Propheten und Könige

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Kapitel 28: Hiskia

In scharfem Gegensatz zur leichtfertigen Regierung des Ahas standen die Reformbestrebungen während der erfolgreichen Herrschaft seines Sohnes. Hiskia bestieg den Thron mit dem festen Entschluß, alles zu tun, was in seiner Macht stand, um Juda vor dem Schicksal zu bewahren, das soeben das Nordreich ereilt hatte. Die Botschaften der Propheten ließen keine halben Maßnahmen zu. Nur durch entschlossene Reformen konnten die angedrohten Gerichte abgewendet werden. PK 235.1

In der Krise erwies sich Hiskia als Mann der Stunde. Kaum hatte er den Thron bestiegen, als er auch schon zu planen und auszuführen begann. Zuerst wandte er seine Aufmerksamkeit der Wiedereinführung des Tempeldienstes zu, der so lange vernachlässigt worden war. Hierbei bemühte er sich ernsthaft um die Mitarbeit einer Gruppe von Priestern und Leviten, die ihrer heiligen Berufung treu geblieben waren. Im Vertrauen darauf, daß sie ihn treu unterstützen würden, sprach er offen mit ihnen über seinen Wunsch, sofortige und weitreichende Reformen einzuleiten. PK 235.2

“Unsere Väter haben sich versündigt”, bekannte er, “und getan, was dem Herrn, unserm Gott, mißfällt, und haben ihn verlassen und haben ihr Angesicht von der Wohnung des Herrn abgewandt ... Nun habe ich im Sinn, einen Bund zu schließen mit dem Herrn, dem Gott Israels, daß sein Zorn und Grimm sich von uns wende.” 2.Chronik 29,6.10. PK 235.3

Mit einigen treffenden Worten gab der König einen Überblick der augenblicklichen Lage: Der Tempel war geschlossen; aller Dienst innerhalb seiner Mauern hatte aufgehört; schamloser Götzendienst wurde in den Straßen der Stadt und im ganzen Königreich getrieben; große Teile des Volkes waren von Gott abgefallen, die ihm vielleicht treu geblieben wären, wenn die Führer Judas ihnen ein rechtes Beispiel gegeben hätten. Und da waren der Niedergang des Königreichs und der Verlust an Ansehen bei den umliegenden Völkern. Das Nordreich löste sich rasch auf. Viele Einwohner kamen durch das Schwert um; eine große Zahl war schon gefangen weggeführt worden; bald würde ganz Israel in die Hände der Assyrer fallen und vernichtet werden. Dieses Schicksal würde mit Sicherheit auch Juda treffen, es sei denn, Gott wirkte machtvoll durch auserwählte Beauftragte. PK 235.4

Hiskia sprach die Priester unmittelbar an, gemeinsam mit ihm die notwendigen Reformen durchzuführen. “Nun, meine Söhne, seid nicht lässig”, ermahnte er sie; “denn euch hat der Herr erwählt, daß ihr zum Dienst vor ihm stehen sollt und daß ihr seine Diener seid und ihm Opfer bringt!” “Heiligt euch nun, daß ihr weihet das Haus des Herrn, des Gottes eurer Väter.” 2.Chronik 29,11.5. PK 236.1

Es war eine Zeit, in der rasch gehandelt werden mußte. Die Priester begannen sofort. Sie gewannen andere aus ihren Reihen, die an dieser Versammlung nicht teilgenommen hatten, und betrieben von ganzem Herzen die Reinigung und Heiligung des Tempels. Durch dessen jahrelange Entweihung und Vernachlässigung war dies mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Aber die Priester und Leviten arbeiteten unermüdlich und konnten in bemerkenswert kurzer Zeit melden, daß ihre Aufgabe vollendet war. Die Tempeltore waren ausgebessert und standen offen; die heiligen Gefäße waren eingesammelt und an ihren Ort gebracht worden; alles war bereit für die Wiedereinführung des Heiligtumsdienstes. PK 236.2

Beim ersten Gottesdienst vereinigten sich die Oberen der Stadt mit König Hiskia, den Priestern und den Leviten darin, Vergebung für die Sünden des Volkes zu erflehen. Auf dem Altar wurden Sündopfer dargebracht, “um Sühne zu schaffen für ganz Israel ... Als nun das Brandopfer verrichtet war, beugten der König und alle, die sich bei ihm befanden, die Knie und beteten an.” Aufs neue hallten die Tempelhöfe von Worten des Lobes und der Anbetung wider. Die Lieder Davids und Asaphs wurden mit Freuden gesungen, da die Anbeter erkannten, daß sie nun aus der Knechtschaft der Sünde und des Abfalls befreit wurden. “Hiskia freute sich samt allem Volk über das, was Gott dem Volke bereitet hatte; denn es war unvermutet schnell gekommen.” 2.Chronik 29,24.29.36. PK 236.3

Gott hatte wirklich die Herzen der führenden Männer Judas willig gemacht, sich an die Spitze einer entschiedenen Erneuerungsbewegung zu stellen, damit die Flut des Abfalls zum Stehen komme. Durch seine Propheten hatte Gott seinem auserwählten Volk Botschaft um Botschaft mit einer ernsten Bitte gesandt, Botschaften, die von den — nun dem Feind überantworteten — zehn Stämmen des Reiches Israel verachtet und zurückgewiesen worden waren. Aber in Juda war ein wohlgefälliger Überrest verblieben, und an ihn richteten die Propheten ihren Aufruf. Eindringlich bat Jesaja: “Kehrt um, ihr Kinder Israel, zu dem, von welchem ihr so sehr abgewichen seid!” Jesaja 31,6. Hören wir auch Michas Glaubensworte: “Ich aber will auf den Herrn schauen und harren auf den Gott meines Heils; mein Gott wird mich erhören. Freue dich nicht über mich, meine Feindin! Wenn ich auch daniederliege, so werde ich wieder aufstehen; und wenn ich auch im Finstern sitze, so ist doch der Herr mein Licht. Ich will des Herrn Zorn tragen — denn ich habe wider ihn gesündigt, bis er meine Sache führe und mir Recht schaffe. Er wird mich ans Licht bringen, daß ich seine Gnade schaue.” Micha 7,7-9. Diese und ähnliche Botschaften hatten in den dunklen Jahren der Tempelschließung mancher verzagenden Seele Hoffnung gegeben, offenbarten sie doch Gottes Bereitschaft, denen zu vergeben und diejenigen anzunehmen, die sich von ganzem Herzen ihm zuwandten. Und nun, als die Führer eine Reform einleiteten, war der Großteil des Volkes der Sündenknechtschaft müde und bereit, ihnen zu folgen. PK 237.1

Alle, welche die Tempelhöfe betraten, um Vergebung zu suchen und dem Herrn erneut Treue zu geloben, fanden wunderbare Ermutigung in den prophetischen Teilen der Schrift. Die ernsten Warnungen vor dem Götzendienst, die Mose öffentlich vor den Kindern Israel ausgesprochen hatte, waren von Weissagungen begleitet gewesen, nach denen Gott allen, die ihn in Zeiten des Abfalls von ganzem Herzen suchten, Erhörung und Vergebung zusicherte. “Wenn du in Bedrängnis bist ... in zukünftigen Tagen ..., so wirst du zum Herrn, deinem Gott, zurückkehren und seinen Befehlen gehorchen”, hatte Mose gesagt. “Denn der Herr, dein Gott, ist ein barmherziger Gott: er wird dich nicht verlassen und dich nicht ins Verderben geraten lassen und wird den Bund nicht vergessen, den er deinen Vätern mit einem Eide bekräftigt hat.” 5.Mose 4,30.31 (Menge). PK 237.2

Und in dem prophetischen Gebet, das von Salomo bei der Einweihung eben des Tempels gesprochen worden war, dessen Dienst Hiskia und seine Gehilfen nun wiederherstellten, hatte es geheißen: “Wenn dein Volk Israel vor dem Feind geschlagen wird, weil sie an dir gesündigt haben, und sie bekehren sich dann zu dir und bekennen deinen Namen und beten und flehen zu dir in diesem Hause, so wollest du hören im Himmel und die Sünde deines Volkes Israel vergeben.” 1.Könige 8,33.34. PK 238.1

Diesem Gebet war das Siegel göttlicher Zustimmung aufgeprägt worden; denn an seinem Ende war Feuer vom Himmel gefallen, um “das Brandopfer und die Schlachtopfer” zu verzehren, und “die Herrlichkeit des Herrn” hatte den Tempel erfüllt. 2.Chronik 7,1. PK 238.2

In der Nacht war der Herr Salomo erschienen, um ihm zu sagen, daß sein Gebet erhört worden sei und daß denen, die an dieser Stätte anbeteten, Gnade erwiesen werde. Er fügte folgende barmherzige Zusicherung hinzu: “Wenn ... dann mein Volk, über das mein Name genannt ist, sich demütigt, daß sie beten und mein Angesicht suchen und sich von ihren bösen Wegen bekehren, so will ich vom Himmel her hören und ihre Sünde vergeben und ihr Land heilen.” 2.Chronik 7,13.14. PK 238.3

Diese Verheißungen erfüllten sich während der Reformation unter Hiskia in überreichem Maße. PK 238.4

Dem guten Anfang, der zur Zeit der Tempelreinigung gemacht wurde, folgte eine breitere Bewegung, an der sowohl Israel wie Juda teilnahmen. In seinem Eifer, den Tempeldienst wirklich segensreich für das Volk zu gestalten, beschloß Hiskia, die alte Sitte neu zu beleben, nach der sich alle Israeliten zur Feier des Passahfestes versammelten. PK 238.5

Viele Jahre lang war das Passahfest nicht mehr als nationales Fest begangen worden. Die Teilung des Königreichs nach Ende der Regierungszeit Salomos hatte dies undurchführbar erscheinen lassen. Aber die schrecklichen Strafgerichte, die über die zehn Stämme hereingebrochen waren, weckten in manchen Herzen eine Sehnsucht zum Besseren; und die aufrüttelnden Botschaften der Propheten taten ihre Wirkung. Durch königliche Eilboten wurde die Einladung zum Passahfest in Jerusalem weit und breit verkündet, “von einer Stadt zur andern im Lande Ephraim und Manasse und bis nach Sebulon”. Die Überbringer der freundlichen Einladung wurden von den Unbußfertigen meist leichtfertig abgewiesen. Dennoch gab es einige, die voller Eifer Gott suchten, um seinen Willen klarer zu erkennen. Sie “demütigten sich und kamen nach Jerusalem”. 2.Chronik 30,10.11. PK 238.6

Überall im Lande Juda war der Widerhall allgemein, denn über ihnen “zeigte sich das Walten Gottes darin, daß er ihnen einmütigen Sinn verlieh, das Gebot des Königs und der Fürsten zu erfüllen” (2.Chronik 30,12, Zürcher), — ein Gebot, das mit dem Willen Gottes übereinstimmte, wie er ihn durch seine Propheten offenbarte. PK 239.1

Das Ereignis war von größtem Nutzen für die versammelte Menge. Aus den entweihten Straßen wurden die Götzenschreine entfernt, die dort während der Regierungszeit des Ahas aufgestellt worden waren. Am festgesetzten Tag wurde Passah gefeiert, und das Volk verbrachte die Woche damit, Friedensopfer darzubringen und zu erfahren, was es nach Gottes Willen tun sollte. Täglich lehrten die Leviten die gute Erkenntnis des Herrn, und alle, die sich von Herzen darauf vorbereiteten, Gott zu suchen, fanden Vergebung. Eine große Freude ergriff die anbetende Menge, “und die Leviten und Priester lobten den Herrn alle Tage mit den mächtigen Saitenspielen des Herrn”. 2.Chronik 30,21. Alle waren in dem Wunsch vereint, den Herrn zu preisen, der sich so gütig und gnädig erwiesen hatte. PK 239.2

Die sieben Tage, die das Passahfest gewöhnlich dauerte, verstrichen allzu rasch. Deshalb beschlossen die Anbeter, noch weitere sieben Tage die Wege des Herrn zu erforschen. Die lehrenden Priester setzten ihr Werk der Unterweisung aus dem Gesetzbuch fort. Täglich versammelte sich das Volk am Tempel, um seinen Teil an Lob und Danksagung darzubringen. Und als die große Veranstaltung zu Ende ging, war es offenkundig, daß Gott wunderbar gewirkt hatte, und zwar durch die Bekehrung des abtrünnigen Volkes Juda und durch die Abwehr der Flut des Götzendienstes, die alles zu zerstören drohte. Die ernsthaften Warnungen der Propheten waren nicht umsonst ausgesprochen worden. “Und es war eine große Freude in Jerusalem; denn seit der Zeit Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel, war solches in Jerusalem nicht geschehen.” 2.Chronik 30,26. PK 239.3

Die Zeit war gekommen, daß die Anbeter in ihre Heime zurückkehrten. “Und die Priester und die Leviten standen auf und segneten das Volk, und ihre Stimme wurde erhört, und ihr Gebet kam in Gottes heilige Wohnung im Himmel.” 2.Chronik 30,27. Gott hatte alle angenommen, die sich mit reumütigen Herzen an ihn gewandt, ihre Sünden bekannt und um Vergebung und Hilfe gebeten hatten. PK 239.4

Aber noch galt es eine wichtige Arbeit zu verrichten, an der sich alle, die in ihre Heime zurückkehrten, tatkräftig beteiligen mußten als Nachweis dafür, daß die eingeleitete Reform echt war. Der Bericht lautet: “Als dies alles vollendet war, zog ganz Israel, soweit es sich versammelt hatte, in die Städte Judas, und sie zerbrachen die Steinmale und hieben die Bilder der Aschera um und brachen ab die Opferhöhen und Altäre in ganz Juda, Benjamin, Ephraim und Manasse, bis sie alles vernichtet hatten. Und die Kinder Israel zogen alle wieder heim zu ihrem Besitz in ihre Städte.” 2.Chronik 31,1. PK 240.1

Hiskia und seine Mitarbeiter führten verschiedene Reformen zur Förderung des geistlichen und zeitlichen Wohls des Königreichs durch. “So handelte Hiskia in ganz Juda und tat, was gut und recht war vor dem Herrn, seinem Gott. Er handelte bei all diesen Dingen, die er ... unternahm, aufrichtig ... Darum hatte er Glück.” 2.Chronik 31,20.21 (Bruns). PK 240.2

“Er vertraute dem Herrn, dem Gott Israels ... und wich nicht von ihm ab und hielt seine Gebote, die der Herr dem Mose geboten hatte. Und der Herr war mit ihm, und alles, was er sich vornahm, gelang ihm.” 2.Könige 18,5-7. PK 240.3

Hiskias Herrschaft war von einer Reihe bemerkenswerter Fügungen gekennzeichnet, die den umliegenden Völkern offenbarten, daß der Gott Israels mit seinem Volk war. In der Frühperiode seiner Regierung gelang es den Assyrern, Samaria zu erobern und den geschlagenen Rest der zehn Stämme unter die Nationen zu zerstreuen. Dies brachte viele dazu, die Macht des Gottes der Hebräer in Zweifel zu ziehen. Durch ihre Erfolge waren die Niniviten kühn geworden. Lange schon hatten sie die Botschaft Jonas verworfen und leisteten den Zielen des Himmels herausfordernd Widerstand. Einige Jahre nach dem Fall Samarias erschienen die siegreichen Heere erneut in Palästina. Diesmal lenkten sie ihre Macht mit einigem Erfolg gegen die festen Städte Judas. Wegen Schwierigkeiten in anderen Teilen ihres Reiches zogen sie sich jedoch für eine Zeitlang zurück. Erst einige Jahre später, gegen Ende der Regierungszeit Hiskias, sollte vor den Völkern der Welt kundgetan werden, ob die Götter der Heiden schließlich den Sieg davontragen würden. PK 240.4