Frühe Schriften von Ellen G. White

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Kapitel 35: Der Abschluß der dritten Engelsbotschaft

Ich wurde in die Zeit versetzt, in der die Verkündigung der dritten Engelsbotschaft ihren Abschluß erreichen wird. Die Kraft Gottes hatte auf seinen Gläubigen geruht; sie hatten ihr Werk vollendet und waren vorbereitet auf die Stunde der Prüfung, die ihnen bevorstand. Sie hatten den Spätregen oder die Erquickung vom Angesicht des Herrn empfangen, und das lebendige Zeugnis war wieder aufgelebt. Die letzte, große Warnung war überall hingedrungen und hatte die Bewohner der Erde, die die Botschaft nicht annehmen wollten, erregt und in Zorn versetzt. FS 266.2

Ich sah Engel im Himmel hin und her eilen. Ein Engel mit einem Tintenfaß an seiner Seite kehrte von der Erde zurück und berichtete Jesus, daß sein Werk vollendet und die Heiligen gezählt und versiegelt seien. Dann sah ich Jesus, der vor der Lade, die die Zehn Gebote enthält, gedient hatte, wie er das Räuchergefäß von sich warf. Er hob seine Hände auf und sagte mit lauter Stimme: “Es ist geschehen.” Alle Engel legten ihre Kronen ab, als Jesus den feierlichen Ausspruch tat: “Wer Böses tut, der tue weiterhin Böses; und wer unrein ist, der sei weiterhin unrein; aber wer gerecht ist, der übe weiterhin Gerechtigkeit, und wer heilig ist, der sei weiterhin heilig.” Offenbarung 22,11. FS 266.3

Jeder Fall war zum Leben oder zum Tod entschieden worden. Während Jesus im Heiligtum gedient hatte, war das Gericht über die gerechten Toten und dann über die gerechten Lebenden vor sich gegangen. Christus hatte sein Reich empfangen; er hatte das Sühnopfer für sein Volk gebracht und ihre Sünden ausgetilgt. Die Untertanen seines Reiches waren nun vollzählig. Die Hochzeit des Lammes war vollzogen. Das Reich, die Gewalt und die Macht unter dem ganzen Himmel wurde Jesus und den Erben des Heils gegeben. Jesus sollte als König aller Könige und Herr aller Herren regieren. FS 267.1

Als Jesus aus dem Allerheiligsten trat, hörte ich das Klingeln der Schellen an seinem Gewand. Als er das Allerheiligste verließ, legte sich eine Wolke der Finsternis über die Bewohner der Erde. Es gab keinen Fürsprecher mehr zwischen dem schuldigen Menschen und einem erzürnten Gott. Während Jesus noch zwischen den schuldigen Menschen und Gott gestanden hatte, war noch Zurückhaltung auf den Menschen gelegen; als er jedoch als Vermittler zurücktrat, wurden sie nicht länger zurückgehalten. Satan hatte völlige Herrschaft über die unbußfertig Gebliebenen. Es ist unmöglich, daß die Plagen ausgegossen werden können, während Jesus noch im Heiligtum Dienst tut. Aber wenn sein Werk dort beendet ist und sein Amt als Vermittler aufhört, ist nichts mehr da, was den Zorn Gottes zurückhält. Dann bricht er in seiner ganzen Heftigkeit über das schutzlose Haupt des schuldigen Sünders herein, der das Heil gering geachtet und Ermahnung gehaßt hat. In jener schrecklichen Zeit, nach dem Ende des Mittlerdienstes Jesu, lebten die Heiligen in der Gegenwart des heiligen Gottes ohne einen Fürsprecher. Jeder Fall ist entschieden, alle Edelsteine sind gezählt. Jesus verweilte einen Augenblick in der äußeren Abteilung des himmlischen Heiligtums. Die Sünden, die ihm bekannt worden waren, während er im Allerheiligsten war, wurden auf Satan gelegt, den Urheber der Sünde, der ihre Strafe tragen muß. FS 267.2

Dann sah ich, wie Jesus sein priesterliches Gewand ablegte und königliche Kleider anzog. Auf seinem Haupt waren viele Kronen, eine Krone in der anderen. Umgeben von den himmlischen Engeln, verließ er den Himmel. Die Plagen fielen auf die Bewohner der Erde. Einige klagten Gott an und verfluchten ihn; andere eilten zum Volk Gottes, um darüber belehrt zu werden, wie sie seinen Gerichten entkommen könnten. Aber die Heiligen hatten nichts für sie. Die letzte Träne für Sünder war geflossen, das letzte ringende Gebet gesprochen, die letzte Last getragen und die letzte Warnung gegeben. Die liebliche Gnadenstimme lud sie nicht mehr ein zu kommen. Als die Heiligen und der ganze Himmel an ihrem Seelenheil interessiert waren, hatten sie kein Interesse dafür gehabt. Leben und Tod waren ihnen vorgelegt worden; manche sehnten sich nach dem Leben, machten jedoch keine Anstrengung, es zu erlangen. Sie hatten das Leben nicht gewählt. Jetzt war kein sühnendes Blut mehr da, die Schuldigen zu reinigen, kein mitleidiger Heiland, der für sie bat und rief: “Schone, schone den Sünder noch ein wenig länger.” Der ganze Himmel hatte sich mit Jesus vereinigt, als sie die furchtbaren Worte vernommen hatten: “Es ist geschehen. Es ist vollbracht.” Johannes 19,30. Der Erlösungsplan war ausgeführt worden; doch nur wenige hatten ihn angenommen. Als nun die liebliche Stimme der Gnade verhallte, ergriffen Furcht und Schrecken die Gottlosen. Schrecklich deutlich vernahmen sie die Worte: “Zu spät, zu spät!” FS 268.1

Die Menschen, die das Wort Gottes nicht geschätzt hatten, liefen nun hin und her, von einem Meer zum andern, von Mitternacht gegen Morgen, um das Wort Gottes zu suchen. Der Engel sagte: “Sie werden’s nicht finden. Es ist ein Hunger im Land; nicht ein Hunger nach Brot oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Wort des Herrn, es zu hören. Amos 8,11. Was würden sie nicht alles geben für ein Wort der Anerkennung von Gott; aber nein, sie müssen hungern und dürsten. Tag für Tag haben sie die Seligkeit mißachtet, haben irdische Reichtümer und weltliche Vergnügungen mehr geschätzt als himmlische Schätze oder Angebote. Sie haben Jesus verworfen und die Heiligen verachtet. Wer unrein ist, muß für immer unrein bleiben.” FS 268.2

Viele Gottlose waren sehr in Zorn, als sie die Plagen erleiden mußten. Es war eine Szene furchtbarer Qual. Eltern machten ihren Kindern bittere Vorwürfe und die Kinder den Eltern, Brüder ihren Schwestern und Schwestern ihren Brüdern. Lautes Wehklagen wurde überall vernommen: “Du warst es, der mich davon zurückhielt, die Wahrheit anzunehmen, die mich vor dieser schrecklichen Stunde bewahrt hätte.” Die Leute wandten sich mit bitterem Haß gegen ihre Prediger, machten ihnen Vorwürfe und sagten: “Ihr habt uns nicht gewarnt. Ihr habt uns gesagt, daß die ganze Welt bekehrt werden würde, und habt Friede, Friede gerufen, um jede Furcht, die aufkam, zu unterdrücken. Ihr habt uns nichts von dieser Stunde gesagt. Und jene, die uns davor warnten, habt ihr Fanatiker und böse Menschen genannt, die uns nur ins Verderben stürzen wollten.” Aber ich sah, daß die Prediger dem Zorn Gottes nicht entkamen. Ihre Leiden waren zehnmal größer als die ihres Volkes. FS 269.1