Erfahrungen und Gesichte sowie Geistliche Gaben

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Kapitel 23: Die erste Engelsbotschaft

Ich sah, daß Gott in der Verkündigung der Zeit von 1843 mit uns war. Es war seine Absicht, das Volk zu erwecken und es zu einem Punkt zu bringen, wo es sich für oder gegen die Wahrheit entscheiden sollte. Prediger wurden von der Richtigkeit der Stellung überzeugt, die den prophetischen Perioden gegenüber eingenommen wurde, und manche entsagten ihrem Stolz, gaben ihr Gehalt und ihre Kirchen daran, um von Ort zu Ort zu gehen und die Botschaft zu verkündigen. Aber da die Botschaft vom Himmel in nur wenigen Herzen der bekenntlichen Prediger Christi Aufnahme fand, so wurde das Werk auf viele andere gelegt, die keine Prediger waren. Viele verließen ihre Felder, um die Botschaft zu verkündigen, während andere aus ihren Geschäften und Läden berufen wurden. Selbst manche angesehene Männer wurden genötigt, in das unvolkstümliche Werk einzutreten und die erste Engelsbotschaft zu verkündigen. EG 223.2

Prediger legten ihre besonderen Ansichten und Gefühle beiseite und vereinigten sich, um die Wiederkunft Jesu zu verkündigen. Wohin die Botschaft auch drang, bewegte sie das Volk. Sünder bereuten, weinten und baten um Vergebung, und solche, deren Leben durch Unehrlichkeit befleckt war, waren ernstlich bemüht, Wiedererstattung zu üben. Eltern fühlten die tiefste Sorge für ihre Kinder. Diejenigen, welche die Botschaft annahmen, arbeiteten mit ihren unbekehrten Freunden und Verwandten, und während sich ihre Seelen unter die Last der feierlichen Botschaft beugten, warnten und baten sie, daß sie sich auf das Kommen des Herrn vorbereiten möchten. Dies seelenreinigende Werk wandte die Neigungen von weltlichen Dingen ab und einer nie zuvor erfahrenen Heiligung zu. EG 223.3

Tausende gewannen die von Wilhelm Miller verkündigte Wahrheit lieb, und Knechte Gottes erhoben sich im Geiste und in der Kraft des Elia, um die Botschaft zu verkündigen. Gleich Johannes, dem Vorläufer Jesu, fühlen sich diejenigen, welche diese feierliche Botschaft predigten, gedrungen, die Axt dem Baume an die Wurzel zu legen und die Menschen zu ermahnen, rechtschaffene Früchte der Buße zu bringen. Ihre Zeugnisse waren dazu angetan, die Kirchen zu erwecken und mächtig anzuregen und ihren wahren Charakter zu offenbaren. Und als die feierliche Warnung erging, dem zukünftigen Zorn zu entfliehen, nahmen viele, die mit den Kirchen verbunden waren, die versöhnende Botschaft an. Sie sahen ihren Rückfall ein, und mit bitteren Tränen der Reue und tiefer Seelenangst demütigten sie sich vor Gott. Als der Geist Gottes auf ihnen ruhte, stimmten sie mit ein in den Ruf: “Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre, denn die Zeit seines Gerichts ist gekommen!” EG 224.1

Die Verkündigung einer bestimmten Zeit rief in allen Kreisen großen Widerstand hervor, von dem Prediger auf der Kanzel bis herab zu dem sorglosesten Sünder. Niemand weiß Tag oder Stunde, hörte man von den scheinheiligen Predigern und den losen Spöttern sagen. Sie wollten nicht von solchen belehrt und zurechtgewiesen werden, die das Jahr bezeichneten, wo nach ihrem Glauben die prophetische Zeit zu Ende gehe, und auf die Zeichen verwiesen, die das nahe bevorstehende Kommen Jesu verkünden. Viele Hirten der Herde, welche bekannten, Jesum zu lieben, sagten, daß sie nichts dagegen hätten, das Kommen Christi zu verkündigen; aber sie wendeten sich gegen die festgesetzte Zeit. Gottes allsehendes Auge las in ihren Herzen. Sie wünschten das nahe Kommen Jesu nicht. Sie wußten, daß ihr unchristliches Leben die Prüfung nicht bestehen würde, denn sie wandelten nicht auf dem von ihm vorgezeichneten Pfad der Demut. Diese falschen Hirten standen dem Werke Gottes im Wege. Die mit überzeugender Macht gesprochene Wahrheit rüttelte das Volk auf, und die Menschen begannen gleich dem Kerkermeister zu fragen: “Was muß ich tun, daß ich selig werde?” Aber diese Hirten standen zwischen der Wahrheit und dem Volk und predigten ihnen sanfte Dinge, um sie von der Wahrheit abzubringen. Sie vereinigten sich mit Satan und seinen Engeln, indem sie riefen: “Friede, Friede!” und war doch kein Friede. Solche, die ihre Bequemlichkeit liebten und mit ihrer Entfernung von Gott zufrieden waren, wollten nicht aus ihrer fleischlichen Sicherheit aufgerüttelt sein. Ich sah, daß Engel Gottes all dies aufzeichneten; die Kleider dieser ungeheiligten Hirten wurden mit dem Blut von Seelen befleckt. EG 224.2

Prediger, die selbst diese heiligende Botschaft nicht annehmen wollten, hinderten auch andere daran, sie anzunehmen. Das Blut der Seelen ruht auf ihnen. Prediger und Volk vereinigten sich, um dieser Botschaft vom Himmel zu widerstehen und Wilhelm Miller und diejenigen, die sich mit ihm in diesem Werke vereinigt hatten, zu verfolgen. Es wurden Lügen verbreitet, um seinen Einfluß zu schädigen. Mehrmals, wenn er den Rat Gottes klar vorgeführt und den Herzen seiner Zuhörer scharfe Wahrheiten nahegebracht hatte, entstand ein großer Zorn gegen ihn, und wenn er den Versammlungsplatz verließ, lauerten ihm einige auf, um ihm das Leben zu nehmen. Aber Gott sandte seine Engel, ihn zu beschützen, und sie führten ihn sicher durch die wütende Menge. Sein Werk war noch nicht vollendet. EG 225.1

Die Ergebensten nahmen freudig die Botschaft an. Sie wußten, daß sie von Gott und zur rechten Zeit gekommen war. Engel überwachten mit dem tiefsten Interesse den Erfolg der himmlischen Botschaft, und als die Kirchen sich davon abwandten und sie verwarfen, berieten sie sich traurig mit Jesu. Er wandte sein Angesicht von den Kirchen ab und gebot seinen Engeln, treulich über die teuern Seelen zu wachen, welche das Zeugnis nicht verwarfen, denn es sollte ihnen noch ein anderes Licht scheinen. EG 226.1

Ich sah, wenn bekenntliche Christen das Erscheinen ihres Heilandes geliebt, ihre Zuneigung ihm geschenkt und gefühlt hätten, daß nichts auf Erden mit ihm verglichen werden kann, so würden sie bei der ersten Andeutung von seinem Kommen vor Freuden gejauchzt haben. Aber da sie das Gegenteil offenbarten, als sie von dem Kommen ihres Herrn hörten, so bewies dies nur, daß sie ihn nicht liebten. Satan und seine Engel triumphierten und schleuderten es Christo und seinen heiligen Engeln ins Gesicht, daß sein bekenntliches Volk so wenig Liebe zu ihm habe, daß es seine Wiederkunft gar nicht ersehne. Ich sah das Volk Gottes in freudiger Erwartung, ihres Herrn harrend. Aber Gott beschloß, sie zu prüfen. Seine Hand bedeckte einen Fehler in der Berechnung der prophetischen Perioden. Diejenigen, welche auf ihren Herrn warteten, entdeckten den Fehler nicht, und die gelehrtesten Männer, welche der berechneten Zeit widersprachen, sahen ihn auch nicht. Gott wollte, daß sein Volk eine Enttäuschung erleben sollte. Die Zeit verstrich, und diejenigen, welche in freudiger Erwartung nach ihrem Heilande ausgeschaut hatten, waren traurig und entmutigt, während solche, die das Erscheinen Jesu nicht geliebt, aber die Botschaft aus Furcht angenommen hatten, sich freuten, daß er nicht zu der erwarteten Zeit kam. Ihr Bekenntnis hatte nicht ihr Herz berührt und ihr Leben gereinigt. Das Verstreichen der Zeit war gut dazu angetan, solche Herzen zu offenbaren. Sie waren die ersten, die sich abwandten und die Traurigen und Enttäuschten verlachten, die das Erscheinen ihres Heilandes wirklich liebten. Ich sah die Weisheit Gottes darin, daß er sein Volk prüfte und ihm einen sicheren Prüfstein gab, diejenigen zu entdecken, die in der Stunde der Trübsal zurückschrecken und umkehren würden. EG 226.2

Jesus und alle himmlischen Heerscharen blickten mit Mitgefühl und Liebe auf diejenigen herab, die danach verlangten, den zu sehen, den ihre Seele liebte. Engel umschwebten sie, um sie in der Stunde ihrer Prüfung zu unterstützen. Solche, die es verschmäht hatten, die himmlische Botschaft anzunehmen, wurden in Finsternis gelassen, und der Zorn Gottes wurde wider sie entzündet, weil sie das Licht nicht annehmen wollten, welches er ihnen vom Himmel gesandt hatte. Die treuen, enttäuschten Seelen, die nicht verstehen konnten, warum ihr Herr nicht kam, wurden nicht in Finsternis gelassen. Sie wurden wieder zu ihren Bibeln geführt, um die prophetischen Zeiten zu erforschen. Nun war die Hand des Herrn von den Zahlen entfernt, und der Irrtum wurde erklärt. Sie sahen, daß die prophetischen Ketten bis 1844 reichten und daß derselbe Beweis, den sie vorgebracht hatten, um zu zeigen, daß die prophetischen Ketten 1843 schlossen, auch bewies, daß sie 1844 endigten. Es schien Licht aus dem Worte Gottes auf ihre Stellung, und sie entdeckten eine Verzögerungszeit — — “ob die Weissagung aber verzieht, so harre ihrer.” In ihrer Liebe für das unmittelbare Kommen Christi hatten sie das Verziehen der Weissagung übersehen, welches dazu vorgesehen war, die treuen, wartenden Seelen zu offenbaren. Wieder hatten sie einen Zeitpunkt. Ich sah aber, daß viele sich nicht über ihre schmerzliche Enttäuschung erheben konnten und nicht den Grad von Eifer und Mut besaßen, welcher ihren Glauben 1843 ausgezeichnet hatte. EG 227.1

Satan und seine Engel triumphierten über sie, und solche, die die Botschaft nicht annehmen wollten, wünschten sich selbst Glück zu ihrem weitsehenden Urteil und ihrer Weisheit, daß sie die Täuschung, wie sie es nannten, nicht angenommen hätten. Sie erkannten nicht, daß sie den Rat Gottes gegen sich selbst verwarfen und in Gemeinschaft mit Satan und seinen Engeln wirkten, um Gottes Volk zu verwirren, welches die vom Himmel gesandte Botschaft auslebte. EG 228.1

Die an diese Botschaft Glaubenden wurden in den Kirchen unterdrückt. Eine Zeitlang wurden diejenigen, welche die Botschaft nicht annehmen wollten, aus Furcht zurückgehalten, die Gefühle ihrer Herzen zu betätigen; aber das Verstreichen der Zeit offenbarte ihre wahren Gefühle. Sie wünschten das Zeugnis, daß nämlich die prophetischen Perioden bis 1844 reichten, und zu dessen Verkündigung sich die wartenden Seelen verpflichtet fühlten, zum Schweigen zu bringen. Die Gläubigen erklärten ihren Fehler ganz deutlich und gaben den Grund an, warum sie ihren Herrn 1844 erwarteten. Ihre Gegner konnten keine Beweise gegen ihre gewichtigen Gründe vorbringen. Doch war der Zorn der Kirchen erregt; sie waren entschlossen, den Beweis nicht anzuhören und das Zeugnis aus der Kirche zu verbannen, auf daß andere es nicht hören könnten. Diejenigen, die es nicht wagten, andern das Licht vorzuenthalten, welches Gott ihnen gegeben hatte, wurden aus den Kirchen ausgeschlossen; aber Jesus war mit ihnen, und sie freuten sich im Lichte seines Angesichts. Sie waren vorbereitet, die Botschaft des zweiten Engels zu empfangen. EG 228.2