Frühe Schriften von Ellen G. White

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Kapitel 33: Die Sünden Babylons

Ich sah, daß die Kirchen, seit der zweite Engel ihren Fall verkündigte, immer verderbter wurden. Sie tragen den Namen, daß sie Christi Nachfolger seien, trotzdem ist es unmöglich, sie von der Welt zu unterscheiden. Die Prediger nehmen ihre Texte aus dem Wort Gottes, predigen aber sanft. Dagegen hat das natürliche Herz keine Einwände. Es ist nur der Geist und die Kraft der Wahrheit und das Heil Christi, die dem fleischlichen Herzen zuwider sind. In den beim Volk beliebten Predigten ist nichts enthalten, was den Zorn Satans heraufbeschwören oder den Sünder erzittern lassen könnte oder dem Herzen und Gewissen die furchtbare Wirklichkeit eines bald kommenden Gerichtes vor Augen hält. Gottlose Menschen geben sich gewöhnlich mit dem Schein der Frömmigkeit ohne wahre Gottesfurcht zufrieden. Sie werden eine solche Religion unterstützen und fördern. FS 260.2

Der Engel sagte: “Nur die volle Rüstung der Gerechtigkeit kann den Menschen befähigen, die Mächte der Finsternis zu überwinden und den Sieg über sie zu behalten. Satan hat von den Kirchen als Organisation vollen Besitz ergriffen. Man beschäftigt sich mit den Aussprüchen und Taten von Menschen anstatt mit den deutlichen, einschneidenden Wahrheiten des Wortes Gottes. Der Geist und die Freundschaft der Welt stehen in Feindschaft zu Gott. Wenn die Wahrheit in ihrer Einfachheit und Kraft, wie sie in Jesu ist, dem Geist der Welt gegenübertritt, erweckt sie sofort den Geist der Verfolgung. Sehr viele, die bekennen, Christen zu sein, haben Gott nie erkannt. Das natürliche Herz ist nicht verändert worden, und der fleischliche Sinn bleibt in Feindschaft gegen Gott. Sie sind Satans treue Diener, wenn sie auch einen anderen Namen angenommen haben.” FS 260.3

Ich sah, daß sich die Kirchen, seitdem Jesus das Heilige des himmlischen Heiligtums verlassen hat und durch den zweiten Vorhang gegangen ist, immer mehr mit unreinen, verhaßten Vögeln angefüllt haben. Ich sah große Bosheit und Niedertracht in den Kirchen; aber trotzdem bezeichnen sich ihre Glieder als Christen. Ihr Bekenntnis, ihre Gebete und Ermahnungen sind dem Herrn ein Greuel. Der Engel sagte: “Gott mag ihre Versammlungen nicht riechen. Selbstsucht, Betrug und List werden von ihnen praktiziert, ohne daß sich das Gewissen regt. Und über alle diese bösen Taten werfen sie den Deckmantel der Religion.” Mir wurde der Stolz der Namenskirchen gezeigt. Gott kommt ihnen nicht in den Sinn. Ihre fleischlichen Sinne sind nur auf sich gerichtet, sie schmücken ihren armen, sterblichen Leib und blicken dann mit Zufriedenheit und Wohlgefallen auf sich; aber Jesus und die Engel blicken in Zorn auf sie herab. Der Engel sagte: “Ihre Sünden und ihr Stolz reichen bis in den Himmel. Ihr Teil ist ihnen schon bereitet. Gerechtigkeit und Gericht haben lange geschlafen, sie werden aber bald erwachen. Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.” Die furchtbaren Drohungen des dritten Engels sollen wahr gemacht werden. Alle Gottlosen sollen vom Kelch des Zornes Gottes trinken. Eine unzählbare Schar böser Engel durchfliegt das ganze Land und erfüllt die Kirchen. Diese Werkzeuge Satans blicken mit Frohlocken auf die religiösen Gemeinschaften, denn der Deckmantel der Religion bedeckt die größten Verbrechen und Sünden. FS 261.1

Der ganze Himmel blickt mit Unwillen auf Menschen, Geschöpfe Gottes, die von ihren Mitmenschen auf schlimmste Weise erniedrigt und den Tieren gleichgestellt werden. Bekenntliche Nachfolger dieses teuren Heilands, dessen Mitleid beim Anblick menschlichen Leids stets erregt wurde, beteiligen sich mit ganzer Kraft an dieser großen, schrecklichen Sünde und handeln mit Sklaven und Seelen der Menschen. Menschliches Elend wird von Ort zu Ort gebracht, gekauft und verkauft. Engel haben alles aufgezeichnet, es steht im Buch geschrieben. Die Tränen der frommen Leibeigenen, seien es Väter, Mütter, Kinder, Brüder oder Schwestern, sind alle im Himmel aufbewahrt. Gott wird seinen Unwillen nur noch kurze Zeit zurückhalten. Sein Zorn brennt in ihm gegen diese Nation und besonders gegen die Religionsgemeinschaften, die diesen schrecklichen Handel gutgeheißen und sich selbst daran beteiligt haben. Solche Ungerechtigkeit, solche Unterdrückung, solche Leiden werden von vielen der vorgeblichen Nachfolger des demütigen, sanften Jesus gleichgültig betrachtet. Viele von ihnen können mit hassenswerter Befriedigung diese unbeschreibliche Todesqual auferlegen und wagen es dennoch, Gott anzubeten. Das ist ein feierliches Possenspiel; Satan frohlockt darüber und macht Jesus und seinen Engeln Vorwürfe über einen solchen inneren Widerspruch und sagt mit teuflischem Triumph: “Solche sind Nachfolger Christi!” FS 262.1

Diese vorgeblichen Christen lesen von den Leiden der Märtyrer, und Tränen rollen ihnen über die Wangen. Sie wundern sich darüber, daß Menschen je so verhärtet sein konnten, daß sie solche Grausamkeit gegen ihre Mitmenschen verübten. Doch dieselben Menschen, die so reden und denken, halten zur selben Zeit menschliche Wesen als Sklaven. Und dies ist nicht alles; sie zerreißen die natürlichen Bande und bedrücken ihre Mitmenschen aufs grausamste. Sie fügen Menschen mit derselben unbarmherzigen Grausamkeit unmenschliche Martern zu, wie es die Papisten und Heiden bei den Nachfolgern Jesu getan haben. Der Engel sagte: “Es wird den Heiden und Papisten am Tag des Gerichts erträglicher gehen als jenen Menschen.” Das Schreien der Unterdrückten hat den Himmel erreicht, die Engel stehen verwundert vor den unbeschreiblich schrecklichen Leiden, die Menschen, die nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, ihren Mitmenschen zufügen. Der Engel sagte: “Die Namen der Unterdrücker sind mit Blut geschrieben, durchkreuzt mit Striemen und übergossen mit bitteren Tränen der Todesqual. Gottes Zorn wird nicht aufhören, bis er diesem Land des Lichts den Becher seines Zornes zu trinken gegeben und es Babylon doppelt vergolten hat. Bezahlt ihr, wie sie bezahlt hat, und gebt ihr zweifach zurück nach ihren Werken. Und in den Kelch, in den sie euch eingeschenkt hat, schenkt ihr zweifach ein!” Offenbarung 18,6. FS 262.2

Ich sah, daß der Sklavenhändler1 für die Seele seines Sklaven, den er in Unwissenheit hielt, verantwortlich gemacht werden wird, und die Sünden des Sklaven werden an dem Herrn heimgesucht werden. Gott kann den Sklaven, der in Unwissenheit und Erniedrigung gehalten wurde, der nichts von Gott oder der Bibel wußte, der nichts fürchtete, außer die Geißel seines Herrn, und eine niedrigere Stellung einnahm als das Tier, nicht in den Himmel nehmen. Er verfährt aber mit ihm auf die beste Art und Weise, wie nur ein mitleidiger Gott es vermag. Er läßt ihn sein, als ob er nie gewesen wäre, während sein Herr die sieben letzten Plagen erdulden und dann in der zweiten Auferstehung wiederkommen muß, um den zweiten, so schrecklichen Tod zu erleiden. Dann wird der Gerechtigkeit Gottes Genüge getan sein. FS 263.1