Propheten und Könige

2/69

Einführung: Des Herrn Weinberg

Abraham wurde von Gott aus seiner götzendienerischen Verwandtschaft herausgerufen mit dem Befehl, im Lande Kanaan zu wohnen; denn Gott wollte dadurch die besten Gaben des Himmels allen Völkern der Erde zugänglich machen. “Ich will dich”, so sprach er, “zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.” 1.Mose 12,2. Abraham wurde zu einer hohen Ehre berufen: Vater jenes Volkes zu werden, das dazu auserwählt war, jahrhundertelang Hüter und Bewahrer der Wahrheit Gottes für die Welt und durch das Kommen des verheißenen Messias ein Segen für alle Völker der Erde zu sein. PK 7.1

Die Menschen hatten die Kenntnis von dem wahren Gott fast ganz verloren. Götzendienst verfinsterte ihre Gemüter. Sie suchten die göttlichen Satzungen, welche “heilig, recht und gut” (Römer 7,12) sind, durch Verordnungen zu ersetzen, die mit den Absichten ihrer grausamen, selbstsüchtigen Herzen übereinstimmten. PK 7.2

Dennoch vertilgte sie Gott in seiner Barmherzigkeit nicht. Er wollte ihnen Gelegenheit geben, durch seine Gemeinde mit ihm bekannt zu werden. Die durch sein Volk geoffenbarten Grundsätze sollten das Mittel zur Wiederherstellung des geistigen Ebenbildes Gottes im Menschen sein. PK 7.3

Gottes Gesetz sollte erhöht und seine Autorität erhalten werden. Diese hohe und edle Aufgabe wurde dem Hause Israel übertragen. Gott schied die Israeliten von der Welt, um ihnen ein heiliges Vermächtnis anzuvertrauen. Er machte sie zu Verwahrern seines Gesetzes und wollte durch sie die Erkenntnis Gottes unter den Menschen erhalten. So sollte das Licht des Himmels in eine Welt hinausstrahlen, die in Finsternis gehüllt war, und eine Stimme sollte zu hören sein, die alle Völker aufforderte, sich vom Götzendienst abzukehren und dem lebendigen Gott zu dienen. PK 7.4

“Mit großer Kraft und starker Hand” (2.Mose 32,11) führte Gott sein auserwähltes Volk aus Ägyptenland. “Er sandte seinen Knecht Mose und Aaron, den er erwählt hatte. Die taten seine Zeichen unter ihnen und seine Wunder im Lande Hams.” Psalm 105,26.27. “Er schalt das Schilfmeer, da wurde es trocken, und führte sie durch die Tiefen.” Psalm 106,9. Er errettete sie aus ihrer Knechtschaft, um sie in ein gutes Land zu bringen, in ein Land, das er ihnen in seiner Vorsehung als Zufluchtsstätte vor ihren Feinden bereitet hatte. Er wollte sie zu sich bringen und sie mit seinen ewigen Armen umfangen. Für seine Güte und Barmherzigkeit sollten sie seinen Namen preisen und auf Erden verherrlichen. PK 8.1

“Des Herrn Teil ist sein Volk, Jakob ist sein Erbe. Er fand ihn in der Wüste, in der dürren Einöde sah er ihn. Er umfing ihn und hatte acht auf ihn. Er behütete ihn wie seinen Augapfel. Wie ein Adler ausführt seine Jungen und über ihnen schwebt, so breitete er seine Fittiche aus und nahm ihn und trug ihn auf seinen Flügeln. Der Herr allein leitete ihn, und kein fremder Gott war mit ihm.” 5.Mose 32,9-12. So nahm er sich der Israeliten an, um sie “unter dem Schatten des Allmächtigen”. Psalm 91,1. wohnen zu lassen. Nachdem sie wunderbar vor den Gefahren der Wüstenwanderung bewahrt geblieben waren, siedelten sie sich schließlich als bevorzugtes Volk im Lande der Verheißung an. PK 8.2

Eindrucksvoll hat Jesaja in einem Gleichnis geschildert, wie Israel berufen und erzogen wurde, um in der Welt als Vertreter des Herrn dazustehen, die in allen guten Werken Frucht bringen: “Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, daß er gute Trauben brächte.” Jesaja 5,1.2. PK 8.3

Gott beabsichtigte, durch das auserwählte Volk alle Menschen zu segnen. “Des Herrn Zebaoth Weinberg aber”, erklärte der Prophet, “ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing.” Jesaja 5,7. PK 8.4

Diesem Volk wurde anvertraut, was Gott geredet hat. Durch die Vorschriften seines Gesetzes, die ewigen Grundsätze der Wahrheit, Gerechtigkeit und Reinheit, wurden sie wie mit einem Zaun umgeben. Der Gehorsam gegen diese Grundsätze sollte ihr Schutz sein, denn er würde sie davor bewahren, sich durch sündige Gewohnheiten selbst zu verderben. Und als Turm für den Weinberg setzte Gott seinen heiligen Tempel mitten in das Land. PK 8.5

Christus war der Israeliten Lehrmeister. Wie er in der Wüste mit ihnen gewesen war, so sollte er auch weiterhin ihr Lehrer und Führer sein. In der Stiftshütte wie auch im Tempel thronte seine Herrlichkeit in der heiligen Schechina über dem Gnadenstuhl, und um ihretwillen offenbarte er beständig den Reichtum seiner Liebe und Geduld. PK 9.1

Gott ließ ihnen durch Mose seine Absichten kundtun und auch die Bedingungen für ihr Wohlergehen klarlegen. Er sprach: “Du bist ein heiliges Volk dem Herrn, deinem Gott. Dich hat der Herr, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.” 5.Mose 7,6. PK 9.2

Weiter sprach er: “Du hast dir heute vom Herrn sagen lassen, daß er dein Gott sein wolle und daß du sollest in allen seinen Wegen wandeln und halten seine Gesetze, Gebote und Rechte und seiner Stimme gehorchen. Und der Herr hat dich heute sagen lassen, daß du sein eigenes Volk sein wollest, wie er dir zugesagt hat, und alle seine Gebote halten wollest und daß er dich zum höchsten über alle Völker machen werde, die er geschaffen hat, und du gerühmt, gepriesen und geehrt werdest, damit du dem Herrn, deinem Gott, ein heiliges Volk seist, wie er zugesagt hat.” 5.Mose 26,17-19. PK 9.3

Die Kinder Israel sollten zunächst das gesamte Gebiet einnehmen, welches Gott ihnen zuwies. Die Völker, die sich weigerten, den wahren Gott anzubeten und ihm zu dienen, sollten vertrieben werden. Vor allem aber wollte Gott, daß dadurch, daß Israel seinen Charakter offenbarte, alle Menschen zu ihm gezogen würden.[Der folgende Satz ist nach dem englischen Original zitiert.] Doch wollte Gott dadurch, daß Israel seinen Charakter offenbarte, alle Menschen zu sich ziehen. Die Evangeliumseinladung sollte an alle Welt ergehen. Die Lehren des Opferdienstes sollten Christus vor den Völkern erhöhen, und wer auf ihn blickte, sollte leben. Wer wie Rahab, die Kananitin, und Rut, die Moabitin, sich vom Götzendienst zur Anbetung des wahren Gottes bekehrte, sollte sich seinem auserwählten Volk anschließen. Je größer dann die Zahl der Kinder Israel würde, desto mehr sollten sie auch ihre Grenzen erweitern, bis ihr Reich die ganze Welt umfassen würde. PK 9.4

Israel vor alters erfüllte jedoch Gottes Absicht nicht. Der Herr erklärte: “Ich aber hatte dich gepflanzt als einen edlen Weinstock, ein ganz echtes Gewächs. Wie bist du mir denn geworden zu einem schlechten, wilden Weinstock?” Jeremia 2,21. “Ein üppiger Weinstock war Israel, es brachte viel Frucht.” Hosea 10,1 (Jerusalemer). “Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, daß er gute brächte? Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, daß er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, daß er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, daß er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, daß sie nicht darauf regnen ... Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.” Jesaja 5,3-7. PK 10.1

Der Herr hatte seinem Volk durch Mose die Folgen der Untreue dargelegt. Wenn es sich weigerte, seinen Bund zu halten, würde es sich selbst von dem Leben aus Gott abschneiden, und sein Segen könnte dann nicht auf es herabkommen. Zeitweise wurden diese Warnungen beachtet; dann wurden dem jüdischen Volk und durch es wiederum den umwohnenden Völkern reiche Segnungen zuteil. Häufiger jedoch vergaßen die Israeliten im Laufe ihrer Geschichte Gott und verloren ihre hohen Vorrechte als seine Vertreter aus den Augen. Sie beraubten ihn des Dienstes, den er von ihnen verlangte, und ihre Mitmenschen der religiösen Führung sowie eines heiligen Beispiels. Die Früchte des Weinberges, über den sie zu Haushaltern gesetzt worden waren, beanspruchten sie für sich selbst. Wegen ihrer Habsucht und Gier wurden sie sogar von den Heiden verachtet. So erhielt die Heidenwelt Veranlassung, den Charakter Gottes und die Gesetze seines Reiches zu mißdeuten. PK 10.2

Mit dem Herzen eines Vaters übte Gott seinem Volk gegenüber Langmut. Er bekannte sich zu ihm sowohl durch Gewährung wie auch durch Entziehung von Gnadenerweisungen. Geduldig hielt er den Israeliten ihre Sünden vor und wartete langmütig darauf, daß sie sie eingestanden. Er sandte Propheten und Sendboten zu den Weingärtnern, um seinen Anspruch geltend zu machen. Diese einsichtigen und geistesmächtigen Männer wurden jedoch nicht willkommen geheißen, sondern als Feinde behandelt. Die Weingärtner verfolgten und töteten sie. Gott sandte noch andere Boten. Doch ihnen widerfuhr dieselbe Behandlung wie den ersten, nur zeigten die Weingärtner einen noch entschlosseneren Haß. PK 10.3

Die Entziehung der göttlichen Huld zur Zeit der Verbannung leitete zwar viele zur Buße; nach ihrer Rückkehr ins Land der Verheißung verfielen die Juden jedoch erneut den Fehlern vergangener Generationen und verwickelten sich in politische Streitigkeiten mit den benachbarten Völkern. Den Propheten, die Gott hierauf zu ihnen sandte, um die herrschenden Übel abzustellen, begegneten sie mit demselben Argwohn und derselben Verachtung, mit denen die Boten früherer Zeiten empfangen worden waren. So häuften die Hüter des Weinberges von Jahrhundert zu Jahrhundert Schuld auf Schuld. PK 11.1

Der von dem göttlichen Weingärtner auf den Hügeln Palästinas gepflanzte Weinstock wurde von den Männern Israels verachtet und schließlich über die Mauer des Weinbergs geworfen; sie zerschlugen ihn, zertraten ihn mit ihren Füßen und hofften, ihn für immer vernichtet zu haben. Der Weingärtner jedoch holte den Weinstock fort und verbarg ihn vor ihnen. Dann pflanzte er ihn abermals, aber an der anderen Seite der Mauer und so, daß der Stamm nicht länger sichtbar war. Seine Zweige hingen zwar über die Mauer, so daß Pfropfreiser in sie eingesetzt werden konnten, aber der Stamm selbst war fortan der Macht der Menschen entzogen, so daß sie ihn weder erreichen noch beschädigen konnten. PK 11.2

Von besonderem Wert für die heutige Gemeinde Gottes auf Erden — der Hüterin seines Weinbergs — sind die Botschaften des Rats und der Ermahnung, die von seinen Propheten mitgeteilt wurden, um seinen ewigen Ratschluß mit der Menschheit kundzutun. Gottes Liebe zur verlorenen Menschheit und sein Plan zu ihrer Erlösung treten uns in den Lehren der Propheten klar entgegen. In den vergangenen Jahrhunderten haben Gottes Boten seine Gemeinde allezeit über die Geschichte der Berufung Israels unterrichtet: über Israels Erfolge und Niederlagen, erneute Annahme und Begnadigung, Auflehnung wider den Herrn des Weinbergs sowie über die Verwirklichung seines ewigen Planes durch einen gerechten Rest, an dem alle Bundesverheißungen erfüllt werden sollen. Gottes Botschaft an seine Gemeinde heute, d.h. an alle, die sich in seinem Weinberg als treue Weingärtner bewähren, ist keine andere als die der Propheten vor alters: PK 11.3

“Lieblicher Weinberg, singet ihm zu!
Ich, der Herr, behüte ihn und begieße ihn immer wieder.
Damit man ihn nicht verderbe, will ich ihn Tag und Nacht
behüten.” Jesaja 27,2.3.
PK 12.1

Israel hoffe auf Gott. Schon jetzt sammelt der Herr des Weinbergs aus allen Nationen und Völkern die köstlichen Früchte, auf die er so lange gewartet hat. Bald wird er in sein Eigentum kommen; an jenem frohen Tage wird sein ewiger Ratschluß mit dem Hause Israel endgültig erfüllt sein. “Es wird einst dazu kommen, daß Jakob wurzeln und Israel blühen und grünen wird, daß sie den Erdkreis mit Früchten erfüllen.” Jesaja 27,6. PK 12.2