr nach und sprach: Bringe mir auch einen Bissen Brot mit!” 1.Könige 17,10.11. PK 90.3
Auf diesem von Armut heimgesuchten Hause lastete die Hungersnot besonders schwer, und auch der überaus kärgliche Speisevorrat schien aufgebraucht zu sein. Elia traf gerade an dem Tage ein, an dem die Witwe fürchtete, ihren Kampf um die Erhaltung des Lebens aufgeben zu müssen. Das stellte ihren Glauben, daß der lebendige Gott Macht habe, für ihre Bedürfnisse zu sorgen, auf eine außerordentliche Probe. Doch selbst in dieser schrecklichen Notlage bezeugte sie ihr Vertrauen, indem sie der Bitte des Fremdlings, ihren letzten Bissen mit ihm zu teilen, bereitwillig nachkam. PK 90.4
Elias Forderung nach Speise und Trank veranlaßte die Witwe zu den Worten: “So wahr der Herr, dein Gott, lebt: ich habe nichts Gebackenes, nur eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Und siehe, ich habe ein Scheit Holz oder zwei aufgelesen und gehe heim und will mir und meinem Sohn zurichten, daß wir essen — und sterben.” 1.Könige 17,12. Elia erwiderte hierauf: “Fürchte dich nicht! Geh hin und mach’s, wie du gesagt hast. Doch mache zuerst mir etwas Gebackenes davon und bringe mir’s heraus; dir aber und deinem Sohn sollst du danach auch etwas backen. Denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der Herr regnen lassen wird auf Erden.” 1.Könige 17,13.14. PK 91.1
Eine größere Glaubensprüfung war undenkbar. Bis jetzt hatte die Witwe alle Fremdlinge freundlich und freigebig aufgenommen. Und auch jetzt bestand sie diese außerordentliche Prüfung ihrer Gastfreundlichkeit, denn sie “tat, wie Elia gesagt hatte”. 1.Könige 17,15. Dabei nahm sie keine Rücksicht auf die Folgen, die ihr und ihrem Kinde daraus erwachsen konnten, sondern setzte ihr Vertrauen einzig auf den Gott Israels, der jedem Mangel abzuhelfen vermochte. PK 91.2
Die Gastfreundschaft, die diese phönizische Frau dem Propheten Gottes bewies, war bewunderungswürdig; wunderbar war aber auch der Lohn, den sie für ihren Glauben und ihre Freigebigkeit empfing. “Sie ging hin und tat, wie Elia gesagt hatte. Und er aß und sie auch und ihr Sohn Tag um Tag. Das Mehl im Topf wurde nicht verzehrt, und dem Ölkrug mangelte nichts nach dem Wort des Herrn, das er durch Elia geredet hatte.” 1.Könige 17,15.16. PK 91.3
Einige Zeit später “wurde der Sohn seiner Hauswirtin krank, und seine Krankheit wurde so schwer, daß kein Odem mehr in ihm blieb. Und sie sprach zu Elia: Was habe ich mit dir zu schaffen, du Mann Gottes? Du bist zu mir gekommen, daß meiner Sünde gedacht und mein Sohn getötet würde. PK 91.4
Er sprach zu ihr: Gib mir deinen Sohn! Und er nahm ihn von ihrem Schoß und ging hinauf ins Obergemach, wo er wohnte, und legte ihn auf sein Bett ... Und er legte sich auf das Kind dreimal und rief den Herrn an ... Und der Herr erhörte die Stimme Elias, und das Leben kehrte in das Kind zurück, und es wurde wieder lebendig. PK 91.5
Und Elia nahm das Kind und brachte es hinab vom Obergemach ins Haus und gab es seiner Mutter und sprach: Sieh da, dein Sohn lebt! Und die Frau sprach zu Elia: Nun erkenne ich, daß du ein Mann Gottes bist, und des Herrn Wort in deinem Munde ist Wahrheit.” 1.Könige 17,17-24. PK 92.1
Die Witwe von Zarpath teilte ihren letzten Bissen mit Elia; dafür blieb ihr Leben und das ihres Sohnes bewahrt. So hat Gott all denen großen Segen verheißen, die in Zeiten der Anfechtung und des Mangels andern ihr Mitgefühl bekunden und Hilfe leisten, die noch bedürftiger sind. Der Herr hat sich nicht gewandelt. Seine Macht ist heute nicht geringer als zur Zeit Elias. Die Verheißung Jesu: “Wer einen Propheten aufnimmt darum, daß er ein Prophet ist, der wird eines Propheten Lohn empfangen” (Matthäus 10,41), erfüllt sich heute genauso sicher wie damals. “Gastfrei zu sein, vergesset nicht; denn dadurch haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt.” Hebräer 13,2. Diese Worte haben im Laufe der Zeit nichts an Bedeutung eingebüßt. Immer noch schickt unser himmlischer Vater seinen Kindern Gelegenheiten, die nichts anderes als verborgene Segnungen sind. Wer diese Gelegenheiten benutzt, erlebt große Freude. Wenn du “den Hungrigen dein Herz finden läßt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.” Jesaja 58,10.11. PK 92.2
Christus versichert noch heute seinen treuen Dienern: “Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat.” Matthäus 10,40. Keine Gefälligkeit, die in seinem Namen geschieht, wird unbeachtet und unbelohnt bleiben. Selbst die Schwächsten und Geringsten der Kinder Gottes schließt Christus in diese zärtliche Anerkennung ein. “Wer einen dieser Geringsten [die in ihrem Glauben und in ihrer Erkenntnis Christi wie Kinder sind] nur mit einem Becher kalten Wassers tränkt darum, daß er mein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch: es wird ihm nicht unbelohnt bleiben.” Matthäus 10,42. PK 92.3
Während der langen Jahre der Dürre und Hungersnot betete Elia ernstlich darum, daß sich die Israeliten vom Götzendienst abwenden und Gott gehorsam werden möchten. Der Prophet wartete geduldig, indes die Hand des Herrn schwer auf dem heimgesuchten Lande lastete. Als er erkannte, wie das Leid und die Armut in jeder Hinsicht zunahmen, schmerzte es ihn zutiefst, und er wünschte sich sehnlichst, auf schnellstem Wege eine Reformation herbeiführen zu können. Gott hatte jedoch seine eigenen Absichten, und so konnte sein Diener nichts weiter tun, als vertrauensvoll zu beten und die Zeit für entschiedenes Handeln abzuwarten. PK 92.4
Der Abfall zur Zeit Ahabs war nur das Ergebnis langjährigen Versündigens. Schritt für Schritt und Jahr für Jahr war Israel weiter vom richtigen Wege abgewichen. Eine Generation nach der andern hatte sich gesträubt, den geraden Weg einzuschlagen, bis sich zuletzt die überwiegende Mehrheit des Volkes von den Mächten der Finsternis leiten ließ. PK 93.1
Ein Jahrhundert etwa war verstrichen, seit die Kinder Israel unter König Davids Regierung gemeinsam dem Allerhöchsten Lobgesänge dargebracht hatten. So hatten sie klar ausgedrückt, wie völlig abhängig sie von seinen täglichen Gnadenerweisungen waren. Vernehmt ihre Worte der Anbetung, die sie damals sangen: PK 93.2
“Gott, unser Heil ... Du machst fröhlich, was da lebet
im Osten wie im Westen.
PK 93.3
Du suchst das Land heim und bewässerst es und machst
es sehr reich; Gottes Brünnlein hat Wasser die Fülle.
PK 93.4
Du lässest ihr Getreide gut geraten; denn so baust du das
Land. Du tränkst seine Furchen und feuchtest seine Schol-
len; mit Regen machst du es weich und segnest sein
Gewächs.
PK 93.5
Du krönst das Jahr mit deinem Gut, und deine Fuß-
tapfen triefen von Segen. Es triefen auch die Auen in der
Steppe, und die Hügel sind erfüllt mit Jubel. Die Anger sind
voller Schafe, und die Auen stehen dick mit Korn, daß man
jauchzet und singet.” Psalm 65,6.9-14.
PK 93.6
Damals hatte Israel Gott als den anerkannt, der “das Erdreich gegründet” hat. Psalm 104,5. In diesem ihrem Glauben hatten sie gesungen: PK 93.7
“Mit Fluten decktest du es [das Erdreich] wie mit
einem Kleide, und die Wasser standen über den Bergen.
PK 93.8
Aber vor deinem Schelten flohen sie, vor deinem Donner
fuhren sie dahin. Die Berge stiegen hoch empor, und die Täler senkten sich herunter zum Ort, den du ihnen ge-
gründet hast. Du hast eine Grenze gesetzt, darüber kom-
men sie nicht und dürfen nicht wieder das Erdreich be-
decken.” Psalm 104,6-9.
PK 93.9
Allein die starke Macht des Unendlichen hält die Naturkräfte der Erde, des Meeres und des Himmels im Gleichgewicht. Diese Kräfte setzt er auch für das Glück seiner Geschöpfe ein. “Seinen guten Schatz” tut er umsonst auf, damit er “Regen gebe zur rechten Zeit und daß er segne alle Werke deiner Hände”. 5.Mose 28,12. PK 94.1
“Du lässest Wasser in den Tälern quellen, daß sie
zwischen den Bergen dahinfließen, daß alle Tiere des Fel-
des trinken und das Wild seinen Durst lösche. Darüber
sitzen die Vögel des Himmels und singen unter den Zwei-
gen ...
PK 94.2
Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz
den Menschen, daß du Brot aus der Erde hervorbringst,
daß der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Ant-
litz schön werde vom Öl und das Brot des Menschen Herz
stärke ...
PK 94.3
Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie
alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter. Da
ist das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelt’s ohne
Zahl, große und kleine Tiere ...
PK 94.4
Es warten alle auf dich, daß du ihnen Speise gebest zur
rechten Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn
du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem ge-
sättigt.” Psalm 104,10-12.14.15.24.25.27.28.
PK 94.5
Die Israeliten hatten reichlich Veranlassung, sich zu freuen. In dem Land, in das der Herr sie geführt hatte, flossen Milch und Honig. Während des Zuges durch die Wüste hatte ihnen der Herr versprochen, er werde sie in ein Land bringen, in dem sie niemals infolge Regenmangels Not leiden würden. Er hatte ihnen versichert: “Das Land, in das du kommst, es einzunehmen, ist nicht wie Ägyptenland, von dem ihr ausgezogen seid, wo du deinen Samen säen und selbst tränken mußtest wie einen Garten, sondern es hat Berge und Auen, die der Regen vom Himmel tränkt — ein Land, auf das der Herr, dein Gott, achthat und die Augen des Herrn, deines Gottes, immerdar sehen vom Anfang des Jahres bis an sein Ende.” 5.Mose 11,10-12. PK 94.6
Die Verheißung der Regenfülle war allerdings unter der Bedingung des Gehorsams gegeben worden: “Werdet ihr nun auf meine Gebote hören, die ich euch heute gebiete, daß ihr den Herrn, euren Gott, liebet und ihm dienet von ganzem Herzen und von ganzer Seele, so will ich eurem Lande Regen geben zu seiner Zeit, Frühregen und Spätregen, daß du einsammelst dein Getreide, deinen Wein und dein Öl, und will deinem Vieh Gras geben auf deinem Felde, daß ihr esset und satt werdet.” 5.Mose 11,13-15. PK 95.1
Hierauf hatte der Herr sein Volk ermahnt: “Hütet euch aber, daß sich euer Herz nicht betören lasse, daß ihr abfallet und dienet andern Göttern und betet sie an, und daß dann der Zorn des Herrn entbrenne über euch und schließe den Himmel zu, so daß kein Regen kommt und die Erde ihr Gewächs nicht gibt und ihr bald ausgetilgt werdet aus dem guten Lande, das euch der Herr gegeben hat.” 5.Mose 11,16.17. PK 95.2
Weiter hatten die Kinder Israel die Warnung erhalten: “Wenn du aber nicht gehorchen wirst der Stimme des Herrn, deines Gottes, und wirst nicht halten und tun alle seine Gebote und Rechte ...”, dann wird “der Himmel, der über deinem Haupt ist ... ehern werden und die Erde unter dir eisern. Statt des Regens für dein Land wird der Herr Staub und Asche vom Himmel auf dich geben, bis du vertilgt bist.” 5.Mose 28,15.23.24. PK 95.3
Solcherart weise Ratschläge gab Gott den Israeliten in der Frühzeit. “So nehmt nun diese Worte zu Herzen und in eure Seele”, befahl er seinem erwählten Volk, “und bindet sie zum Zeichen auf eure Hand und macht sie zum Merkzeichen zwischen euren Augen und lehrt sie eure Kinder, daß du davon redest, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst.” 5.Mose 11,18.19. Diese Forderungen waren eindeutig; doch als die Jahrhunderte verstrichen und eine Generation nach der andern die für ihr geistliches Wohlergehen getroffenen Vorkehrungen aus dem Auge verlor, drohten die verheerenden Einflüsse des Abfalls zuletzt jeden Schutzwall wegzureißen, den Gott in seiner Gnade errichtet hatte. PK 95.4
Deshalb mußte Gott sein Volk nun mit strengsten Strafgerichten heimsuchen. Elias Voraussage erfüllte sich in schrecklichem Ausmaße. Drei Jahre lang wurde nach ihm als dem Unheilsboten in allen Städten und Ländern gesucht. Auf Ahabs Ersuchen hatten viele Herrscher ihr Ehrenwort gegeben, daß der seltsame Prophet nicht in ihrem Hoheitsbereich zu finden sei. Trotzdem wurden die Nachforschungen fortgesetzt; denn Isebel und die Propheten Baals verfolgten Elia mit tödlichem Haß. Sie scheuten keine Mühe, ihn in ihre Gewalt zu bekommen. Doch immer noch blieb der Regen aus. PK 95.5
Endlich aber, “nach einer langen Zeit”, erreichte Elia das Wort des Herrn: “Geh hin und zeige dich Ahab, denn ich will regnen lassen auf die Erde.” 1.Könige 18,1. PK 96.1
Elia führte den Befehl aus und “ging hin, um sich Ahab zu zeigen”. 1.Könige 18,2. Eben um die Zeit, als der Prophet seine Reise nach Samaria antrat, hatte Ahab den Plan gefaßt, gemeinsam mit seinem Hofmeister Obadja gründliche Nachforschungen nach Quellen und Wasser führenden Bächen anzustellen. Er hoffte nämlich, doch noch etwas Weide für die ermatteten Schaf- und Rinderherden zu finden. Sogar am königlichen Hofe machte sich die lang anhaltende Dürre empfindlich bemerkbar. Der König war ernstlich um die Zukunft seines Hauses besorgt und beschloß deshalb, sich mit seinem Diener an der Suche nach etwaigen günstigen Weideplätzen persönlich zu beteiligen. “Sie teilten sich ins Land, daß sie es durchzogen. Ahab zog allein auf dem einen Weg und Obadja auch allein auf dem andern Weg. Als nun Obadja auf dem Wege war, siehe, da begegnete ihm Elia. Und als er ihn erkannte, fiel er auf sein Antlitz und sprach: Bist du es nicht, Elia, mein Herr?” 1.Könige 18,6.7. PK 96.2
Trotz Israels Abfall war Obadja Gott treu geblieben. Selbst sein Herr, der König, hatte ihn nicht von seiner Treue zum lebendigen Gott abzubringen vermocht. Darum wurde er nun auch von Elia mit dem Auftrag beehrt: “Geh hin und sage deinem Herrn: Siehe, Elia ist da!” 1.Könige 18,8. PK 96.3
Entsetzt rief Obadja: “Was hab ich gesündigt, daß du deinen Knecht in die Hände Ahabs geben willst, daß er mich tötet?” 1.Könige 18,9. Eine solche Botschaft Ahab zu überbringen hieß, sich dem sichern Tode auszuliefern. Obadja erklärte deshalb dem Propheten: “So wahr der Herr, dein Gott, lebt: es gibt kein Volk noch Königreich, wohin mein Herr nicht gesandt hat, dich zu suchen. Und wenn sie sprachen: Er ist nicht hier, nahm er einen Eid von dem Königreich und Volk, daß man dich nicht gefunden hätte. Und nun sprichst du: Geh hin, sage deinem Herrn: Siehe, Elia ist da! Wenn ich nun hinginge von dir, so könnte dich der Geist des Herrn entführen, und ich wüßte nicht wohin; und wenn ich dann käme und sagte es Ahab an und er fände dich nicht, so tötete er mich.” 1.Könige 18,10-12. PK 96.4
Eindringlich flehte Obadja den Propheten an, ihm diesen Auftrag nicht aufzuzwingen: “Und doch fürchtet dein Knecht den Herrn von seiner Jugend auf”, betonte er. “Ist’s meinem Herrn Elia nicht angesagt, was ich getan habe, als Isebel die Propheten des Herrn tötete? Daß ich von den Propheten des Herrn hundert versteckte, hier fünfzig und da fünfzig, in Höhlen und versorgte sie mit Brot und Wasser? Und nun sprichst du: Geh hin, sage deinem Herrn: Elia ist da! Dann wird er mich töten.” 1.Könige 18,12-14. PK 97.1
Elia versprach Obadja unter Eid, daß dessen Botengang nicht vergebens sein werde. “So wahr der Herr Zebaoth lebt, vor dem ich stehe: ich will mich ihm heute zeigen.” Beruhigt “ging Obadja hin Ahab entgegen und sagte es ihm an”. 1.Könige 18,15.16. PK 97.2
Mit Erstaunen und Schrecken vernahm der König die Botschaft des Mannes, den er fürchtete und haßte und nach dem er so unermüdlich gefahndet hatte. Er wußte genau, daß Elia sein Leben nicht in Gefahr brachte, weil er ihm begegnen wollte. Sollte der Prophet womöglich eine weitere Plage für Israel ankündigen? Der König wurde von Furcht ergriffen. Ihm fiel Jerobeams verdorrter Arm ein. Der Zusammenkunft mit dem Boten Gottes konnte Ahab nicht ausweichen, und er wagte es auch nicht, seine Hand gegen ihn zu erheben. So ging er, ein bebender Monarch, von einer Leibwache begleitet, dem von Gott gesandten Propheten entgegen. PK 97.3
Nun standen König und Prophet einander gegenüber. Obwohl mit leidenschaftlichem Haß gegen Elia erfüllt, machte Ahab in der Gegenwart des Propheten einen verzagten und kraftlosen Eindruck. Schon die erste noch gestammelte Frage: “Bist du nun da, der Israel ins Unglück stürzt?” 1.Könige 18,17. verriet unbewußt die innersten Regungen seines Herzens. Ahab wußte, daß der Himmel allein durch den Spruch Gottes so undurchdringlich wie Erz geworden war. Trotzdem wollte er dem Propheten die Schuld an den schweren Strafgerichten, unter denen das Land litt, aufbürden. PK 97.4
Es ist ganz natürlich, daß der Missetäter die Boten Gottes für die Nöte verantwortlich macht, die eine Folge seines Abweichens vom Wege der Gerechtigkeit sind. Menschen, die sich in Satans Machtbereich begeben, können die Dinge nicht mehr so betrachten, wie Gott sie sieht. Wird ihnen dann die Wahrheit wie ein Spiegel vorgehalten, werden sie zornig bei dem Gedanken, daß man sie zurechtweisen wolle. Durch die Sünde verblendet, weigern sie sich zu bereuen. Sie meinen, Gottes Knechte hätten sich gegen sie gewandt und verdienten selbst schärfste Kritik. PK 98.1
Elia stand im Bewußtsein seiner Schuldlosigkeit vor Ahab und unternahm keinen Versuch, sich zu entschuldigen oder dem König zu schmeicheln. Er wollte sich dem Zorn des Königs auch nicht durch die frohe Kunde entziehen, daß die Trockenheit nahezu vorüber sei. Er hatte nichts zu seiner Rechtfertigung vorzubringen. Entrüstet und voll Eifer für die Ehre Gottes wies er den Anwurf Ahabs zurück und erklärte ihm furchtlos, daß des Königs und seiner Väter Sünden dieses furchtbare Elend über Israel gebracht hätten. “Nicht ich stürze Israel ins Unglück, sondern du und deines Vaters Haus dadurch, daß ihr des Herrn Gebote verlassen habt und wandelt den Baalen nach.” 1.Könige 18,18. PK 98.2
Heutzutage ist die Äußerung strengen Tadels ebenso notwendig; denn schwerwiegende Sünden trennen die Menschen von Gott. Untreue wird schnell modern. “Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche” (Lukas 19,14), ist die Sprache Tausender. Die einschmeichelnden Predigten, die so oft gehalten werden, hinterlassen keinen bleibenden Eindruck; die Posaune gibt keinen klaren Ton. Die lauteren, durchdringenden Wahrheiten des Wortes Gottes treffen nicht mehr mitten ins menschliche Herz. PK 98.3
Viele angebliche Christen würden auf die Frage nach ihren wahren Empfindungen einwenden: Muß man denn so deutlich werden? Sie könnten ebensogut fragen, ob es nötig gewesen sei, daß Johannes der Täufer zu den Pharisäern sagte: “Ihr Otterngezüchte, wer hat denn euch gewiesen, daß ihr dem zukünftigen Zorn entrinnen werdet?” Lukas 3,7. Weshalb mußte er den Zorn der Herodias dadurch herausfordern, daß er Herodes vorhielt, sein Zusammenleben mit der Frau seines Bruders sei gesetzwidrig? Der Vorläufer Christi verlor infolge seiner freimütigen Äußerungen das Leben. Hätte er nicht seinen Weg gehen können, ohne das Mißfallen derer zu erregen, die in Sünden dahinlebten? PK 98.4
So haben Männer argumentiert, die treue Hüter des Gesetzes Gottes hätten sein sollen, bis schließlich Berechnung an die Stelle von Glaubenstreue rückte und Sünde ungerügt blieb. Wann wird ehrliche Zurechtweisung noch einmal in der Gemeinde vernommen werden? PK 99.1
Worte von so unzweideutiger Offenheit wie “Du bist der Mann!” (2.Samuel 12,7), die Nathan zu David sprach, sind heutzutage nur selten von den Kanzeln zu vernehmen und in der Tagespresse zu lesen. Wären sie nicht gar so selten, könnten wir öfter erleben, wie sich die Macht Gottes unter den Menschen offenbart. Des Herrn Boten sollten nicht über die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen klagen, solange sie nicht ihre Lust am Beifall und ihr Verlangen nach Menschengunst bereuen; denn durch sie werden sie nur veranlaßt, die Wahrheit zu verschweigen. PK 99.2
Prediger, die den Menschen gefällig sind und “Friede! Friede!” Jeremia 6,14; Jeremia 8,11. rufen, obwohl Gott nichts von Frieden gesagt hat, sollten ihre Herzen vor Gott demütigen und ihn wegen ihrer Unaufrichtigkeit und ihrem Mangel an sittlichem Mut um Vergebung bitten. Sie schwächen die ihnen anvertraute Botschaft nicht etwa aus Liebe zu ihrem Nächsten ab, sondern aus Nachsicht gegen sich selbst und aus Liebe zur Bequemlichkeit. Wahre Liebe will zuerst Gott ehren und Menschen retten. Wer diese Liebe besitzt, wird nicht der Wahrheit ausweichen, um sich vor den unangenehmen Folgen ehrlicher Worte zu bewahren. Wenn Menschen gefährdet sind, werden Gottes Diener niemals auf sich selbst Rücksicht nehmen, sondern sagen, was ihnen aufgetragen ist, und sich weigern, das Böse zu entschuldigen oder zu beschönigen. PK 99.3
Wenn doch alle Prediger die Würde ihres Dienstes und die Heiligkeit ihres Werkes erkennten und den Mut eines Elia zeigten! Als von Gott erwählte Boten ist ihnen eine sehr große Verantwortung auferlegt worden. Sie sollen “mit aller Geduld” zurechtweisen, drohen und ermahnen. 2.Timotheus 4,2. An Christi Statt sollen sie als Haushalter der Geheimnisse des Himmels tätig sein, die Gehorsamen ermutigen und die Ungehorsamen warnen. Weltliche Klugheit sollte sie unbeeinflußt lassen. Niemals sollten sie von dem Weg abweichen, den Jesus ihnen zu gehen gebietet. Gläubig sollten sie vorangehen und immer daran denken, daß eine Wolke von Zeugen sie umgibt. Ferner sollten sie nicht eigene Worte sprechen, sondern nur solche, die ihnen ein Größerer als die Machthaber dieser Erde befohlen hat. Ihre Botschaft sollte lauten: “So spricht der Herr.” 2.Samuel 12,7. Gott braucht Männer wie Elia, Nathan und Johannes den Täufer, die seine Botschaft treu ausrichten, unbekümmert um die Folgen; Männer, die kühn die Wahrheit aussprechen, und sollte es auch alles kosten, was sie haben. PK 99.4
Gott kann niemand brauchen, der sich in Zeiten der Gefahr, wenn es auf die Kraft, den Mut und den Einfluß aller ankommt, davor fürchtet, standhaft das Recht zu vertreten. Er ruft nach Menschen, die dem Unrecht im Glauben widerstehen und den Kampf aufnehmen “mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel”. Epheser 6,12. An sie wird er schließlich die Worte richten: “Ei, du frommer und getreuer Knecht ...; gehe ein zu deines Herrn Freude!” Matthäus 25,23. PK 100.1