Erfahrungen und Gesichte sowie Geistliche Gaben

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Kapitel 3: Der Erlösungsplan

Der Himmel wurde mit Trauer erfüllt, als es bekannt wurde, daß der Mensch verloren sei und daß die Welt, die Gott geschaffen hatte, mit sterblichen Wesen erfüllt würde, die zu Elend, Krankheit und Tod verurteilt waren, und daß es keine Errettung für den Übertreter gab. Die ganze Familie Adams mußte sterben. Dann sah ich Jesum und bemerkte auf seinem Angesicht einen Ausdruck des Mitgefühls und des Kummers. Bald sah ich, wie er sich dem strahlenden Lichte näherte, welches den Vater umgab. Mein begleitender Engel sagte: “Er hat eine geheime Unterredung mit seinem Vater.” Während Jesus mit dem Vater redete, schien die Besorgnis der Engel auf das Höchste gespannt. Dreimal umschloß ihn das herrliche Licht, daß den Vater umgab, und als er das dritte Mal kam, konnte man seine Gestalt sehen. Sein Angesicht war sanft, frei von aller Angst und Sorge und glänzte mit einer Lieblichkeit, die Worte nicht beschreiben können. Dann machte er der Engelschar bekannt, daß ein Weg der Rettung für den verlorenen Menschen gefunden sei. Er sagte ihnen, daß er mit seinem Vater darüber gesprochen und sein eigenes Leben als Lösegeld angeboten habe, daß er das Urteil des Todes auf sich nehmen wolle, auf daß der Mensch durch ihn Vergebung erlangen möchte. Durch die Verdienste seines Blutes und durch Gehorsam gegen das Gesetz Gottes könne der Mensch die Gunst Gottes und den Zutritt zu dem herrlichen Garten wiedererlangen und von der Frucht des Lebensbaumes essen. EG 138.2

Zuerst konnten sich die Engel darüber nicht freuen; denn ihr Gebieter verheimlichte nichts vor ihnen, sondern legte ihnen den Erlösungsplan offen dar. Jesus sagte ihnen, daß er zwischen dem Zorn seines Vaters und der schuldigen Menschheit stehe, daß er Schmach und Schande tragen wolle, daß aber nur wenige ihn als den Sohn Gottes annehmen würden. Fast alle würden ihn hassen und verwerfen. Er wolle all seine Herrlichkeit im Himmel verlassen, als ein Mensch auf Erden erscheinen, sich selbst als ein Mensch erniedrigen, durch seine Erfahrung mit den verschiedenen Versuchungen bekannt werden, denen der Mensch ausgesetzt sei, auf daß er denen eine Hilfe sein könne, die versucht würden. Wenn er dann seine Mission als Lehrer beendet haben würde, müsse er in die Hände der Menschen überliefert werden und faßt jegliche Schmähung und Qual erdulden, wozu Satan und seine Engel gottlose Menschen anstiften könnten. Er müsse des grausamsten Tode sterben, zwischen Himmel und Erde als ein schuldiger Sünder hängen. Er müsse schreckliche Stunden der Todesangst erleiden, welche selbst die Engel nicht mit ansehen könnten, sondern ihre Angesichter vor dem Anblick bedecken würden. Aber er müsse nicht nur die Angst des Leibes erdulden, sondern Seelenangst, mit der die körperlichen Leiden in keiner Weise verglichen werden könnten. Die Sündenlast der ganzen Welt würde auf ihm ruhen. Er sagte ihnen, daß er sterben und am dritten Tage wieder auferstehen und zu seinem Vater aufsteigen wolle, um für den abgewichenen schuldigen Menschen zu bitten. EG 139.1

Die Engel fielen vor ihm nieder und boten ihr Leben zum Opfer an. Jesus sagte ihnen, daß er durch seinen Tod viele retten, daß aber das Leben eines Engels die Schuld nicht tilgen könne. Sein Leben allein könne von dem Vater als Lösegeld für den Menschen angenommen werden. Jesus sagte ihnen auch, daß sie an seinem Werke Anteil haben, bei ihm sein und zu Zeiten ihn stärken sollten. Er würde die Natur des gefallenen Menschen annehmen, und seine Kraft würde sogar geringer sein als die ihrige. Sie sollten Zeugen seiner Demütigung und seiner großen Leiden sein. Wenn sie dann seine Qualen und den Haß der Menschen gegen ihn sehen würden, so würden sie mit der tiefsten Rührung erfüllt werden und würden durch ihre Liebe zu ihm wünschen, ihn von seinen Mördern zu befreien und zu erretten. Sie sollten aber nicht eingreifen, um irgend etwas zu verhindern, was sie sehen würden; sie sollten aber einen Anteil an seiner Auferstehung haben. Der Erlösungsplan war ausgedacht, und sein Vater hatte diesen Plan angenommen. EG 140.1

Mit heiliger Traurigkeit tröstete und beruhigte Jesus die Engel und belehrte sie, daß späterhin alle, die er erlösen würde, mit ihm sein und für ewig bei ihm wohnen würden, daß er durch seinen Tod viele loskaufen und den, der des Todes Gewalt hat, vernichten werde. Sein Vater würde ihm das Reich und alle Gewalt und Macht des Königreiches unter dem ganzen Himmel geben, und er würde es immer und ewiglich besitzen. Satan und die Sünder würden vernichtet werden, um niemals wieder den Frieden des Himmels oder der gereinigten neuen Erde zu stören. Er gebot der himmlischen Schar, einig zu sein mit dem Plane, den sein Vater angenommen habe, und sich zu freuen, daß durch seinen Tod der gefallene Mensch wieder mit Gott versöhnt werde und sich des Himmels erfreuen könne. EG 140.2

Da erfüllte unaussprechliche Freude den Himmel, und die himmlischen Scharen sangen ein Lied zur Anbetung und zum Preise. Sie rührten ihre Harfen und besangen im höheren Ton als vorher die große Gnade und Herablassung Gottes, die den einzig geliebten Sohn für ein empörerisches Geschlecht in den Tod gab. Dann brachten sie Preis und Anbetung für die Selbstverleugnung und das Opfer des Heilandes dar, der bereit war, des Vaters Schoß zu verlassen, ein Leben der Leiden und Angst und einen schmählichen Tod zu erwählen, auf daß er anderen Leben geben möchte. EG 140.3

Der Engel sagte: “Glaubst du, daß der Vater seinen geliebten Sohn ohne Kampf dahingab? — Nein, nein! Es war selbst für den Gott im Himmel ein Kampf, ob er den schuldigen Menschen verloren gehen oder seinen geliebten Sohn für ihn in den Tod geben sollte.” Die Engel nahmen solch regen Anteil an der Errettung des Menschen, daß unter ihnen solche hätten gefunden werden können, die ihre Herrlichkeit und ihr Leben für den verlorenen Menschen hingegeben hätten. “Aber,” sagte mein begleitender Engel “daß würde nicht genügen! Die Übertretung war so groß, daß das Leben eines Engels die Schuld nicht bezahlen konnte. Nur der Tod und die Fürsprache des Sohnes Gottes konnten die Schuld bezahlen und den verlorenen Menschen von hoffnungslosem Kummer und Elend erlösen.” EG 141.1

Aber das Werk, das den Engel zugewiesen wurde, bestand darin, mit stärkendem Balsam aus der Herrlichkeit auf- und abzusteigen, um den Sohn Gottes in seinem Leiden zu trösten und ihm Handreichung zu tun. Ferner war es ihre Aufgabe, die Untertanen der Gnade vor den bösen Engeln zu bewachen und sie vor der Finsternis, die Satan beständig um sie verbreitete, zu bewahren. Ich sah, daß es für Gott unmöglich war, sein Gesetz zu ändern, um den verlorenen, dem Verderben anheimgefallenen Menschen zu retten; deshalb duldete er, daß sein geliebter Sohn für die Übertretungen der Menschen starb. EG 141.2

Dann frohlockte Satan mit seinen Engeln, daß er durch den Fall des Menschen den Sohn Gottes aus seiner erhabenen Stellung bringen könne. Er erklärte seinen Engeln, daß, wenn Jesus die gefallene menschliche Natur auf sich nehmen würde, er ihn überwinden und ihn die Ausführung des Erlösungsplanes verhindern könne. EG 141.3

Satan wurde mir gezeigt, wie er einst war, ein glücklicher, erhabener Engel. Dann wurde er mir gezeigt, wie er jetzt ist. Er hat noch eine königliche Gestalt, seine Züge sind noch edel, denn er ist ein Engel, obwohl gefallen. Aber der Ausdruck seines Gesichts ist voller Kummer, Sorge, Unzufriedenheit, Bosheit, Haß, Unheil, Betrug, voll alles Bösen. Dies Gesicht, welches einst so edel war, betrachtete ich besonders. Seine Stirn trat von den Augen an zurück. Ich sah, daß er immer tiefer fiel, bis jede gute Eigenschaft verdorben und jede böse entfaltet war. Seine Augen waren listig und zeigten großen Scharfsinn. Seine Gestalt war groß, aber das Fleisch hing lose an seinen Händen und an seinem Gesichte. Als ich ihn sah, ruhte sein Kinn auf seiner linken Hand. Er schien in Gedanken versunken zu sein. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht, welches mich zittern machte, es war voller Bosheit und satanischer List. Dies Lächeln trägt er zur Schau, wenn er sich seines Opfers sicher ist, und wenn er dies Opfer in seinen Schlingen gefangen hat, wird sein Lächeln schrecklich. EG 142.1